OGH 7Ob285/99h

OGH7Ob285/99h14.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag und Dr. Wilhelm Eckhart, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Z***** AG, ***** vertreten durch Dr. Anton Knees, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 1,208.200,-- sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 13. Juli 1999, GZ 3 R 38/99d-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 31. Dezember 1998, GZ 24 Cg 134/97f-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 112.546,16 (darin enthalten S 9.919,36 USt und S 53.030 Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei betreibt ein "Altholzrecycling". Möbel, Sperrmüll, Spanplatten usw werden je nach Holzqualität getrennt und dann nach mehreren Verkleinerungsvorgängen in "Hackgut Natur", "Hackgut beschichtet" und "Hackgut gemischt" verwandelt. Die Ausbringung dieses Hackgutes erfolgt über ein Förderband, wobei eine Anschichtung bis zu drei, vier Meter Höhe möglich ist. Eine höhere Anlagerung muss mittels Radlader vorgenommen werden. Klagsgegenständlich ist die Anhäufung von "Hackgut beschichtet", das von der Klägerin hauptsächlich nach Italien exportiert wird. Etwa im Mai/Juni 1996 stellte sich die Behörde auf den Standpunkt, dass dafür eine Exportgenehmigung benötigt werde. Ein unmittelbarer Export war daher zunächst nicht möglich, der Kläger produzierte jedoch in der Annahme weiter, dass die Sache behördlicherseits bald erledigt werde.

Zum Zeitpunkt des Versicherungsvertragsabschlusses (Antragstellung Mai 1996 - Ausstellung der Versicherungspolizze am 15. 11. 1996) mit der beklagten Partei bestand eine Hackgutanhäufung in etwa 6, 7 m Höhe. Infolge der laufenden Produktion erreichte dieser Haufen jedoch bis Oktober eine Höhe von 9 m und ein Gesamtvolumen von etwa 8000 m3. Im Oktober 1996 begannen die ersten Schwelbrände in diesem Haufen. Am 17. 10. 1996 stellte die Feuerwehr mittels einer Heusonde darin eine Innentemperatur von 100 Grad fest und begann mit Löschungen. Bis zum klagsgegenständlichen Brandausbruch am 28. 11. 1996 gegen 17 Uhr wurden insgesamt 45 Löscheinsätze, sohin fast täglich, durchgeführt. Am 13. 11. 1996 überprüfte die Gewerbebehörde unangemeldet zufolge von Anliegerbeschwerden den Lagerplatz und schlug dem Kläger vor, den Haufen zwei- bis dreimal täglich auf mögliche Glut- und Rauchentwicklung zu kontrollieren und jeweils sofortige Lösch- und Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Er dürfe kein frisches Material dazu geben, die zukünftige Zwischenlagerung dürfe nur bis zu einer Maximalhöhe von 7 m vorgenommen werden. Der Haufen selber dürfe nicht mit schweren Geräten befahren werden, damit ein Druckstau ausbleibe. Nach Erteilung der Exportgenehmigung müsste der Haufen sofort abgebaut werden. Festgestellt wurde, dass die Schwelbrände auf die ungünstigen Witterungsbedingungen, die Feuchtigkeit in den Haufen hineinbrachten, sowie auf eine Verdichtung des tiefer liegenden Materials durch das Befahren gewisser Bereiche mit dem Radlader verursacht worden sind. Bei einer sofortigen Öffnung bzw Abtragung des Haufens wäre aber nicht auszuschließen gewesen, dass sich im Inneren schlummernde Nester sofort entzünden würden und damit zu einem größeren Brand führen könnten. Der Kläger hat diese Auflagen erfüllt. Die Hitze wurde mittels Sonden überprüft. Am 20. 11. 1998 stellte der Feuerwehrsachverständige der Landesregierung fest, dass sich derzeit keine größeren Glutherde im Bereich des Haufens befänden und eine Brandgefahr im größeren Ausmaß nicht zu erwarten sei. Vorgeschlagen wurde, sofern möglich und zulässig, den Haufen so bald als möglich abzutransportieren und falls dies nicht möglich wäre, und wieder Rauch auftrete, den betroffenen Bereich des Haufens abzutragen und ausreichend zu löschen. Bei genauer Lokalisierung nur im Inneren müsse dies mit Injektionslanzen geschehen. Erst nach dem am 28. 11. 1996 größeren gegenständlichen Brand wurde dem Kläger am 4. 12. 1996 vorgeschrieben, die maximale Höhe der Schüttung mit 4 m zu begrenzen und das Befahren der Ablagerungen mit dem Radlader zu unterlassen.

Die Ursache des Brandes ist auf eine Selbstentzündung infolge biologischer Selbsterhitzung zurückzuführen. Die erforderlichen Rahmenbedingungen wurden durch das Zusammenlagern der verschiedenen Holzmedien (Hackgut gemischt und der beiden übrigen Fraktionen) und einer Lagerhöhe von über 4 m sowie einer Verdichtung durch Radlader geschaffen. Der Brand wäre zu verhindern gewesen, wenn man die einzelnen Fraktionen getrennt gelagert hätte, die Fraktion Hackgut gemischt mit dem großen feineren Teil hätte maximal bis zu einer Höhe von 4 m gelagert werden dürfen. Eine zielführende Kontrolle wäre nur durch die Installation eines Infrarot-Überwachungssystems möglich gewesen. Bei Erkennung von Selbstentzündungen im Inneren des Lagergutes ist es erforderlich, das Lagergut im Beisein von Löschkräften vollständig abzutragen. Diese Maßnahme hätte bereits beim ersten Brandeinsatz am 17. 10. 1996 durchgeführt werden müssen.

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei die Bezahlung von S 1,208.200. Die Aufräum- und Abbruchkosten hätten S 1,111.850 und die Wiederherstellungskosten S 196.350 betragen.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete Leistungsfreiheit ein. Die klagende Partei habe weit mehr Hackschnitzelgut als zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages an Ort und Stelle gelagert gewesen sei, aufgebracht gehabt. Sie habe den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt. Der klagenden Partei hätte bekannt sein müssen, dass der Hackschitzelhaufen nur 4 m hoch sein dürfe, tatsächlich sei bis zu einer Höhe von 9 m gelagert worden. Es hätte der klagenden Partei bekannt sein müssen, dass höchste Brandgefahr bestehe, was sie hätte veranlassen müssen, dass der Haufen sofort abgetragen werde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgerte rechtlich, dass die klagende Partei kein Verschulden treffe, weil ihr Geschäftsführer als brandmäßiger Laie die Gefährlichkeit der Erhöhung des Haufens von 6 bis 7 m auf 9 m nicht erkennen habe können. Im Übrigen habe er nach dem Auftreten der ersten Glimmbrände sofort die Feuerwehr beigezogen und sich an deren Anordnungen sowie an die Anordnungen der Behörde gehalten.

Das Berufungsgericht wies mit der angefochtenen Entscheidung das Klagebegehren ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Dem Geschäftsführer der klagenden Partei komme die Qualität eines "maßgerechten Fachmannes" im Sinne des § 1299 ABGB auf dem Gebiet der Herstellung und Lagerung von Hackschnitzelgut zu. Er habe jedoch die bei ihm vorauszusetzende Sorgfalt nicht eingehalten. Dem Wissen um die Herbeiführung einer Gefahrenerhöhung stehe das verschuldete Nichtwissen gleich, wenn dieses so schwer ins Gewicht falle, dass es wegen der Sinnfälligkeit der Gefahr einer positiven Kenntnis gleichkomme. Dies gelte allerdings nur dann, wenn nach den gegebenen Umständen das Wissenmüssen so schwer ins Gewicht falle, dass es der positiven Kenntnis gleich gehalten werden könne, wenn also die Gefahrenerhöhung für den Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der bei ihm füglich zu erwartenden Aufmerksamkeit, Kenntnisse und Fähigkeiten durchaus sinnfällig sei und sie dennoch unterbleibe. Bei der Beurteilung dieser Frage komme der beharrlichen Missachtung ins Auge fallender Umstände erhebliche Bedeutung zu. Nach Auftreten der Schwelbrände im Oktober 1996 hätte der Geschäftsführer der klagenden Partei den Haufen abbauen lassen müssen. Da er diesen jedoch unverändert ließ, habe er die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes des Brandschadens vergrößert. Er habe daher fahrlässig gehandelt. Die beklagte Partei sei daher leistungsfrei.

Die gegen diese Entscheidung erhobene ao. Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.

Dem gerügten Mangel des Berufungsverfahrens kommt, wie im Folgenden auszuführen sein wird, keine rechtliche Relevanz zu:

Rechtliche Beurteilung

Hauptpunkt der Revision ist, dass sich die klagende Partei an sämtliche Auflagen der Fachleute gehalten habe und der klagenden Partei nicht die Kenntnis zuzumuten gewesen sei, dass andere als vorgeschlagene Maßnahmen den Versicherungsfall verhindern können. Für die Annahme des Berufungsgerichtes, dass die klagende Partei offenkundig nur aus wirtschaftlichen Überlegungen eine Abtragung des Haufens vor dem 30. 11. 1996 unterlassen habe, fehle es an der entsprechenden Sachverhaltsgrundlage.

Dazu wurde erwogen:

Gefahrerhöhung ist jede objektive, nach Abschluss des Vertrages eingetretene erhebliche Änderung der Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalles wahrscheinlicher macht und den Versicherer deshalb vernünftigerweise veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämien fortzusetzen (vgl SZ 50/136 uva). Dass die Schaffung der Voraussetzungen für den Eintritt eines Schwelbrandes eine Gefahrerhöhung darstellt, steht außer Zweifel. Ein von der klagenden Partei zu vertretender Vorsatz bzw ein positives Wissen von diesem gefahrerhöhenden Umstand, kann aber den Feststellungen nicht entnommen werden. Entscheidend ist daher, ob der klagenden Partei ein der positiven Kenntnis gleichkommendes schwerwiegendes Nichtwissen um die Gefahrenerhöhung anzulasten ist (vgl VersR 1980, 47 sowie die von den Vorinstanzen zitierte Entscheidung RdW 1985, 60). Die Sinnfälligkeit einer Gefahrenerhöhung, auf Grund derer das Wissenmüssen des Versicherungsnehmers der positiven Kenntnis gleichzuhalten ist, wird regelmäßig schon dann zu verneinen sein, wenn es zur Klärung der Frage, ob eine Gefahrenerhöhung gegeben ist, erst besonders weitwendiger Erhebungen durch einen Sachverständigen bedarf (vgl VR 1992, 29, zuletzt 7 Ob 1002/95). Für den Eintritt einer Gefahrerhöhung ist grundsätzlich der Versicherer beweispflichtig (vgl ZVR 1974/168, 248 = VR 1974, 404 = VersR 1975, 553), der Beweis des mangelnden Verschuldens und der Kausalitätsgegenbeweis obliegt dem Versicherungsnehmer (vgl 7 Ob 46/85). Wie dem erkennenden Senat aus Fällen von Schwelbränden in Heuablagerungen bekannt ist, können die Vorausetzungen für das Entstehen solcher Brandherde nur durch Temperaturmessungen mittels Sonden annähernd erkannt werden. Wenn auch bei jedem Versicherungsnehmer die üblichen Kenntnisse zur Brandverhütung und bei einem Betriebsinhaber die besonderen Kenntnisse zur Verhütung eines Brandes in seinem Betrieb vorausgesetzt werden müssen, kann sich letztere Forderung nur auf in die Sinne fallende Gefahrenmomente beziehen. Die Forderung, den sinnfälligen Vorgang der Entstehung eines Schwelbrandes vorausschauend zu erkennen, stellt eine Überforderung eines auch auf Grund seiner Betriebsführung als sachkundig anzusprechenden Versicherungsnehmers dar.

Das Nichtreagieren auf eine mitverschuldet eingetretene Gefahrenerhöhung kann freilich eine schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne des § 61 VersVG darstellen. Den Beurteilungsmaßstab liefert in diesem Fall die grobe Fahrlässigkeit. Gefahrenerhöhung nach § 23 VersVG setzt allerdings Kenntnis bzw zu vertretende Unkenntnis des Versicherungsnehmers von den Umständen, die eine Gefahrenerhöhung begründen, voraus (vgl BK/Harrer zu § 23 VersVG Rn 13 und 22).

Von den Vorinstanzen wurde der vorliegende Sachverhalt unter dem Aspekt des § 62 VersVG nicht untersucht. Aber auch bei einer derartigen Beurteilung erweist sich das Klagebegehren als berechtigt. Steht der Versicherungsfall unmittelbar bevor, hat sich der Versicherungsnehmer nach § 62 VersVG zu verhalten (7 Ob 184/98d). Tatsächlich war mit dem Auftreten der ersten Schwelbrände der Versicherungsfall bereits eingetreten. Dies zeigen schon die fast täglich erfolgten ingesamt 45 Löschversuche eindringlich auf. Dass die vom Versicherungsnehmer gesetzten Maßnahmen letztendlich sich als falsch bzw unzweckmäßig erwiesen haben, kann ihm nicht zur Last gelegt werden, weil er die Weisungen der zuständigen Feuerwehr und der Sachverständigen befolgt hat. Ein auch für § 62 VersVG anzunehmender Sorgfaltsmaßstab an Hand des § 61 VersVG lässt den Vorwurf, ihn treffe grobe Fahrlässigkeit, nicht zu. Der Inhalt der Rettungspflicht bestimmt sich danach, wie sich der Versicherungsnehmer verständigerweise verhalten hätte, wenn er nicht versichert gewesen wäre (vgl VersR 1980, 591). Er hat daher in der jeweiligen Situation unverzüglich, auch wenn der Erfolg zweifelhaft ist, einzuschreiten und die Schadensminderungs- bzw die Rettungspflicht im Interesse des Versicherers bis zur Grenze des Zumutbaren auszuüben (VR 1991, 262 = EvBl 1991/124). Im vorliegenden Fall wurde dem Geschäftsführer der klagenden Partei sogar abgeraten, den gegenständlichen Haufen in einem Zug abtransportieren zu lassen, weil dies den Glimmbrand so verstärkt hätte, dass die ganze Halde abgebrannt wäre. Der im Nachhinein als einzig tauglicher Rettungsversuch erkannte Vorschlag, teilweise unter Löschen der Feuerwehr abzutragen, hätte der Mitwirkung der Feuerwehr dazu, deren Zusage dazu aber nicht festgestellt wurde, bedurft.

Da demnach dem Geschäftsführer der klagenden Partei kein Vorwurf zu machen ist, den Anweisungen der Feuerwehr sowie der Gewerbebehörde nicht Folge geleistet zu haben und er daher auf diesem Gebiet nicht von vornherein als sachverständig im Sinne des § 1299 ABGB einzustufen ist, war der Revision Folge zu geben und das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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