OGH 8Ob340/99d

OGH8Ob340/99d25.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Langer, Dr. Steinbauer, Dr. Rohrer und Dr. Spenling als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Ricardo R*****, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Oktober 1999, GZ 45 R 742/99x-70, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. Mai 1999, GZ 2 P 188/95p-53, ersatzlos behoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Minderjährige lebt seit September 1995 im Haushalt der väterlichen Großmutter. Mit Beschluss vom 11. Jänner 1996 (ON 8) übertrug das Erstgericht die Obsorge an die Großmutter. Das Erstgericht setzte die dem Minderjährigen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Beschluss vom 5. Jänner 1998 (ON 36) entsprechend der Leistungsfähigkeit des Vaters für die Zeit vom 1. 10. 1997 bis 31. 12. 1999 auf S 400,-- monatlich herab. Die Großmutter bezieht Verwandtenpflegegeld nach § 27 Abs 6 Wiener JugendwohlfahrtsG 1990 (WrJWG).

Das Erstgericht stellte deshalb mit Beschluss vom 6. Mai 1999 (ON 53) von Amts wegen die dem Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des Monats Mai 1999 ein.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Minderjährigen Folge und hob den erstinstanzlichen Beschluss ersatzlos auf. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. In der Übertragung der Obsorge an die Großmutter liege keine Maßnahme der vollen Erziehung im Sinne des § 2 Abs 2 UVG.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien ist nicht berechtigt.

a) Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien (JAB, 199 BlgNR XIV. GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt werden (RV, 172 BlgNR XVII. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG in RpfSlgA 1999/2, 81 [83]). Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Bestimmung ist jedenfalls, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechenden Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt (Neumayr aaO). So genügt es nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall vermag dann konsequenter Weise auch die Unterlassung einer Antragstellung auf Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht zu erhalten (ÖA 1996, 127).

Wird jedoch die Obsorge den Eltern entzogen und - wie hier - auf die Großmutter übertragen, dann liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung" nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vor. Einerseits ging die Initiative zu diesem Schritt nicht von der Jugendwohlfahrtsbehörde aus, andererseits liegen der Obsorgeübertragung ausschließlich dem Wohl des Minderjährigen (§ 178a ABGB) entsprechende familienbezogene Erwägungen zu Grunde (ON 8). Die Übernahme (eigentlich: der Verbleib) des Minderjährigen im Wohnungsverband seiner Großmutter und deren rechtliche Gestaltung als Fall einer Obsorgeübertragung von der Mutter auf die Großmutter war daher gerade keine "Maßnahme der vollen Erziehung", sollte doch eine solche durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinn) geradezu vermieden werden. Der Minderjährige wurde somit nicht auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht (§ 2 Abs 2 Z 2 UVG) untergebracht.

b) Entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung liegt hier auch keine bescheidmäßige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vor. Während nämlich nach § 27 Abs 1 WrJWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum WrJWG, § 27, S 57), statuiert § 27 Abs 6 WrJWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis die Großmutter eines Kindes fällt - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 WrJWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit dass kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum WrJWG zu § 27 Abs 6). Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwal- tung entspricht übrigens auch der Rspr des Obersten Gerichtshofs zum BundespflegegeldG BGBl 1993/110, wonach die Zuerkennung von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. Juni 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls ohne Bescheidcharakter erfolgte; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uva).

Daraus folgt, dass den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kannbestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrundeliegt. Ob eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfolgen könnte, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie etwa in Niederösterreich und in Tirol; siehe hiezu RZ 1997/28 und RZ 1994/10 = EFSlg 69.396) bestünde, muss hier nicht untersucht werden. Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Die Gewährung eines Verwandtenpflegegeldzu- schusses nach § 27 Abs 6 WrJWG an die Großmutter stellt demnach keinen Einstellungsgrund für die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar. Die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretene gegenteilige Auffassung kann nicht aufrecht erhalten werden (vgl dazu auch 7 Ob 224/99p; 1 Ob 243/99p mwN ua).

Dem Revisionsrekurs ist nicht Folge zu geben.

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