OGH 1Ob243/99p

OGH1Ob243/99p23.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Jennifer H*****, geboren am 5. Juni 1989, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch den Unterhaltssachwalter Magistrat der Stadt Wien, dieser vertreten durch Dr. Werner Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 1999, GZ 44 R 435/99t-46, womit der Beschluss des Bezirkgerichts Liesing vom 6. Mai 1999, GZ 7 P 84/97v-39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Anläßlich der einvernehmlichen Scheidung der Eltern (§ 55a EheG) wurde die Obsorge für die Minderjährige zunächst der Mutter allein übertragen. Seit 6. Dezember 1996 befindet sich die Minderjährige bei der väterlichen Großmutter; die Mutter geriet wegen ihrer labilen Persönlichkeitsstruktur immer wieder in psychosoziale Krisen, sodass sie das Kind nicht entsprechend versorgen konnte. Die zuständige Wiener Magistratsabteilung 11 (Amt für Jugend und Familie 23. Bezirk) hielt daher die weitere Betreuung der Minderjährigen im Haushalt ihrer väterlichen Großmutter zur Hintanhaltung einer Gefährdung für erforderlich und sprach sich für die Übertragung der Obsorge an die väterliche Großmutter aus. Das Erstgericht trug diesem Ersuchen mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. Dezember 1997 Rechnung. Der Vater ist auf Grund des Vergleichs vom 29. Juni 1995 zur einer monatlichen Unterhaltsleistung von 2.000 S verpflichtet. Das Erstgericht bewilligte der Minderjährigen zuletzt mit Beschluss vom 20. April 1999 ON 37 einen - an die väterliche Großmutter auszuzahlenden - Unterhaltsvorschuss gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für die Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2002. Die väterliche Großmutter bezieht seit 1. Mai 1998 Verwandtenpflegegeld nach § 27 Abs 6 Wiener JugendwohlfahrtsG 1990 (Wr JWG).

Das Erstgericht stellte deshalb von Amts wegen unter Hinweis auf § 2 Abs 2 Z 2 UVG die der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse mit 30. April 1998 gemäß § 20 Abs 1 Z 4 lit a und Abs 2 UVG ein.

Das Rekursgericht bestätigte, den Erwägungen der Entscheidung 7 Ob 5/99g (= ÖA 1999, 171) folgend, diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der durch ihren Unterhaltssachwalter vertretenen Minderjährigen ist iSd § 14 Abs 1 AußStrG zulässig und berechtigt.

a) Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll nach den Materialien (JAB, 199 BlgNR XIV. GP, 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt werden (RV, 172 BlgNR XVII. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG in RpfSlgA 1999/2, 81 [83]). Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Bestimmung ist jedenfalls, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt (Neumayr aaO). So genügt es nach der Rspr nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 Tir JWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall kann dann konsequenterweise auch die Unterlassung eines Antrags auf Gewährung von Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht erhalten (ÖA 1996, 127/UV 1991).

Wird jedoch die Obsorge den Eltern entzogen und - wie hier - auf die väterliche Großmutter übertragen, dann liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung" nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vor. Einerseits ging die Initiative zu diesem Schritt nicht von der Jugendwohlfahrtsbehörde aus, andererseits liegen der Obsorgeübertragung ausschließlich dem Wohl des Minderjährigen (§ 178a ABGB) entsprechende familienbezogene Erwägungen zu Grunde (ON 30). Die Übernahme (eigentlich: der Verbleib) der Minderjährigen im Wohnungsverband ihrer väterlichen Großmutter und deren rechtliche Gestaltung als Fall einer Obsorgeübertragung von der Mutter auf die väterliche Großmutter war daher gerade keine "Maßnahme der vollen Erziehung", sollte doch eine solche durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinn) geradezu vermieden werden. Die Minderjährige wurde somit nicht auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht (§ 2 Abs 2 Z 2 UVG) untergebracht.

b) Entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung liegt hier auch keine bescheidmässige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vor. Während nämlich nach § 27 Abs 1 Wr JWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum Wr JWG, § 27, S 57), statuiert § 27 Abs 6 Wr JWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis die Großmutter eines Kindes fällt -, vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 Wr JWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum Wr JWG zu § 27 Abs 6). Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwaltung entspricht übrigens auch der Rspr des Obersten Gerichtshofs zum BundespflegegeldG BGBl 1993/110, wonach die Zuerkennung von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. Juni 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls ohne Bescheidcharakter erfolgte; derartige über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uva).

Daraus folgt, dass den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kannbestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrundeliegt. Im übrigen ist Leistungsempfänger nach § 2 Abs 1 UVG das Kind, nach § 27 Wr JWG die Pflegeperson.

Ob eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfolgen könnte, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie etwa in Niederösterreich und in Tirol; siehe hiezu RZ 1997/28 und RZ 1994/10 = EFSlg 69.396) bestünde, muss hier nicht untersucht werden. Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach dem anzuwendenden Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung der Gesetzgebung und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rspr obliegt (vgl 1 Ob 78/99y; 7 Ob 224/99p). Die Gewährung eines Verwandtenpflegegeldzuschusses nach § 27 Abs 6 Wr JWG an die väterliche Großmutter stellt demnach keinen Grund zur Einstellung der dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar. Die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g gegenteilige Auffassung kann nicht aufrecht erhalten werden (vgl dazu auch 7 Ob 224/99p mwN ua).

In Stattgebung des Revisionsrekurses sind demnach die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben.

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