Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 (darin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger bezog zunächst seit 1. 4. 1996 Pflegegeld der Stufe 1 nach dem Vorarlberger Pflegegeldgesetz. Seit 1. 12. 1997 bezieht der Kläger von der beklagten Partei eine Berufsunfähigkeitspension. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 25. 5. 1998 wurde der Antrag des Klägers vom 1. 12. 1997 auf Gewährung des Pflegegeldes nach dem BPGG abgelehnt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Klage mit dem zuletzt gestellten Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm das Pflegegeld der Stufe 3 ab 1. 12. 1997 zu gewähren. Der Kläger sei zur Fortbewegung überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen.
Die beklagte Partei anerkannte in der Tagsatzung am 9. 6. 1999 das Klagebegehren im Umfang der Pflegegeldstufe 1, worauf das Erstgericht über Antrag des Klägers die beklagte Partei mit einem in Rechtskraft erwachsenen Teilanerkenntnisurteil schuldig erkannte, dem Kläger ab 1. 12. 1997 das Pflegegeld der Stufe 1 in Höhe von monatlich S 2.000 zu bezahlen. Im Übrigen beantragte die beklagte Partei die Abweisung des Klagebegehrens und verwies insbesondere darauf, dass beim Kläger keine der in § 4a Abs 1 BPGG angeführten Krankheiten vorliege.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1. 8. 1999 das Pflegegeld der Stufe 3 in Höhe von monatlich S 5.690 zu bezahlen und wies das auf den Zeitraum vom 1. 12. 1997 bis 31. 7. 1999 gerichtete Mehrbegehren unbekämpft ab. Es stellte fest, dass der am 18. 12. 1957 geborene Kläger an einem Zustand nach Poliomyelitis (epidemische spinale Kinderlähmung) in den ersten Lebensmonaten und einer schlaffen Plegie der rechten unteren Extremität mit einem praktischen Funktionsausfall leidet. Sekundär bestehen daraus Wirbelsäulenfehlhaltungen und Belastungsschmerzen im Bereich der Wirbelsäule und des linken Beines. Die Lähmung des rechten Beines ist verbunden mit einer hochgradig reduzierten Muskulatur und einer Verkürzung des Beines. Weiters besteht eine Lähmung im Bereich des Beckengürtelbereiches.
Spätestens im Juli 1999 hat sich der Gesundheitszustand des Klägers so weit verschlechtert, dass sämtliche Bewegungen der Wirbelsäule bei objektiv verspannter Rückenmuskulatur schmerzhaft sind. Seit diesem Zeitpunkt ist der Kläger zur Fortbewegung überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen, da durch eine Fortbewegung ohne Rollstuhl neben den Rückenschmerzen auch die Gefahr einer zunehmenden Verschlechterung besteht. Somit ist dem Kläger seit diesem Zeitpunkt die Fortbewegung ohne Rollstuhl nicht zumutbar. Hingegen war der Kläger bis Juli 1999 zur Fortbewegung nicht überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen und es war eine Fortbewegung ohne Rollstuhl gerade noch möglich und zumutbar. Die Notwendigkeit der Verwendung eines Rollstuhls zur Fortbewegung ist beim Kläger nicht auf eine der in § 4a Abs 1 BPGG angeführten Ursachen zurückzuführen, sondern eine Folge der deutlichen Funktionsausfälle im unteren Extremitätenbereich und der vorwiegend orthopädisch zu bewertenden Sekundärfolgen der Kinderlähmung, die sich an der Wirbelsäule manifestieren. Der beim Kläger vorhandene periphere Lähmungstyp ähnelt zum Teil Lähmungstypen wie sie bei Muskeldystrophien auftreten, zum Teil aber auch - je nach Höhe - bei Querschnittlähmungen vorhanden sein können. Die Beinschwäche infolge der Kinderlähmung ist auch mit einer Cerebralparese zu vergleichen bzw gleichzusetzen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der Gesetzgeber in der am 1. 1. 1999 in Kraft getretenen Änderung des Bundespflegegeldgesetzes (BGBl 1998/I/111) die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung als Rollstuhlfahrer an das Vorliegen der dort genannten Erkrankungen bzw Ursachen geknüpft habe. Demnach führe die Notwendigkeit des selbständigen Gebrauchs eines Rollstuhls dann zur diagnosebezogenen Einstufung, wenn eine Querschnittlähmung, eine beidseitige Beinamputation, eine Muskeldystrophie, eine enzephalitis disseminata (Multiple Sklerose) oder eine Cerebralparese vorliege. Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung und Auflistung der Erkrankungen lasse den Schluss zu, dass es sich dabei um eine taxative Aufzählung handle. Auch eine taxative Aufzählung schließe aber das Vorliegen einer unechten Gesetzeslücke nicht unter allen Umständen aus. Vielmehr sei Analogie dann möglich und geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthalte und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordere. Ein derartiger Fall liege hier vor. Die Kinderlähmung und deren Sekundärfolgen seien beim Kläger in ihren Auswirkungen mit einer Muskeldystrophie, einer Cerebralparese oder auch einer Querschnittlähmung je nach Höhe zu vergleichen bzw mit einer Cerebralparese gleichzusetzen. Bei der Neuregelung sei es Absicht des Gesetzgebers gewesen, die Ursachen für das Angewiesensein auf einen Rollstuhl auf das Vorliegen bestimmter Erkrankungen einzuschränken und vor allem jene Personen auszuschließen, die lediglich aufgrund ihres Alters und mit dem Alter einhergehender Gebrechen auf die Verwendung eines Rollstuhls zur Fortbewegung angewiesen seien. Der Kläger leide aber an den Folgen einer in frühester Kindheit erlittenen Poliomyelitis, somit an einer vom Rückmark ausgehenden Kinderlähmung. Daneben gebe es auch noch die cerebrale Kinderlähmung (auch infantile Cerebralparese genannt). Es handle sich dabei um einen Sammelbegriff für die Folgen eines frühkindlichen Hirnschadens. Lähmungserscheinungen, die auf diese cerebrale Kinderlähmung zurückgehen, seien zweifellos unter den Begriff Cerebralparese zu subsumieren und somit von der Mindesteinstufung des § 4a Abs 1 BPGG erfasst. Ausgehend von der Intention des Gesetzgebers habe im vorliegenden Fall beim Kläger eine diagnosebezogene Einstufung nach § 4a BPGG im Wege der Analogie stattzufinden. Dem Kläger gebühre daher aufgrund der im Juli 1999 eingetretenen Verschlechterung ab 1. 8. 1999 Pflegegeld der Stufe 3.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und verwies ergänzend darauf, dass durch die nunmehr in § 4a BPGG vorgesehene diagnosebezogene Mindesteinstufung sichergestellt werden solle, dass für einen bestimmten Personenkreis mit typischerweise gleichem Pflegebedarf jedenfalls die entsprechende Pflegestufe zuerkannt werde. Dies gehe insbesondere aus den Erläuterungen zum Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom Februar 1998 für eine Novelle des Bundespflegegeldgesetzes hervor, wobei in diesem Entwurf den besonderen pflegerelevanten Bedürfnissen von hochgradig sehbehinderten, blinden und taubblinden Personen sowie von querschnittgelähmten Personen Rechnung getragen werden sollte. Infolge zahlreicher Änderungswünsche sei eine Überarbeitung dieses Erstentwurfes erfolgt, welche in der Regierungsvorlage vom 14. 5. 1998 ihren Niederschlag gefunden habe. Gegenüber dem Erstentwurf, in dem lediglich bei Personen mit einer kompletten Querschnittlähmung, abhängig von der Läsionshöhe, ein Mindestpflegebedarf der Stufen 3, 4 und 5 vorgesehen gewesen sei, habe § 4a Abs 1 BPGG in der zum Gesetz gewordenen Fassung eine Ausdehnung dahingehend erfahren, dass auch Personen mit anderen Leidenszuständen von der Mindesteinstufung erfasst werden. Den Erläuternden Bemerkungen sei zu entnehmen, dass die Mindesteinstufung nicht nur auf das Hilfsmittel Rollstuhl abgestellt, sondern mit dem Vorliegen bestimmter Diagnosen verknüpft werden sollte. Damit sollte sichergestellt werden, dass bei der Mindesteinstufung jener Personenkreis an behinderten Menschen erfasst werde, der zur selbstbestimmten Lebensführung auf den aktiven Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen sei.
Das Berufungsgericht schloss sich auch der Rechtsansicht des Erstgerichtes an, dass aus den bereits vom Erstgericht dargelegten Erwägungen die im § 4a Abs 1 BPGG normierte Mindesteinstufung per analogiam auch auf den Kläger anzuwenden sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des (noch verfahrensgegenständlichen) Klagebegehrens abzuändern.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die beklagte Partei wiederholt in ihren Revisionsausführungen ihre bereits in der Berufung vorgetragenen Argumente, dass es sich nach der Absicht des Gesetzgebers bei der Aufzählung der Diagnosen im § 4a Abs 1 BPGG um eine taxative Aufzählung handle, wobei der Gesetzgeber mit den angeführten Diagnosen einen weitgehend gleichartigen Pflegebedarf verbinde, sodass eine detaillierte Erhebung des Pflegebedarfs im Einzelfall nicht mehr notwendig sei. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Rechtssicherheit würde in Frage gestellt, wenn man Personen mit anderen als den in § 4a Abs 1 BPGG angeführten Krankheiten im Wege eines Analogieschlusses unter diese Gesetzesstelle subsumieren wollte. Für die Annahme des Vorliegens einer unechten Gesetzeslücke bestehe daher kein Anlass. Die beklagte Partei räumt zwar ein, dass gegen eine solche am Willen des Gesetzgebers orientierte Auslegung verfassungsrechtliche Bedenken bestehen könnten. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken seien jedoch im Ergebnis nicht berechtigt, weil von der Bestimmung des § 4a Abs 1 BPGG ein größerer Personenkreis erfasst sei und gewisse Unschärfen des Gesetzes, welche nicht dazu führen, dass im Verhältnis zum begünstigten Personenkreis eine auffallend große Gruppe von anderen Personen benachteiligt werde, in Kauf genommen werden müssten.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Während das BPGG und die EinstV grundsätzlich vom Konzept der funktionsbezogenen Beurteilung des Pflegebedarfes ausgehen, das heißt von der individuell erforderlichen Betreuung und Hilfe, werden für bestimmte Behindertengruppen mit weitgehend gleichartigem Pflegebedarf - insoweit diagnosebezogen - Mindesteinstufungen im Verordnungsweg vorgenommen (SSV-NF 11/103 mwN ua). Die EinstV sah solche Mindesteinstufungen für hochgradig Sehbehinderte, Blinde und Taubblinde (§ 7) sowie für Personen, die zur Fortbewegung überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen sind (§ 8), vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (vgl SSV-NF 10/131 ua; RIS-Justiz RS0106389) waren der Bestimmung des § 8 EinstV nicht nur jene Personen zu unterstellen, die mit Hilfe ihres Rollstuhles ihren Bewegungsradius erweitern konnten und dadurch in die Lage versetzt wurden, Verrichtungen wie sie in § 1 und 2 EinstV vorgesehen sind, (weitgehend) eigenständig vorzunehmen ("aktive Rollstuhlfahrer"), sondern auch diejenigen Personen, für die der Rollstuhl wegen zunehmender Gebrechlichkeit oder ähnlicher Leidenszustände angeschafft wurde, um sie durch andere Menschen fortzubewegen ("passive Rollstuhlfahrer"). Diese Einbeziehung der sogenannten "passiven Rollstuhlfahrer" in die diagnosebezogene Einstufung stieß im Schrifttum auf Kritik (vgl Glosse von Pfeil in DRdA 1997/45; Rudda, Vier Jahre Pflegevorsorge - Bilanz und Ausblick, SozSi 1997, 603 ff [607 f]).
Der Gesetzgeber hat im Zuge der BPGG-Novelle 1998 (BGBl I 111) die Mindesteinstufung der Rollstuhlfahrer neu geregelt. Während nach dem zur Begutachtung versandten Erstentwurf für eine Novelle des Bundespflegegeldgesetzes die Einstufung der Rollstuhlfahrer nur noch anhand der medizinisch eindeutigen Diagnose der kompletten Querschnittlähmung und den Funktionsausfällen und des damit verbundenen weitgehend gleichartigen Pflegebedarfs erfolgen sollte, wurde dieser Personenkreis in der Regierungsvorlage dahingehend erweitert, dass gemäß der vorgeschlagenen Fassung des § 4a Abs 1 BPGG bei Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und aufgrund einer Querschnittlähmung, einer beidseitigen Beinamputation, einer Muskeldystrophie, einer encephalitis disseminata oder einer Cerebralparese zur eigenständigen Lebensführung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles oder eines technisch adaptierten Rollstuhles angewiesen sind, mindestens ein Pflegebedarf entsprechend der Stufe 3 anzunehmen ist. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur RV 1186 BlgNR XX. GP, 12 sollen in das Bundespflegegeldgesetz auch Personen Aufnahme finden, die nicht pflegebedürftig im klassischen Sinn sind. Damit soll auch den besonderen pflegerelevanten Bedürfnissen der hochgradig sehbehinderten, blinden und taubblinden Personen und jener Gruppe von schwer behinderten Menschen, die zur selbständigen Lebensführung auf den aktiven Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen sind, Rechnung getragen werden. In Hinkunft soll anhand der medizinisch eindeutigen Diagnose und den damit verbundenen Funktionsausfällen der weitgehend gleichartige Pflegebedarf in Form einer Mindesteinstufung berücksichtigt werden. Diese Neufassung dient der präzisen Umschreibung des Personenkreises, da bisher eine sehr breite Palette von Auslegungsmöglichkeiten bestanden und damit zu Problemen in der Einstufung geführt hat. Die Mindesteinstufung soll nicht nur auf das Hilfsmittel Rollstuhl abgestellt, sondern mit dem Vorliegen bestimmter Diagnosen verknüpft werden. So kann sichergestellt werden, dass bei der Mindesteinstufung jener Personenkreis an behinderten Menschen erfasst wird, der zur selbstbestimmten Lebensführung auf den aktiven Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist. Der Rollstuhl dient dieser Personengruppe zur Überwindung der Mobilitätseinschränkung und wird völlig selbständig allenfalls unter Nutzung technischer Adaptierungen (wie etwa einem elektrischen Antrieb) gehandhabt. Damit wird dieser Gruppe die selbstbestimmte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, die Integration bei der Ausbildung und Berufsausübung usw erleichtert. Als Abgrenzungskriterien werden die Ausfallserscheinungen bei bestimmten Krankheits- und Behinderungsmustern herangezogen. Die im Regelfall typischen Pflegemaßnahmen, die grundsätzlich auch bei der funktionellen Beurteilung des Pflegebedarfes relevant sind, werden dem Mobilitätsbedarf dieser Gruppen entsprechend berücksichtigt. Eine Mindesteinstufung in Stufe 3 ist dann gerechtfertigt, wenn aufgrund der angeführten Diagnosen eine derart schwere Beeinträchtigung der Gehfähigkeit vorliegt, dass der Pflegebedürftige zur Fortbewegung innerhalb und außerhalb der Wohnung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist. Die oberen Extremitäten sind hinsichtlich grober Kraft und Feinmotorik nicht betroffen. Der Pflegebedürftige kann selbständig einen Transfer in und aus dem Rollstuhl durchführen und einen mechanischen Rollstuhl selbständig und aktiv benützen.
Die oben wiedergegebene Bestimmung des § 4a Abs 1 BPGG ist mit 1. 1. 1999 in Kraft getreten (§ 49 Abs 2 BPGG) und hat gemäß § 48 Abs 1 BPGG auch auf alle zu diesem Zeitpunkt anhängigen gerichtlichen Verfahren Anwendung zu finden.
Nach der ausdrücklich erklärten Absicht des Gesetzgebers der BPGG-Novelle 1998 sollte nunmehr die Mindesteinstufung für Rollstuhlfahrer mit dem Vorliegen bestimmter Diagnosen und den damit verbundenen Funktionsausfällen verknüpft werden, um sicherzustellen, dass bei der Mindesteinstufung jener Personenkreis an behinderten Menschen erfasst wird, der zur selbstbestimmten Lebensführung auf den aktiven Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist. Als Abgrenzungskriterien sollten die Ausfallserscheinungen bei bestimmten Krankheits- und Behinderungsmustern herangezogen werden. Ausgehend von dieser "ratio legis" kann nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen dem Prozessstandpunkt der beklagten Partei, wonach der Gesetzgeber Personen, die nicht eine der in § 4a Abs 1 BPGG ausdrücklich angeführten, jedoch ihrem Inhalt nach durchaus vergleichbare und in ihren Auswirkungen gleichzusetzende Diagnosen aufweisen, von der Mindesteinstufung ausschließen wollte, nicht gefolgt werden. Auf der Grundlage der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen ist der Kläger seit August 1999 zur eigenständigen Lebensführung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen. Die Notwendigkeit der Verwendung eines Rollstuhles zur Fortbewegung ist beim Kläger darauf zurückzuführen, dass als Primärfolge der bei ihm seit den ersten Lebensmonaten bestehenden Poliomyelitis ein praktischer Funktionsausfall der rechten unteren Extremität und als Sekundärfolgen einer durch diesen Funktionsausfall bedingten Fehlbelastung der Wirbelsäule degenerative Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule vorliegen. Die beim Kläger vorhandene periphere Lähmung ähnelt zum Teil Lähmungstypen wie sie bei Muskeldystrophien, zum Teil aber auch - je nach Höhe - bei Querschnittslähmungen auftreten und die Beinschwäche des Klägers infolge der Kinderlähmung ist mit einer Cerebralparese zu vergleichen bzw gleichzusetzen. Damit liegt aber beim Kläger aufgrund der angeführten Diagnosen eine derart schwere Beeinträchtigung der Gehfähigkeit vor, dass er zur Fortbewegung innerhalb und außerhalb der Wohnung überwiegend auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist, weshalb nach den Gesetzesmaterialien eine Mindesteinstufung in Stufe 3 gerechtfertigt ist.
Dem Einwand der Revisionswerberin, bei der Aufzählung der Diagnosen in § 4a Abs 1 BPGG handle es sich um eine taxative Aufzählung, ist entgegenzuhalten, dass nach herrschender Ansicht auch eine taxative Aufzählung das Vorliegen einer teleologischen oder unechten Lücke, bei welcher der Normzweck in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert, nicht unter allen Umständen ausschließt. Analogie ist vielmehr bei einer taxativen Aufzählung möglich und geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihren Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordert (WBl 1993, 327; SZ 60/172 mwN ua; RIS-Justiz RS0008841; RS0008928; RS0008839). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall, auf den zwar nicht der Wortlaut des Gesetzes, wohl aber die ihm zugrunde liegende Wertung bzw Zwecksetzung zutrifft (vgl Bydlinski in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 7), erfüllt, sodass die in § 4a Abs 1 BPGG normierte Mindesteinstufung nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen per analogiam auch auf den Kläger anzuwenden ist.
Dieses Auslegungsergebnis steht auch im Einklang mit dem Auslegungsgrundsatz, dass Gesetze im Zweifel verfassungskonform auszulegen sind (vgl MGA, ABGB35 E Nr 46 zu § 6 mwN ua). Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes muss der Gesetzgeber an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen. Nur dann, wenn gesetzliche Differenzierungen aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ableitbar sind, entspricht das Gesetz dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Mayer, B-VG2 465 f mwN uva). Eine sehr weitgehende Einschränkung der medizinischen Diagnosen, die zu einer Mindesteinstufung nach § 4a Abs 1 BPGG führen, könnte daher, wie auch die Revisionswerberin grundsätzlich einräumt, zu einer sachlichen Ungleichbehandlung gegenüber anderen behinderten Personen mit ähnlichen Diagnosen und gleichen damit verbundenen Funktionsausfällen führen.
Aufgrund dieser Erwägungen musste der Revision ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG. Die Bemessungsgrundlage für den Kostenersatzanspruch des Klägers beträgt demnach S 50.000.
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