OGH 7Ob332/99w

OGH7Ob332/99w26.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alois H*****, vertreten durch Mag. Alfred Witzelsteiner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei E***** Versicherung Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Johann Angermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,300.000 sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. September 1999, GZ 4 R 203/99f-35, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 22. Juni 1999, GZ 14 Cg 69/98m-30, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

23.535 (darin enthalten S 3.922 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss mit Wirksamkeit vom 21. 2. 1996 bis 1. 3. 1999 zur Polizze 521.478/0 ("Einzelunfall") eine Unfallversicherung bei der Beklagten mit einer Versicherungssumme von S 5 Mio ab, der die AUVB 1988 zugrunde gelegt wurden.

Hinsichtlich des völligen Verlustes oder der völligen Funktionsunfähigkeit eines Armes ab Schultergelenk ist darin der Invaliditätsgrad von einem Betrag von S 3,5 Mio also mit 70 % von S 5 Mio zu berechnen, bei völligem Verlust oder bei völliger Funktionsunfähigkeit eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels mit 50 %, also S 2,5 Mio.

Zur Fälligkeit der Leistung enthalten die AUVB 1988 folgende Regelung:

"Artikel 14

Fälligkeit der Leistung des Versicherers

1. Der Versicherer ist verpflichtet, innerhalb eines Monats, bei Ansprüchen auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb dreier Monate, zu erklären, ob und in welcher Höhe er eine Leistungspflicht anerkennt. Die Fristen beginnen mit dem Eingang der Unterlagen, die der Anspruchserhebende zur Feststellung des Unfallherganges und der Unfallfolgen und über den Abschluss des Heilverfahrens beizubringen hat.

...

3. Steht die Leistungspflicht des Versicherers dem Grunde und der Höhe nach fest, ist die Leistung nach zwei Wochen fällig."

Weiters findet sich in Artikel 15 eine Vereinbarung über ein Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten:

"Artikel 15

Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten (Ärztekommission)

1. Im Fall von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, in welchem Umfang die eingetretene Beeinträchtigung auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallfolgen durch Krankheit oder Gebrechen sowie im Falle des Art 7, Pkt 6., entscheidet die Ärztekommision.

2. In den nach Pkt 1. der Ärztekommission zur Entscheidung vorbehaltenen Meinungsverschiedenheiten kann der Versicherungsnehmer innerhalb von 6 Monaten nach Zugang der Erklärung des Versicherers gemäß Art 14, Pkt 1. unter Bekanntgabe seiner Forderung Widerspruch erheben und die Entscheidung der Ärztekommision beantragen.

3. Das Recht, die Entscheidung der Ärztekommission zu beantragen, steht auch dem Versicherer zu.

4. Für die Ärztekommission bestimmen Versicherer und Versicherungsnehmer je einen in der österreichischen Ärzteliste eingetragenen Arzt. Wenn ein Vertragsteil innerhalb zweier Wochen nach schriftlicher Aufforderung keinen Arzt benennt, wird dieser von der für den Wohnsitz des Versicherten zuständigen Ärztekammer bestellt. Die beiden Ärzte bestellen einvernehmlich vor Beginn ihrer Tätigkeit einen weiteren Arzt als Obmann, der für den Fall, dass sie sich nicht oder nur zum Teil einigen sollten, im Rahmen der durch die Gutachten der beiden Ärzte gegebenen Grenzen entscheidet.

...

5. Der Versicherte ist verpflichtet, sich von den Ärzten der Kommision untersuchen zu lassen und sich jenen Maßnahmen zu unterziehen, die diese Kommision für notwendig hält.

.....".

Nachdem der Kläger am 22. 12. 1996 einen Freizeitunfall erlitt und den Schaden der beklagten Versicherung anzeigte, teilte ihm diese mit Schreiben vom 10. 6. 1997 Folgendes mit:

"Nach nochmaliger Überprüfung mußten wir feststellen, daß die Angaben im Antrag zu Ihrer Unfallversicherung nicht den Tatsachen entsprechen.

Wir halten fest, dass eine Leistung aus o.a. Schadenfall nicht möglich ist und setzen den Vertrag rückwirkend per 21. 12. 1996 außer Kraft".

Auch die Ansprüche des Klägers aus einem weiteren Unfall am 5. 10. 1997 wurden von der Beklagten mit dem Hinweis auf das mangelnde Bestehen eines aufrechten Versicherungsvertrages mit Schreiben vom 3. 12. 1997 abgelehnt.

Ferner wurden die hier nicht gegenständlichen Ansprüche des Klägers aus einem Schadensfall am 13. 1. 1996 mit der gleichen Begründung abgelehnt. Mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15. 1. 1999 zu 4 R 308/98w-39 wurde die bekalgte Versicherung aus dem hier vorliegenden Unfallversicherungsvertrag wegen eines (hier nicht klagsgegenständlichen) Unfalles vom 3. 7. 1996 zur Leistung von S 350.000 verurteilt und gleichzeitig festgestellt, dass das gegenständliche Versicherungsverhältnis aufrecht besteht.

Zwischenzeitig hatte ein vom Kläger beauftragter unfallchirurgischer Sachverständiger in seinem Gutachten vom 5. 2. 1998 eine durch den Unfall vom 22. 12. 1996 erlittene Bewegungseinschränkung des linken Arms erhoben und die Invalidität mit 50 % unter Berücksichtigung der eingetretenen Einschränkungen auf Grund eines Vorgutachtens aus dem Jahr 1995 beziffert. Die durch den Unfall am 5. 10. 1997 am linken oberen Sprunggelenk des Klägers verbliebene Instabilität rechtfertigt nach einem weiteren von ihm eingeholten Sachverständigengutachten eine Beinwertminderung von 10 % nach dem AUVB.

Schließlich forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 29. 10. 1998 zur Begutachtung durch einen von ihr bestellten Sachverständigen auf, was der Kläger im Hinblick auf das bereits anhängige Verfahren ablehnte.

Der Kläger begehrte mit seiner bereits am 7. 5. 1998 eingebrachten Klage zuletzt S 1,300.000 samt gestaffelten Zinsenbegehren und stützte dies im Wesentlichen darauf, dass das Versicherungsverhältnis nach wie vor aufrecht sei und bei ihm eine 50 %ige Einschränkung des linken Arms eingetreten wäre.

Die Beklagte bestritt, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte vorweg im Wesentlichen ein, dass der Kläger grob gegen vorvertragliche Aufklärungs- und Treuepflichten verstoßen und daher die Beklagte zu Recht den Versicherungsvertrag storniert habe. Nach Aufhebung der Unterbrechung des Verfahrens des Klägers gegen die Beklagte, das zwischenzeitig im Sinne des Klägers erledigt worden war, wandte die Beklagte nunmehr mit Schriftsatz vom 28. 12. 1998 gestützt auf Art 15 AUVB 1988 die Unzulässigkeit des Rechtsweges ein.

Erst am 22. 2. 1999 erhob sie auch den Einwand der mangelnden Fälligkeit "und zwar bis zum Vorliegen des Schiedsgutachtenverfahrens". Insoweit beantragte sie erneut die Unterbrechung des Verfahrens.

Nach Abweisung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges anerkannte die Beklagte den Anspruch dem Grunde nach ohne eine spezifische Bestreitung der Höhe nach vorzunehmen, hielt aber den Einwand der mangelnden Fälligkeit mit der Begründung aufrecht, dass der Kläger von der Beklagten eingeladen worden sei, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, dies jedoch abgelehnt und die gegenständliche Klage eingebracht habe. Die Untersuchung durch den von der Beklagten bestellten Arzt sei dem Kläger zumutbar gewesen. Der Kläger habe dadurch das vereinbarte Sachverständigenverfahren verhindert und gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgerte ausgehend von dem einleitend festgestellten Sachverhalt und dem Ablauf des Prozessvorbringens, dass aus dem Verhalten der Beklagten zu schließen sei, dass sie auf Durchführung des Schiedsverfahrens verzichtet habe.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil und folgerte rechtlich, dass zwar nicht von einem Verzicht der Beklagten auf Durchführung des Schiedsverfahrens ausgegangen werden könne, dass aber nach der deutschen Lehre und Rechtsprechung mit der vorbehaltslosen Ablehnung der Deckung die Fälligkeit eingetreten sei. Dem habe sich der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 7 Ob 32/88 und auch in jüngeren Entscheidungen angeschlossen. Hingegen sei in der Entscheidung zu 7 Ob 2111/96h ausgesprochen worden, dass die Anrufung der Ärztekommision solange noch möglich sei, solange eine endgültige Ablehnung des Versicherers unter Bekanntgabe der Rechtsfolgen nicht erfolgt wäre. Das Berufungsgericht schließe sich jedoch der erstgenannten Rechtsprechung an. Da die Beklagte keinerlei Zweifel an der Höhe der geltend gemachten Forderung angemeldet habe, widerspreche der nunmehrige Einwand der mangelnden Fälligkeit Treu und Glauben. Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da zur Frage, ob die endgültige Ablehnung mit oder ohne Fristsetzung nach § 12 Abs 3 VersVG erfolgen müsse, um die Fälligkeit der Versicherungsleistung zu bewirken, eine divergierende Judikatur des Obersten Gerichtshofes bestehe.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 64 VersVG kann zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer vereinbart werden, dass einzelne Voraussetzungen des Anspruches aus der Versicherung oder die Höhe des Schadens in einem Schiedsgutachterverfahren durch Sachverständige festgestellt werden sollen. Die wichtigste materiellrechtliche Bedeutung einer solchen Vereinbarung liegt darin, dass die Erstellung des Gutachtens wegen § 11 Abs 1 VersVG Fälligkeitsvoraussetzung für die Entschädigung ist. Der Versicherer kann sich auf diesen Einwand der mangelnden Fälligkeit dann aber nicht berufen, wenn er sich vorprozessual unberechtigt auf den Standpunkt gestellt hat, er habe schon dem Grunde nach nicht einzustehen und deshalb keinen Anlass zur Leistungsklage durch den Versicherungsnehmer gegeben. Demnach wird die Leistung des Versicherers sofort fällig, wenn dieser die Entschädigung vorbehaltslos endgültig unberechtigt ablehnt und dadurch den Versicherungsnehmer zur Klagserhebung veranlasst. Entscheidend ist dahre, dass das vorprozessuale Verhalten des Versicherers beim Versicherungsnehmer das Vertrauen wecken durfte, eine Entschädigung werde jedenfalls nicht an der fehlenden Durchführung eines Sachverständigenverfahrens scheitern (vgl Beckmann in BK § 64 VersVG Rn 10 und 12 sowie Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 333 mwN). Der von der beklagten Versicherung schon vor Klagserhebung eingenommene Rechtsstandpunkt, der vorliegende Versicherungsvertrag mit dem Kläger sei gemäß § 16 VersVG rückwirkend aufgelöst worden, hat sich als unhaltbar erwiesen. Die beklagte Versicherung kann für sich nicht in Anspruch nehmen, dass diese Erkenntnis erst im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens durch das in Rechtskrafterwachsen der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 15. 1. 1999 zu 4 R 307/98w-39 eingetreten ist, sondern muss sich, zufolge der Unhaltbarkeit des gegen den klagenden Versicherungsnehmer erhobenen Vorwurfes der Obliegenheitsverletzung vorwerfen lassen, von allem Anfang an unbegründet abgelehnt zu haben. Auf die Gründe, auf die der Versicherer seine unberechtigte endgültige Ablehnung stütze, kommt es nicht an. Es ist daher rechtlich belanglos, ob dabei eine gesetzlich gebotene Belehrung des Versicherungsnehmers durch den Versicherer erfolgte oder nicht, weil dem Versicherungsnehmer zur Beurteilung seiner weiteren Vorgangsweise allein die endgültige Ablehnung maßgeblich ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes war im vorliegenden Fall gar kein Bezug zu § 12 VersVG gegeben, da der Versicherer schon das Zustandekommen eines rechtswirksamen Versicherungsvertrages in Abrede stellte und daher keinen Anlass für eine Fristsetzung und Erteilung einer Rechtsbelehrung sah. Auch kann der Entscheidung 7 Ob 2111/96h nicht entnommen werden, dass der Einwand der mangelnden Fälligkeit dem Versicherer trotz vorbehaltsloser endgültiger aber unberechtigter Ablehnung des Anspruches später dann doch noch zusteht, wenn der Versicherer entgegen § 12 Abs 3 VersVG keine Belehrung über die mit dem Ablauf der Frist für die gerichtliche Geltendmachung eintretenden Rechtsfolgen unterlassen hat. Dementsprechend steht es dem beklagten Versicherer auch nicht frei, nach einer ursprünglich unbegründeten Ablehnung im Zug des Verfahrens mit einem Anerkenntnis des Anspruches dem Grunde nach die bereits eingetretene Fälligkeit des Entschädigungsanspruches unter Berufung auf das einzuleitende Schiedsgutachterverfahren wiederum aufzuheben.

Zufolge der von der beklagten Partei nicht bekämpften Feststellungen über die Höhe der eingetretenen Invalidität durch die beiden hier der Beurteilung zugrunde liegenden Unfälle haben daher die Vorinstanzen dem Klagebegehren zu Recht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.

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