OGH 10Ob12/00p

OGH10Ob12/00p4.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr, Dr. Steinbauer, Dr. Hopf und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Internationale Vereinigung der F*****, vertreten durch Dr. Leopold Specht, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Natalja S*****, Angestellte, ***** vertreten durch Schönherr, Barfuss, Torggler & Partner Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung/Rechtsgestaltung (Streitwert S 100.000) über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. November 1999, GZ 35 R 906/98i-132, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt nur vor, wenn die Entscheidung gar nicht oder so mangelhaft begründet ist, dass sie nicht überprüft werden kann. Davon kann hier keine Rede sein. Dass das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes in seiner Entscheidung nicht vollständig wiedergegeben hat, bewirkt nicht die Nichtigkeit seiner Entscheidung; § 500a ZPO räumt dem Berufungsgericht ausdrücklich die Möglichkeit ein, diesbezüglich auf den Inhalt des Ersturteiles zu verweisen.

Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die im Berufungsverfahren gerügt wurden, deren Vorliegen das Berufungsgericht aber verneint hat, können im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (Arb 11.265 ua; SSV-NF 9/40 ua). Mit der Behauptung, das Erstgericht habe gegen im Einzelnen dargestellte Verfahrensvorschriften verstoßen, wird schon aus diesem Grund keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

Ist ausländisches Recht anzuwenden, so ist das Fehlen einer Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofes für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ohne Bedeutung. Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre das Vorliegen einer qualifizierten Rechtsfrage nur dann denkbar, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt wurde (8 Ob 28/87; idS auch 10 Ob 1502/87 ua).

Das Erstgericht hat aufgrund des Gutachtens der beigezogenen Sachverständigen für russisches Recht die wesentlichen Regelungen des Gesetzes über gesellschaftliche Vereinigungen (GGV) ermittelt. Danach wurde die klagende Partei beim russischen Justizministerium als "Gesellschaftliche Vereinigung" registriert und ist daher gemäß Art 8 GGV bzw Art 18 GGV eine juristische Person. Nach dem GGV ist die Organstruktur in der Satzung festzulegen. Hinsichtlich der Vertretung einer "Gesellschaftlichen Vereinigung" bestimmt Art 8 Abs 4 GGV, dass bei einer registrierten "Gesellschaftlichen Vereinigung" das "ständig agierende Leitungsorgan in Übereinstimmung mit der Satzung die Rechte einer juristischen Person im Namen der "Gesellschaftlichen Vereinigung" ausübt und ihre Pflichten erfüllt". Gemäß Art 8 Abs 3 GGV ist das ständig agierende Leitungsorgan "ein gewähltes Kollegialorgan, das dem Kongress (der Konferenz) oder der Allgemeinen Versammlung verantwortlich ist". Hinsichtlich der klagenden Partei ist danach der Rat der Gründer das Leitungsorgan und daher berechtigt, im Namen der Vereinigung zu handeln; er ist zur Vertretung der Vereinigung befugt. Das Exekutivkomitee darf nur entscheiden, wenn sich die entsprechende Befugnis aus der vom Gründerrat erlassenen Verordnung ergibt. Dem Präsidenten kommt keine Befugnis zu, selbständig Verträge abzuschließen. Dies gilt auch im Außenverhältnis.

Die Ermittlung ausländischen Rechts im Weg eines Sachverständigengutachtens entspricht der Bestimmung des § 4 Abs 1 IPRG. Dafür, dass eine den von der Sachverständigen dargestellten Grundsätzen widersprechende Anwendungspraxis in der russischen Judikatur bestünde, bestehen keine Anhaltspunkte; vielmehr wird in einem von der beklagten Partei vorgelegten Privatgutachten (Gutachten des wirtschaftlichen Forschungsinstitutes für Rechtspolitik und Rechtsanwendung) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die russische Gerichtspraxis die hier wesentlichen Fragen bisher nicht behandelt hat. Im Übrigen vermögen auch die von der beklagten Partei vorgelegten Privatgutachten keine Bedenken gegen die Richtigkeit des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen zu erwecken. Das Gutachten des wissenschaftlichen Forschungsinstitutes für Rechtspolitik und Fragen der Rechtsanwendung vom 29. 4. 1998 geht ebenso wie das Gutachten dieses Instituts vom 12. 9. 1998 auf die von der Sachverständigen im Einzelnen dargestellten Regelungen des GGV über die Vertretung "Gesellschaftlicher Vereinigungen" nicht ein und setzt sich im Wesentlichen mit Fragen der Vollmacht und den Regelungen der Satzung auseinander. Auch das Privatgutachten Dris Suchanov erwähnt nur pauschal Regelungen des GGV, ohne den Schluss, dass der Präsident allein für die klagende Partei handeln konnte, in irgendeiner Weise aus diesen Regelungen zu begründen. Bedenken dagegen, dass die Erhebung der maßgeblichen Regelungen des russischen Rechts aufgrund des Gutachtens der vom Gericht beigezogenen Sachverständigen unvollständig geblieben wäre, bestehen daher nicht.

Das Erstgericht ist ausgehend von den Bestimmungen des GGV zum Ergebnis gelangt, dass nur der Rat der Gründer legitimiert gewesen wäre, über die Veräußerung der Anteile an der Estate Kongressorganisationsgesellschaft mbH zu entscheiden und dass die Veräußerung durch den Präsidenten allein (bzw die Erteilung einer Vollmacht zur Veräußerung durch den Präsidenten) nicht wirksam für die klagende Partei erfolgen konnte; die Erteilung einer wirksamen Vollmacht zur Durchführung einer bestimmten Rechtshandlung hat zur Voraussetzung, dass der Bevollmächtigende als Organ einer juristischen Person die den Gegenstand der Vollmacht bildende Rechtshandlung im Außenverhältnis für die juristische Person wirksam vornehmen kann. Die vom Berufungsgericht erörterte und von der außerordentlichen Revision in den Mittelpunkt der Ausführungen gestellte Frage, ob der Präsident nach dem Inhalt der Statuten zur Erteilung der Vollmacht berechtigt war, ist nicht entscheidungswesentlich, zumal die Statuten keine Regelungen bezüglich die Verwaltung des Vermögens der klagenden Partei und der Veräußerung von Vermögenswerten enthalten. Damit erübrigt sich auch die Frage, ob die Regelung des GGV dispositiv ist und durch die Statuten abbedungen werden kann.

Wenn das Erstgericht ausgehend davon der gesetzlichen Regelung die wesentliche Bedeutung beimaß, liegt darin ebensowenig eine im Rahmen des § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung wie darin, dass es ausgehend von der gesetzlichen Regelung die Berechtigung des Präsidenten, ohne Einschaltung der Kollektivorgane der klagenden Partei (des Rates der Gründer) das in Frage stehende Geschäft abzuschließen oder, was dem gleich käme, eine Vollmacht zum Abschluss des Geschäftes zu erteilen verneinte.

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