OGH 4Ob34/00d

OGH4Ob34/00d14.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Franz J. Salzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH *****, vertreten durch Dr. Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 270.000 S), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 26. November 1999, GZ 3 R 188/99k-9, mit dem der Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 16. September 1999, GZ 38 Cg 78/99b-5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, Art 3 lit d und h der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" als gesetzwidrig aufzuheben.

Mit der Fortführung des Revisionsrekursverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung

Die Beklagte betreibt ein privates Ambulatorium für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde unter der Bezeichnung "Zahnambulatorium J*****" seit 1. 2. 1999. Nach der Eröffnung des Ambulatoriums warb sie in Flugblättern für ihre Leistungen unter anderem mit der Ankündigung:

"Kronen ab 5.500.-". In einem Magazin mit der Bezeichnung "In Form", welches per Post verschickt wird und eine Auflage von 509.600 Exemplaren hat, ließ die Beklagte unter anderem folgende Informationen über ihr Ambulatorium veröffentlichen: "Als Einstandsangebot (bis 30. Juni 99) gibt es für Besitzer der "Goldenen Scheckkarte" einen kostenlosen Kariesrisiko-Test (im Wert von 1.200 S) und auf alle anderen Leistungen 5 % Rabatt."

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils jede Information im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes durch

a) die Nennung von Preisen für ärztliche Leistungen in ihren Ambulatorien, und/oder

b) die Verteilung von Flugblättern an die Bevölkerung, und/oder

c) die Ankündigung von Gratistests, insbesondere von kostenlosen Kariesrisiko-Tests, und/oder

d) die Ankündigung von Rabatten von 5 % zu verbieten.

Die Beklagte habe gegen § 53 ÄrzteG 1998 und die auf Grund dieser Bestimmung ergangene Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" (RL) verstoßen und damit wettbewerbswidrig nach § 1 UWG gehandelt. Ärzte und Ambulatorien stünden im Konkurrenzverhältnis. Die Veröffentlichungen seien geeignet, Patienten für eine Behandlung im Zahnambulatorium der Beklagten zu gewinnen. Durch den aufgezeigten Verstoß verschaffe sich die Beklagte einen unlauteren Wettbewerbsvorsprung.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Sie sei nicht Arzt, sondern eine Krankenanstalt, die nicht § 53 ÄrzteG unterliege. Diese Rechtsansicht widerspreche zwar der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, doch sei diese deshalb einseitig, weil zwischen zwei Gruppen von Wettbewerbern (Ambulatorien und niedergelassene Zahnärzte) nicht nur eine Seite (nämlich die Ärztekammer) Wettbewerbsregeln aufstellen könne. Das sich aus dem ÄrzteG und der Richtlinie der österreichischen Ärztekammer "Arzt und Öffentlichkeit" ergebende Werbeverbot widerspreche Art 10 EMRK. Zahlreiche in der Richtlinie verbotene Werbemaßnahmen seien durch § 53 Abs 1 ÄrzteG nicht gedeckt, weil sie weder unsachlich noch unwahr seien oder das Standesansehen der Ärzteschaft beeinträchtigten. Für den Patienten nützliche und sachliche Informationen seien durch Art 10 EMRK geschützt (VfSlg 13.554). Auch würden keine Preise genannt:

Der beworbene Mindestpreis könnte bei entsprechender zahnärztlicher Leistung, die die Mindestleistung überschreite, auch höher sein. Vom Verbotstatbestand des Art 3 lit d RL sei nur das Anbieten "zu festen Sätzen" umfasst. Das Verteilen von Flugblättern sei ein wertneutrales Kommunikationsmittel, dessen Erlaubtheit oder Verbotenheit sich nur aus dem Inhalt des Flugblattes ergeben könne; ein allgemeines Verbot, Flugblätter zu verteilen, verstoße massiv gegen den Grundsatz der Meinungs- und Informationsfreiheit. Beim Anbot eines kostenlosen Kariesrisiko-Tests werde eine ganz offensichtlich für die Volksgesundheit wichtige Aktion mit dem Bemühen verbunden, als neu gegründetes Zahnambulatorium seriöse Kunden zu gewinnen. Eine solche Maßnahme - noch dazu als Einführungsaktion für einen beschränkten Zeitraum - enthalte keine unsachliche, unwahre oder das Standesansehen beeinträchtigende Information. Seit der Aufhebung des Rabattgesetzes durch den Gesetzgeber sei die Gewährung von Rabatten uneingeschränkt zulässig. Diese Informationen seien für Patienten nützlich und sachlich. Das Begehren sei zu weit gefasst, weil damit auch die private Nennung eines Preises verboten sei.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Die Beklagte stehe mit den Zahnärzten im Wettbewerb, weil sie Zahnbehandlungen und Zahnersatz zu denselben Bedingungen wie die niedergelassenen Zahnbehandler, somit ärztliche Tätigkeiten, erbringe; die Werbung für ihr Ambulatorium unterliege sohin § 53 ÄrzteG 1998. Die beanstandeten Ankündigungen bezögen sich auf eine ärztliche Tätigkeit. Unsachliche, unwahre oder das Standesansehen beeinträchtigende Informationen im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes seien verboten. Nach der RL fielen darunter die Nennung des Preises für die eigenen privatärztlichen Leistungen in der Öffentlichkeit, die Ankündigung unentgeltlicher Behandlungen, wenn es zum eigenen Vorteil des Arztes sei, aber auch die Verteilung von Flugblättern und Postwurfsendungen und andere Formen der Telekommunikation. Dass auch die Angabe eines Mindestpreises die Nennung eines Preises sei und die Werbung mit Rabatten dem Inhalt der Richtlinie widerspreche, könne nicht ernsthaft bezweifelt werden. Das der Beklagten vorzuwerfende Verhalten sei geeignet, Patienten zu einer Behandlung bei der Beklagten zu bewegen, weshalb es ihr einen Vorsprung vor den gesetzestreuen Mitbewerbern verschaffen könne und gegen § 1 UWG verstoße.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Abweichung von höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht zulässig sei. § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 normiere - ebenso wie die Vorgängerbestimmung des § 25 ÄrzteG 1984 idF BGBl 1992/461 - kein generelles Werbeverbot. Ein Arzt habe sich nur jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten. Der Verfassungsgerichtshof habe sich in seinem Erkenntnis B 1953/98 vom 7. 6. 1999 mit einem Verstoß gegen das Verbot marktschreierischer Information nach der RL beschäftigt, ohne in eine amtswegige Prüfung dieser Richtlinie einzutreten. Es sei im öffentlichen Interesse gerechtfertigt, die Werbung bestimmter Berufsgruppen zur Wahrung der Standesinteressen bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen. Die Rechtsprechung des EGMR habe deutlich gemacht, dass kommerzielle Werbung zwar vom Schutzbereich des Art 10 Abs 1 EMRK erfasst werde, sie aber nach Art 10 Abs 2 EMRK strengeren Beschränkungen unterworfen werden dürfe als andere Formen der Mitteilung von Meinungen, Ideen und Informationen. Auch die Erkenntnisse des VfGH vom 7. 10. 1998 (G 38/97 und G 11/97, 12/97) und das Erkenntnis vom 30. 9. 1993 G 5/93 (in VfSlg 13.554) befassten sich mit - hier nicht gegebenen - grundsätzlichen und umfassenden Werbeverboten, die jede Art der Werbung untersagten. Auch nach der Rsp des OGH verstoße die RL weder gegen die Erwerbsausübungsfreiheit noch gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK. Die Werbebeschränkung des ÄrzteG seien auch dann anzuwenden, wenn eine Krankenanstalt für ärztliche Leistungen werbe. Damit würden nicht einseitig Wettbewerbsregeln von einem der Wettbewerber aufgestellt, sondern generelle Standesrichtlinien für ärztliche Tätigkeiten von der ärztlichen Standesvertretung aufgestellt. Diese Richtlinien hätten einheitlich für alle, die ärztliche Leistungen anbieten, zu gelten. Die Werbung mit Honorarsätzen beeinträchtige das Standesansehen, weil der Arzt mit der Behandlung eines Kranken eine auf die Bedürfnisse dieses Menschen abgestimmte Leistung erbringen solle, deren Umfang und Intensität nicht von vornherein feststehe. Biete ein Arzt seine Leistungen zu festen Sätzen an, so könne er naturgemäß den im einzelnen Fall erforderlichen Aufwand nicht berücksichtigen. Eine solche Werbung rücke seine Leistung in die Nähe einer austauschbaren Massenleistung, die sie nach dem allgemeinen Verständnis nicht sein solle. Von einem Arzt werde erwartet, dass er durch seine Qualifikation und seine ärztliche Leistung auf sich aufmerksam mache. Diese Grundsätze gälten auch für Mindestpreise. Das Verteilen von Flugblättern verstoße gegen Art 3 lit h der RL. Das Ankündigen und Durchführen eines unentgeltlichen Kariesrisiko-Tests bewirke, dass Patienten den anbietenden Arzt (das Ambulatorium) bereitwilliger aufsuchten und so in der Folge den Arzt (das Ambulatorium) ihres Vertrauens wählten; die Beklagte habe damit entgegen der RL die beworbene Gratisaktion zu ihrem eigenen Vorteil angeboten. Auch das Anbieten von Preisnachlässen sei standeswidrig iS Art 3 lit d RL; eine ärztliche Leistung dürfe nämlich auch nicht als teilweise unentgeltlich angeboten werden.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten.

Bei der Entscheidung über dieses Rechtsmittel hat der Oberste Gerichtshof unter anderem Art 3 lit d erster Halbsatz der RL anzuwenden. Der Oberste Gerichtshof hat gegen die Anwendung dieser Verordnungsbestimmung aus dem Grunde der Gesetzwidrigkeit Bedenken und diese Bestimmung schon mit Beschluss vom 18. 1. 2000, 4 Ob 340/99z, zum Gegenstand eines Prüfungsantrags nach Art 89 Abs 2 B-VG gemacht; zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diesen Beschluss und seine Begründung verwiesen.

Gleiche Bedenken bestehen auch gegen den vom Obersten Gerichtshof anzuwendenden Art 3 lit d zweiter Halbsatz RL (Verbot der Ankündigung unentgeltlicher Behandlungen, wenn es zum eigenen Vorteil des Arztes erfolgt). Wirbt ein Arzt mit kostenlosen Leistungen oder Leistungsteilen (Kariesrisiko-Test im Wert von 1.200 S, 5 % Rabattgewährung), gilt auch für diese Form des Preiswettbewerbs, dass sich ein dadurch ergebender günstigerer (Gesamt-)Preis für ärztliche Leistungen nicht automatisch negativ auf deren Qualität auswirken muss. Das angesprochene Publikum wird vielmehr auch durch solche Ankündigungen in die Lage versetzt, den Arzt nach sachlichen Kriterien auswählen zu können. Der Schutz der Gesundheit kann daher das allgemeine Verbot, ganz oder teilweise unentgeltliche Behandlungen anzukündigen, nicht rechtfertigen, mag die Ankündigung auch zum eigenen Vorteil des Arztes erfolgen.

Letzlich erscheint auch das allgemeine Verbot des Art 3 lit h RL, soweit es die Verteilung von Flugblättern und Postwurfsendungen an die Bevölkerung ganz generell untersagt, ohne auf die mit diesen Methoden verbreiteten Inhalte abzustellen, in Abwägung gegenüber dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu weit gefasst. Ist es nämlich dem Arzt erlaubt, unter Nennung des Preises für seine Leistungen in sachlicher und weder aufdringlicher noch marktschreierischer Weise zu werben, ist nicht zu erkennen, weshalb dieses Recht gerade dann Ansehen und Ehre seines Standes widersprechen soll, wenn es mittels der im Wirtschaftsleben bei anderen Dienstleistungen weit verbreiteten Methode der Werbung mittels Flugblatt oder Postwurfsendung ausgeübt wird. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf Art 4 lit g RL, wonach die Einrichtung einer Homepage im Internet ausdrücklich zulässig ist; sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung in der Nutzbarmachung der genannten modernen Kommunikationsmethoden für Ärzte bestehen nicht.

Der Oberste Gerichtshof hat im Anlassfall einen Sachverhalt zu beurteilen, der im Kernbereich der angefochtenen Normen liegt, und stellt daher den

Antrag,

Art 3 lit d und h der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" als gesetzwidrig aufzuheben.

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