Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, Art 3 lit d erster Halbsatz der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" als gesetzwidrig aufzuheben.
Mit der Fortführung des Revisionsrekursverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.
Text
Begründung
Die Beklagte betreibt in Klagenfurt, Villach, Spittal/Drau, Völkermarkt und Wolfsberg Zahnambulatorien. Sie gibt ein Informationsblatt heraus, das den Titel "Gesundes Kärnten" trägt. Im Jänner 1999 versandte sie eine Sonderausgabe dieses Informationsblattes als Postwurfsendung.
In dieser Sonderausgabe berichtete die Beklagte über "Neue Aufgaben der Zahnambulatorien". Sie wies darauf hin, dass die Zahnambulatorien ab 1. 1. 1999 auch Leistungen des "festsitzenden Zahnersatzes" erbringen können. In diesem Zusammenhang gab sie die Kosten für derartige Leistungen wie folgt bekannt:
Verblendmetallkeramikkrone ATS 5.500,--
EUR 399,70
Vollgusskrone ATS 3.400,--
EUR 47,09
Brückenglied ATS 3.500,--
EUR 254,35
Gegossener Stiftaufbau ATS 1.500,--
EUR 109,01
Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung jede Information im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufs durch
a) öffentliche Nennung von Preisen für ärztliche Leistungen in ihren Ambulatorien, wenn es sich dabei um keine Kassenleistungen handelt, und/oder
b) die Verteilung von Postwurfsendungen an die Bevölkerung
zu verbieten. Das öffentliche Nennen von Preisen und der Versand im Postwurf verstießen gegen die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" und damit gegen § 53 ÄrzteG 1998 sowie gleichzeitig gegen § 1 UWG. Die Werbebeschränkung binde auch Dritte; auch ihnen sei standeswidrige Werbung für Ärzte untersagt. Der beanstandete Artikel sei geeignet, Patienten für eine Zahnbehandlung in den Ambulatorien der Beklagten zu gewinnen.
Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Die Klägerin sei nicht aktiv legitimiert, weil nicht die Interessen aller in Österreich tätigen Ärzte betroffen seien. Die als Klägerin auftretende "Bundesfachgruppe für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde" besitze keine Rechtspersönlichkeit. Die Beklagte sei nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, über das Leistungsangebot ihrer Ambulatorien zu informieren. Ihre Information sei sachlich gewesen; sie habe nicht den Eindruck besonderer Vorteile für Ambulatoriumspatienten erweckt. Die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" habe mit Inkrafttreten des Ärztegesetzes 1998 ihre Wirksamkeit verloren. Das Verbot einer öffentlichen Preisinformation sei durch § 53 ÄrzteG nicht gedeckt. Es sei ebenso verfassungswidrig wie das Verbot der Verbreitung von Informationen im Wege der Postwurfsendung. Als Träger der gesetzlichen Sozialversicherung sei die Beklagte verpflichtet, die Öffentlichkeit allgemein über Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufs zu informieren.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die Klägerin sei aktiv legitimiert, weil nicht auszuschließen sei, dass auch Patienten aus anderen Bundesländern die Ambulatorien der Beklagten in Anspruch nehmen. Dass die Bundesfachgruppe für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde keine Rechtspersönlichkeit besitze, schade nicht, weil Klägerin die Österreichische Ärztekammer sei. Die Beklagte habe gegen § 53 ÄrzteG 1998 unabhängig davon nicht verstoßen, ob die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" noch wirksam sei. Da die Beklagte berechtigt sei, Leistungen des festsitzenden Zahnersatzes zu erbringen, sei sie auch berechtigt, über die dafür verlangten Preise zu informieren. Das begehrte Verbot der Verteilung von Postwurfsendungen gehe jedenfalls zu weit.
Das Rekursgericht erließ die einstweilige Verfügung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Werbung für ein Ambulatorium unterliege den Werbebeschränkungen des Ärztegesetzes, wenn damit auch für ärztliche Tätigkeit geworben werde. Für die Öffentlichkeitsarbeit einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft als Rechtsträger eines Ambulatoriums gelte nichts anderes. Bei einer Preiswerbung trete die Wettbewerbsabsicht nicht völlig in den Hintergrund. Die Werbung mit Honorarsätzen beeinträchtige das Standesansehen. Da die Beklagte ihre Auffassung nicht mit gutem Grund vertreten könne, liege ein Verstoß gegen § 1 UWG vor.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten.
Bei der Entscheidung über dieses Rechtsmittel hat der Oberste Gerichtshof Art 3 lit d erster Halbsatz der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" anzuwenden. Der Oberste Gerichtshof hat gegen die Anwendung dieser Verordnungsbestimmung aus dem Grunde der Gesetzwidrigkeit Bedenken:
Nach § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 hat sich der Arzt jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten. § 53 Abs 4 leg cit ermächtigt die Österreichische Ärztekammer, nähere Vorschriften über die Art und Form der im Abs 1 genannten Informationen zu erlassen.
§ 25 ÄrzteG 1984 idF BGBl 1992/461 enthielt eine inhaltsgleiche Regelung. Aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 25 Abs 4 ÄrzteG 1984 hat die Österreichische Ärztekammer die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" erlassen und in der "Österreichischen Ärztezeitung" vom 10. 2. 1993, Nr. 14-16, kundgemacht. Das Ärztegesetz 1984 ist mit Inkrafttreten des Ärztegesetzes 1998 BGBl 169 außer Kraft getreten. Die Wirksamkeit der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" wurde dadurch nicht berührt, weil die gesetzlichen Grundlagen auch nach Inkrafttreten des Ärztegesetzes 1998 gleich geblieben sind (s H. Mayer, B-VG**2, 123f).
Nach Art 3 der Richtlinie beeinträchtigt eine Information das Standesansehen, wenn sie Ehre und Ansehen der Ärzteschaft gegenüber der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen herabsetzt. Eine standeswidrige Information liegt insbesondere vor bei (ua) Nennung des Preises für die eigenen privatärztlichen Leistungen in der Öffentlichkeit, sowie der Ankündigung unentgeltlicher Behandlungen, wenn es zum eigenen Vorteil des Arztes erfolgt (Art 3 lit d).
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung RdM 1996/8 Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmung verneint. Die Werbung mit Honorarsätzen beeinträchtige das Standesansehen, weil der Arzt mit der Behandlung eines Kranken eine auf die Bedürfnisse dieses Menschen abgestimmte Leistung erbringen solle, deren Umfang nicht von vornherein feststehe. Biete ein Arzt seine Leistungen zu festen Sätzen an, so könne er naturgemäß den im einzelnen Fall erforderlichen Aufwand nicht berücksichtigen. Eine solche Werbung rücke seine Leistung in die Nähe einer austauschbaren Massenleistung, die sie nach dem allgemeinen Verständnis nicht sein solle.
Diese Erwägungen sind nach wie vor für eine Vielzahl von ärztlichen Behandlungen gültig; sie verlieren aber an Überzeugungskraft, wenn der Preis für ärztliche Leistungen in der Öffentlichkeit genannt wird, deren Umfang - wie bei der Anfertigung festsitzenden Zahnersatzes - nur in einem geringen Ausmaß durch die besonderen Bedürfnisse des jeweiligen Patienten bestimmt wird. Dazu kommt, dass die Preise für festsitzenden Zahnersatz einen längeren Zeitraum hindurch Gegenstand einer - vor allem auch in den Medien - geführten öffentlichen Diskussion waren, bei der die Vergleichbarkeit der Leistungen nicht in Zweifel gezogen wurde.
Das spricht dagegen, jede Nennung des Preises für die eigenen privatärztlichen Leistungen als Herabsetzung von Ehre und Ansehen der Ärzteschaft gegenüber der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen und damit als standeswidrig aufzufassen. Würde "das Standesansehen beeinträchtigend" in § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 in diesem Sinn verstanden, dann begegnete dies verfassungsrechtlichen Bedenken:
Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufs und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss demnach
a) gesetzlich vorgesehen sein,
b) einen oder mehrere der in Art 10 Abs 2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und
c) zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (VfGH RdM 1994/15).
Als rechtfertigender Zweck kommt im vorliegenden Fall der Schutz der Gesundheit in Frage (s VfGH RdM 1997/32). Dem Schutz der Gesundheit dienen Verbote, die unsachliche Entscheidungen bei der Arztwahl verhindern sollen, wie zB das in Art 3 lit e der Richtlinie enthaltene Verbot der Selbstanpreisung der eigenen Person oder Darstellung der eigenen ärztlichen Tätigkeit durch reklamehaftes Herausstellen in aufdringlicher, marktschreierischer Weise (VfGH RdM 1997/32). Die Nennung des Preises für die eigenen privatärztlichen Leistungen kann hingegen dazu beitragen, dass der Arzt nach sachlichen Kriterien ausgewählt wird, wenn auch nicht verkannt wird, dass bei einem Preiswettbewerb die Qualität der ärztlichen Beratung und Behandlung in den Hintergrund treten kann. Das gilt aber auch für andere Dienstleistungen, bei denen jedoch regelmäßig keine Bedenken bestehen, einen Preiswettbewerb zuzulassen.
Bedenken gegen den Preiswettbewerb bei ärztlichen Leistungen könnten gerechtfertigt sein, wenn zu fürchten wäre, dass sich ein dadurch ergebender günstigerer Preis für ärztliche Leistungen negativ auf deren Qualität auswirken müsste. Das entspricht aber weder der Erfahrung, noch kann angenommen werden, dass der Preis in Zukunft das wichtigste oder gar das einzige Kriterium für die Arztwahl sein werde. Der Schutz der Gesundheit vermag daher ein allgemeines Verbot der Nennung des Preises für die eigenen privatärztlichen Leistungen in der Öffentlichkeit nicht zu rechtfertigen. Eine gesetzeskonforme (verfassungskonforme) Auslegung von Art 3 lit d erster Halbsatz der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" erscheint nicht möglich.
Der Oberste Gerichtshof hat im Anlassfall einen Sachverhalt zu beurteilen, der im Kernbereich der angefochtenen Norm liegt, und stellt daher den
Antrag,
Art 3 lit d erster Halbsatz der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" als gesetzwidrig aufzuheben.
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