OGH 8ObA338/99k

OGH8ObA338/99k24.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Ignaz Gattringer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1.) Hannelore O*****, Verkäuferin, ***** und 2.) Susanne L*****, Verkäuferin, ***** beide vertreten durch Dr. Georg Grießer und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei G***** Kaufhaus AG, ***** vertreten durch Dr. Peter Kunz und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert gemäß RATG öS 600.000,--; gemäß GGG S 7.950,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. September 1999, GZ 10 Ra 181/99g-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. Jänner 1999, GZ 9 Cga 311/96m-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Klagebegehren es werde festgestellt,

1. dass das seit 1. Juli 1997 zwischen der Erstklägerin und der beklagten Partei bestehende Arbeitsverhältnis und

2. das seit 2. Jänner 1995 zwischen der Zweitklägerin und beklagten Partei bestehende Arbeitsverhältnis

jeweils über den 15. August 1996 hinaus aufrecht fortbestehe,

abgewiesen wird.

3. Die Erst- und die Zweitklägerin sind schuldig, der beklagten Partei nachstehende Verfahrenskosten jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen:

Pkt. 1: je die mit S 59.976,98 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin je S 9.979,08 Umsatzsteuer und je S 102,50 Barauslagen),

Pkt. 2: je die mit S 15.027,-- bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin je S 2.504,50 Umsatzsteuer) und

Pkt. 3: je die mit S 11.904,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin je S 1.984,13 Umsatzsteuer).

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin war seit 1. Juli 1994, die Zweitklägerin seit 2. Jänner 1995 bei der beklagten Partei als Verkäuferin beschäftigt. Gegen die Kündigung der Klägerinnen erhob der Betriebsrat Widerspruch.

Auf deren Arbeitsverhältnisse war eine Betriebsvereinbarung anwendbar, die unter anderem folgende Bestimmung enthielt:

"III. Sonstiges:

3. Bei einem ausdrücklichen Widerspruch des Betriebsrates gegen die beabsichtigte Kündigung wird die Kündigung nicht ausgesprochen".

Die Klägerinnen begehrten die Feststellung des aufrechten Fortbestandes ihres Arbeitsverhältnisses über den 15. August 1996 hinaus mit dem Vorbringen, infolge Widerspruches des Betriebsrates gegen ihre Kündigungen seien ihre Arbeitsverhältnisse weiterhin aufrecht.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung der Klagebegehren.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt und führte aus, die Betriebsvereinbarung habe als freie Betriebsvereinbarung die Wirkung, den Einzelarbeitsvertrag zu ergänzen. Es handle sich dabei um einen Vertrag zugunsten Dritter. Die Arbeitnehmer hätten aus dieser Betriebsvereinbarung als Dritte die zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber für sie vereinbarten Rechte erworben. Es gebe keinen Grund für die Annahme, dass die beiden Klägerinnen aus Punkt III. Punkt 3. der gegenständlichen Betriebsvereinbarung nicht berechtigt werden könnten. Dies gelte umsomehr im Hinblick auf die in den Arbeitsverhältnissen der beiden Klägerinnen enthaltenen Versetzungsklauseln.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass die Deutung des Vertrages als Vertrag zugunsten Dritter berechtigt sei. Gegenstand eines solchen Vertrages könne jede mögliche und erlaubte Leistung sein. Es handle sich auch nicht um eine unzulässige Erweiterung der dem Betriebsrat zukommenden Befugnisse. Die angeführte Regelung der Betriebsvereinbarung entfalte jedenfalls vertragliche Wirkung. Mehrere Jahre hindurch sei sowohl der Arbeitgeber als auch der Betriebsrat von einem Kündigungsverzicht auf Grund dieser Bestimmung der Betriebsvereinbarung ausgegangen. Hinsichtlich der obligatorischen Wirkung der Betriebsvereinbarung sei auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 16. September 1987, 9 ObA 74, 75/97, zu verweisen. Es bestehe kein Grund an der schlüssigen Unterwerfung unter die getroffene Vereinbarung und damit an einer entsprechenden Ergänzung der Arbeitsverträge zu zweifeln. Im Wege objektiver Vertragsergänzung könne geschlossen werden, dass, wäre beiden Vertragsteilen die allfällige Unwirksamkeit der vermeintlichen Norm bewusst gewesen, sie den Vertrag zu den tatsächlich gepflogenen Bedingungen fortgesetzt hätten. Auf die langjährige Übung komme es dann nicht an.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern, und das Klagebegehren (ergänze beider Klägerinnen) abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagenden Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG "jedenfalls" zulässig, sie ist auch berechtigt.

In nunmehr gefestigter Rechtsprechung (DRdA 1996/37 [zust Jabornegg]

= SZ 68/135 sowie Arb 11.450 = RdW 1997, 85, jeweils unter

eingehender Erörterung der Vorentscheidungen DRdA 1994/3 = WBl 1993, 292 = RdW 1993, 283; RdW 1995, 107 = JBl 1995, 263, mit Hinweis auf die überwiegende Lehre, unter ausdrücklicher Ablehnung der Vorentscheidung DRdA 1990/9) vertritt der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass die Mitbestimmungsrechte der Belegschaft in den Bestimmungen des ArbVG über die Betriebsverfassung abschließend und absolut zwingend geregelt sind. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein Gesetz wie das ArbVG, das die Belegschaftsbefugnisse derart speziell, fein differenziert und je nach Materie besonders abgestuft geregelt hat, eine endgültige, durch autonome Regelung grundsätzlich nicht abänderbare Ordnung schaffen wollte. Dies wird dadurch unterstrichen, dass betriebsverfassungsrechtliche Normen in Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen nur in ganz wenigen Ausnahmsfällen zugelassen worden sind (so nach § 2 Abs 2 Z 5, 6 und § 29 ArbVG bzw nach § 94 Abs 3 und 6 und § 95 Abs 1 ArbVG, entsprechend § 97 Abs 1 Z 5 und 19 ArbVG) und dies mit der Intention geschah, dass darüber hinaus insoweit keine Regelungsbefugnisse bestehen sollen (siehe auch Jabornegg, Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht in FS-Strasser [1983] 367 f [381]; derselbe, Grenzen kollektivvertraglicher Rechtssetzung und richterliche Kontrolle, JBl 1990, 205 [210 f]) 9 ObA 151/97i = SZ 70/217 = DRdA 1998/58 [zust Jabornegg]).

Die Regelung der Betriebsvereinbarung vom 29. Dezember 1983 mit dem zuvor zitierten Inhalt ist eine unzulässige Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates gegenüber der Regelung des § 105 ArbVG, wonach der Widerspruch des Betriebsrates den Arbeitgeber nicht am Ausspruch der Kündigung hindert, sondern nur dazu führt, dass in erster Linie der Betriebsrat zur Anfechtung legitimiert ist (§ 105 Abs 4 ArbVG) und dass die Anfechtung gemäß § 105 Abs 3 vierter Satz ArbVG auch auf einen "Sozialvergleich" mit anderen Arbeitnehmern desselben Betriebes gestützt werden kann. Die Regelung verstösst somit gegen absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht, was von Amts wegen wahrzunehmen ist (SZ 70/217). Ebenso wie in den den Entscheidungen Arb 11.450 und SZ 70/217 zu Grunde liegenden Fällen wird dem Betriebsrat ein echtes Zustimmungsrecht eingeräumt, da der Widerspruch nicht zu einer gerichtlichen Überprüfung der dennoch ausgesprochenen Kündigung, sondern zu ihrer Unwirksamkeit führt. Die Annahme eines arbeitsvertraglichen Kündigungsverzichtes im Fall eines bestimmten Verhaltens des Betriebsrates, wie dies von Firlei (Mitbestimmung durch Inhaltsnormen in FS Floretta [1983], 469 f [482]) und ihm folgend von Runggaldier (Keine Erweiterung von Mitwirkungsrechten des Betriebsrates durch Kollektivvertrag? RdW 1997, 77) für die auf Einzelarbeitsverträge einwirkenden normativen Teile des Kollektivvertrages vorgeschlagen wurde, wird in der genannten Entscheidung SZ 70/217 ausdrücklich angelehnt. In seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung führt Jabornegg (DRdA 1998, 416) aus, als mögliches Regelungsinstrument komme der Einzelvertrag nicht in Betracht. Dieser erscheine zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Belegschaft und Betriebsinhaber von vornherein untauglich. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber zur Ausweitung der Mitwirkung des Betriebsrates Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung nur ganz eingeschränkt ermächtigt habe, im Übrigen aber den Einzelvertrag als umfassendes Regelungsinstrument gewissermaßen stillschweigend akzeptiert habe.

Die Klägerinnen können sich somit nicht auf den in der Betriebsvereinbarung für den Fall des Widerspruches durch den Betriebsrat enthaltenen Kündigungsverzicht berufen, sie sind vielmehr verhalten, ihre Interessen in den nach den Klagsbehauptungen gleichzeitig eingeleiteten Kündigungsanfechtungsverfahren durchzusetzen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Schriftsatz ON 9, der am 12. Mai 1997 bei Gericht einlangte, war vom Gericht weder aufgetragen, noch der Vorbereitung der Verhandlung am nächsten Tag dienlich, sodass dieser Schriftsatz nicht zu honorieren ist. Die in der Revision verzeichnete Pauschalgebühr gebührt nicht, denn Feststellungsbegehren sind gebührenfrei (§ 16 Z 1 lit a GGG iVm mit Anm 8 zu TP 1). Der Ersatz der Verfahrenskosten ist beiden Klägerinnen anteilig je zur Hälfte aufzutragen entsprechend dem Verhältnis ihres Anteiles am Gesamtstreitwert; durch die Prozessverbindung entsteht keine Streitgenossenschaft im Sinne des § 46 Abs 2 ZPO.

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