Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung
Die am 16. 12. 1984 geborene Minderjährige befindet sich seit ihrer Geburt bei der mütterlichen Großmutter, der auch die Obsorge übertragen wurde. Der Minderjährigen werden Unterhaltsvorschüsse gewährt. Seit 1. 7. 1990 wurde für die Minderjährige auch Pflegegeld gemäß § 27 Abs 6 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz (WrJWG) gewährt.
Das Erstgericht stellte die der Minderjährigen gewährten Vorschüsse auf den gesetzlichen Unterhalt mit Wirksamkeit vom 1. 7. 1990 ein und berief sich hiebei auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 7 Ob 5/99g.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil trotz der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu § 2 Abs 2 Z 2 UVG von diesem Gericht zur Rechtsfrage, ob bei der Gewährung von Verwandtenpflegegeld auf die Unterhaltsverpflichtung der Eltern - auch wenn diese bevorschusst werden muss - Rücksicht genommen werden darf, noch nicht Stellung genommen worden sei. In der Sache führte das Rekursgericht aus, nach den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes 7 Ob 5/99g und 1 Ob 592/92 = EF 69.396 sei für die Beurteilung, ob eine Maßnahme der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vorliegt und somit die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Z 2 UVG erfüllt sind, alleine ausschlaggebend, ob tatsächlich Pflegegeld gewährt werde und das Kind damit auf Grund einer offentlich rechtskräftigen Verwaltungsentscheidung einen entsprechenden Rechtsanspruch habe. Ausgehend davon komme der Frage, ob die Zuerkennung des Pflegegeldes gemäß § 27 Abs 6 WrJWG im Ermessen des Landes stehe, im Fall einer rechtskräftigen Zuerkennung von Pflegegeld keine weitere Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu. Durch diese Regelung solle nämlich sichergestellt werden, dass die Kosten der Unterbringung des Kindes in einem Heim oder in einem Pflegeheim oder bei Pflegeeltern nicht von den Trägern der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, die diese Kosten nach der geltenden Rechtslage zumindest vorerst zu tragen haben, im Wege der Unterhaltsbevorschussung auf den Bund überwälzt werden. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes könne es keinen Unterschied machen, ob der Jugendwohlfahrtsträger, der für die Pflege und Erziehung des minderjährigen Kindes vorzusorgen habe, bloß die Bemühungen von Angehörigen gutheiße oder selbst durch entsprechende Verfügung eingreife. Durch die nachträgliche Gewährung von Verwandtenpflegegeld im Sinn des § 27 Abs 6 WrJWG sei diese Maßnahme auf die Grundlage des öffentlichen Jugendwohlfahrtsrechtes gestellt und im Nachhinein als Maßnahme der vollen Erziehung bei einem nahen Angehörigen anerkannt worden.
Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Mehrere Senate des Obersten Gerichtshofes haben bereits in zeitgleich ergangenen Entscheidungen vom 23. 11. 1999 ausgesprochen, dass die Rechtsansicht, die der Entscheidung 7 Ob 5/99g zugrundeliegt, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann (zB 1 Ob 270/99h; 1 Ob 319/99i; 4 Ob 289/99x; 7 Ob 224/99p).
So führt der 1. Senat in der Entscheidung 1 Ob 319/99i aus:
"1. Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht dann kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind zufolge einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach öffentlichem Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Durch diese Einschränkung wird nach den Gesetzesmaterialien (AB 199 BlgNR 14. GP, 5) sichergestellt, daß die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe nicht auf den Bund überwälzt werden können. Solche öffentlich-rechtliche Unterhaltsleistungen zur vollen Versorgung des Kindes aus Mitteln der Sozialhilfe oder solchen der Jugendwohlfahrtspflege seien vielmehr vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen (RV 172 BlgNR 17. GP, 24).
Die Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG setzt jedenfalls voraus, daß der Unterbringung des Minderjährigen - hier bei einer Pflegefamilie - eine 'Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht' zugrunde liegt. Das bedingt aber eine behördliche Anordnung mit Kostenfolgen (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG, ÖRPfl 1999 Heft 2, 81 [83]). Eine solche ist etwa dann zu verneinen, wenn Pflegeeltern bloß die Obsorge für ein Pflegekind nach § 186a ABGB übertragen bzw eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt wird und die Unterhaltskosten aus Mitteln der Sozialhilfe gedeckt werden (ÖA 1991, 22), sofern die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie nicht auch ausdrücklich als Maßnahme voller Erziehung (siehe idS etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18) bzw als solche der Sozialhilfe deklariert wurde. Nur im Falle einer - im Anlaßfall allein bedeutsamen - Maßnahme voller Erziehung bestünde konsequenterweise auch bei Unterlassung der Antragstellung auf Zuerkennung von Pflegegeld - hier nach § 27 Abs 1 WrJWG - kein Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen (ÖA 1996, 127/UV 91).
2. Wird bestimmten Personen aus dem Familienkreis des Minderjährigen bloß die Obsorge übertragen und der Minderjährige daraufhin in deren Haushalt betreut, so ist darin - vor dem Hintergrund der Erläuterungen unter 1. - keine Maßnahme voller Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu erblicken, weil durch eine solche pflegschaftsgerichtliche Beschlußfassung eine derartige Maßnahme geradezu vermieden werden soll.
3. Nach § 27 Abs 1 WrJWG haben 'Pflegeeltern' (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung als Maßnahme nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Pflegegelds. Die Leistung dient der Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten. Sie wird auf Antrag zuerkannt. Die Rechtsnatur dieses Anspruchs ist komplementär zu der als öffentlich-rechtliche Jugendwohlfahrtsmaßnahme zu besorgenden vollen Erziehung.
Auf die Zuerkennung eines Pflegegelds nach § 27 Abs 6 WrJWG besteht dagegen kein Rechtsanspruch. Über ein solches Begehren wird auch nicht bescheidmäßig abgesprochen. Jene Bestimmung dient bloß als Rechtsgrundlage für Ermessenszuwendungen an Personen, die ein Kind pflegen und erziehen. Diese Aufgabe wird im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung des Jugendwohlfahrtsträgers erfüllt. Sie kann daher nicht auf einer öffentlich-rechtlich zu besorgenden Agende des Jugendwohlfahrtsrechts - wie im Falle der Anordnung der vollen Erziehung - beruhen. Diese Rechtsnatur ist aus den Gesetzesmaterialien zum Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz unmißverständlich abzuleiten, wird doch zu dessen § 27 Abs 6 wörtlich ausgeführt:
'Gemäß Abs 6 kann der Magistrat dem im Gesetz angeführten Personenkreis nach freiem Ermessen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung Beiträge bis zur Höhe des Pflegegeldes gewähren; darauf besteht kein Rechtsanspruch; die Bedürfnisse des Pflegekindes sind jedoch primär von seinem Einkommen und durch die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche (Unterhaltsvorschüsse) gegenüber beiden Elternteilen zu decken. Über die Gewährung eines solchen Pflegebeitrags ergeht eine formlose schriftliche Verständigung'".
Der erkennende 3. Senat schließt sich dieser Rechtsansicht an. Die Gewährung von Pflegegeld nach § 27 Abs 6 WrJWG kann kein Grund für die Einstellung von Vorschüssen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz des Bundes sein, weil es insofern an einer Verwirklichung des Tatbestands nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG mangelt.
Dem Rechtsmittel der Minderjährigen ist daher durch eine ersatzlose Behebung der Beschlüsse der Vorinstanzen Folge zu geben.
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