OGH 2Ob294/99w

OGH2Ob294/99w18.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Amin A*****, vertreten durch Dr. Wenzel Drögsler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr. Hannes Jarolim, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 120.180 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 5. Juli 1999, GZ 1 R 304/99y-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 14. Jänner 1999, GZ 13 C 1823/98b-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 8.112 (hierin enthalten S 1.352 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Anlässlich eines von der beklagten Partei durchgeführten Fluges von Wien nach Kairo geriet ein Koffer des Klägers in Verlust. Im Koffer hatten sich elf Handys im Wert von insgesamt S 109.980, 18 Parfumflaschen im Wert von S 16.700 sowie diverse Privatkleidung im Wert von insgesamt S 24.300 befunden; der Wert des Koffers betrug S

2.500. Die beklagte Partei hat dem Kläger - ausgehend von ihrer Haftung nach dem Warschauer Abkommen - Ersatz in Höhe von S 8.200 geleistet; eine Reisegepäckversicherung vergütete dem Kläger S 25.000.

Mit der am 23. 10. 1998 eingebrachten Mahnklage stellte der Kläger das Begehren, die beklagte Partei zur Zahlung von insgesamt S 120.180 (laut Aufschlüsselung des Klagebegehrens richtig bloß S 120.080) samt 5 % Zinsen seit 22. 8. 1998 zu verurteilen. Die Beklagte hafte für diesen Schaden auf Grund des Vertragsverhältnisses aus dem Titel des Schadenersatzes; trotz Bekanntgabe des wertvollen Kofferinhaltes sei es dem Kläger nicht gestattet worden, diesen als Handgepäck mitzunehmen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung, dass sie dem Kläger über die Haftungsgrenzen des Warschauer Abkommens hinaus bereits Ersatz geleistet habe. Der Höchstbetrag pro Kilogramm Gepäckstück belaufe sich nämlich nach dem Abkommen auf (umgerechnet) S 250; die beklagte Partei habe diesen Betrag freiwillig auf S 410 erhöht. Das Gepäckstück des Klägers sei nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht als Handgepäck für die Kabine geeignet gewesen. Für Wertgegenstände und elektronische/elektrische Geräte bestehe überhaupt keine Haftung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass sich die beklagte Partei zutreffend auf ihre betragliche Haftungsbeschränkung nach Art 22 des anzuwendenden Warschauer Abkommens bei Gepäckverlust berufen habe. Demnach sei die Haftung auf 250 Goldfranken je Kilogramm beschränkt; 15 Goldfranken entsprächen einem Sonderziehungsrecht (SZR) der OeNB. Am Tag der Urteilsfindung habe ein SZR 1,20494 Euro entsprochen. Unter Zugrundelegung eines Umrechnungskurses von 1 Euro

= S 13,6703 ergebe sich ein Wert von S 16,58 für 1 SZR. 250

Goldfranken entsprächen damit 16,67 SZR pro Kilogramm = S 267,39, was

bei einem Gepäckgewicht von 20 kg S 5.527,80 entspreche. Eine schriftliche Wertdeklaration bei Aufgabe des Gepäckstückes habe der Kläger nicht einmal behauptet. Schon auf Grund des eigenen Vorbringens sei davon auszugehen, dass der in Verlust geratene Koffer nicht die nach den AGB vorgeschriebenen Handgepäckmaße gehabt habe.

Das Berufungsgericht gab der von der klagenden Partei erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht schloss sich hiebei der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Die ordentliche Revision wurde wegen Fehlens einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung dazu, nach welchen Kriterien eine Umrechnung der in Art 22 Abs 5 des Warschauer Abkommens genannten Währungseinheit zu erfolgen habe, fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagende Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer vollinhaltlichen Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der beantragt wird, dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte, deren Haftung als Luftfrachtführer unbestritten ist, hat den dem Kläger entstandenen Schaden beglichen und damit dessen Forderung erfüllt. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist insoweit zutreffend, worauf gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO verwiesen werden kann. Ergänzend ist den Argumenten des Revisionswerbers noch folgendes entgegenzuhalten:

Auszugehen ist davon, dass sowohl Österreich (BGBl 1961/286) als auch Ägypten Vertragsstaaten des Warschauer Abkommens sind (Übersicht der Beitrittsländer im Anhang zum genannten BGBl; weiters Länderübersicht in Index 1999, Systematisches Verzeichnis des geltenden Bundesrechts, herausgegeben vom BKA, S 946; Wiesbauer/Zetter, Transporthaftung, MTA 261). Die Behauptung des Revisionswerbers, dass es sich im vorliegenden Rechtsstreit deshalb um keinen Haftungsfall nach Art 22 Abs 2 dieses Abkommens handle, weil die beklagte Partei weder behauptet noch unter Beweis gestellt habe, dass überhaupt ein diesem Abkommen unterliegender Beförderungsvertrag geschlossen und ein ordnungsgemäßer Fluggepäckschein (samt Hinweis, dass die Beförderung dem Warschauer Abkommen unterliege) ausgestellt worden sei, ist dabei schon deshalb wenig verständlich, als ja bereits in der Klage das Vorliegen eines Beförderungsvertrages mit der beklagten Partei durch einen Flug mit einer von der beklagten Partei betriebenen Maschine von Wien nach Kairo behauptet und dieser Umstand auch von der beklagten Partei in ihrem Einspruchsschriftsatz als richtig zugestanden wurde, sodass insoweit (also auch betreffend das Ausstellen und Vorhandensein eines ordnungsgemäßen Fluggepäckscheines) die prozessualen Wirkungen des § 266 ZPO greifen, und hiezu demnach auch keine Feststellungsmängel vorliegen. Dass im Fluggepäckschein tatsächlich (angeblich) nicht auf die Haftungsbeschränkung des Art 22 Abs 2 leg cit hingewiesen worden sei, hat der Kläger hiebei in der Tat im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nie (auch nicht implizit) vorgebracht, sodass ihn bereits das Berufungsgericht hiezu zutreffend auf das Neuerungsverbot im Rechtsmittelverfahren beschieden hat. Soweit - im Rahmen der Rechtsrüge - auch moniert wird, dass seine beantragte Parteieneinvernahme (zum gesamten Komplex) nicht durchgeführt worden sei und damit (implizit) eine Mangelhaftigkeit des (erstinstanzlichen) Verfahrens gerügt wird, ist dem Rechtsmittelwerber entgegenzuhalten, dass dieser (angebliche) Mangel in der Berufung nicht gerügt wurde und daher schon aus diesem Grunde nicht in der Revision mit Erfolg geltend gemacht werden kann (RIS-Justiz RS0043111).

Auch wenn eine Umrechnung auf Goldbasis zufolge Wegfalles einer Goldbindung der (maßgeblichen) Währungen - speziell auch in und für Österreich (Schütz in Straube, HGB I2 Rz 8 zu § 452, Anh II [Art 22 WA]) - nicht mehr möglich ist, ist es hiedurch keineswegs zu einem vollkommenen Wegfall jeglicher Haftungsbeschränkung gekommen (vgl Schütz, aaO Rz 2 ff, der allerdings eine Umrechnung nach dem tatsächlichen Goldwert vorschlägt [Rz 8]; Cosklich, Haftungsbeschränkungen internationaler Transportrechtsabkommen im Wandel, RdW 1986, 168 [170]). Auch der Revisionswerber geht weiterhin vom (grundsätzlichen) Vorliegen einer derartigen Haftungsbeschränkung des Luftfrachtführers aus, meint jedoch, dass die Berechnung - abweichend von den Vorinstanzen - durch eine Umstellung auf SZR gemäß dem Goldfranken-Berechnungsgesetz BGBl 1979/319 höher ausfallen hätte müssen.

Hiezu ist zunächst voranzustellen, dass die anstelle der im Warschauer Abkommen normierten Haftungsbeschränkung tretende (neue) Haftungsgrenze von 17 SZR als Geldeinheit des Internationalen Währungsfonds (IWF) je Kilogramm nach Art 22 Abs 3 Satz 1 des Nachfolgeabkommens, genannt Montrealer Abkommen, derzeit noch nicht in Kraft steht und daher vorliegendenfalls auch außer Betracht zu bleiben hat (Cosklich aaO 169; Müller-Rostin, Das "neue Warschauer Abkommen" im Überblick, TranspR 1999, 291 [293]). Das vom Revisionswerber zitierte Goldfranken-Berechnungsgesetz BGBl 1979/319 ist zwar ausdrücklich nur für das Internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (CIM), BGBl 1974/744 idgF, das Internationale Übereinkommen über den Eisenbahn-, Personen- und Gepäcksverkehr (CIV), BGBl 1974/744 idgF, sowie das Zusatzübereinkommen zum Internationalen Übereinkommen über den Eisenbahn-, Personen- und Gepäcksverkehr (CIV) über die Haftung der Eisenbahn für Tötung und Verletzung von Reisenden, BGBl 1974/201 idgF, unmittelbar anzuwenden und daher an sich nur für diese Arten von Beförderungen maßgeblich (zu den Erwägungen des Gesetzgebers siehe ausführlich RV 21 BlgNR 15. GP). Anders als in der Bundesrepublik Deutschland - wo der dortige Gesetzgeber zwischenzeitlich auch zum Warschauer Abkommen eigene Umrechnungsverordnungen entsprechend einem bestehenden Durchführungsgesetz zum Warschauer Abkommen erlassen hat (Csoklich, aaO 169; ausführlich Knöpfle, Zur Umrechnung der Haftungshöchstbeträge bei Schäden im internationalen Luftverkehr gemäß Art 22 des Warschauer Abkommens in Deutsche Mark, TranspR 1986, 260 [261]; BGH VersR 1987, 710; AG Düsseldorf VersR 1990, 1031) - sind entsprechende innerstaatliche Anpassungs- und Durchführungsbestimmungen in Österreich bislang nicht erlassen worden. Für das Warschauer Abkommen besteht daher insoweit eine Rechtslücke, die mit Hilfe der Analogie zu schließen ist (vgl Koziol/Welser I10 24 ff), wobei allerdings trotz Transformation des internationalen Abkommens ins nationale Recht die völkerrechtlichen Auslegungsregeln anzuwenden sind. Gemäß Art 31, 32 WVK (Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) sind internationale Abkommen aus sich heraus auszulegen, wobei dem Wortlaut besonders große Bedeutung zukommt. Sinn und Zweck einer Regelung darf aber auch bei internationalen Verträgen selbst über den (vermeintlich) eindeutigen Wortlaut nicht vernachlässigt werden. Gibt der Wortlaut keinen sinnvollen Anhaltspunkt, führt daher die Wortinterpretation zu einem "unvernünftigen oder absurden" (Art 32 WVK) Ergebnis, kann das internationale Konventionsrecht auch gegen seinen Wortlaut fortentwickelt werden. Schließlich ist der im Völkerrecht anerkannte Auslegungsgrundsatz zu berücksichtigen, Vertragsbestimmungen im Zweifel so auszulegen, dass der Vertragszweck erreicht wird (Csoklich aaO). Da es gerade auf dem Gebiet des (internationalen) Transportrechtes mehrere Konventionen gibt, die größtenteils vergleichbare Sachverhalte regeln, auch vergleichbare Lösungen treffen und daher solche Gemeinsamkeiten aufweisen, die eine analoge Anwendung ermöglichen, und auch nur so das (generelle) Ziel solcher internationaler Abkommen, nämlich die Möglichkeit einer einheitlichen Auslegung (und Anwendung), zu erreichen ist, also die Internationalität und von den Vertragsstaaten erstrebte Einheitlichkeit auch universal akzeptierte Auslegungsergebnisse erfordern (Csoklich, aaO), ist auf international vergleichbare Berechnungsgrundlagen zurückzugreifen. Durch das Abkommen von Bretton Woods über den Internationalen Währungsfonds (IWF) 1944 wurden die Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten hinsichtlich ihrer Währungen neu geregelt. Österreich ist diesem Abkommen mit Wirksamkeit ab dem 27. 8. 1948 beigetreten (BGBl 1949/105); der gemäß Resolution Nr 31-4 des Gouverneurrates vom 31. 4. 1976 neu gefasste Text wurde von Österreich durch das BGBl 1978/189 ratifiziert. Die SZR des IWF sind seither "universelle Nachfolgeeinheit des Goldfranken" (Csoklich, aaO 170). Die Sondererziehungsrechte des IWF treten daher an die Stelle der Goldfranken iSd Art 22 Abs 5 WA. Durch diese - hier auch von den Prozessparteien im Grundsätzlichen übereinstimmend gepflogene - Vorgangsweise wird eine rechtlich einwandfreie und praktisch sinnvolle, zu einer möglichst stabilen und damit auch der Rechtssicherheit förderlichen, zudem aber auch die im Warschauer Abkommen verankerte (betragliche) Haftungsbeschränkung nicht umstossende Lösung geschaffen, die den zwischenzeitlich geänderten internationalen Währungsverhältnissen und Entwicklungen Rechnung trägt und die letztlich auch bereits von mehreren österreichischen Gerichten - in vergleichbaren Haftungsfällen - so schon angewandt wurde (etwa HG Wien in TranspR 1983, 122 [im Ergebnis zust Csoklich, aaO 170]; LG Linz ZLW 1983, 376); dies entspricht auch dem einschlägigen Fachschrifttum zum Warschauer Abkommen (etwa Giemulla in Giemulla/Schmid, Warschauer Abkommen und Zusatzabkommen, Loseblattsammlung, Rn 3 zu Art 22).

Das Erstgericht hat bereits zu einer solchen Umrechnung die als

Tatsachenfeststellung zu wertende Feststellung getroffen, dass für

den "Tag der Urteilsfindung" ein SZR - unter Zugrundelegung des

amtlichen Euro-Kurses - 1,20494 Euro = S 16,58 entspricht, sodass 250

Goldfranken pro Kilogramm gemäß Art 22 Abs 2 Warschauer Abkommen =

16,76 SZR = S 276,39 pro Kilogramm beträgt. Der sowohl vom Kläger in

der Berufung als auch in der Revision statt dessen reklamierte Wert von S 17,3937 für ein SZR ist dem gegenüber bloß eine in den Raum gestellte Rechengröße, die dem Obersten Gerichtshof nicht näher nachvollziehbar ist. Auf dieser Berechnungsgrundlage ergibt sich aber ein Entschädigungsbetrag, den die Beklagte bereits entrichtet hat.

Der Revision war daher aus all diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. An Einheitssatz stehen im Revisionsverfahren allerdings nicht 180 %, sondern nur 60 % zu. § 23 Abs 9 RATG gilt nur im Berufungsverfahren (4 Ob 29/99i und 10 ObS 45/99m).

Stichworte