OGH 1Ob291/99x

OGH1Ob291/99x22.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Banque *****, vertreten durch Wolf Theiss & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei C***** Aktiengesellschaft, vertreten durch Dr. Peter Avancini, Rechtsanwalt in Wien, wegen 287 Mio S sA, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der S*****gesellschaft mbH, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, gegen Punkt 1.) des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 6. September 1999, GZ 4 R 145/99v-53, womit aus Anlaß des Rekurses der S*****gesellschaft mbH und des Dr. Ernst Gabriel W***** der Beschluß des Handelsgerichts Wien vom 11. März 1999, GZ 12 Cg 32/97v-38, in Ansehung der S*****gesellschaft mbH als nichtig aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß in seinem Punkt 1.) ersatzlos aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Rekursgericht zurückverwiesen und diesem eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs der S*****gesellschaft aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahresn sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Text

Begründung

Die S*****gesellschaft mbH (im folgenden Erstbeitrittswerberin) und ihr Geschäftsführer Dr. Ernst Gabriel W***** (im folgenden Zweitbeitrittswerber) beantragten mit anwaltlich nicht gefertigtem Schriftsatz vom 17. Oktober 1998 ON 24 die Bewilligung der Verfahrenshilfe zum Beitritt als Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei "im vollen Umfang", somit einschließlich der Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts, und erklärten ihren Beitritt als Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei. Das Erstgericht bewilligte dem Zweitbeitrittswerber die Verfahrenshilfe; zu seinem Verfahrenshilfeanwalt wurde mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. November 1998 Rechtsanwalt Dr. Wilhem Klade bestellt. Am 20. November 1998 brachte Dr. Wilhelm Klade einen Schriftsatz (ON 30) beim Erstgericht ein. Die hier wesentlichen

Teile auf der erster Seite des Schriftsatzes lauten:

Nebenintervenientin: 1.) S*****gmbH.

2.) Dr. Ernst G. W*****, ...

beide: ... (Anschrift)

Vertreten durch: Rechtsanwalt

Dr. Wilhelm Klade

...

Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. November 1998 zum Verfahrenshelfer bestellt.

...

1-fach

1 HS

Vollmacht erteilt

Das Erstgericht ließ die Nebenintervention beider Beitrittswerber aus hier nicht relevanten Gründen nicht zu.

Das Rekursgericht hob aus Anlaß des Rekurses beider Beitrittswerber den angefochtenen Beschluß in Ansehung der Erstbeitrittswerberin als nichtig auf (Punkt 1.), weil das Erstgericht noch nicht über den Verfahrenshilfeantrag der Erstbeitrittswerberin entschieden habe, und ließ die Nebenintervention des Zweitbetrittswerbers zu (Punkt 2.).

Der von der zweiten Instanz nicht zugelassene außerordentliche Revisionsrekurs der Erstbeitrittswerberin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Rekursgericht bejahte Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO liegt dann vor, wenn eine Partei in dem Verfahren gar nicht oder, falls sie eines gesetzlichen Vertreters bedarf, nicht durch einen solchen vertreten war, sofern die Prozeßführung nicht nachträglich ordnungsmäßig genehmigt wurde. Im vorliegenden Fall könnte höchstens eine Verletzung der Anwaltspflicht (§ 27 Abs 1 ZPO) durch die Erstbeitrittswerberin vorliegen. Eine Verletzung der Anwaltspflicht - also ein Verstoß gegen eine vorgeschriebene gewillkürte Vertretung - bedeutet aber keinen Verstoß gegen die gesetzliche Vertretung (Fasching IV 132 und Lehrbuch2 Rz 438 und 1759). In einem solchen Fall ist auch die Partei nicht "gar nicht vertreten" (4 Ob 157/98m = EvBl 1999/32 mwN aus Rspr und Lehre [Fürstl, Neumann, Sperl, zuletzt Kodek in Rechberger, § 477 Rz 8]). Der Verstoß gegen die Anwaltspflicht bewirkt also, wie Fasching (Lehrbuch2 Rz 1759) formuliert, "höchstens" (gemeint bei Relevanz) einen Verfahrensmangel (JBl 1959, 421; SZ 66/97 uva).

Auch ein solcher Verfahrensmangel liegt hier nicht vor, denn durch

die Erklärung "Vollmacht erteilt" berief sich Dr. Wilhelm Klade im

Schriftsatz ON 30 noch ausreichend deutlich auf die Erteilung einer

Prozeßvollmacht durch die Erstbeitrittswerberin. Seine Erklärung als

"mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. November 1998 zum

Verfahrenhelfer bestellt" konnte sich erkennbar nur auf den Zweitbeitrittswerber beziehen. Gleiches gilt im übrigen für ihren Rekurs an die zweite Instanz ON 40. Der damals noch ausstehenden erstrichterlichen Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag der Erstbeitrittswerberin kommt demnach keine Relevanz zu, weil die auch bereits durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertretene Partei Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer beantragen kann. Nach der Rspr ist nur der umgekehrte Fall - Antrag einer bereits anwaltlich vertretenen Partei auf Bewilligung der Verfahrenshilfe - unter Umständen als Anzeige des Erlöschens des bisherigen Vollmachtsverhältnisses zu werten (SZ 48/93; Fucik in Rechberger2, § 36 ZPO Rz 3). Daß das Erstgericht zeitlich erst nach der Rekursentscheidung auch der Erstbeitrittswerberin die Verfahrenshilfe bewilligte (ON 54) - die Bestellung des Verfahrenhilfeanwalts für sie durch den zuständigen Kammerausschuß gemäß § 45 f RAO steht nach dem Akteninhalt noch aus - ist rechtlich ohne Bedeutung.

Demnach ist der zweitinstanzliche Beschluß in seinem Punkt 1.) ersatzlos zu beheben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Erstbeitrittswerberin aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt fußt auf § 52 Abs 1 ZPO.

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