OGH 10ObS51/99v

OGH10ObS51/99v16.3.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Manhard (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Holper (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermine T*****, Wirtschafterin, *****, vertreten durch Dr. Helmut A. Rainer, Mag. Egon Stöger und Mag. Sebastian Ruckensteiner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Kärntner Gebietskrankenkasse, 9020 Klagenfurt, Kempfstraße 8, vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Kostenerstattung (S 66.120,-- sA), infolge Revision und Rekurses der klagenden Partei sowie Rekurses der beklagten Partei gegen das Teilurteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Dezember 1998, GZ 8 Rs 179/98z-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 5. Mai 1998, GZ 43 Cgs 23/98i-6, zum Teil bestätigt und zum Teil aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

I. Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 (Art 139 Abs 1, 140 Abs 1) B-VG den

Antrag,

1. in § 131 Abs 1 ASVG in der Fassung des Art I Z 103 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 411 (53. Novelle zum SVG) die Wortfolge "von 80 vH" und

2. § 131 Abs 6 ASVG in der Fassung Art I Z 7 des zweiten Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 764 zur Gänze als verfassungswidrig sowie

3. in der Satzung der beklagten Partei in ihrer Fassung der 1. Änderung der Satzung 1995 Amtliche Verlautbarung Nr. 86/1996 (SozSi 1996, 754) und der 3. Änderung der Satzung 1995 Amtliche Verlautbarung Nr. 94/1997 (SozSi 1997, 672) den Ausdruck "von 80 %" in § 32 Abs 7 als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Mit der Fortführung des Revisions- und Rekursverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung

Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin nahm vom 13. 11. bis 23. 12. 1996 ärztliche Hilfe eines Facharztes für Zahnheilkunde in Anspruch, der kein Vertragsarzt der Beklagten ist. Es wurden vier Zahnimplantate eingesetzt und an diesen eine Unterkiefer-Modellgußprothese mit Suprakonstruktion über 14 Zähne befestigt. Der Klägerin wurden für Anästhesie S 600,--, für die Implantate S 36.000,--, für die Prothese S 12.000,-- und für die Suprakonstruktion S 20.000,-- insgesamt einschließlich Umsatzsteuer S 82.320,-- in Rechnung gestellt. Die Klägerin hat dieses Honorar bezahlt und die Honorarnote bei der Beklagten zur Kostenerstattung eingereicht; diese erstattete jedoch nur S 16.200,--. Der darüber hinausgehende Antrag auf Kostenerstattung wurde mit Bescheid vom 19. 2. 1998 unter Hinweis auf §§ 131 und 153 ASVG und §§ 32 und 35 der Satzung abgewiesen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der zahnärztlichen Maßnahmen ist nicht bestritten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem zuletzt gestellten Begehren, ihr einen weiteren Betrag von S 66.120,-- zu ersetzen. Unter anderem führte sie aus, die Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG, die bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes lediglich einen Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 vH des Betrages vorsehe, der bei Inanspruchnahme der Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre, sei verfassungswidrig. Das Erstgericht wies dieses Klagebegehren ab. Die Beklagte habe den Kostenerstattungs- und Zuzahlungsanspruch auf Basis des geltenden Rechtes ordnungsgemäß berechnet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nur teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung eines Teilbetrages von S 32.280,-- mit Teilurteil, hob das erstgerichtliche Urteil im übrigen auf und verwies die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach weiters aus, daß die Revision und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig seien. In rechtlicher Hinsicht beurteilte es den Sachverhalt wie folgt:

Der Ansicht der Klägerin, daß die Beschränkung der Kostenerstattung auf 80 % des Vertragstarifes durch § 131 Abs 1 ASVG idF BGBl 1996/411 verfassungswidrig sei, könne nicht gefolgt werden. Sie verstoße weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz und auch nicht gegen das Grundrecht der Erwerbsfreiheit. Die Satzung gewähre im Fall des festsitzenden Zahnersatzes eine Geldleistung, im Fall des abnehmbaren Zahnersatzes eine Sachleistung. Im außervertraglichen Bereich könne ein Arzt sein Honorar frei bestimmen, der Versicherte habe aber nur Anspruch auf die Zuschußzahlung durch den Versicherungsträger im Ausmaß von 50 vH des - im fortgesetzten Verfahren noch festzustellenden - Marktpreises der erbrachten Leistung. Das erstinstanzliche Urteil sei daher in der Abweisung eines Klagebetrages von S 32.280,-- (S 38.400,-- Rechnungsbetrag abzüglich S 6.120,-- als Zahlung der Beklagten für vertragliche Leistungen) zu bestätigen, im übrigen aufzuheben.

Gegen das Teilurteil richtet sich die Revision der Klägerin, in der unter anderem verfassungsrechtliche Argumente gegen die Bestimmung des § 131 Abs 1 vorgetragen werden. Sie mündet in der Anregung, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 131 Abs 1 und 6 ASVG als verfassungswidrig und der jeweils einschlägigen Satzungsbestimmungen als gesetzwidrig stellen. Gegen den Aufhebungsbeschluß richten sich die Rekurse beider Parteien. In den Rechtsmittelgegenschriften wird beantragt, jeweils dem Rechtsmittel der anderen Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittel sind zulässig, weil die vom Obersten Gerichtshof nicht auszuräumenden Bedenken gegen die Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmungen ein Normenprüfungsverfahren angezeigt erscheinen lassen.

Der Senat hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, daß das Oberlandesgericht Wien am 24. 10. 1997 zu 9 Rs 255/97d, das Oberlandesgericht Innsbruck am 2. 12. 1997 zu 25 Rs 122/97w und am 18. 3. 1998 zu 23 Rs 12/98f, und der Oberste Gerichtshof am 1. 9. 1998 zu 10 ObS 84/98w und 10 ObS 100/98y bereits Anträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt haben, ua § 131 Abs 1 und 6 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Gesetzesprüfungsverfahren sind beim Verfassungsgerichtshof zu den Geschäftszahlen G 24/98, G 72/98 (V 38/98), G 98/98 (V 45/98) und G 203, 204/98 (V 80, 81/98) anhängig.

Der Oberste Gerichtshof hat nach wie vor Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 131 Abs 1 und 6 ASVG jeweils in der aus dem Spruch dieses Vorlagebeschlusses ersichtlichen Fassung, und zwar wegen Verstoßes gegen den in Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG verankerten Gleichheitsgrundsatz.

Für die sachliche Erledigung der vorliegenden Revision ist primär die Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG in der zitierten Fassung der 53. Novelle zum ASVG anzuwenden und damit im Sinne des Art 89 Abs 2 B-VG präjudiziell. In dieser Bestimmung wird die Kostenerstattung bei Krankenbehandlung durch einen Wahlarzt geregelt. Sie hat folgenden maßgeblichen Wortlaut:

"(1) Nimmt der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner (§ 338) oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbefehle) in Anspruch, so gebührt ihm der Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Wird die Vergütung für die Tätigkeit des entsprechenden Vertragspartners nicht nach den erbrachten Einzelleistungen bestimmt, hat die Satzung des Versicherungsträgers Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen."

Die hierin (neu) vorgesehene Einschränkung auf 80 % des Betrages, "der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre", steht mit der Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG, welcher Absatz durch Art I Z 7 des zweiten SRÄG 1996 BGBl 764 neu angefügt wurde, in einer untrennbaren normativen Einheit (vgl VfSlg 10.705). Dieser Absatz hat folgenden Wortlaut:

"(6) Wenn die flächendeckende Versorgung der Versicherten durch Verträge nicht in ausreichendem Maße gesichert ist, so kann in der Satzung des Versicherungsträgers das Ausmaß des Ersatzes der Kosten der Krankenbehandlung gemäß Abs 1 mit mehr als 80 vH, höchstens jedoch mit 100 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre, festgesetzt werden. Die flächendeckende Versorgung ist im Regelfall dann anzunehmen, wenn Gesamtverträge nach dem Sechsten Teil bestehen."

Der Gesetzgeber hat die Neuregelung des § 131 Abs 1 ASVG in der RV 214 BlgNR 20. GP, 41 wie folgt begründet:

"Von den Krankenversicherungsträgern wurde in jüngster Zeit immer wieder festgestellt, daß wahlärztliche Hilfe mehr und mehr in Anspruch genommen wird und dadurch die Ausgaben für die Kostenerstattung stark ansteigen.

Zur Abdeckung der höheren Verwaltungskosten soll in Hinkunft der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung nur mehr in der Höhe von 80 % des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes aufzuwenden gewesen wäre, gebühren. Dies führt im Bereich des ASVG zu folgenden Einsparungen: 1996 werden die Einsparungen rund 48 Millionen Schilling betragen, 1997 und in den Folgejahren rund 120 Millionen Schilling."

Dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (286 BlgNR 20. GP, 1) ist ebenfalls zu entnehmen, daß die Beschränkung der Kostenerstattung für Wahlarzthilfe auf 80 vH "zur finanziellen Absicherung der Krankenversicherung" beschlossen wurde.

Die Neuregelung des § 131 Abs 6 ASVG wurde in der RV 394 BlgNR 20.

GP, 19 wie folgt begründet:

"Vorrangiges Ziel der sozialen Krankenversicherung ist eine ausreichende flächendeckende medizinische Versorgung über Gesamtverträge. Primär sollen daher Vertragspartner in Anspruch genommen werden. Aus diesem Grunde wurde im Rahmen des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996, BGBl Nr 411, bei Inanspruchnahme von Wahlarzthilfe der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung auf 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes aufzuwenden gewesen wäre, gesenkt. Diese Regelung betrifft auch die der ärztlichen Hilfe im Rahmen der Krankenbehandlung gleichgestellten Behandlungen und Leistungen.

Für den Fall, daß aufgrund der Vertragslage (mangelnde Gesamtverträge) eine ausreichende flächendeckende medizinische Grundversorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet ist, soll dem Versicherungsträger die Möglichkeit eröffnet werden, im Wege der Satzung eine Kostenerstattung in der Höhe von über 80 vH bis zu 100 vH des Vertragstarifes vorzusehen."

In Ausführung dieser Bestimmungen wurde § 32 Abs 7 erster Satz der Satzung 1995 der Beklagten durch die 1. und 3. Änderung der Satzung, Amtliche Verlautbarungen Nr. 86/1996 (kundgemacht in SozSi 1996, 754) und Nr. 94/1997 (kundgemacht in SozSi 1997, 672, rückwirkend mit 1. 8. 1996) dahin geändert, daß diese Bestimmung nunmehr wie folgt lautet:

"Kosten für die Behandlung durch Wahlzahnärzte (Wahldentisten, Wahleinrichtungen) werden in Höhe von 80 % des Betrages erstattet, der bei Inanspruchnahme des entsprechenden Vertragspartners von der Kasse aufzuwenden gewesen wäre."

In der - Zahnbehandlung und Zahnersatz regelnden - Bestimmung des § 153 Abs 3 ASVG ist ausdrücklich auf § 131 Abs 1 verwiesen. Auch § 131 Abs 6 ASVG iVm § 32 Abs 7 der Satzung der Beklagten in der wiedergegebenen Fassung sind für die rechtliche Beurteilung des gegenständlichen Falles vom Obersten Gerichtshofes anzuwenden und damit ebenfalls präjudiziell im Sinne des Art 89 Abs 2 B-VG.

Auszugehen ist vom (nur einfachgesetzlich statuierten) Grundsatz der freien Arztwahl (SSV-NF 6/142 = SZ 65/159 = EvBl 1994/2; VfSlg 13.286): § 135 Abs 1 erster Satz ASVG normiert nämlich, daß die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, Wahlärzte (§ 131 Abs 1) sowie durch Ärzte in eigenen hierfür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt wird - und geht damit von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit dieser Sachleistung (Binder in Tomandl, SV-System, 8. ErgLfg 188) durch Vertragsärzte und Wahlärzte aus. Nach § 135 Abs 2 ASVG soll in der Regel die Auswahl zwischen mindestens zwei zur Behandlung berufenen, für den Erkrankten in angemessener Zeit erreichbaren Ärzten freigestellt sein; besteht bei einem Versicherungsträger eine eigene Einrichtung für die Gewährung der ärztlichen Hilfe oder wird diese durch Vertragseinrichtungen gewährt, muß die Wahl der Behandlung zwischen einer dieser Einrichtungen und einem oder mehreren Vertragsärzten (Wahlärzten) unter gleichen Bedingungen freigestellt sein. Das Vertrauen des Versicherten (Anspruchsberechtigten, Patienten) in den Arzt (seiner Wahl) ist einer der Hauptpfeiler der Heilbehandlung. Der Anspruchberechtigte soll nicht einer einzigen Einrichtung des Krankenversicherungsträgers oder einem einzigen Vertragsarzt gegenüberstehen, sondern zumindest einen weiteren freiberuflich tätigen Arzt zur Auswahl haben, der nicht Vertragsarzt ist. Daß er durch das ASVG hierbei bloß auf einen Kostenersatz verwiesen wird, ist der Preis für diese Wahl (SSV-NF 6/41). Der Anspruchsberechtigte nimmt auch in Kauf, daß ihm nur die Kostenerstattung im Ausmaß des Honorars eines Vertragsarztes gewährt wird, wie dies nach der früheren Rechtslage vor dem SRÄG 1996 der Fall war: Ersetzt wird (wurde) nur, was die Sozialversicherung im Falle der Inanspruchnahme eines Vertragspartners geleistet hätte (Krejci, aaO 306).

Die mit BGBl 1996/411 novellierte Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG sowie durch die mit BGBl 1996/764 neu angefügte Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG stellen nunmehr entgegen der vom Gesetzgeber selbst grundsätzlich gewährten freien Arztwahl Anspruchsberechtigte, die einen Wahlarzt in Anspruch nehmen, gegenüber Anspruchsberechtigten, die einen Vertragsarzt (eine Vertragseinrichtung) in Anspruch nehmen, schlechter. Letztere haben nämlich (abgesehen von der Krankenscheingebühr - § 135 Abs 3 ASVG) aus eigenen Mitteln weder dem Vertragsarzt noch dem Sozialversicherungsträger irgendeine Geldleistung zu erbringen; in diesem Sinne ist die Behandlung durch den Vertragsarzt für den Patienten grundsätzlich "kostenlos". Demgegenüber hat ein Anspruchsberechtigter, der einen Wahlarzt aufsucht, nicht nur die diesbezüglichen Kosten zu bevorschussen, er muß vielmehr auch noch einen Eigenanteil von 20 % dieser Kosten tragen. Ein Wahlarztpatient leistet damit Aufzahlungen, die den Patienten eines Vertragsarztes nicht treffen können. Zu dieser Regelung kommt noch jene des § 135 Abs 3 letzter Satz ASVG, wonach - im Ergebnis - ein Patient, der einen Wahlarzt in Anspruch nimmt, auch noch einer weiteren Kostenbelastung von pauschal S 50 (analog der Krankenscheingebühr bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes) ausgesetzt ist, die für Rechnung des Versicherungsträgers vom Anspruchsberechtigten ebenfalls zu zahlen ist. Daraus erhellt - wobei auch aus dem bereits zitierten Gesetzmaterialien hierzu nicht Näheres zu entnehmen ist -, daß diese Gebühr dem Sozialversicherungsträger zukommen soll (arg. "für Rechnung des Versicherungsträgers"), und daß mit dieser Zahlung im weitesten Sinne wohl auch zur Deckung des Verwaltungsaufwandes des Sozialversicherungsträgers beigetragen werden soll. Damit bleibt aber für einen derartigen Patienten bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes eine Doppelbelastung bestehen, nämlich einerseits der 20 %ige Abzug nach § 131 Abs 1 ASVG und andererseits die Krankenscheingebühr nach § 135 Abs 3 ASVG.

Gegen diese Regelung bestehen im Hinblick auf den in Art 7 B-VG, Art 2 StGG normierten Gleichheitsgrundsatz verfassungsrechtliche Bedenken. Der Gleichheitssatz bindet auch den Gesetzgeber, wonach im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 12.333 uva) nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen zulässig sind. Eine solche Differenzierung setzt relevante Unterschiede im Tatsachenbereich im Sinne objektiver Unterscheidungsmerkmale voraus. Der Gesetzgeber muß an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen; wesentlich ungleiche Tatbestände müssen zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen. Aus dem Gleichheitssatz wurde vom Verfassungsgerichtshof daher in verstärktem Maße auch ein allgemeines Sachlichkeitsgebot für den Gesetzgeber abgeleitet (Mayer, B-VG**2 466), wobei auf die objektive Wirkung (den objektiven Gehalt) einer Regelung und nicht auf die Motive des Gesetzgebers abgestellt wird. Liegen differenzierende Regelungen vor, so ist ein Normenvergleich durchzuführen. Es ist zu fragen, ob die jeweils erfaßten Sachverhalte so unterschiedlich sind, daß sie die unterschiedlichen Rechtsfolgen rechtfertigen und zu tragen vermögen. Es kann aber auch sein, daß eine Regelung einen komplexen Sachverhalt mit einer Rechtsfolge verknüpft. Diesfalls ist zu fragen, ob die verschiedenen Sachverhaltselemente es trotz ihrer Verschiedenheit zulassen, mit der gleichen Rechtsfolge bedacht zu werden oder ob nicht differenzierte Rechtsfolgen notwendig wären. Jede Sachlichkeitsprüfung von Gesetzen hat zunächst eine derartige Prüfung mit der Relation von Sachverhalt und Rechtsfolge vorzunehmen. Sie kann zum Ergebnis führen, daß diese Regelung schon an sich auf keinen "vernünftigen" Grund beruht. In diesem Falle ist ein Gesetz als gleichheitswidrig anzusehen (Mayer aaO).

Der Oberste Gerichtshof übersieht nicht, daß Vertragsärzte - anders als Wahlärzte - in einem organisatorischen Naheverhältnis zum Krankenversicherungsträger stehen und sich ihre Honorierung aus der Honorarordnung des Gesamtvertrages ergibt, wonach das Gesamthonorar auch durch Deckelungen und Punktwertdegressionen beeinflußt wird, daß aber weiters den Vertragsärzten aus den Einzelverträgen nicht nur Rechte zukommen, sondern ihnen auch bestimmte Verpflichtungen auferlegt sind (Residenzpflicht, Mindestordinationszeiten, Behandlungspflicht unter Umständen ohne Honorar bei Überschreiten der Deckelung usw).

Diese an sich zur Begründung der unterschiedlichen Behandlung von Vertrags- und Wahlärzten tauglichen Gesichtspunkte wurden aber in den oben zitierten Gesetzesmaterialien gar nicht angesprochen. Dort wurde zur Begründung der Neuregelung vielmehr ausgeführt, in jüngster Zeit werde wahlärztliche Hilfe mehr und mehr in Anspruch genommen und dadurch würden die Ausgaben für die Kostenerstattung stark ansteigen; zur Abdeckung der höheren Verwaltungskosten solle in Hinkunft der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung nur mehr in Höhe von 80 % ... gebühren. Dies führe im Bereich des ASVG zu bestimmten ziffernmäßig genannten Einsparungen. Ob die in den zitierten Materialien dargelegten Gesichtspunkte sachlich überhaupt zutreffen, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu beurteilen: Die Fragen des angeblich starken Ansteigens der Inanspruchnahme von Wahlärzten und der damit angeblich verbundenen höheren Verwaltungskosten sowie des angeblichen Einsparungseffektes sind durchwegs solche Fragen, die mit dem Entscheidungsgegenstand der vorliegenden Sozialrechtssache überhaupt nichts zu tun haben, die nicht Prozeßgegenstand sind, über die den Parteien dieses Verfahrens keine Disposition zukommt und deren Beantwortung auch dem Obersten Gerichtshof mangels entsprechender Sachverhaltsunterlagen nicht möglich ist. Die Überprüfung der den Gesetzgeber leitenden tatsächlichen Gesichtspunkte soll insoweit dem Verfassungsgerichtshof nicht genommen werden. Nur im Normenprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist gewährleistet, daß die jeweils verantwortlichen Parteien beteiligt sind und ihre Stellungnahmen abgeben können. Für eine Anfechtung von Normen genügt es auch, daß das Gericht Bedenken gegen die Sachgerechtheit einer Norm hegt; nicht erforderlich ist hingegen, daß es von der Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit der Norm überzeugt ist.

Ob die unterschiedlichen Regelungen im Kostentragungsrecht bezüglich Vertragsärzten einerseits und Wahlärzten andererseits einen den Kriterien der Sachgerechtheit standhaltenden nachvollziehbaren Grund haben, insbesondere jenen der Verwaltungsökonomie, der in den Materialien als maßgebend in den Vordergrund gestellt wird, ist mit den Mitteln des Sozialgerichtsverfahrens nicht zu klären, die insoweit bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken sind damit vom Obersten Gerichtshof nicht auszuräumen.

Diese Überlegungen sind auch auf die Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG anzuwenden, weil aus dessen ebenfalls bereits wiedergegebenen Gesetzesmaterialien als Begründung für die Gewährung weiterer Wahlarztkosten nur die mangelnde ärztliche Versorgung überhaupt angeführt ist, jedoch keinerlei Auskünfte über die bereits zitierte Beschränkung auf 80 % der Vertragsarztkosten schlechthin ersichtlich ist. Ist aber die Beschränkung auf 80 % der Vertragsarztkosten verfassungsrechtlich bedenklich, so muß dies aufgrund des engen normativen Sachzusammenhanges auch für die Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG gelten. Ausgehend von diesen Überlegungen betreffend Bedenken der Verfassungskonformität des § 131 Abs 1 und 6 ASVG folgt, daß auch der in die Satzung in § 32 Abs 7 eingefügte Ausdruck "von 80 %" (korrespondierend mit § 131 Abs 1 und 6 ASVG) möglicherweise keine gesetzliche Grundlage mehr hätte (Art 18 Abs 2 B-VG). In diesem Sinne hat sich der Anfechtungsantrag daher auch auf diese (geänderte) Satzungsbestimmung zu erstrecken. Satzungen der Krankenversicherungsträger sind nämlich nach herrschender Auffassung dem Legalitätsprinzip unterliegende Rechtsverordnung (VfSlg 3.709, 5.422; SSV-NF 8/105; SozSi 1998, 218 = ZAS 1998/9 = DRdA 1998/27, jeweils mwN).

Für den Fall des Erfolges der Anfechtung im Sinne dieses Vorlagebeschlusses wäre die Rechtslage vor dem SRÄG 1996 BGBl 411 (53. ASVG-Novelle) bzw dem 2. SRÄG 1996 BGBl 764 wiederhergestellt, welche dem Versicherten (Kläger) den Ersatz der Wahlarztkosten des konsultierten Facharztes im vollen Umfang der Vertragsarztkosten gewährleistet.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher neuerlich veranlaßt, ob der aufgezeigten Bedenken einen entsprechenden Gesetzes und Verordnungsprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen (vgl 10 ObS 100/98y; 10 ObS 84/98w).

Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf der im Spruch zitierten Gesetzesstelle.

Stichworte