OGH 10ObS100/98y

OGH10ObS100/98y1.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Claudia P*****, Angestellte, *****, vertreten durch Mag. Michael Poduschka, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Kostenerstattung (S 646,10 sA), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Jänner 1998, GZ 12 Rs 290/97x-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. September 1997, GZ 11 Cgs 52/97w-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

I. Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 (Art 139 Abs 1, 140 Abs 1) B-VG den

Antrag,

1. in § 131 Abs 1 ASVG in der Fassung des Art I Z 103 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 411 (53. Novelle zum ASVG) die Wortfolge "von 80 vH" und

2. § 131 Abs 6 ASVG in der Fassung Art I Z 7 des zweiten Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 764 zur Gänze als verfassungswidrig sowie

3. in der Satzung der beklagten Partei in ihrer Fassung der dritten Änderung Amtliche Verlautbarung Nummer 83/1996 (SozSi 1996, 749) den Ausdruck "80 %" in § 25 Abs 1 als gesetzwidrig.

aufzuheben.

II. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung

Die bei der beklagten Partei krankenversicherte Klägerin hat am 8. 4., 29. 4., 20. 5. und 3. 6. 1997 verschiedene medizinische Leistungen bei dem in Linz niedergelassenen Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. Thomas B***** als Wahlarzt in Anspruch genommen. Dieser ist kein Vertragsarzt der beklagten Partei. Die Klägerin hat das in Rechnung gestellte Honorar von S 3.502,-- bezahlt, und die Honorarnote bei der beklagten Partei zur Kostenerstattung eingereicht. Von der beklagten Partei wurden ihr hierauf Kosten in der Höhe von S 2.535,42 erstattet. Der darüber hinausgehende Antrag auf Kostenerstattung wurde mit Bescheid vom 18. 6. 1997 unter Hinweis auf §§ 131 Abs 1, 135 Abs 3 ASVG und § 25 iVm mit dem Anhang 6 der Satzung abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem zuletzt gestellten Begehren, ihr einen weiteren Betrag von S 646,10 zu ersetzen. Die Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG, die bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes lediglich einen Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 vH des Betrages vorsehe, der bei Inanspruchnahme der Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre, sei verfassungswidrig.

Das Erstgericht wies dieses Klagebegehren ab. Die Klägerin gestehe selbst zu, daß die beklagte Partei den Kostenerstattungsanspruch auf Basis des geltenden Rechtes ordnungsgemäß berechnet habe. Ein Eingehen auf die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 131 Abs 1 ASVG idgF sei jedoch dem Gericht erster Instanz verwehrt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach weiters aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 ASGG nicht zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht beurteilte es diesen Sachverhalt wie folgt:

Nach § 135 Abs 1 ASVG werde die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, durch Wahlärzte (§ 131 Abs 1) oder durch Ärzte in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt. Durch diese verschiedenen Anspruchsmöglichkeiten werde dem Grundsatz der sog. freien Arztwahl entsprochen. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des SRÄG 1996, BGBl 1996/411, gebührte einem Anspruchsberechtigten, der nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch nahm, der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Seit Inkrafttreten der Änderung des § 131 Abs 1 ASVG durch das SRÄG 1996 mit 1. 8. 1996 gebührten hievon nur mehr 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Diese Reduzierung im Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung sei - wie den Materialien zur novellierten Bestimmung zu entnehmen sei - deswegen erforderlich geworden, weil immer mehr wahlärztliche Hilfe in Anspruch genommen worden sei und dadurch die Ausgaben für die Kostenerstattung stark angestiegen wären, wodurch das vorrangige Ziel der sozialen Krankenversicherung, nämlich Gewährleistung einer ausreichenden flächendeckenden medizinischen Versorgung über Gesamtverträge, gefährdet erscheine. Die Anwendung des § 131 Abs 1 setzte allerdings voraus, daß Vertragspartner oder eigene Einrichtungen für den Versicherungsträger tätig sind, vom Versicherten jedoch aus freien Stücken nicht in Anspruch genommen werden. Der Zweck der Regelung des § 131 Abs 1 (alte wie neue Fassung) bestehe darin, daß der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt oder eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte, womit auch dem Prinzip der "freien Arztwahl" Rechnung getragen werde. Der Gesetzgeber wollte mit der Bestimmung des § 131 der Ärzteschaft einen Ausgleich dafür anbieten, daß nicht alle niedergelassenen Ärzte in das Sachleistungssystem einbezogen wurden. Für die Versicherten sollte dadurch die Möglichkeit der freien Arztwahl erweitert werden, es sei aber nicht beabsichtigt gewesen, damit ein umfassendes Recht auf freie Arztwahl zu schaffen; Zweck des Prinzips der freien Arztwahl sei vielmehr die Sicherung des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten. Das Kostenerstattungssystem im Rahmen des grundsätzlich vorrangigen Sachleistungsprinzipes dürfe nicht dazu führen, daß der Wahlarzt besser gestellt werde als ein Vertragsarzt. Eine Gleichheitswidrigkeit der Regelung des § 131 Abs 1 nF, die gerade auf die im Kostenerstattungssystem anfallenden höheren Verwaltungskosten Bedacht nehme, sei nicht erkennbar. Ebenfalls liege keine unzulässige Einschränkung des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit vor. Mangels Bedenken gegen die Verfassungskonformität sei daher auch eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht geboten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, in der nur verfassungsrechtliche Argumente, wie sie bereits Gegenstand der Berufung waren, gegen die Bestimmung des § 131 Abs 1 vorgetragen werden. Sie mündet in der Anregung, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 131 Abs 1 ASVG als verfassungswidrig stellen.

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes gemäß § 46 Abs 1 ASGG zulässig, weil die vom Obersten Gerichtshof nicht auszuräumenden Bedenken gegen die Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmungen ein Normenprüfungsverfahren angezeigt erscheinen lassen.

Die beklagte Partei hat nach Freistellung keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Senat hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, daß das Oberlandesgericht Wien am 24. 10. 1997 zu 9 Rs 255/97d sowie das Oberlandesgericht Innsbruck am 2. 12. 1997 zu 25 Rs 122/97w und am 18. 3. 1998 zu 23 Rs 12/98f bereits Anträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt haben, ua § 131 Abs 1 und 6 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Gesetzesprüfungsverfahren sind beim Verfassungsgerichtshof zu den Geschäftszahlen G 24/98, G 72/98 (V 38/98) und G 98/98 (V 45/98) anhängig.

Auch der Oberste Gerichtshof hat Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 131 Abs 1 und 6 ASVG jeweils in der aus dem Spruch dieses Vorlagebeschlusses ersichtlichen Fassung, und zwar wegen Verstoßes gegen den in Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG verankerten Gleichheitsgrundsatz.

Für die sachliche Erledigung der vorliegenden Revision ist primär die Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG in der zitierten Fassung der 53. Novelle zum ASVG anzuwenden und damit im Sinne des Art 89 Abs 2 B-VG präjudiziell. In dieser Bestimmung wird die Kostenerstattung bei Krankenbehandlung durch einen Wahlarzt geregelt. Sie hat folgenden maßgeblichen Wortlaut:

"(1) Nimmt der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner (§ 338) oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) in Anspruch, so gebührt ihm der Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Wird die Vergütung für die Tätigkeit des entsprechenden Vertragspartners nicht nach den erbrachten Einzelleistungen bestimmt, hat die Satzung des Versicherungsträgers Pauschbeträge für die die Kostenerstattung festzusetzen."

Die hierin (neu) vorgesehene Einschränkung auf 80 % des Betrages, "der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre", steht mit der Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG, welcher Absatz durch Art I Z 7 des zweiten SRÄG 1996 BGBl 764 neu angefügt wurde, in einer untrennbaren normativen Einheit (vgl VfSlg 10.705). Dieser Absatz hat folgenden Wortlaut:

"(6) Wenn die flächendeckende Versorgung der Versicherten durch Verträge nicht in ausreichendem Maße gesichert ist, so kann in der Satzung des Versicherungsträgers das Ausmaß des Ersatzes der Kosten der Krankenbehandlung gemäß Abs 1 mit mehr als 80 vH, höchstens jedoch mit 100 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre, festgesetzt werden. Die flächendeckende Versorgung ist im Regelfall dann anzunehmen, wenn Gesamtverträge nach dem Sechsten Teil bestehen."

Der Gesetzgeber hat die Neuregelung des § 131 Abs 1 ASVG in der RV 214 BlgNR 20. GP, 41 wie folgt begründet:

"Von den Krankenversicherungsträgern wurde in jüngster Zeit immer wieder festgestellt, daß wahlärztliche Hilfe mehr und mehr in Anspruch genommen wird und dadurch die Ausgaben für die Kostenerstattung stark ansteigen.

Zur Abdeckung der höheren Verwaltungskosten soll in Hinkunft der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung nur mehr in der Höhe von 80 % des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes aufzuwenden gewesen wäre, gebühren. Dies führt im Bereich des ASVG zu folgenden Einsparungen: 1996 werden die Einsparungen rund 48 Millionen Schilling betragen, 1997 und in den Folgejahren rund 120 Millionen Schilling."

Dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (286 BlgNR 20. GP, 1) ist ebenfalls zu entnehmen, daß die Beschränkung der Kostenerstattung für Wahlarzthilfe auf 80 % "zur finanziellen Absicherung der Krankenversicherung" beschlossen wurde.

Die Neuregelung des § 131 Abs 6 ASVG wurde in der RV 394 BlgNR 20.

GP, 19 wie folgt begründet:

"Vorrangiges Ziel der sozialen Krankenversicherung ist eine ausreichende flächendeckende medizinische Versorgung über Gesamtverträge. Primär sollen daher Vertragspartner in Anspruch genommen werden. Aus diesem Grunde wurde im Rahmen des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996, BGBl Nr 411, bei Inanspruchnahme von Wahlarzthilfe der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung auf 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes aufzuwenden gewesen wäre, gesenkt. Diese Regelung betrifft auch die der ärztlichen Hilfe im Rahmen der Krankenbehandlung gleichgestellten Behandlungen und Leistungen.

Für den Fall, daß aufgrund der Vertragslage (mangelnde Gesamtverträge) eine ausreichende flächendeckende medizinische Grundversorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet ist, soll dem Versicherungsträger die Möglichkeit eröffnet werden, im Wege der Satzung eine Kostenerstattung in der Höhe von über 80 vH bis zu 100 vH des Vertragstarifes vorzusehen."

In Ausführung dieser Bestimmungen wurde § 25 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei durch die dritte Änderung der Satzung Amtliche Verlautbarung Nummer 83/1996 (kundgemacht in SozSi 1996, 749) dahin geändert, daß diese Bestimmung nunmehr wie folgt lautet:

"(1) Bei Inanspruchnahme eines Nichtvertragsarztes (Wahlarztes) werden die Kosten für eine Ordination mit zwei Fünfteln der in Betracht kommenden pauschalierten Grundvergütung (Fallpauschale u.a.) herangezogen. Die Kostenerstattung darf

1. im Kalendervierteljahr 80 % der in der Honorarordnung für einen vergleichbaren Vertragsarzt vorgesehenen Grundvergütung (Fallpauschale u.a.) zuzüglich der in der Honorarordnung vorgesehenen Zuschläge und Honorare für Einzelleistungen und Visiten.

2. jedenfalls aber das Honorar, das dem Wahlarzt tatsächlich entrichtet wurde,

nicht übersteigen .....

Auch § 131 Abs 6 ASVG iVm § 25 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei in der wiedergegebenen Fassung sind für die rechtliche Beurteilung des gegenständlichen Falles vom Obersten Gerichtshof anzuwenden und damit ebenfalls präjudiziell im Sinne des Art 89 Abs 2 B-VG.

Auszugehen ist vom (nur einfachgesetzlich statuierten) Grundsatz der freien Arztwahl (SSV-NF 6/142 = SZ 65/159 = EvBl 1994/2; VfSlg 13.286): § 135 Abs 1 erster Satz ASVG normiert nämlich, daß die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, Wahlärzte (§ 131 Abs 1) sowie durch Ärzte in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt wird - und geht damit von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit dieser Sachleistung (Binder in Tomandl, SV-System, 8. ErgLfg 188) durch Vertragsärzte und Wahlärzte aus. Nach § 135 Abs 2 ASVG soll in der Regel die Auswahl zwischen mindestens zwei zur Behandlung berufenen, für den Erkrankten in angemessener Zeit erreichbaren Ärzten freigestellt sein; besteht bei einem Versicherungsträger eigene Einrichtungen für die Gewährung der ärztlichen Hilfe oder wird diese durch Vertragseinrichtungen gewährt, muß die Wahl der Behandlung zwischen einer dieser Einrichtungen und einem oder mehreren Vertragsärzten (Wahlärzten) unter gleichen Bedingungen freigestellt sein. Das Vertrauen des Versicherten (Anspruchsberechtigten, Patienten) in den Arzt (seiner Wahl) ist einer der Hauptpfeiler der Heilbehandlung. Der Anspruchsberechtigte soll nicht einer einzigen Einrichtung des Krankenversicherungsträgers oder einem einzigen Vertragsarzt gegenüberstehen, sondern zumindest einen weiteren freiberuflich tätigen Arzt zur Auswahl haben, der nicht Vertragsarzt ist. Daß er durch das ASVG hiebei bloß auf einen Kostenersatz verwiesen wird, ist der Preis für diese Wahl (SSV-NF 6/41). Der Anspruchsberechtigte nimmt auch in Kauf, daß ihm nur die Kostenerstattung im Ausmaß des Honorars eines Vertragsarztes gewährt wird, wie dies nach der früheren Rechtslage vor dem SRÄG 1996 der Fall war: Ersetzt wird (wurde) nur, was die Sozialversicherung im Falle der Inanspruchnahme eines Vertragspartners geleistet hätte (Krejci, aaO 306).

Die mit BGBl 1996/411 novellierte Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG sowie durch die mit BGBl 1996/764 neu angefügte Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG stellen nunmehr entgegen der vom Gesetzgeber selbst grundsätzlich gewährten freien Arztwahl Anspruchsberechtigte, die einen Wahlarzt in Anspruch nehmen, gegenüber Anspruchsberechtigten, die einen Vertragsarzt (eine Vertragseinrichtung) in Anspruch nehmen, schlechter. Letztere haben nämlich (abgesehen von der Krankenscheingebühr - § 135 Abs 3 ASVG) aus eigenen Mitteln weder dem Vertragsarzt noch dem Sozialversicherungsträger irgendeine Geldleistung zu erbringen; in diesem Sinne ist die Behandlung durch den Vertragsarzt für den Patienten grundsätzlich "kostenlos". Demgegenüber hat ein Anspruchsberechtigter, der einen Wahlarzt aufsucht, nicht nur die diesbezüglichen Kosten zu bevorschussen, er muß vielmehr auch noch einen Eigenanteil von 20 % dieser Kosten tragen. Ein Wahlarztpatient leistet damit Aufzahlungen, die den Patienten eines Vertragsarztes nicht treffen können. Zu dieser Regelung kommt noch jene des § 135 Abs 3 letzter Satz ASVG, wonach - im Ergebnis - ein Patient, der einen Wahlarzt in Anspruch nimmt, auch noch einer weiteren Kostenbelastung von pauschal S 50 (analog der Krankenscheingebühr bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes) ausgesetzt ist, die für Rechnung des Versicherungsträgers vom Anspruchsberechtigten ebenfalls zu zahlen ist. Daraus erhellt - wobei auch aus den bereits zitierten Gesetzesmaterialien hierzu nichts Näheres zu entnehmen ist -, daß diese Gebühr dem Sozialversicherungsträger zukommen soll (arg. "für Rechnung des Versicherungsträgers"), und daß mit dieser Zahlung im weitesten Sinne wohl auch zur Deckung des Verwaltungsaufwandes des Sozialversicherungsträgers beigetragen werden soll. Damit bleibt aber für einen derartigen Patienten bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes eine Doppelbelastung bestehen, nämlich einerseits der 20 %ige Abzug nach § 131 Abs 1 ASVG und andererseits die Krankenscheingebühr nach § 135 Abs 3 ASVG.

Gegen diese Regelung bestehen im Hinblick auf den in Art 7 B-VG, Art 2 StGG normierten Gleichheitsgrundsatz verfassungsrechtliche Bedenken. Der Gleichheitssatz bindet auch den Gesetzgeber, wonach im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 12.333 uva) nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen zulässig sind. Eine solche Differenzierung setzt relevante Unterschiede im Tatsachenbereich im Sinne objektiver Unterscheidungsmerkmale voraus. Der Gesetzgeber muß an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen; wesentlich ungleiche Tatbestände müssen zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen. Aus dem Gleichheitssatz wurde vom Verfassungsgerichtshof daher in verstärktem Maße auch ein allgemeines Sachlichkeitsgebot für den Gesetzgeber abgeleitet (Mayer, B-VG2 466), wobei auf die objektive Wirkung (den objektiven Gehalt) einer Regelung und nicht auf die Motive des Gesetzgebers abgestellt wird. Liegen differenzierende Regelungen vor, so ist ein Normenvergleich durchzuführen. Es ist zu fragen, ob die jeweils erfaßten Sachverhalte so unterschiedlich sind, daß sie die unterschiedlichen Rechtsfolgen rechtfertigen und zu tragen vermögen. Es kann aber auch sein, daß eine Regelung einen komplexen Sachverhalt mit einer Rechtsfolge verknüpft. Diesfalls ist zu fragen, ob die verschiedenen Sachverhaltselemente es trotz ihrer Verschiedenheit zulassen, mit der gleichen Rechtsfolge bedacht zu werden oder ob nicht differenzierte Rechtsfolgen notwendig wären. Jede Sachlichkeitsprüfung von Gesetzen hat zunächst eine derartige Prüfung mit der Relation von Sachverhalt und Rechtsfolge vorzunehmen. Sie kann zum Ergebnis führen, daß diese Regelung schon an sich auf keinem "vernünftigen" Grund beruht. In diesem Falle ist ein Gesetz als gleichheitswidrig anzusehen (Mayer aaO).

Der Oberste Gerichtshof übersieht nicht, daß Vertragsärzte - anders als Wahlärzte - in einem organisatorischen Naheverhältnis zum Krankenversicherungsträger stehen und sich ihre Honorierung aus der Honorarordnung des Gesamtvertrages ergibt, wonach das Gesamthonorar auch durch Deckelungen und Punktwertdegressionen beeinflußt wird, daß aber weiters den Vertragsärzten aus den Einzelverträgen nicht nur Rechte zukommen, sondern ihnen auch bestimmte Verpflichtungen auferlegt sind (Residenzpflicht, Mindestordinationszeiten, Behandlungspflicht unter Umständen ohne Honorar bei Überschreiten der Deckelung usw).

Diese an sich zur Begründung der unterschiedlichen Behandlung von Vertrags- und Wahlärzten tauglichen Gesichtspunkte wurden aber in den oben zitierten Gesetzesmaterialien gar nicht angesprochen. Dort wurde zur Begründung der Neuregelung vielmehr ausgeführt, in jüngster Zeit werde wahlärztliche Hilfe mehr und mehr in Anspruch genommen und dadurch würden die Ausgaben für die Kostenerstattung stark ansteigen; zur Abdeckung der höheren Verwaltungskosten solle in Hinkunft der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung nur mehr in Höhe von 80 % ... gebühren. Dies führe im Bereich des ASVG zu bestimmten ziffernmäßig genannten Einsparungen. Ob die in den zitierten Materialien dargelegten Gesichtspunkte sachlich überhaupt zutreffen, vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu beurteilen: Die Fragen des angeblich starken Ansteigens der Inanspruchnahme von Wahlärzten und der damit angeblich verbundenen höheren Verwaltungskosten sowie des angeblichen Einsparungseffektes sind durchweg solche Fragen, die mit dem Entscheidungsgegenstand der vorliegenden Sozialrechtssache überhaupt nichts zu tun haben, die nicht Prozeßgegenstand sind, über die den Parteien dieses Verfahrens keine Disposition zukommt und deren Beantwortung auch dem Obersten Gerichtshof mangels entsprechender Sachverhaltsunterlagen nicht möglich ist. Die Überprüfung der den Gesetzgeber leitenden tatsächlichen Gesichtspunkte soll insoweit dem Verfassungsgerichtshof nicht genommen werden. Nur im Normenprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist gewährleistet, daß die jeweils verantwortlichen Parteien beteiligt sind und ihre Stellungnahmen abgeben können. Für eine Anfechtung von Normen genügt es auch, daß das Gericht Bedenken gegen die Sachgerechtheit einer Norm hegt; nicht erforderlich ist hingegen, daß es von der Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit der Norm überzeugt ist.

Ob die unterschiedlichen Regelungen im Kostentragungsrecht bezüglich Vertragsärzten einerseits und Wahlärzten andererseits einen den Kriterien der Sachgerechtheit standhaltenden nachvollziebaren Grund haben, insbesondere jenen der Verwaltungsökonomie, der in den Materialien als maßgebend in den Vordergrund gestellt wird, ist mit den Mitteln des Sozialgerichtsverfahrens nicht zu klären, die insoweit bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken sind damit vom Obersten Gerichtshof nicht auszuräumen.

Diese Überlegungen sind auch auf die Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG anzuwenden, weil aus dessen ebenfalls bereits wiedergegebenen Gesetzesmaterialien als Begründung für die Gewährung weiterer Wahlarztkosten nur die mangelnde ärztliche Versorgung überhaupt angeführt ist, jedoch keinerlei Auskünfte über die bereits zitierte Beschränkung auf 80 % der Vertragsarztkosten schlechthin ersichtlich ist. Ist aber die Beschränkung auf 80 % der Vertragsarztkosten verfassungsrechtlich bedenklich, so muß dies aufgrund des engen normativen Sachzusammenhanges auch für die Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG gelten.

Ausgehend von diesen Überlegungen betreffend Bedenken der Verfassungskonformität des § 131 Abs 1 und 6 ASVG folgt, daß auch der durch die dritte Änderung der Satzung der beklagten Partei in § 25 Abs 1 eingefügte Ausdruck "80 %" (korrespondierend mit § 131 Abs 1 und 6 ASVG) möglicherweise keine gesetzliche Grundlage mehr hätte (Art 18 Abs 2 B-VG). In diesem Sinne hat sich der Anfechtungsantrag daher auch auf diese (geänderte) Satzungsbestimmung zu erstrecken. Satzungen der Krankenversicherungsträger sind nämlich nach herrschender Auffassung dem Legalitätsprinzip unterliegende Rechtsverordnungen (VfSlg 3.709, 5.422; SSV-NF 8/105; SozSi 1998, 218 = ZAS 1998/9 = DRdA 1998/27, jeweils mwN).

Für den Fall des Erfolges der Anfechtung im Sinne dieses Vorlagebeschlusses wäre die Rechtslage vor dem SRÄG 1996 BGBl 411 (53. ASVG-Novelle) bzw dem 2. SRÄG 1996 BGBl 764 wiederhergestellt, welche dem Versicherten (Kläger) den Ersatz der Wahlarztkosten des konsultierten Facharztes im vollen Umfang der Vertragsarztkosten gewährleistet.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher veranlaßt, ob der aufgezeigten Bedenken einen entsprechenden Gesetzes- und Verordnungsprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf der im Spruch zitierten Gesetzesstelle.

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