OGH 10ObS84/98w

OGH10ObS84/98w1.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir Winfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Rechtssache der klagenden Partei Franz G*****, vertreten durch Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, 5024 Salzburg, Faberstraße 19-23, vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Kostenerstattung (S 842,09) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Dezember 1997, GZ 12 Rs 241/97s-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. Juli 1997, GZ 18 Cgs 116/97k-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

I. Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 (Art 139 Abs 1, 140 Abs 1) B-VG den

A n t r a g,

1. in § 131 Abs 1 ASVG in der Fassung des Art I Z 103 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 411 (53.Novelle zum ASVG) die Wortfolge "von 80 vH" und

2. § 131 Abs 6 ASVG in der Fassung Art I Z 7 des zweiten Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 764 zur Gänze als verfassungswidrig sowie

3. in der Satzung der beklagten Partei Amtliche Verlautbarung Nummer 66/1995 (SozSi 1995, 512) in der Fassung der zweiten Änderung Amtliche Verlautbarung Nummer 87/1996 (SozSi 1996, 757) den Ausdruck "80 %" in § 25 Abs 1 erster Satz zwischen den Worten "zuzüglich" und "allfälliger" als gesetzwidrig

aufzuheben.

II. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.

Text

Begründung

Der bei der beklagten Partei krankenversicherte Kläger stand im vierten Quartal 1996 bei Dr. Manfred D*****, Facharzt für Nuklearmedizin in Salzburg, in Behandlung. Dieser ist kein Vertragsarzt der beklagten Partei. Der Kläger hat das vom genannten Facharzt in Rechnung gestellte Honorar von S 1.783,80 (inklusive 20 % Umsatzsteuer) bezahlt, und diese Honorarnote bei der beklagten Partei zur Kostenerstattung eingereicht. Von der beklagten Partei wurden ihm hierauf Kosten in der Höhe von S 941,71 (ebenfalls inklusive 20 % Umsatzsteuer) erstattet. Der darüber hinausgehende Antrag des Klägers auf Kostenerstattung wurde mit Bescheid vom 7. 4. 1997 unter Hinweis auf § 131 Abs 1 ASVG iVm § 25 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei abgewiesen. Die beklagte Partei hat dabei die vom Kläger eingereichte Honorarnote entsprechend der ärztlichen Honorarverordnung nach Einzeltarifen bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes entsprechend der ab 1. 8. 1996 gültigen Satzung abgerechnet.

Die vom Kläger bei Dr. D***** in Anspruch genommenen und nunmehr verfahrensgegenständlichen Leistungen werden auch von acht Vertragsfachärzten in der Stadt Salzburg und näherer Umgebung (Internisten mit Zusatzausbildung) angeboten, wobei es jedoch keine Vertragsbeziehung der beklagten Partei mit einem ausschließlich als Facharzt für Nuklearmedizin tätigen Facharzt gibt.

Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Protokollarklage stellte der Kläger das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm binnen 14 Tagen 100 % der Kostenerstattung laut Satzung der beklagten Partei in der Fassung vor dem 1. 8. 1996 für die Privathonorarnote des Dr. D***** unter Berücksichtigung des von der beklagten Partei geleisteten Betrages von S 941,71 zu bezahlen.

Das Erstgericht wies dieses Klagebegehren ab.

Nach der seit 1. 8. 1996 gültigen Fassung des § 131 Abs 1 ASVG (BGBl 1996/411) habe ein Versicherter, der nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen bzw Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch nehme, nur mehr Anspruch auf Ersatz der Kosten derselben im Ausmaß von 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Da die Leistung nach dem 1. 8. 1996 erbracht worden sei, seien sowohl diese neue gesetzliche Bestimmungen als auch die danach erlassene und genehmigte Satzung der beklagten Partei anzuwenden. Hiegegen bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der von der beklagten Partei bereits ersetzte Betrag entspreche exakt der Neuregelung.

In der infolge Berufung der klagenden Parei abgeführten Berufungsverhandlung modifizierte der Kläger das Klagebegehren dahin, daß die beklagte Partei schuldig sei, ihm einen weiteren Betrag von S 842,09 an Kostenerstattung für die Privathonorarnote des Facharztes Dr. D***** vom 18. 12. 1996 zu bezahlen.

Nach Außerstreitstellung der maßgeblichen und eingangs dieser Entscheidung zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhaltselemente gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach weiters aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 ASGG nicht zulässig ist. In rechtlicher - insbesondere auch verfassungsrechtlicher - Hinsicht beurteilte das Berufungsgericht diesen Sachverhalt (zusammengefaßt) wie folgt:

Nach § 135 Abs 1 ASVG (Gesetzesstellen ohne weiteres Zitat sind im folgenden ausschließlich solche nach dem ASVG) werde die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, durch Wahlärzte (§ 131 Abs 1) oder durch Ärzte in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt. Durch diese verschiedenen Anspruchsmöglichkeiten würde dem Grundsatz der sog. freien Arztwahl entsprochen. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des SRÄG 1996, BGBl 1996/411, gebührte einem Anspruchsberechtigten, der nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch nahm, der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Seit Inkrafttreten der Änderung des § 131 Abs 1 ASVG durch das SRÄG 1996 mit 1. 8. 1996 gebührten hievon nur mehr 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Diese Reduzierung im Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung sei - wie den Materialien zur novellierten Bestimmung zu entnehmen sei - deswegen erforderlich geworden, weil immer mehr wahlärztliche Hilfe in Anspruch genommen sei und dadurch die Ausgaben für die Kostenerstattung stark angestiegen wären, wodurch das vorrangige Ziel der sozialen Krankenversicherung, nämlich Gewährleistung einer ausreichenden flächendeckenden medizinischen Versorgung über Gesamtverträge, gefährdet erscheine. Die Anwendung des § 131 Abs 1 setze allerdings voraus, daß Vertragspartner oder eigene Einrichtungen für den Versicherungsträger tätig sind, vom Versicherten jedoch aus freien Stücken nicht in Anspruch genommen werden. Tatsächlich würden die der klagsgegenständlichen Kostenerstattung zugrundeliegenden Leistungen - wie in der Berufungsverhandlung von den Parteien außer Streit gestellt - in der Stadt Salzburg und näherer Umgebung von acht Vertragsärzten (Internisten mit Zusatzausbildung) der beklagten Partei angeboten. Auch wenn unbestrittenermaßen keine Vertragsbeziehung der beklagten Partei zu einem ausschließlich als Facharzt für Nuklearmedizin tätigen Arzt gegeben sei, sei dennoch davon auszugehen, daß diese Leistungen auch von Vertragsärzten der beklagten Partei in geeigneter Weise und in ausreichendem Ausmaß angeboten werden. Auch die vom Kläger in diesem Zusammenhang als wesentlich erachtete Leistung eines Szintigrammes werde (als Spezialuntersuchung) aus wirtschaftlichen und aus Qualitätsgründen in Vertragskrankenanstalten der beklagten Partei angeboten. Der Kläger hätte die Möglichkeit gehabt, sich dieser Untersuchung in einer Salzburger Landeskrankenanstalt zu unterziehen.

Der Zweck der Regelung des § 131 Abs 1 (alte wie neue Fassung) bestehe darin, daß der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt oder eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte, womit auch dem Prinzip der "freien Arztwahl" Rechnung getragen werde. Der Gesetzgeber wollte mit der Bestimmung des § 131 der Ärzteschaft einen Ausgleich dafür anbieten, daß nicht alle niedergelassenen Ärzte in das Sachleistungssystem einbezogen wurden. Für die Versicherten sollte dadurch die Möglichkeit der freien Arztwahl erweitert werden, es wäre aber nicht beabsichtigt gewesen, damit ein umfassendes Recht auf freie Arztwahl zu schaffen; Zweck des Prinzips der freien Arztwahl sei vielmehr die Sicherung des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten. Das Kostenerstattungssystem im Rahmen des grundsätzlich vorrangigen Sachleistungsprinzipes dürfe nicht dazu führen, daß der Wahlarzt besser gestellt werde als ein Vertragsarzt. Unter Berücksichtigung der (in der Berufungsverhandlung ebenfalls außer Streit gestellten) Tatsache, daß die beklagte Partei im Jahre 1996 an alle Vertragsärzte Honorare für 7,497.123 Leistungspositionen ausbezahlt habe, wobei auf jede dieser Leistungspositionen im Durchschnitt ein Tarif von S 131,30 entfiel, wohingegen von der beklagten Partei für insgesamt

323.936 Leistungspositionen auf eingereichten Wahlarztrechnungen ein durchschnittlicher Tarif von S 134,72 (ohne Berücksichtigung der Kürzung auf 80 % der Tarife) ausbezahlt worden sei, und wenn man weiters berücksichtige, daß der Personal- und Sachaufwand im System der Kostenerstattung unbestritten höher als bei der Vertragsarztabrechnung sei, dann sei nach Ansicht des Berufungsgerichtes bei der gebotenen durchschnittlichen Betrachtungsweise eine Gleichheitswidrigkeit der Regelung des § 131 Abs 1 neue Fassung, welche gerade auf die im Kostenerstattungssystem anfallenden höheren Verwaltungskosten Bedacht nimmt, nicht erkennbar. Ebenfalls liege keine unzulässige Einschränkung des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit vor. Mangels Bedenken gegen die Verfassungskonformität sei daher auch eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht geboten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, in der ausdrücklich nur verfassungsrechtliche Argumente, wie sie bereits Gegenstand seiner Berufung waren, gegen die Bestimmung des § 131 Abs 1 vorgetragen werden; sie mündet einerseits in der Anregung, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof die Prüfung der Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmungen des § 131 Abs 1 ASVG und/oder § 25 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei veranlassen und beantragt andererseits die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei hat nach Freistellung eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes gemäß § 46 Abs 1 ASGG zulässig, weil die vom Obersten Gerichtshof nicht auszuräumenden Bedenken gegen die Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmungen ein Normenprüfungsverfahren angezeigt erscheinen lassen.

Zunächst wird vorausgeschickt, daß zwischenzeitlich - in chronologischer Reihenfolge - das Oberlandesgericht Wien am 24. 10. 1997 zu 9 Rs 255/97d sowie das Oberlandesgericht Innsbruck am 2. 12. 1997 zu 25 Rs 122/97w und derselbe Gerichtshof am 18. 3. 1998 zu 23 Rs 12/98f ebenfalls bereits Anträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt haben, ua § 131 Abs 1 und 6 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Gesetzesprüfungsverfahren sind beim Verfassungsgerichtshof zu den Geschäftszahlen G 24/98, G 72/98 (V 38/98) und G 98/98 (V 45/98) anhängig.

Auch der Oberste Gerichtshof teilt die Ansicht, daß Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 131 Abs 1 und 6 ASVG jeweils in der aus dem Spruch dieses Vorlagebeschlusses ersichtlichen Fassung, und zwar im Hinblick auf den in Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgrundsatz, bestehen. Dies aus folgenden Erwägungen:

Für die sachliche Erledigung der vorliegenden Revision ist primär die gesetzliche Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG in der zitierten Fassung der 53. Novelle zum ASVG anzuwenden und damit im Sinne des Art 89 Abs 2 B-VG präjudiziell. In dieser Bestimmung wird die Kostenerstattung bei Krankenbehandlung durch Inanspruchnahme eines Wahlarztes geregelt. Sie hat folgenden maßgeblichen Wortlaut:

"(1) Nimmt der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner (§ 338) oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) in Anspruch, so gebührt ihm der Ersatz der Kosten dieser Krankenbehandlung im Ausmaß von 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Wird die Vergütung für die Tätigkeit des entsprechenden Vertragspartners nicht nach den erbrachten Einzelleistungen bestimmt, hat die Satzung des Versicherungsträgers Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen."

Die hierin (neu) vorgesehene Einschränkung auf 80 % des Betrages, "der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre", steht mit der Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG, welcher Absatz durch Art I Z 7 des zweiten SRÄG 1996 BGBl 764 neu angefügt wurde, in einer untrennbaren normativen Einheit (vgl VfSlg 10.705). Dieser Absatz hat folgenden Wortlaut:

"(6) Wenn die flächendeckende Versorgung der Versicherten durch Verträge nicht in ausreichendem Maße gesichert ist, so kann in der Satzung des Versicherungsträgers das Ausmaß des Ersatzes der Kosten der Krankenbehandlung gemäß Abs 1 mit mehr als 80 vH, höchstens jedoch mit 100 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre, festgesetzt werden. Die flächendeckende Versorgung ist im Regelfall dann anzunehmen, wenn Gesamtverträge nach dem Sechsten Teil bestehen."

Der Gesetzgeber hat die Neuregelung im § 131 Abs 1 ASVG in der RV 214 BlgNR 20.GP, 41 wie folgt begründet:

"Von den Krankenversicherungsträgern wurde in jüngster Zeit immer wieder festgestellt, daß wahlärztliche Hilfe mehr und mehr in Anspruch genommen wird und dadurch die Ausgaben für die Kostenerstattung stark ansteigen.

Zur Abdeckung der höheren Verwaltungskosten soll in Hinkunft der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung nur mehr in der Höhe von 80 % des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes aufzuwenden gewesen wäre, gebühren. Dies führt im Bereich des ASVG zu folgenden Einsparungen: 1996 werden die Einsparungen rund 48 Millionen Schilling betragen, 1997 und in den Folgejahren rund 120 Millionen Schilling."

Dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (286 BlgNR 20.GP, 1) ist ebenfalls zu entnehmen, daß die Beschränkung der Kostenerstattung für Wahlarzthilfe auf 80 % "zur finanziellen Absicherung der Krankenversicherung" beschlossen wurde.

Die Neuregelung des § 131 Abs 6 ASVG wurde in der RV 394 BlgNR 20.

GP, 19 wie folgt begründet:

"Vorrangiges Ziel der sozialen Krankenversicherung ist eine ausreichende flächendeckende medizinische Versorgung über Gesamtverträge. Primär sollen daher Vertragspartner in Anspruch genommen werden. Aus diesem Grunde wurde im Rahmen des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996, BGBl Nr 411, bei Inanspruchnahme von Wahlarzthilfe der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung auf 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes aufzuwenden gewesen wäre, gesenkt. Diese Regelung betrifft auch die der ärztlichen Hilfe im Rahmen der Krankenbehandlung gleichgestellten Behandlungen und Leistungen.

Für den Fall, daß aufgrund der Vertragslage (mangelnde Gesamtverträge) eine ausreichende flächendeckende medizinische Grundversorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet ist, soll dem Versicherungsträger die Möglichkeit eröffnet werden, im Wege der Satzung eine Kostenerstattung in der Höhe von über 80 vH bis zu 100 vH des Vertragstarifes vorzusehen."

In Ausführung dieser Bestimmungen wurde § 25 Abs 1 der Satzung 1995 der beklagten Partei Amtliche Verlautbarung Nummer 66/1995 (kundgemacht in SozSi 1995, 512) durch die zweite Änderung der Satzung Amtliche Verlautbarung Nummer 87/1996 (kundgemacht in SozSi 1996, 757) durch Einfügung des Ausdruckes "80 %" dahin geändert, daß diese Bestimmung insgesamt nunmehr wie folgt lautet:

"(1) Bei Inanspruchnahme eines Nichtvertragsarztes (Wahlarztes) werden die Kosten für die erste Ordination in einem Kalendervierteljahr mit S 118 (darin enthalten ein pauschalierter Anteil für eine ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache), jede weitere Ordination mit S 55 erstattet, zuzüglich 80 % allfälliger, in der Honorarordnung für entsprechende Vertragsärzte vorgesehener Zuschläge und Honorare für Einzelleistungen und Visiten. Der Erstattungsbetrag darf das Honorar, das dem Wahlarzt tatsächlich entrichtet wurde, keinesfalls übersteigen. Bei der Ermittlung der Kostenerstattung sind die in den Honorarordnungen vertraglich vorgesehenen Verrechnungsbeschränkungen in qualitativer (zB Ausbildungs- und Ausrüstungserfordernisse, Fachgebietsbeschränkungen) und quantitativer (zB Limitierungen) Hinsicht entsprechend anzuwenden. Bei Berücksichtigung von quantitativen Verrechnungsbeschränkungen wird die Höhe der Kostenerstattung pro Leistung durch die Anwendung der Verrechnungsbe- schränkung auf die von allen entsprechenden Leistungserbringern (Wahlärzte, Wahleinrichtungen, Wahlbe- handler) erbrachten Leistungen dieser Art im Verhältnis zu den von diesen Leistungserbringern verrechneten Fällen ermittelt. Diese Durchschnittstarife für limitierte Leistungen werden in halbjährlichen Abständen anhand der zurückliegenden Abrechnungen errechnet und bis zur Neuanpassung angewendet."

Auch § 131 Abs 6 ASVG iVm § 25 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei in der wiedergegebenen Fassung sind für die rechtliche Beurteilung des gegenständlichen Falles vom Obersten Gerichtshof anzuwenden und damit ebenfalls präjudiziell im Sinne des Art 89 Abs 2 B-VG.

Auszugehen ist vom (nur einfachgesetzlich statuierten) Grundsatz der freien Arztwahl (SSV-NF 6/142 = SZ 65/159 = EvBl 1994/2; VfSlg 13.286): § 135 Abs 1 erster Satz ASVG normiert nämlich, daß die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, Wahlärzte (§ 131 Abs 1) sowie durch Ärzte in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt wird - und geht damit von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit dieser Leistung durch Vertragsärzte und Wahlärzte aus. Nach § 135 Abs 2 ASVG soll in der Regel die Auswahl zwischen mindestens zwei zur Behandlung berufenen, für den Erkrankten in angemessener Zeit erreichbaren Ärzten freigestellt sein; bestehen bei einem Versicherungsträger eigene Einrichtungen für die Gewährung der ärztlichen Hilfe oder wird diese durch Vertragseinrichtungen gewährt, muß die Wahl der Behandlung zwischen einer dieser Einrichtungen und einem oder mehreren Vertragsärzten (Wahlärzten) unter gleichen Bedingungen freigestellt sein. Das Vertrauen des Versicherten (Anspruchsberechtigten, Patienten) in den Arzt (seiner Wahl) ist einer der Hauptpfeiler der Heilbehandlung. Der Anspruchsberechtigte soll nicht einer einzigen Einrichtung des Krankenversicherungsträgers oder einem einzigen Vertragsarzt gegenüberstehen, sondern zumindest einen weiteren freiberuflich tätigen Arzt zur Auswahl haben, der nicht Vertragsarzt ist. Daß er durch das ASVG hiebei bloß auf einen Kostenersatz verwiesen wird, ist der Preis für diese Wahl (SSV-NF 6/41). Der Anspruchsberechtigte nimmt auch in Kauf, daß ihm nur die Kostenerstattung im Ausmaß des Honorars eines Vertragsarztes gewährt wird, wie dies nach der früheren Rechtslage vor dem SRÄG 1996 der Fall war: Ersetzt wird (wurde) nur, was die Sozialversicherung im Falle der Inanspruchnahme eines Vertragspartners geleistet hätte.

Durch die im Sinne des BGBl 1996/411 novellierte Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG sowie durch die im Sinne des BGBl 1996/764 neu angefügte Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG wird nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes jedoch nunmehr entgegen dieser vom Gesetzgeber selbst grundsätzlich gewährten freien Arztwahl der Anspruchsberechtigte, der einen Wahlarzt in Anspruch nimmt, gegenüber einem Anspruchsberechtigten, der einen Vertragsarzt (eine Vertragseinrichtung) in Anspruch nimmt, unsachlich schlechtergestellt. Letzterer hat nämlich (ausgenommen die Krankenscheingebühr - § 135 Abs 3 ASVG) aus eigenen Mitteln weder dem Vertragsarzt noch dem Sozialversicherungsträger irgendeine Geldleistung zu erbringen; in diesem Sinne ist die Behandlung durch den Vertragsarzt für den Patienten grundsätzlich "kostenlos" (ausgenommen bloß die Krankenscheingebühr). Demgegenüber hat ein Anspruchsberechtigter, der einen Wahlarzt aufsucht, nicht nur die diesbezüglichen Kosten zu bevorschussen (§ 25 Abs 1 zweiter Satz der Satzung der beklagten Partei), er muß vielmehr auch noch einen Eigenanteil von 20 % jener Kosten tragen, die die Patienten, die einen Vertragsarzt in Anspruch nehmen, wirtschaftlich überhaupt nicht belasten. In diesem Sinne leistet ein Wahlarztpatient eine Aufzahlung auf die Arztkosten, die den Patienten eines Vertragsarztes nach derzeitiger Gesetzes- und Verordnungslage nicht treffen können. Zu dieser Regelung kommt noch jene des § 135 Abs 3 letzter Satz ASVG, wonach - im Ergebnis - ein Patient, der einen Wahlarzt in Anspruch nimmt, auch noch einer weiteren Kostenbelastung von pauschal S 50 (analog der Krankenscheingebühr bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes) ausgesetzt ist, die für Rechnung des Versicherungsträgers vom Anspruchsberechtigten ebenfalls zu zahlen ist. Daraus erhellt - wobei auch aus den bereits zitierten Gesetzesmaterialien hiezu nichts Näheres zu entnehmen ist -, daß diese Gebühr dem Sozialversicherungsträger zukommen soll (arg dritter Satz leg cit: "für Rechnung des Versicherungsträgers"), und daß mit dieser Zahlung im weitesten Sinne wohl auch zur Deckung des Verwaltungsaufwandes des Sozialversicherungsträgers beigetragen werden soll. Damit bleibt aber für einen derartigen Patienten bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes eine Doppelbelastung bestehen, nämlich einerseits der 20 %ige Abzug nach § 131 Abs 1 ASVG und andererseits die Krankenscheingebühr von S 50 nach § 135 Abs 3 ASVG.

Gegen diese Regelung bestehen im Hinblick auf den in Art 7 B-VG, Art 2 StGG normierten Gleichheitsgrundsatz Bedenken.

Der Gleichheitssatz bindet auch den Gesetzgeber, wonach im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 12.333 uva) nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen zulässig sind. Eine solche Differenzierung setzt relevante Unterschiede im Tatsachen- bereich im Sinne objektiver Unterscheidungsmerkmale voraus. Der Gesetzgeber muß an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen; wesentlich ungleiche Tatbestände müssen zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen. Aus dem Gleichheitssatz wurde vom Verfassungsgerichtshof daher in verstärktem Maße auch ein allgemeines Sachlichkeitsgebot für den Gesetzgeber abgeleitet (Mayer, B-VG**2 466), wobei auf die objektive Wirkung (den objektiven Gehalt) einer Regelung und nicht auf die Motive des Gesetzgebers abgestellt wird. Liegen differenzierende Regelungen vor, so ist ein Normenvergleich durchzuführen. Es ist zu fragen, ob die jeweils erfaßten Sachverhalte so unterschiedlich sind, daß sie die unterschiedlichen Rechtsfolgen rechtfertigen und zu tragen vermögen. Es kann aber auch sein, daß eine Regelung einen komplexen Sachverhalt mit einer Rechtsfolge verknüpft. Diesfalls ist zu fragen, ob die verschiedenen Sachverhaltselemente es trotz ihrer Verschiedenheit zulassen, mit der gleichen Rechtsfolge bedacht zu werden oder ob nicht differenzierte Rechtsfolgen notwendig wären. Jede Sachlichkeitsprüfung von Gesetzen hat zunächst eine derartige Prüfung mit der Relation von Sachverhalt und Rechtsfolge vorzunehmen. Sie kann zum Ergebnis führen, daß diese Regelung schon an sich auf keinem "vernünftigen" Grund beruht. In diesem Falle ist ein Gesetz als gleichheitswidrig anzusehen (Mayer, aaO).

Der Oberste Gerichtshof übersieht nicht, daß Vertragsärzte - anders als Wahlärzte - in einem organisatorischen Naheverhältnis zum Krankenversicherungs- träger stehen und sich ihre Honorierung aus der Honorarordnung des Gesamtvertrages ergibt, wonach das Gesamthonorar auch durch Deckelungen und Punktwertdegressionen beeinflußt wird, daß aber weiters den Vertragsärzten aus den Einzelverträgen nicht nur Rechte zukommen, sondern ihnen auch bestimmte Verpflichtungen auferlegt sind (Residenzpflicht, Mindestordinationszeiten, Behandlungspflicht unter Umständen ohne Honorar bei Überschreitung der Deckelung usw).

Diese an sich zur Begründung der unterschiedlichen Behandlung von Vertrags- und Wahlärzten tauglichen Gesichtspunkte wurden aber in den oben zitierten Gesetzesmaterialien gar nicht angesprochen. Dort wurde zur Begründung der Neuregelung vielmehr ausgeführt, in jüngster Zeit werde wahlärztliche Hilfe mehr und mehr in Anspruch genommen und dadurch würden die Ausgaben für die Kostenerstattung stark ansteigen; zur Abdeckung der höheren Verwaltungskosten solle in Hinkunft der Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung nur mehr in Höhe von 80 % ... gebühren. Dies führe im Bereich des ASVG zu bestimmten ziffernmäßig genannten Einsparungen. Ob diese in den zitierten Materialien dargelegten Gesichtspunkte sachlich überhaupt zutreffen, vermag der Oberste Gerichtshof jedoch nicht zu beurteilen: Die Fragen des angeblich starken Ansteigens der Inanspruchnahme von Wahlärzten und der damit angeblich verbundenen höheren Verwaltungskosten sowie des angeblichen Einsparungseffektes sind durchwegs solche Fragen, die mit dem Entscheidungsgegenstand der vorliegenden Sozialrechtssache überhaupt nichts zu tun haben, die nicht Prozeßgegenstand sind, über die den Parteien dieses Verfahrens keine Disposition zukommt und deren Beantwortung auch dem Obersten Gerichtshof mangels entsprechender Sachverhaltsunterlagen nicht möglich ist. Die Überprüfung der den Gesetzgeber leitenden tatsächlichen Gesichtspunkte soll insoweit dem Verfassungsgerichtshof nicht genommen werden. Nur im Normenprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist gewährleistet, daß die jeweils verantwortlichen Parteien beteiligt sind und ihre Stellungnahmen abgeben können. Für eine Anfechtung von Normen genügt es auch, daß das Gericht Bedenken gegen die Sachgerechtheit einer Norm hegt; nicht erforderlich ist hingegen, daß es von der Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit der Norm überzeugt ist.

Ob die unterschiedlichen Regelungen im Kostentragungsrecht bezüglich Vertragsärzten einerseits und Wahlärzten andererseits einen den Kriterien der Sachgerechtheit standhaltenden nachvollziehbaren Grund haben, insbesonderen jenen der Verwaltungsökonomie, der in den Materialien als maßgebend in den Vordergrund gestellt wird, ist mit den Mitteln des Sozialgerichtsverfahrens nicht zu klären, die insoweit bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken sind damit vom Obersten Gerichtshof nicht auszuräumen.

Diese Überlegungen sind auch auf die Bestimmung des - vom Anfechtungsbeschluß ebenfalls erfaßten - § 131 Abs 6 ASVG anzuwenden, weil aus dessen ebenfalls bereits wiedergegebenen Gesetzesmaterialien als Begründung für die Gewährung weiterer Wahlarztkosten nur die mangelnde ärztliche Versorgung überhaupt angeführt ist, jedoch keinerlei Auskünfte über die bereits zitierte Beschränkung auf 80 % der Vertragsarztkosten schlechthin ersichtlich ist. Ist aber die Beschränkung auf 80 % der Vertragsarztkosten verfassungsrechtlich bedenklich, so muß dies aufgrund des engen normativen Sachzusammenhanges auch für die Bestimmung des § 131 Abs 6 ASVG gelten.

Ausgehend von diesen Überlegungen betreffend Bedenken der Verfassungskonformität des § 131 Abs 1 und 6 ASVG folgt, daß auch der durch die zweite Änderung der Satzung der beklagten Partei Amtliche Verlautbarung Nummer 87/1996 (SozSi 1996, 757) in § 25 Abs 1 erster Satz ihrer Satzung 1995 Amtliche Verlautbarung Nummer 66/1995 (SozSi 1995, 512) zwischen den Worten "zuzüglich" und "allfälliger" eingefügte Ausdruck "80 %" (korrespondierend mit § 131 Abs 1 und 6 ASVG) keine gesetzliche Grundlage mehr hat (Art 18 Abs 2 B-VG). In diesem Sinne hat sich der Anfechtungsantrag daher auch auf diese (geänderte) Satzungsbestimmung zu erstrecken. Satzungen der Krankenversicherungsträger sind nämlich nach herrschender Auffassung dem Legalitätsprinzip unterliegende Rechtsverordnungen (VfSlg 3.709, 5.422; SSV-NF 8/105; SozSi 1998, 218 = ZAS 1998/9 = DRdA 1998/27, jeweils auch mwN).

Für den Fall des Erfolges der Anfechtung im Sinne dieses Vorlagebeschlusses wäre die Rechtslage vor dem SRÄG 1996 BGBl 411 (53. ASVG-Novelle) bzw dem 2. SRÄG 1996 BGBl 764 wiederhergestellt, welche dem Versicherten (Kläger) den Ersatz der Wahlarztkosten des konsultierten Facharztes für Nuklearmedizin im vollen Umfang der Vertragsarztkosten gewährleistet.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher veranlaßt, ob der aufgezeigten Bedenken einen entsprechenden Gesetzes- und Verordnungsprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf der im Spruch zitierten Gesetzesstelle.

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