OGH 1Ob334/98v

OGH1Ob334/98v15.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** A***** regGenmbH, ***** vertreten durch Dr. Josef Schima, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Eduard R*****, und 2. Ingrid R*****, beide ***** vertreten durch Dr. Engelbert Reis, Rechtsanwalt in Horn, wegen S 104.404,46 sA und Räumung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 12. Mai 1998, GZ 2 R 53/98a-20, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Horn vom 10. Oktober 1997, GZ 1 C 612/96v-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit Kaufvertrag vom 9. 9. 1982 erwarben die Beklagten von der klagenden Partei eine Wohnung, wobei sie den Kaufpreis teils bar bezahlten, teils sich aber zu monatlichen Leistungen (Darlehensrückzahlung, Begleichung der Betriebs- und Verwaltungskosten) verpflichteten.

Die klagende Partei begehrte von den Beklagten die Zahlung von S 104.404,46 sA und die Räumung der Wohnung. Die Beklagten seien ihren Zahlungsverpflichtungen nur zum Teil nachgekommen. Aufgrund eines bestehenden Zahlungsrückstands sei die klagende Partei berechtigt, den Kaufvertrag durch einseitige Erklärung mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Sie habe die Beklagten unter Setzung einer vierwöchigen Frist zur Bezahlung des Zahlungsrückstands unter Androhung des Vertragsrücktritts und der Räumungsklage aufgefordert. Dennoch sei keine Zahlung erfolgt, sodaß der Kaufvertrag "gemäß § 1118 ABGB in Einklang mit § 15 des Kaufvertrags" mit sofortiger Wirkung zur Auflösung gebracht werde.

Die Beklagten wurden zur Tagsatzung (Streitverhandlung) vom 19. 11. 1996 geladen. Bei dieser erschien bloß der Erstbeklagte, der gegen Nachbringung der Vollmacht binnen 14 Tagen gemäß § 38 Abs 2 ZPO vorläufig auch für die Zweitbeklagte zugelassen wurde. Der Erstbeklagte bestritt das Klagsvorbringen, beantragte Klagsabweisung und wendete ein, daß der in der Klage angeführte Zahlungsrückstand - zumindest in der behaupteten Höhe - nicht bestehe. Zur Tagsatzung vom 5. 6. 1997 wurden beide Beklagten geladen. Abermals erschien nur der Erstbeklagte unter Vorlage einer von der Zweitbeklagten ausgestellten Vollmacht vom 5. 6. 1997. In dieser Tagsatzung wurde unter anderem festgehalten, daß der Erstbeklagte wegen der Anwaltspflicht nicht in der Lage sei, die Zweitbeklagte zu vertreten, sodaß diese als unvertreten anzusehen sei. Der Erstbeklagte beantragte im Wege der Bewilligung der Verfahrenshilfe die Beigebung eines Rechtsanwalts.

Mit Beschluß vom 31. 7. 1997 wies das Erstgericht den Antrag des Erstbeklagten auf "Bewilligung der Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwalts" mit der Begründung ab, daß er dem Auftrag zur Vorlage eines Vermögensbekenntnisses nicht nachgekommen sei. Zur Tagsatzung vom 30. 9. 1997, zu welcher beide Beklagten geladen worden waren, ist von Beklagtenseite niemand erschienen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Beklagten seien trotz absoluter Anwaltspflicht anwaltlich nicht vertreten gewesen, sodaß sie als nicht erschienen und ihr Vorbringen als nicht erstattet anzusehen seien. Mangels wirksamer Bestreitung des Klagsvorbringens sei dieses für wahr zu halten. Ein "echtes Versäumungsurteil" habe mangels entsprechenden Antrags nicht gefällt werden können. Dem dem Klagsvorbringen entsprechenden Sachverhalt zufolge seien die Beklagten zur Räumung der Wohnung und zur Bezahlung des rückständigen Nutzungsentgelts zu verpflichten.

Das Berufungsgericht verwarf die von den Beklagten erhobene Berufung wegen Nichtigkeit und gab der Berufung im übrigen nicht Folge; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt S 260.000 übersteige und daß die ordentliche Revision zulässig sei. Die Unterlassung der Belehrung über die Anwaltspflicht begründe keine Nichtigkeit, sondern nur eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Den Beklagten seien sowohl die Klage wie auch die Ladung zur Tagsatzung vom 19. 11. 1996, in der die Belehrung über den Anwaltszwang enthalten gewesen sei, zugestellt worden. Auch die Ladung zur Tagsatzung vom 30. 9. 1997 sei ihnen ordnungsgemäß zugestellt worden. Ihnen sei daher die Möglichkeit, zu verhandeln, in keinem Verfahrensstadium genommen gewesen. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liege demnach nicht vor. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, mittels eines gewählten Rechtsanwalts am Verfahren teilzunehmen. Spätestens seit der Tagsatzung vom 5. 6. 1997 seien sie in Kenntnis davon gewesen, daß Anwaltspflicht bestehe. Sie seien daher gemäß § 133 Abs 3 ZPO so zu behandeln, als wären sie "im Verfahren nicht erschienen". Ex lege sei zwar noch vor Schluß der Verhandlung Ruhen des Verfahrens eingetreten, weil die klagende Partei keinen Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils gestellt habe. Das Erstgericht hätte daher kein Urteil fällen dürfen. Gegen eine unzulässige Gerichtsentscheidung könnten die Beklagten ein Rechtsmittel erheben, und die Zulässigkeit ihrer Berufung sei nicht von der Geltendmachung eines bestimmten Berufungsgrunds abhängig. Die Fällung des Urteils durch das Erstgericht ohne entsprechenden Parteienantrag stelle keine Nichtigkeit, sondern bloß einen Verfahrensmangel dar. Diesen Mangel hätten die Beklagten in ihrer Berufung nicht geltend gemacht, sodaß das Berufungsgericht darauf nicht eingehen könne. Das Erstgericht habe das Vorbringen der klagenden Partei, zumal es durch vorliegende Beweise nicht widerlegt gewesen sei, für wahr halten müssen. Das Versäumungsurteil sei daher frei von Rechtsirrtum ergangen.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Gericht zweiter Instanz damit, daß es bei Beantwortung der Frage, ob gegen ein ungeachtet des Nichtvorliegens eines Antrags auf Erlassung eines Versäumungsurteils ergangenes Urteil eine Berufung nur eingeschränkt auf den "Berufungsgrund der Geltendmachung dieses Verfahrensmangels" oder ohne diese Einschränkung zulässig sei, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei. Abgesehen davon müsse die Frage beantwortet werden, welche Wirksamkeit ein mangels Antrags unzulässigerweise gefälltes Versäumungsurteil entfalte, wenn man eine Berufung dagegen nicht zuließe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist unzulässig.

Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Eine relevante erhebliche Rechtsfrage ist nicht ersichtlich und wird in der Revision auch nicht aufgezeigt:

Das Berufungsgericht hat die Berufung gegen eine "unzulässige Gerichtsentscheidung" uneingeschränkt zugelassen, weil die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht von der Geltendmachung eines bestimmten Rechtsmittelgrunds abhängen dürfe. Durch diese uneingeschränkte Zulassung der Berufung sind die Beklagten keinesfalls beschwert, zumal das Gericht zweiter Instanz gerade deshalb eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung vorgenommen hat. Die Beantwortung der Frage, ob gegen unzulässige Gerichtsentscheidungen die Berufung tatsächlich uneingeschränkt offensteht, wäre bloß rein theoretischer Natur; eine erhebliche Rechtsfrage ist somit nicht zu lösen. Das gilt auch für die gleichfalls rein theoretische Frage, welche Rechtswirkungen an ein Versäumungsurteil, das mangels Antrags unzulässigerweise gefällt wird, geknüpft sind, sofern man eine Berufung nicht zuließe, ist doch die Berufung ohnehin als zulässig erkannt worden.

In der Revision werden gleichfalls keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung aufgezeigt. Das Erstgericht hätte - worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist - an sich ohne Antrag der klagenden Partei kein Versäumungsurteil gemäß § 442 ZPO fällen dürfen (RdW 1996, 117; SZ 56/174; SZ 48/46 ua; Fasching, LB2 Rz 612, 1401; Rechberger in FS Kralik, 273 [278]). Dennoch ist im vorliegenden Fall nicht weiter zu prüfen, ob die Erlassung eines Versäumungsurteils ohne entsprechenden Antrag der klagenden Partei einen Nichtigkeitsgrund (so RdW 1996, 117) oder bloß einen Verfahrensmangel (so Fasching aaO Rz 1401; Rechberger in Rechberger ZPO, Rz 10 zu § 397; derselbe aaO) begründet: Denn zum einen hat das Gericht zweiter Instanz das Vorliegen einer in der Fällung eines Versäumungsurteils ohne Antragstellung gelegenen Nichtigkeit ausdrücklich verneint (S 9 des Berufungsurteils), sodaß dieser Nichtigkeitsgrund im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden kann (SZ 68/3; JBl 1994, 689; Kodek in Rechberger ZPO Rz 2 zu § 503 mwN), zum andern haben die Beklagten in ihrer Berufung insofern einen Verfahrensmangel gar nicht ins Treffen geführt, sodaß das Berufungsgericht diesen Mangel gar nicht hätte wahrnehmen dürfen und dieser Mangel auch als Revisionsgrund nicht mehr geltend gemacht werden kann (Kodek aaO Rz 3 zu § 503 mwN).

Den Ausführungen der Beklagten, die von der klagenden Partei vorgenommene Vertragsauflösung "im Sinne des § 1118 ABGB" sei rechtlich verfehlt, weil zwischen den Streitteilen ein Kaufvertrag geschlossen worden sei, und es müsse § 13 KSchG zur Anwendung kommen, ist zu erwidern:

Den Klagsausführungen, die für wahr zu halten sind, ist zu entnehmen, daß die klagende Partei ein Dauerschuldverhältnis zur Auflösung bringen wollte. Ein solches kann aus wichtigen Gründen jederzeit durch außergerichtliche Erklärung vorzeitig aufgelöst werden (Würth in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 1118 mwN). Um die Berechtigung der Auflösung des Vertragsverhältnisses darzutun, berief sich die klagende Partei auf die Bestimmungen des Kaufvertrags und den - unbestrittenen - Zahlungsrückstand der Beklagten. § 13 KSchG ist schon deshalb nicht anzuwenden, weil die klagende Partei nicht die sofortige Entrichtung der gesamten, noch offenen Schuld forderte, also gar nicht Terminsverlust geltend machte, sondern die vertraglich bedungene Auflösung des Kaufvertrags und die Räumung als die daran geknüpfte Folge begehrte.

Die Revision ist demnach mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten nicht hingewiesen, sodaß ihr für die Revisionsbeantwortung keine Kosten gebühren.

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