OGH 10ObS193/98z

OGH10ObS193/98z24.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Edith Matejka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Marina G*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, vertreten durch Hager und Teuchtmann, Rechtsanwälte in Linz, wegen Kostenerstattung (S 61.600), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. März 1998, GZ 12 Rs 37/98t-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 28. Oktober 1997, GZ 11 Cgs 59/97z-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin einen mit S 2.029,44 bestimmten Teil der Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 338,24 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 28. 6. 1965 geborene Klägerin leidet an primärer Sterilität (Unfruchtbarkeit). Zwecks Erfüllung ihres Kinderwunsches ließ sie zweimal eine In-vitro-Fertilisation (künstliche Befruchtung mit Embryonen-Transfer iSd § 1 Abs 2 Z 2 und 3 FMedG) durchführen; sie bezahlte dafür im März 1996 S 26.400 und im November 1996 S 35.200, insgesamt also S 61.600. Beide Versuche blieben erfolglos.

Mit Bescheid vom 4. 8. 1997 wies die beklagte Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin auf Übernahme dieser Kosten ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß im Fall einer In-vitro-Fertilisation keine Krankenbehandlung stattfinde, die geeignet wäre, einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand zu beheben.

Mit ihrer dagegen rechtzeitig erhobenen Klage begehrt die Klägerin einen Kostenersatz für die Behandlungen in Höhe von S 61.600. Dazu brachte sie vor, daß bei ihr ein regelwidriger und behandlungsbedürftiger Körperzustand, also eine Krankheit vorliege und daß die In-vitro-Fertilisation eine Krankenbehandlung darstelle, weil durch sie die Unfähigkeit zur Reproduktion menschlichen Lebens zumindest punktuell aufgehoben werde. Die Kosten und die Erfolgsaussichten seien nicht unverhältnismäßig. Die Beklagte sei daher im Rahmen der Krankenbehandlung zur Kostentragung verpflichtet.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Kinderlosigkeit als solche könne nicht als Krankheit bezeichnet werden. Die Klägerin sei daher nicht krank, so daß eine Krankenbehandlung nicht erforderlich sei. Eine In-vitro-Fertilisation könne nicht als Bekämpfung von krankhaften Veränderungen an der Wurzel betrachtet werden.

Unbestritten ist, daß die Klägerin wegen ihrer Kinderlosigkeit nicht an einer psychischen Erkrankung leidet.

Das Erstgericht wies unter Zugrundelegung des eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhaltes das Klagebegehren ab. Es erörterte in rechtlicher Hinsicht die Begriffe der Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG und der Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG und gelangte zu dem Ergebnis, daß der regelwidrige Körperzustand bei der Klägerin in der Unfähigkeit einer Schwangerschaft auf natürlichem Weg bestehe. Da das Fehlen einer Schwangerschaft ebenso wie die Schwangerschaft selbst keine Krankheit darstelle und die IvF im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG auch nicht als Maßnahme anzusehen sei, durch die die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit oder die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden könne, handle es sich bei der IvF entgegen der im Schrifttum vertretenen Ansicht nicht um Krankenbehandlung im Sinne des ASVG. Aus gesellschafts- oder familienpolitischen Gründen seien zwar bei einer ständig sinkenden Zahl von Erwachsenen, die bereit seien, ihr Leben auch an einem Kinderwunsch zu orientieren, staatliche Maßnahmen wünschenswert, um die Kosten einer solchen Behandlung nicht zur Gänze den Eltern aufzuerlegen, jedoch sei eine Sozialversicherungsdeckung der IvF in der geltenden Rechtslage aus den genannten Gründen nicht vorgesehen, weshalb das Klagebegehren nicht berechtigt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Unter Krankheit verstehe § 120 Abs 1 Z 1 ASVG einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig mache. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung stünden daher nur dann zu, wenn ein bestimmter Körper- oder Geisteszustand zunächst als regelwidrig erkannt worden sei und zu dieser Grundvoraussetzung das weitere Begriffsmerkmal der Behandlungsbedürftigkeit hinzutrete. Unter einem regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand werde üblicherweise eine Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens verstanden. Regelwidrig sei jedes Abweichen von der Norm "Gesundheit" bzw jede vom "Leitbild des gesunden Menschen" abweichende Erscheinung. Die Anerkennung einer behaupteten Störung als regelwidrig setze überdies voraus, daß sie auch nach den jeweiligen gesellschaftlichen Wertvorstellungen auf Kosten der Sozialversicherung beseitigt werden solle. Regelwidrig sei daher ein Zustand, der aus der Sicht der Versicherten das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung erkläre, der aus der Sicht des Arztes ärztliches Tätigwerden in Form von Diagnose und Behandlung erfordere und der nach allgemeiner Auffassung auf Kosten der Versichertengemeinschaft therapiert werden solle. Hingegen spiele für die Frage der Behandlungsbedürftigkeit keine Rolle, ob durch die Krankenbehandlung eine endgültige oder vollständige Heilung des Patienten erreicht werden könne. Es komme auch nicht darauf an, welches Ergebnis die Behandlung schließlich gehabt habe. Entscheidend sei, ob der regelwidrige Zustand des Versicherten nach den Regeln der ärztlichen Kunst einer Heilbehandlung mit dem Ziel der Heilung, zumindest der Besserung oder Verhütung der Verschlimmerung des anormalen Zustandes oder der Linderung von Schmerzen zugänglich sei (insoweit folgte das Berufungsgericht den Ausführungen von Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht? ZAS 1986, 145 ff, insb 149).

In der Lehre werde überwiegend die Ansicht vertreten, daß es sich bei der Sterilität einer Frau um einen regelwidrigen, also um einen vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körperzustand handle (vgl Bernat, VersRdSch 1987, 345; Holzer, JBl 1985, 183). Die bisherige Rechtsprechung sei dieser Auffassung weitgehend ablehnend gegenübergetreten. Das Oberlandesgericht Wien habe in seiner Entscheidung SSV 24/53 die Ansicht vertreten, daß sich der Begriff der Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn nicht mit dem medizinischen Krankheitsbegriff decke und es sich bei der Sterilität einer Frau nicht um eine Krankheit im Sinne des § 120 ASVG, sondern eher um ein Gebrechen im Sinne des § 154 ASVG handle. Weiters habe das Oberlandesgericht Wien die Ansicht vertreten, daß die Vornahme einer IvF nicht einer Krankenbehandlung im Sinne des § 133 ASVG gleichzusetzen sei, weil sie nicht der Wiederherstellung einer gestörten Organfunktion oder der Wiederherstellung der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit und der Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, diene und den an sich gegebenen regelwidrigen Körperzustand, nämlich die Unfähigkeit zu einer natürlichen Empfängnis nicht zu beheben geeignet sei, sondern lediglich eine Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aufgrund des Kinderwunsches der Versicherten darstelle. Dem Einwand, daß von der Rechtsprechung auch beispielsweise bei der Behandlung eines Zuckerkranken mit Insulin oder einer Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz körperliche Dauerschäden sehr wohl als Krankheit anerkannt würden, habe bereits das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung SSV 25/50 entgegengehalten, daß sich in den genannten Fällen der Gesundheitszustand des Patienten ohne diese Behandlungen verschlechtern würde, so daß sie zur Festigung seiner Gesundheit dienten. Demgegenüber würde sich auch ohne die außerkörperliche Befruchtung der Körperzustand der Patientin nicht verschlechtern. Selbst wenn man davon ausgehe, daß Sterilität eine Krankheit sei, fehle es an der für die Verpflichtung zur Kostentragung erforderlichen weiteren Voraussetzung, daß es sich bei der IvF um eine Krankenbehandlung im Sinne des ASVG handle. Damit im Einklang stehe auch die vom Obersten Gerichtshof in den Entscheidungen SSV-NF 2/115 und 10/45 geäußerte Rechtsansicht, daß eine Sterilisation dann von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt sei, wenn sie im Einzelfall erforderlich sei, um die mit einer Schwangerschaft verbundene Gefahr eines schweren gesundheitlichen Nachteils von der Frau abzuwenden. Es treffe zwar zu, daß dieser Eingriff nicht unmittelbar eine Besserung des bestehenden Leidenszustandes zum Ziel habe, er bezwecke aber die mit einer Schwangerschaft verbundene Verschlechterung zu verhindern und diene damit, wenn auch nicht durch unmittelbare Einwirkung auf den Leidenszustand, der Festigung der Gesundheit der Frau.

Dem von der Klägerin vorgetragenen Argument, eine Behandlungsbedürftigkeit liege schon dann vor, wenn durch die ärztliche Hilfe weitergehende Beschwerden und Folgekrankheiten abgewendet werden könnten, so daß durch Kinderlosigkeit ausgelöste psychische Defekte insbesondere langwierige Depressionen an der Wurzel und nicht durch kaum weniger kostspielige Symptombehandlung zu bekämpfen seien und daher in die Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung fiele, sei im vorliegenden Fall entgegengehalten, daß bei der Klägerin über die Sterilität hinaus keine sonstigen gesundheitlichen, insbesondere psychischen Probleme mit Krankheitswert vorlägen. Es müsse daher auch nicht dazu Stellung genommen werden, ob eine IvF-Behandlung eine adäquate Krankenbehandlung für aufgrund des unerfüllten Kinderwunsches bei der Versicherten aufgetretene psychische Störungen wären.

Im vorliegenden Fall sei alleiniges Ziel der IvF-Behandlung die Geburt eines Kindes, somit die Erfüllung eines bisher unerfüllten individuellen Wunsches. Nicht jeder verständliche, aber unerfüllt bleibende Lebenswunsch im medizinischen Bereich könne eine Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung begründen. Die Anerkennung einer behaupteten Störung als regelwidrig im Sinne des Krankenversicherungsrechtes setze vielmehr voraus, daß diese Störung auch nach den jeweiligen gesellschaftlichen Wertvorstellungen auf Kosten der Sozialversicherung beseitigt werden solle. Bei der Anwendung des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffes auf konkrete Sachverhalte müsse zur Prüfung der Zuordnung zur versicherten oder zur privaten Risikosphäre auf jene Wertungen abgestellt werden, die den sozialpolitischen Wurzeln der sozialen Krankenversicherung entsprächen und auch punktuell Niederschlag im Leistungsrecht gefunden hätten. Wie Kletter ("Wunschkind auf Krankenschein?", SozSi 1996, 325 ff) ausführlich und überzeugend dargestellt habe, sei bei der Schaffung der sozialen Krankenversicherung der enge Bezug zur Erwerbstätigkeit im Vordergrund gestanden. Einen konkreten Niederschlag im Sachleistungsrecht des ASVG habe dies etwa bei der Regelung der kosmetischen Behandlung (§ 133 Abs 3), der Kieferregulierungen (§ 153 Abs 1) und der Hilfe bei körperlichen Gebrechen (§ 154 Abs 1) gefunden. Daraus ergebe sich, daß etwa eine für jedermann erkennbare Verunstaltung ohne Berufsbezug, die keine funktionelle Beeinträchtigung beinhalte, nicht als versichertes Risiko bewertet werde. Dadurch werde auch das Interesse der Dienstgeber und deren anteilige Beitragspflicht zur sozialen Krankenversicherung begründet und gleichzeitig auch begrenzt. Die ausschließlich die private Lebensgestaltung betreffende Erfüllung des Kinderwunsches gehöre hingegen nicht zu jenen Risiken wie beispielsweise das Überleben, die Freiheit von Schmerzen, die Arbeitsfähigkeit und die Selbsthilfefähigkeit. An dieser Beurteilung könne auch der Hinweis auf die Bestimmungen des FMedG und die Rechtslage in Deutschland nichts ändern, weil das FMedG die künstlichen Befruchtungsmethoden ausschließlich medizinisch, nicht aber kostenersatzmäßig näher reglementiere und eine Übernahme der deutschen Rechtslage zur IvF auf österreichische Verhältnisse den Unterschieden in den Systemen nicht gerecht würde. Zusammenfassend hielt das Berufungsgericht das Kostenerstattungsbegehren der Klägerin für nicht berechtigt, weil zum einen die IvF-Behandlung nicht als Krankenbehandlung im Sinne des § 133 ASVG anzusehen sei und zum anderen die mit dieser Behandlung allein bezweckte Erfüllung des Kinderwunsches nicht der Risikosphäre der gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet werden könne.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 46 Abs 1 ASGG zulässig sei, weil zur Frage, ob die Kosten einer IvF von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen seien, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung dahin, daß ihrem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage der Erstattung von Kosten einer IvF-Behandlung einer sterilen Frau ausschließlich zur Erfüllung des Kinderwunsches noch nicht Stellung genommen hat. Die Entscheidung 10 ObS 2371/96s (= SSV-NF 11/2 = JBl 1997, 673) betraf die an einer gesunden Versicherten wegen des krankhaften Zustandes ihres zeugungsunfähigen Mannes vorgenommene künstliche Insemination, die nach dieser Entscheidung keine Krankenbehandlung der Frau darstellt. Die weitere Entscheidung 10 ObS 115/98d betraf eine an sich körperlich gesunde Frau, die behauptete, wegen der zufolge Zeugungsunfähigkeit ihres Ehemannes bestehenden Kinderlosigkeit an Depressionen zu leiden und Kostenerstattung für drei IvF-Behandlungen begehrte.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin vertritt nach wie vor die Rechtsauffassung, daß ihrem Zustand Krankheitswert zukomme, auch wenn bei ihr über die Sterilität hinaus keine sonstigen gesundheitlichen, insbesondere psychische Probleme mit Krankheitswert vorliegen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung könne der bleibende Zustand der Unfruchtbarkeit zweifellos zumindest zu einer psychischen, im Hinblick auf psychosomatische Vorgänge jedoch in der Folge meist auch zu physischen Beeinträchtigungen führen, denen Krankheitswert zukomme. Die Erfüllung eines Kinderwunsches stelle nicht nur ein individuelles Anliegen der Klägerin dar, sondern sei geeignet, ihre Gesundheit zu festigen und zu verstärken, so daß hier auch ein Bezug zur Leistungsfähigkeit im Berufsleben in positiver Hinsicht hergestellt sei. Zweifelsfrei stelle der Zustand der Unfruchtbarkeit einen regelwidrigen Körperzustand dar, so daß die Beklagte die Kosten für dessen Behebung zu tragen habe.

Diesen Ausführungen ist im Ergebnis nicht beizupflichten. Das

Revisionsgericht hält vielmehr die rechtliche Beurteilung des

Berufungsgerichtes für zutreffend, daß eine IvF-Behandlung nicht als

Krankenbehandlung im Sinne des § 133 ASVG anzusehen ist und die mit

dieser Behandlung allein bezweckte Erfüllung des Kinderwunsches nicht

der Risikosphäre der sozialen Krankenversicherung zugerechnet werden

kann. Diese Auffassung wurde auch in ständiger Rechtsprechung vom

Oberlandesgericht Wien als bis zur Einführung des ASGG

sozialversicherungsrechtlichen Höchstgericht vertreten (SSV 24/53 =

JBl 1985, 182 [Holzer]; SSV 25/50 = SVSlg 28.934; SVSlg 31.133 ff ).

Es trifft zu, daß in der Literatur überwiegend der gegenteilige Standpunkt eingenommen wurde. Bereits vor mehr als 20 Jahren meinte Spitaler, es sei nicht möglich, jene speziellen Leistungen (Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) aufzuzählen, die der Erreichung des Zweckes - Erfüllung des Kinderwunsches - dienen könnten. Man könne daher nur allgemein feststellen, daß jede nach dem jeweiligen Stand der Medizin anerkannte Methode, sei sie noch so diffizil und kostenaufwendig, von den Kassen akzeptiert werden müsse, wenn sie im Einzelfall zweckmäßig und notwendig sei. Die Kostenübernahme des Krankenversicherungsträgers könne auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Behandlung im Einzelfall tatsächlich erfolgreich sei oder nicht. Als Beispiel für eine konkrete Maßnahme wäre etwa die künstliche Befruchtung zu nennen, wenn auf normalem Weg eine Empfängnis nicht möglich sei (SozSi 1976, 389, 391). Holzer hielt der Rechtsprechung des OLG Wien entgegen, daß die IvF den Anforderungen an die Krankenbehandlung entspreche, weil sie ohne weiteres als Wiederherstellung der Gesundheit gewertet werden könne; sie ermögliche nämlich der unfruchtbaren Frau die völlige Gleichstellung mit einer gesunden Frau, indem sie ihre Zeugungsunfähigkeit gerade in dem Ausmaß korrigiere, das nötig sei, um die Kinderlosigkeit zu vermeiden. Auch die Zeugungsfähigkeit der gesunden Frau werde ja nicht permanent in Anspruch genommen, so daß es durchaus ausreiche, um den Status einer gesunden Frau zu erreichen, daß die Zeugung von Kindern in einem Ausmaß ermöglicht werde, wie es der jeweiligen gesellschaftlichen Norm der Familiengröße entspreche. Es liege daher schon im Umstand der Beseitigung der Kinderlosigkeit die Behebung einer Regelwidrigkeit gegenüber dem Leitbild eines gesunden Menschen, was praktisch die Wiederherstellung der Gesundheit bedeute (JBl 1985, 183 f). Dieser Auffassung schloß sich Bernat an (Extrakorporale Befruchtung und künstliche Insemination als Krankenbehandlung im Sinne von §§ 120, 133 ASVG? VersRdSch 1987, 345 ff; Rechtsfragen medizinisch assistierter Zeugung [1989] 64 ff; Entscheidungsbesprechung RdM 1997, 157 ff). Er verwies darauf, daß in der Praxis der Sozialgerichtsbarkeit seit jeher auch solche Leiden als Krankheiten im Sinne des § 120 ASVG qualifiziert würden, die durch bloße Substitution des völlig irreversiblen Organausfalls eine Linderung oder Heilung des beeinträchtigten Gesundheitszutandes versprechen. So sei noch nie in Zweifel gezogen worden, daß die Zuckerkrankheit eine Krankheit sei, obwohl ihr in vielen Fällen der gänzliche Ausfall der Bauchspeicheldrüse zugrundeliege. Ähnliches gelte für viele Krankheiten, die nur in den Symptomen, nicht mehr aber dem Grunde nach behandelbar seien: Insulininjektion beim Zuckerkranken, Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz. Das Gesetz sehe aber auch die Verordnung von Heilbehelfen vor, wozu nach § 137 Abs 1 ASVG auch Brillen gehörten. Die Brille korrigiere zwar gewisse Sehstörungen, vermöge aber nicht den eigentlichen Zustand des Auges zu verändern. Ähnlich verhalte es sich nach Ansicht Bernats bei der IvF und den daran anschließenden autologen Embryotransfer. Das primär kranke System bzw die erkrankte Stelle werde nicht behandelt, sondern bloß "umgangen bzw überlistet". Im Endeffekt erlaube diese Art von Substitutionstherapie jedoch die Überwindung der Kinderlosigkeit, genauer die Herbeiführung von Schwangerschaft und Geburt und daher die Gleichstellung mit dem Leitbild der gesunden Frau, bei der die Empfängnis auf natürlichem Weg stattfinden könne. Diesem Standpunkt hat sich Binder angeschlossen (Aktuelle Fragen im Leistungsrecht der Krankenversicherung, ZAS 1990, 11 f; ähnlich in: Tomandl [Herausgeber], Der OGH als Sozialversicherungshöchstgericht 7 f): Zur Beseitigung der drohenden Kinderlosigkeit reiche es aus, die Zeugungsfähigkeit bloß zu punktuellen Anlässen herbeizuführen; eine endgültige und vollständige Heilung sei nicht erforderlich und vom sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff her gesehen auch gar nicht geboten. Mazal bezeichnet die Gewährung von IvF als Maßnahme der Krankenbehandlung als dogmatisch immer noch ungelöstes Problem, was man zB daran erkennen könne, daß sich eine Ablehnung dieser Leistung - zumindest im homologen System - praktisch nicht begründen lasse, wenn man der Beurteilung nicht die Tubenanomalie, sondern die Gesamtfunktionalität des Reproduktionssystems zugrundelege und gleichzeitig von Homogenität der in der Judikatur verwendeten Begriffe ausgehe (Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung 7 mwN bei FN 21; 58 ff; Entscheidungsbesprechung ZAS 1990, 172 ff).

Der Oberste Gerichtshof sieht sich ungeachtet aller in der Lehre vorgetragenen Argumente nicht veranlaßt, von der oben dargestellten ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien abzugehen, wonach die Vornahme einer extrakorporalen Fertilisation zur Herbeiführung einer Schwangerschaft bei einer sterilen Frau keine Krankenbehandlung im Sinne des § 133 ASVG darstellt. Damit soll keinesfalls gesagt sein, daß die Sterilität nicht als Krankheit im Sinne der sozialen Krankenversicherung anzusehen wäre. § 120 Abs 1 Z 1 ASVG definiert den Versicherungsfall der Krankheit als regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der eine Krankenbehandlung notwendig macht, durch die wiederum nach § 133 Abs 2 ASVG die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen. Der medizinische Krankheitsbegriff deckt sich demnach nicht mit dem Begriff der Krankheit im Sozialversicherungsrecht: Hier wird ein Leiden nur bei Behandlungsbedürftigkeit als Krankheit anerkannnt. Die WHO faßt den Begriff Gesundheit noch weiter, doch ist die dort genannte soziale Komponente für den sozialrechtlichen Krankheitsbegriff unmaßgeblich, so auch Binder in Tomandl, SV-System,

7. ErgLfg 199 mwN bei FN 2). Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht dazu berufen, soziales Wohlbefinden zu finanzieren. Daß ungewollte Kinderlosigkeit für sich keine Krankheit im Sinne des ASVG darstellt, ist im wesentlichen unbestritten, weil es sich dabei zunächst bloß um eine soziale Erscheinung handelt, die nicht zwangsläufig auf eine Störung körperlicher Funktionen zurückgehen muß: Auch der völlig gesunde Mensch, der keinen zur Fortpflanzung bereiten Partner findet, kann ungewollt kinderlos bleiben. Daß man in solchen Fällen schon von vornherein nicht von Krankheit sprechen darf, liegt auf der Hand (zutreffend Bernat, VersRdSch 1987, 345; vgl auch Bonelli, Medizineth. Fragen zur IvF, in Bydlinski/Mayer-Maly, Fortpflanzungsmedizin und Lebensschutz [1993], 24). Die Frage, ob dieser Zustand als Krankheit zu verstehen ist, stellt sich erst dann, wenn die Kinderlosigkeit auf die Sterilität der Frau oder die Unfruchtbarkeit des Mannes zurückgeht.

Der Oberste Gerichtshof zweifelt nicht daran, daß die Unfruchtbarkeit einer Frau und die Zeugungsunfähigkeit eines Mannes sehr wohl als regelwidriger Körperzustand, der einer Krankenbehandlung bedarf, und demnach als Krankheit im Sinne des ASVG betrachtet werden können. Insbesondere für Ehepartner, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes gemeinsam für ein eigenes Kind entscheiden, ist die Fortpflanzungsfähigkeit eine biologisch notwendige Körperfunktion (so BGH 12. 11. 1997, MDR 1998, 285). Wenngleich also der unerfüllte Kinderwunsch als solcher keine Krankheit ist, muß die Behandlung mit dem Zweck der Behebung des medizinischen Konzeptionshindernisses grundsätzlich als Krankenbehandlung im Sinne der Sozialgesetze betrachtet werden, was freilich voraussetzt, daß es mit begründeter Aussicht auf Erfolg im Sinne einer Wiederherstellung der Konzeptions- bzw Zeugungsfähigkeit behandelbar ist (so auch Kletter, Wunschkind auf Krankenschein? SozSi 1996, 325 ff, 342).

Der regelwidrige Körperzustand einer sterilen Frau besteht aber nun nicht im Fehlen einer Schwangerschaft, sondern in der Unfähigkeit zur Empfängnis; dieser Zustand wird durch die IvF nicht beeinflußt. Das Ziel der IvF ist nicht die Beseitigung der Konzeptionshindernisse, sondern die Geburt eines Kindes, die Erfüllung eines unerfüllten individuellen Wunsches. Ob insoweit ein Gebrechen, also ein nicht mehr beeinflußbarer Körperzustand oder der Ausfall einer Körperfunktion vorliegt, braucht dabei nicht erörtert zu werden, weil nicht abschließend beurteilt werden kann, ob es nicht doch derzeit oder in Zukunft medizinische Möglichkeiten geben kann, die Konzeptionshindernisse im jeweiligen Einzelfall zu beseitigen. Im vorliegenden Fall ist nur zu beurteilen, ob die IvF Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG darstellt. Dem wiederholt vorgetragenen Einwand, daß auch beispielsweise die Behandlung eines Zuckerkranken mit Insulin oder eine Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz, also die Behandlung von körperlichen Dauerschäden sehr wohl als Krankenbehandlung im Sinne des ASVG anerkannt würde, ist entgegenzuhalten, daß sich in diesen Fällen der Gesundheitszustand des Patienten ohne die jeweilige Krankenbehandlung erheblich verschlechtern würde, so daß sie zur Festigung der Gesundheit unumgänglich ist. Demgegenüber würde sich der Gesundheitszustand der Betroffenen auch ohne die außerkörperliche Befruchtung nicht verschlechtern. Diese Erwägungen betreffen im übrigen auch Heilmittel, die nach § 136 Abs 1 ASVG die notwendigen Arzneien und die sonstigen Mittel umfassen, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolges dienen. Nicht zielführend ist der Vergleich mit den in § 137 ASVG genannten Heilbehelfen, wobei allerdings auch evident ist, daß sich der Gesundheitszustand eines Versicherten ohne Brillen, orthopädische Schuheinlagen oder Bruchbänder verschlechtern würde. Daß die IvF im Zusammenhang mit bestehenden oder drohenden psychischen Veränderungen keine Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG darstellt, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 115/98d (vgl ARD 4962/23/98) ausgesprochen.

Anders als in der Bundesrepublik Deutschland, wo seit dem 1. 1. 1989 nach § 27a Abs 2 SGB V Inseminationen unter den dort taxativ aufgezählten Voraussetzungen ausdrücklich als Leistungen der Krankenbehandlung gelten und damit in den Katalog der ersatzfähigen Leistungen aufgenommen sind, fehlt eine derzeitige Rechtsvorschrift im österreichischen Sozialversicherungsrecht; eine solche wurde insbesondere auch nicht im Zusammenhang mit dem am 1. 7. 1992 in Kraft getretenen Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) BGBl 1992/275, geschaffen. Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit gehörten in Deutschland bereits vorher zur Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 4 SGB V), hingegen bestimmte Satz 5 idF vor dem KOV-Anpassungsgesetz vom 26. 6. 1990, entgegen früher vertretenen Meinungen, daß Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht zur Krankenbehandlung gehörten. An dessen Stelle trat der neue - subsidiäre - § 27a (vgl dazu Höfler im Kasseler Kommentar Rz 6, 45, 47 und 67 und Rz 1, 2 und 19 zu § 27a SGB V). Auch die deutsche Rechtslage zeigt, daß Inseminationen nicht immer als Leistungen der Krankenbehandlung angesehen wurden, sondern vom Gesetzgeber diesen Leistungen gleichgestellt werden sollten (Argument "Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch..."). Eine Übernahme der Rechtslage der Bundesrepublik Deutschland zur IvF auf österreichische Verhältnisse würde aber auch (worauf Kletter aaO 343 zutreffend hingewiesen hat) den Unterschieden der Systeme nicht gerecht. Verfehlt ist im übrigen der Hinweis auf die Judikatur des deutschen Bundesgerichtshofs zur Erstattungsfähigkeit der Kosten einer homologen IvF in der privaten Krankenversicherung (Bernat, RdM 1997, 158), weil der privaten Krankenversicherung nicht nur andere Rechtsnormen mit anderen Zielen, sondern auch andere Finanzierungen zugrunde liegen. Die in der Entscheidung 10 ObS 2371/96s obiter gemachten Andeutungen, die bei Kinderlosigkeit vorhandenen Funktionsstörungen der davon selbst betroffenen Personen könnten unter Umständen als Krankheit anerkannt werden, stehen der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Selbst wenn man zutreffend den Zustand der Klägerin als regelwidrigen Körperzustand, der eine Krankenbehandlung erfordert, ansieht, folgt daraus nicht, die IvF als notwendige und zweckmäßige Behandlung dieser Krankheit anzuerkennen. Wie schon das Erstgericht ausgeführt hat, könnte es als ein soziales Anliegen betrachtet werden, gesetzliche Maßnahmen vorzusehen, um die Kosten der IvF zur Erfüllung des Kinderwunsches nicht zur Gänze den Eltern aufzuerlegen. Dies würde aber - ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland (§ 27a SGB V) - eine klare Entscheidung des Gesetzgebers voraussetzen, die jedoch ungeachtet der seit vielen Jahren unverändert gebliebenen ablehnenden Judikatur zur Frage der Kostentragung künstlicher Befruchtungen bisher nicht getroffen wurde, insbesondere auch nicht bei der Erlassung des FMedG, BGBl 1992/275).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinn des § 46 Abs 1 abhing, entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin die Hälfte ihrer Kosten zuzusprechen (SSV-NF 7/80 ua). Das Kostenersatzbegehren der beklagten Partei ist hingegen schon deshalb verfehlt, weil der Versicherungsträger die Kosten, die ihm durch das Verfahren erwachsen sind, ohne Rücksicht auf dessen Ausgang selbst zu tragen hat (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG) und ein Ausnahmefall nach § 77 Abs 3 ASGG, nämlich daß der Versicherte dem Träger durch Mutwillen, Verschleppung oder Irreführung Verfahrenskosten verursacht habe, nicht im Entferntesten vorliegt.

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