OGH 10ObS2371/96s

OGH10ObS2371/96s28.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Sabine S*****, vertreten durch Dr.Helmut A.Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2, vertreten durch Dr.Hans-Peter Ullmann und Dr.Stefan Geiler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 4.218,89 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Juli 1996, GZ 25 Rs 72/96s-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 9.April 1996, GZ 47 Cgs 23/96b-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird keine Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23.1.1996 gewährte die beklagte Partei über Antrag der Klägerin auf deren eingereichte Honorarnote des Wahlfacharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr.Zach vom 11.11.1995 über den Betrag von S 4.369,20 inklusive Umsatzsteuer eine Kostenerstattung von S 150,31 inklusive Umsatzsteuer mit der Begründung, daß es sich bei der an der Versicherten vorgenommenen Behandlung um eine Insemination gehandelt habe, die nicht als Krankenbehandlung im Sinne des § 133 ASVG gelte; lediglich die Kosten für die Untersuchung, ob die vorliegende Zeugungsunfähigkeit aufgrund eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes, der eine Krankenbehandlung erforderlich mache, bestehe, seien zu ersetzen.

Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht Klage mit dem Begehren auf Zahlung der abgelehnten Leistung samt 4 % Verzugszinsen ab Klagseinbringung. Die ärztliche Hilfe des Dr.Zach habe einer zweckmäßigen und notwendigen Krankenbehandlung ihres Mannes gedient. Bei der Klägerin hätten sich wegen des anstehenden Kinderwunsches bereits depressive Erscheinungsbilder entwickelt, denen durch die vorgenommene Insemination entgegengewirkt worden sei; damit liege aber eine Krankenbehandlung auch bei der Klägerin vor.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, da Gegenstand der behaupteten Krankenbehandlung nicht eine solche der Frau, sondern vielmehr des Mannes der Klägerin gewesen sei. Außerdem sei es ständige Rechtsprechung, daß die Vornahme einer extrakorporalen Fertilisierung einer Krankenbehandlung im Sinne des § 133 ASVG nicht gleichzusetzen sei, sondern lediglich eine Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft aufgrund des Kinderwunsches der Klägerin dargestellt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß die Insemination an der Klägerin infolge Zeugungsunfähigkeit ihres Ehegatten durchgeführt worden ist. Die Klägerin selbst stand bislang - wie dies in der vorangegangenen Streitverhandlung auch außer Streit gestellt worden war - weder in neurologischer noch in psychiatrischer Behandlung.

In rechtlicher Hinsicht meinte das Erstgericht, daß die Klägerin selbst zu einer natürlichen Empfängnis fähig sei, ihr körperlicher Zustand also nicht von der Norm "Gesundheit" abweiche, weshalb bei ihr eine Krankenbehandlung schon mangels Krankheit nicht vorgenommen habe werden müssen. Die Insemination stelle zwar eine medizinische Behandlung der Klägerin dar, aber nicht, um die in § 133 Abs 2 ASVG geforderte Wiederherstellung, Festigung oder Besserung ihrer Gesundheit bzw Arbeitsfähigkeit herbeizuführen. Der bloße Kinderwunsch reiche bei der derzeitigen gesetzlichen Lage nicht aus, aus dem Titel der Krankenbehandlung Leistungen von der beklagten Partei anzusprechen. Auch aus dem Hinweis auf bereits depressive Erscheinungsbilder sei aufgrund der wiedergegebenen Außerstreitstellung nichts zu gewinnen. Schließlich seien in den Sozialversicherungsgesetzen keine Verzugszinsen für beanspruchte Leistungen vorgesehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Die Erfüllung des Kinderwunsches habe bei der gesunden Klägerin auch keiner Beseitigung einer psychischen Erkrankung gedient. Das Berufungsgericht sprach weiter aus, daß die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer höchstgerichtlichen Judikatur zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist - mangels Vorliegens einer höchstgerichtlichen Entscheidung zur Kostenübernahme in Fällen sog medizinisch unterstützter Fortpflanzung - zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Unstrittig ist - und wurde von der Klägerin selbst bereits in ihrer Klage so vorgebracht - , daß die ärztliche Hilfe des hernach honorarstellenden Facharztes einer Behandlung des Mannes der Klägerin diente. Eine (behandlungsbedürftige und auch krankenversicherungsmäßig zu beurteilende) Regelwidrigkeit bei ihr (mangels einer eigenen korporalen Empfängnisschwäche oder -unfähigkeit, sondern einer solchen ausschließlich bezogen auf den Ehepartner) lag nie vor. Vielmehr war es Sinn und Zweck der durchgeführten (und durch das Fortpflanzungsmedizingesetz [FMedG BGBl 1992/275] ausschließlich medizinisch, nicht kostenersatzmäßig näher reglementierten) Fertilisierungsmaßnahme, aufgrund des krankhaften Zustandes ihres Mannes zu einer Erfüllung auch ihres Kinderwunsches zu gelangen. Damit ist aber die an ihr (als Gesunder, und nicht bloß an ihrem trotz Operationen insoweit weiterhin zeugungsunfähigen Mann) vorgenommene Behandlung noch nicht als eine zweckmäßige und notwendige medizinische Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG zu werten. Da die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, daß bei der Klägerin ein depressives Zustandsbild nicht vorlag (sie war bisher aus solchen Gründen noch nie in fachärztlicher Behandlung), ist es entbehrlich, auf die Frage einzugehen, ob das Vorliegen von auf die Kinderlosigkeit zurückzuführenden Depressionen es allenfalls begründen könnte, die bei der Klägerin im Rahmen der Insemination vorgenommenen Leistungen dem Begriff der Krankenbehandlung (Behandlung des depressiven Zustandsbildes) zu unterstellen (vgl hiezu etwa SSV 25/50 = SVSlg 28.934 [verneinend] und SVSlg 28.942 [bejahend]). Der in der Revision hiezu - als weiterer Revisionsgrund - geltend gemachte Verfahrensmangel (Abweichen von Feststellungen des Erstgerichtes durch das Berufungsgerichtes ohne hiefür erforderliche Beweiswiederholung) liegt damit ebenfalls nicht vor (§ 510 Ab 3 dritter Satz ZPO).

2. In Berücksichtigung dieses Aspektes erscheint es dem Senat lediglich sachgerecht und unbedenklich, unter Umständen die bei Kinderlosigkeit vorhandenen Funktionsstörungen der davon selbst betroffenen Personen als Krankheit anzuerkennen. Die "Normabweichung" (der Kinderlosigkeit) ist - auch wenn sie bei diesen Menschen nicht in einem selbstgewählten Lebensbild, sondern einer meist schicksalhaften (geburtlichen oder auch später allenfalls unfallbedingten) Gegebenheit wurzelt - jedenfalls im Verhältnis zu ihrem auch in dieser Funktion gesunden Partner nicht als Krankheit (im sozialversicherungsrechtlichen Sinne) zu werten. Für ein solches - weites - Regelwidrigkeitsverständnis treten auch nicht die maßgeblichen Vertreter des sozialversicherungsrechtlichen Fachschrifttums (Mazal, Krankheitsbegriff und Risikobegrenzung [1992], 65 ff; Schrammel, Veränderungen des Krankenbehandlungsanspruches durch Vertragspartnerrecht, ZAS 1986, 145 [147 ff], sowie jüngst auch Kletter, Wunschkind auf Krankenschein? SozSi 1996, 325 ff mwN) ein.

Damit kommt aber der Senat zum Ergebnis, daß der Versicherungsfall der Krankheit im Sinne der Voraussetzungen des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG bei der Klägerin nicht erfüllt ist.

3. Der Revision war daher aus allen diesen Erwägungen keine Folge zu geben. Damit erübrigt es sich auch, darauf näher einzugehen, ob und welche Auswirkungen aus dem Fehlen der von der Klägerin nicht einmal behaupteten, geschweige denn unter Beweis gestellten tatsächlichen Zahlung des Klagsbetrages (auch die Rechnung Beilage C ist nicht saldiert) zu ziehen sind (vgl hiezu etwa jüngst 10 ObS 2303/96s); desgleichen kann unerörtert (und ungeprüft) bleiben, aus welchen Erwägungen hier die Frau (als der körperlich gesunde Teil der Partnerbeziehung) und nicht der vom körperlichen Leiden betroffene Mann selbst als Kläger aufgetreten ist. Nach der Aktenlage ist der Mann auch nicht Mitversicherter seiner Frau (vgl § 123 ASVG sowie SSV-NF 4/96 = SZ 63/158). Derartiges wurde auch von der Klägerin nicht behauptet.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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