OGH 4Ob223/98t

OGH4Ob223/98t28.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Klaus Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei H*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Prof. Dr. Alfred Haslinger und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und angemessenes Entgelt (Streitwert im Provisorialverfahren S 1,000.000,--), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Klägerin gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 23. Juli 1996, GZ 2 R 117/96f-8, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes Steyr vom 2. April 1996, GZ 3 Cg 46/96g-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

"Zur Sicherung des Anspruches der Klägerin gegen die Beklagte auf Unterlassung wettbewerbswidriger Handlungen wird der Beklagten ab sofort für die Dauer dieses Rechtsstreites geboten, es zu unterlassen, in Österreich Brillen oder Brillenfassungen unter dem Markenzeichen 'SILHOUETTE' bzw. Brillen oder Brillenfassungen, die mit der Bezeichnung 'SILHOUETTE' versehen sind, anzubieten, dafür zu werben oder sie zu vertreiben, soweit solche Brillen oder Brillenfassungen nicht von der Klägerin selbst oder durch Dritte mit deren Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in den Verkehr gebracht worden sind.

Die Beklagte hat die Äußerungskosten endgültig selbst zu tragen."

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die Beklagte hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin erzeugt Modebrillen der oberen Preisklassen. Sie vertreibt die Brillen weltweit unter der in Österreich und in den meisten Staaten der Erde sowie auch international registrierten Wort-Bild-Marke "SILHOUETTE". Die Klägerin liefert die Brillen in Österreich Fachoptikern; in anderen Staaten hat sie entweder Tochtergesellschaften oder Vertriebspartner.

Die Beklagte vertreibt in zahlreichen Filialen in Österreich (ua) Brillen und wirbt (vor allem) mit ihren niedrigen Preisen. Sie wird von der Klägerin nicht beliefert, weil die Klägerin den Vertrieb durch die Beklagte als dem von ihr aufgebauten Image besonderer Qualität und Aktualität abträglich erachtet.

Im Oktober 1995 verkaufte die Klägerin ausgelaufene Modelle, und zwar 21.000 Brillenfassungen, der Firma U***** um US$ 261.450,--. Der Kauf wurde vom Verkaufsrepräsentanten der Klägerin für den Mittleren Osten vermittelt. Die Klägerin trug ihm auf, den Kunden anzuweisen, die Brillenfassungen nur in Bulgarien oder in den Staaten der früheren Sowjetunion zu verkaufen und nicht in andere Länder zu exportieren. Der Verkaufsrepräsentant teilte der Klägerin mit, den Kunden angewiesen zu haben, daß die Fassungen entweder in Bulgarien zu verbleiben hätten oder nur in die Länder der ehemaligen Sowjetunion exportiert werden dürften. Ob dies tatsächlich geschehen ist, konnte nicht festgestellt werden.

Im November 1995 lieferte die Klägerin die Fassungen der Firma U***** in Sofia. In der Folge erwarb die Beklagte die Ware - von wem, konnte nicht festgestellt werden - und bot sie ab Dezember 1995 in Österreich an. In einer Pressekampagne wies die Beklagte darauf hin, daß es ihr gelungen sei, trotz Nichtbelieferung durch die Klägerin 21.000 Silhouette-Fassungen zu erwerben, indem sie diese im Ausland gekauft habe.

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten zu verbieten, in Österreich Brillen oder Brillenfassungen unter dem Markenzeichen "SILHOUETTE" bzw. Brillen oder Brillenfassungen, die mit der Bezeichnung "SILHOUETTE" versehen sind, anzubieten, dafür zu werben oder sie zu vertreiben, soweit solche Brillen oder Brillenfassungen nicht von der Klägerin selbst oder durch Dritte mit deren Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in den Verkehr gebracht worden sind. Dem bulgarischen Abnehmer sei ausdrücklich die Auflage erteilt worden, die Brillenfassungen ausschließlich in Bulgarien oder in Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu vertreiben. Der Käufer habe die Auflage akzeptiert. Durch den Vertrieb der Fassungen in Österreich verletze die Beklagte insbesondere die Markenrechte der Klägerin. Der Grundsatz der weltweiten Erschöpfung gelte nicht mehr; nach Art 7 MarkenRL würden die Markenrechte nur im EWR erschöpft. Die Klägerin stütze ihren Anspruch auf § 10a MSchG, aber auch auf §§ 1, 9 UWG und § 43 ABGB.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Die Klägerin habe die Brillenfassungen nicht unter der Auflage verkauft, daß jeder Reimport ausgeschlossen sei. § 43 ABGB sei nicht anwendbar. Das Markenschutzgesetz räume keinen Unterlassungsanspruch ein. Das Verhalten der Beklagten sei angesichts der unklaren Rechtslage nicht sittenwidrig.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Im Verkauf von Markenware an einen Händler liege die schlüssige Ermächtigung, die Ware weiterzuverkaufen. Eine vereinbarte Vertriebsbeschränkung binde nur den Abnehmer, nicht aber Dritte. Das bloße Ausnützen eines Vertragsbruches verstoße nicht gegen § 1 UWG. Das Markenschutzgesetz kenne keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Unterlassung. Daran habe auch die Einführung des § 10a MSchG nichts geändert. Auf § 9 UWG könne eine Unterlassungsklage nicht gestützt werden, weil keine Verwechslungsgefahr bestehe. Eine Irreführung sei nicht behauptet worden und liege auch nicht vor.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige (§ 500 Abs 2 Z 1, § 526 Abs 3 ZPO idF vor der WGN 1997) und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Klägerin habe nicht bescheinigt, die Ware unter der Auflage verkauft zu haben, daß sie nur in bestimmten Ländern vertrieben werden darf. § 10a MSchG regle nur jene Fälle, in denen Ware im EWR in den Verkehr gebracht wurde. Parallelimporte von Waren, die in anderen Ländern in den Verkehr gebracht wurden, seien davon nicht betroffen. Das sei auch die Auffassung des österreichischen Gesetzgebers gewesen. Selbst wenn aber § 10a MSchG anders auszulegen wäre, wäre der Unterlassungsanspruch nicht begründet, weil § 9 UWG Verwechslungsgefahr voraussetze, die hier nicht gegeben sei. Die Beklagte habe auch nicht sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG gehandelt, weil ihre Auslegung des § 10a MSchG durch das Gesetz so weit gedeckt sei, daß sie mit gutem Grund vertreten werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß Art 7 Abs 1 der MarkenRL und der mit dieser Bestimmung inhaltsgleiche § 10a Abs 1 MSchG im Sinne der bloß EWR-weiten Erschöpfung des Markenrechts auszulegen seien. Aus § 10a Abs 1 MSchG folge das Recht des Markeninhabers, den Parallel-(Re-)Import von Markenware zu verbieten, die er außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht hat. Diese Bestimmung normiere einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch des Markeninhabers. Die Beklagte habe aber jedenfalls gegen § 1 UWG verstoßen. Bei einem Verstoß gegen zivilrechtliche Bestimmungen spiele die subjektive Vorwerfbarkeit keine Rolle. Vorsichtshalber stütze die Klägerin ihren Anspruch auch weiterhin auf § 9 UWG und auf § 43 ABGB.

Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 15. Oktober 1996 (ecolex

1997, 34 [Kucsko] = EvBl 1997/5 = EvBl 1997/40 = MR 1997, 43 [Müller]

= ÖBl 1996, 302 = WBl 1997, 79 = GRURInt 1997, 548 - Silhouette) dem

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 177 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 7 Abs 1 der Ersten Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG, ABl. EG Nr. L 40/1 vom 11. 2. 1989 - MarkenRL) dahin auszulegen, daß die Marke ihrem Inhaber das Recht gewährt, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke in einem Staat, der nicht Vertragsstaat ist, in den Verkehr gebracht worden sind?

2. Kann der Markeninhaber allein aufgrund von Art 7 Abs 1 der MarkenRL begehren, daß der Dritte die Benutzung der Marke für Waren unterläßt, die unter dieser Marke in einem Staat, der nicht Vertragsstaat ist, in den Verkehr gebracht worden sind?

Mit Urteil vom 16. Juli 1998, C-355/96 , hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften auf die Vorlagefragen wie folgt zu Recht erkannt:

1. Nationale Rechtsvorschriften, die die Erschöpfung des Rechts aus einer Marke für Waren vorsehen, die vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung unter dieser Marke außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes in den Verkehr gebracht worden sind, sind nicht mit Art 7 Abs 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken in der Fassung des EWR-Abkommens vom 2. Mai 1992 vereinbar.

2. Der Inhaber einer Marke kann nicht allein aufgrund des Art 7 Abs 1 der Richtlinie 89/104 begehren, daß ein Dritter die Benutzung seiner Marke für Waren unterläßt, die unter dieser Marke vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums in den Verkehr gebracht worden sind.

Nach der - für den Obersten Gerichtshof bindenden - Rechtsmeinung des EuGH ist Art 7 Abs 1 MarkenRL und damit auch der inhaltsgleiche § 10a Abs 1 MSchG im Sinne der bloß EWR-weiten Erschöpfung des Markenrechts auszulegen. Aus § 10a Abs 1 MSchG folgt, daß der Markeninhaber einem Dritten verbieten kann, die Marke für Ware zu benutzen, die unter dieser Marke - von wem immer - in einem Drittstaat in den Verkehr gebracht worden ist. Wer demnach in Österreich außerhalb des EWR in den Verkehr gebrachte Markenware ohne Zustimmung des Markeninhabers weiterveräußert, verstößt gegen § 10a Abs 1 MSchG und verletzt damit die Kennzeichenrechte des Markeninhabers.

Die Rechte des Markeninhabers bei Kennzeichenverletzungen regeln die §§ 51ff MSchG und § 9 UWG. Sowohl der Rechtsschutz nach dem Markenschutzgesetz als auch der nach § 9 UWG wird für den Fall eingeräumt, daß die Marke in einer Weise gebraucht wird, die geeignet ist, Verwechslungen im geschäftlichen Verkehr hervorzurufen. Demgegenüber normiert die MarkenRL die Rechte des Markeninhabers auch bei Verwendung eines identischen Zeichens für identische Waren: Nach Art 5 Abs 1 lit a MarkenRL gestattet es das Markenrecht dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist.

Die Markenschutzgesetz-Novelle 1992 BGBl 1992/773 hat Art 7 MarkenRL umgesetzt, nicht aber auch Art 5 Abs 1 lit a MarkenRL; die §§ 51ff MSchG und § 9 UWG sind unverändert geblieben. Im österreichischen Recht fehlt demnach eine ausdrückliche Regelung der Rechte des Markeninhabers, dessen Marke für Waren benutzt wird, die von ihm oder mit seiner Zustimmung außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden sind.

Nach der Rechtsmeinung des EuGH verpflichtet die MarkenRL die Mitgliedstaaten zwar, Bestimmungen einzuführen, nach denen der Inhaber einer Marke im Falle der Verletzung seiner Rechte einen Unterlassungsanspruch gegen Dritte hat; diese Verpflichtung folge jedoch aus Art 5 und nicht aus Art 7. Der Inhaber einer Marke könne daher nicht allein aufgrund Art 7 Abs 1 MarkenRL begehren, daß ein Dritter die Benutzung seiner Marke für Waren unterläßt, die unter dieser Marke vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden sind.

Für das österreichische Recht folgt daraus, daß der mit Art 7 Abs 1 MarkenRL inhaltsgleiche § 10a Abs 1 MSchG allein als Grundlage für den Unterlassungsanspruch der Klägerin nicht ausreicht. Das österreichische Recht hat dem Markeninhaber aber auch schon bisher einen Unterlassungsanspruch bei Kennzeichenverletzungen eingeräumt, wenn auch eine Kennzeichenverletzung nur bei Verwechslungsgefahr angenommen und demnach ein Unterlassungsanspruch auch nur für diesen Fall bejaht wurde. Das gilt auch für die Entscheidungen, die sich vor

der - durch § 10a Abs 1 MSchG überholten - Entscheidung SZ 43/219 =

JBl 1971, 476 = EvBl 1971/110 = ÖBl 1971, 21 - Agfa mit der Erschöpfung des Markenrechts befaßt haben. In der Entscheidung SZ 43/219 = JBl 1971, 476 = EvBl 1971/110 = ÖBl 1971, 21 - Agfa hat ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofs ausgesprochen, daß der Grundsatz der weltweiten Erschöpfung des Markenrechts gilt und der Markeninhaber keinen Unterlassungsanspruch nach § 9 UWG hat. In den vor dieser Entscheidung ergangenen Entscheidungen (SZ 30/44 = ÖBl 1957, 87 - Brunswick; ÖBl 1960, 72 - Seeburg) hat der Oberste Gerichtshof die Auffassung vertreten, daß das Markenrecht nur durch das Inverkehrsetzen im Inland erschöpft werde und dem Markeninhaber ein Unterlassungsanspruch nach § 9 UWG zustehe, weil Verwechslungsgefahr bestehe: In dem der Entscheidung SZ 30/44 = ÖBl 1957, 87 - Brunswick zugrundeliegenden Fall hatten sowohl der Inhaber der auch für das Inland gültigen internationalen Marke als auch der Inhaber der Markenrechte im Erzeugungsland von demselben amerikanischen Unternehmen das Recht eingeräumt erhalten, Schallplattenaufnahmen zu vervielfältigen und zu verbreiten. Das Inverkehrsetzen der im Ausland mit der ausländischen Marke versehenen Ware wurde für geeignet erachtet, Verwechslungen mit den Erzeugnissen des Inhabers der inländischen Marke herbeizuführen. In dem der Entscheidung ÖBl 1960, 72 - Seeburg zugrundeliegenden Fall ging es um amerikanische Musikautomaten, welche die Klägerin und Inhaberin der inländischen Marke vom amerikanischen Erzeugungsunternehmen bezog und als dessen österreichische Vertreterin vertrieb; die Beklagte erhielt Seeburg-Musikautomaten von einem holländischen Handelsunternehmen geliefert. Der Unterlassungsanspruch wurde wegen der Gefahr von Verwechslungen mit der im Inland eingetragenen Handelsmarke bejaht (ÖBl 1960, 72 - Seeburg), obwohl die unter der Marke vertriebenen Waren identisch waren.

Im vorliegenden Fall ist nicht nur die Ware identisch, sondern auch die Marke. Eine Verwechslungsgefahr, wie sie § 9 UWG voraussetzt, liegt nicht vor: Nach dieser Bestimmung kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer im geschäftlichen Verkehr einen Namen, eine Firma oder die besondere Bezeichnung eines Unternehmens oder eines Druckwerkes, für das § 80 UrhG nicht gilt, in einer Weise benützt, die geeignet ist, Verwechslungen mit dem Namen, der Firma oder der besonderen Bezeichnung hervorzurufen, deren sich ein anderer befugterweise bedient. Der besonderen Bezeichnung stehen (ua) registrierte Marken gleich (§ 9 Abs 3 UWG).

Ein Unterlassungsanspruch steht aber nicht nur dann zu, wenn ihn das Gesetz ausdrücklich einräumt. Nach der Rechtsprechung können sich Unterlassungspflichten aus rechtsgeschäftlichen Beziehungen, aus besonderen Verhaltens-(Verbots-)Normen (zB § 97 ABGB) oder allgemein aus absoluten Rechten anderer ergeben (SZ 56/63 = EvBl 1983/91; RdM 1997/34 mwN). Die Lehre geht noch wesentlich weiter: Nach ganz herrschender österreichischer und deutscher Lehre setzt die Unterlassungsklage weder ein Schuldverhältnis noch ein absolutes Recht voraus. Eine vorbeugende Unterlassungsklage wird bereits dann bejaht, wenn eine (klagbare) Unterlassungspflicht im Interesse eines einzelnen besteht und ein Zuwiderhandeln des Schuldners wenigstens ansatzweise verwirklicht ist (Ehrenzweig**2, II/1, 10 und 661;

Mayrhofer, Schuldrecht Allgemeiner Teil 17; Gschnitzer, Schuldrecht Allgemeiner Teil**2, 46; Rummel in Rummel, ABGB**2 § 859 Rz 5;

Reischauer in Rummel aaO § 1294 Rz 23; Koziol/Welser10 I 213f und 442; s auch Schwimann/Harrer, ABGB**2 Vorbem zu §§ 1293ff Rz 32;

Schiemann in Ermann, BGB9, vor § 823 Rz 20; Mertens in Münchener Kommentar zum BGB3 § 826 Rz 85; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts13 II/2, 704f; RdM 1997/34). Die deutsche Rechtsprechung gewährt die Unterlassungsklage ganz allgemein gegenüber drohenden rechtswidrigen Eingriffen (Palandt, BGB57 Einf vor § 823 Rz 16ff mwN; RdM 1997/34).

Ob die demgegenüber einschränkende österreichische Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden, weil auch die oben wiedergegebene bisherige Rechtsprechung einen Unterlassungsanspruch bejaht, wenn ein Eingriff in ein absolutes Recht droht. Absolute Rechte sind alle Herrschaftsrechte, wie das Eigentum und sonstige dingliche Rechte, die Persönlichkeitsrechte und die Immaterialgüterrechte (Koziol/Welser aaO 40, 416).

Das Markenrecht verleiht seinem Inhaber eine absolute und ausschließliche Rechtsposition gegen jeden Dritten, der sich nicht auf eine bessere Berechtigung berufen kann (so schon Abel, System des österreichischen Markenrechtes § 40; s auch Kucsko, Österreichisches und europäisches Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht4, 14f; Baumbach/Hefermehl, Warenzeichenrecht12 EinlWZG Rz 27; Fezer, Markenrecht § 14 dMarkenG Rz 8ff). Während sowohl das deutsche Markengesetz (§ 14 dMarkenG) als auch das ihm vorangegangene deutsche Warenzeichengesetz (§ 15 WZG) die Rechte des Markeninhabers in diesem Sinn umschreiben, enthält das österreichische Markenschutzgesetz keine derartige Bestimmung. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß das durch Registrierung einer österreichischen Marke erworbene Markenrecht kein absolutes Recht wäre.

Als absolutes Recht gewährt das Markenrecht einen zivilrechtlichen Anspruch auf Unterlassung (so schon Abel aaO § 53ff mwN; Pisko, Lehrbuch des österreichischen Handelsrechtes 79). Die gegenteilige, mit der Entstehungsgeschichte des Markenschutzgesetzes begründete Rechtsprechung (SZ 11/141; SZ 22/17; ÖBl 1976, 23 [Schönherr, Barger] - Pfeilstern) kann nicht aufrechterhalten werden. Sie setzt sich nicht damit auseinander, daß ein Unterlassungsanspruch nach heute herrschender Auffassung (ua) bei jedem Eingriff in ein absolutes Recht und nicht nur dann zusteht, wenn ihn das Gesetz ausdrücklich einräumt.

§ 9 UWG räumt dem Markeninhaber zwar einen Unterlassungsanspruch ein, allerdings nur für den Fall von Kennzeichenverletzungen, wie sie das Gesetz bis zum Inkrafttreten der Markenschutzgesetz-Novelle BGBl 1992/773 kannte. Mit dem durch die Novelle eingefügten § 10a Abs 1 MSchG normiert das Markenschutzgesetz nunmehr den Fall einer Kennzeichenverletzung bei Verwendung einer identischen Marke für identische Ware. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung, die dem Markeninhaber in einem solchen Fall dieselben Rechte einräumt wie bei anderen Kennzeichenverletzungen, folgt nicht, daß die in § 10a Abs 1 MSchG normierte Kennzeichenverletzung sanktionslos wäre. Der Markeninhaber hat schon deshalb einen Unterlassungsanspruch, weil ihm mit dem Markenrecht ein absolutes Recht zusteht, in das bei einem Verstoß gegen § 10a Abs 1 MSchG eingegriffen wird. Der durch die Verwendung der identischen Marke für identische Waren in seinen Kennzeichenrechten Verletzte kann demnach seinen Unterlassungsanspruch zwar nicht allein auf § 10a Abs 1 MSchG stützen, wohl aber auf diese Bestimmung in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtssatz, daß bei Eingriffen in ein absolutes Recht ein Unterlassungsanspruch zusteht, wie dies § 9 UWG für den Fall einer Kennzeichenverletzung durch Gebrauch einer verwechselbar ähnlichen Marke auch ausdrücklich vorsieht.

Für den vorliegenden Fall folgt daraus, daß der Sicherungsantrag der Klägerin begründet ist:

Das Markenrecht der Klägerin ist durch das Inverkehrbringen ihrer mit der Marke versehenen Brillen in Bulgarien nicht erschöpft worden; mit dem (Re-)Import dieser Brillen nach Österreich hat die Beklagte gegen § 10a Abs 1 MSchG verstoßen. Der Klägerin kann die Unterlassung des Markeneingriffes verlangen. Ob die Klägerin ihren Anspruch auch auf § 1 UWG oder auf § 43 ABGB stützen könnte, braucht nicht mehr geprüft zu werden.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte