OGH 6Ob211/98t

OGH6Ob211/98t24.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kellner, Dr. Schiemer, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Benno K*****, 2. Roman K*****, 3. Irene K*****, die erst- und drittklagende Partei vertreten durch Dr. Helmut Michlmayr, Rechtsanwalt in Wien, die zweitklagende Partei vertreten durch Schönherr, Barfuß, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei P*****gesellschaft mbH, *****- vertreten durch Dr. Max Josef Allmayer-Beck ua Rechtsanwälte in Wien, Nebenintervenientin auf seiten der beklagten Partei W***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Günther Steiner und Dr. Anton Krautschneider, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 14. Jänner 1998, GZ 40 R 779/97y-28, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Kläger sind Miteigentümer einer Liegenschaft mit einem Haus, das sie teilweise an einen Mieter zum Betrieb einer Gastwirtschaft vermietet hatten. Der Mieter wollte das Bestandverhältnis auflösen. Der Geschäftsführer der Beklagten und der Zweitkläger planten im Februar 1996 die Errichtung einer Gesellschaft mbH, die das Bestandobjekt übernehmen und dort eine Gastwirtschaft betreiben sollte. Die Kläger verhandelten mit dem Geschäftsführer der Beklagten über den Abschluß eines Bestandvertrages. Am 15. 4. 1996 wurde Einigung über die Höhe des Bestandzinses erzielt. Zu diesem Zeitpunkt war die Gesellschaft mbH, die den Betrieb führen sollte, noch nicht errichtet. Der Pachtvertrag mit dem früheren Bestandnehmer wurde per 29. 4. 1996 aufgelöst. An diesem Tag wurde dem Geschäftsführer der Beklagten die Betriebseinrichtung übergeben. Die Schlüssel zum Bestandobjekt erhielt der Zweitkläger. Ein schriftlicher Bestandvertrag war noch nicht errichtet worden. Ab 1. 5. 1996 führte die neu errichtete Gesellschaft mbH (mit dem Zweitkläger und dem Beklagten als Gesellschafter) den Gastwirtschaftsbetrieb. Zu einer Unterfertigung des von der Hausverwalterin der Kläger formulierten Pachtvertrages kam es vor allem wegen Differenzen über die Dauer des Bestandverhältnisses nicht. Die Kläger stehen auf dem Standpunkt, daß die Parteien die Schriftform für den abzuschließenden Pachtvertrag vereinbart hätten und kein schriftlicher Vertrag zustandegekommen sei. Sie begehren die Räumung wegen titelloser Benützung.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, daß ein mündlicher Vertrag über die Miete von Geschäftsräumlichkeiten zustandegekommen sei. Die Beklagte sei überdies nicht passiv legitimiert, weil Mieterin die neu gegründete Gesellschaft sei.

Die Vorinstanzen gaben der Räumungsklage statt.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen erstinstanzlichen Feststellungen sei zwischen den Parteien am 15. 4. 1996 vereinbart worden, daß zunächst die Beklagte den Pachtvertrag übernehmen und erst später die neu zu gründende Gesellschaft (mit dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Zweitkläger als Gesellschafter), Mieterin werden sollte. Über die Fragen der Dauer des Bestandverhältnisses, der von der Mieterin zu erlegenden Kaution und der Abwicklung der von den Vermietern durchzuführenden Reparaturarbeiten sei noch keine Einigung erfolgt. Die Kläger hätten einen auf 10 Jahre befristeten Pachtvertrag gewollt und wären mit dem Abschluß eines unbefristeten Bestandvertrages nicht einverstanden gewesen, der Geschäftsführer der Beklagten hingegen hätte keinen befristeten Bestandvertrag abgeschlossen. Die Übergabe des Geschäftslokals vor vollständiger Einigung bzw vor dem Abschluß des in Aussicht genommenen schriftlichen Vertrages sei wegen großen Zeitdrucks erfolgt. Der Betrieb hätte nach Rückgabe durch den Vorbestandnehmer ohne Unterbrechung fortgeführt werden sollen. Der Bestandvertrag hätte erst mit der Unterfertigung des schriftlichen Vertrags wirksam werden sollen.

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrer außerordentlichen Revision releviert die Beklagte zunächst ihre fehlende Passivlegitimation im Räumungsprozeß, weil nicht sie, sondern die neu gegründete Gesellschaft mbH das Objekt innegehabt habe und innehabe. Selbst wenn der Revisionseinwand berechtigt sein sollte, daß das Berufungsgericht auf den Einwand der Passivlegitimation einzugehen gehabt hätte (und nicht auf das Neuerungsverbot hätte verweisen dürfen), ist für die Revisionswerberin nichts gewonnen, weil - entgegen ihren Ausführungen - sowohl aus den Parteibehauptungen als auch nach den getroffenen Feststellungen von einer Innehabung der Beklagten auszugehen ist. Nur ihr war das Objekt übergeben und damit die Gewahrsame übertragen worden. Die Schlüsselübergabe an den Zweitkläger ist wegen der festgestellten Umstände (Fortführung des Betriebs durch die zu gründende GmbH) der Beklagten zuzurechnen. An der einmal begründeten Sachinnehabung (§ 309 ABGB) ändert sich durch die Weitergabe des Objekts jedenfalls dann nichts, wenn die Gewahrsame, also der Herrschaftsbereich des Übergebers, erhalten bleibt, der bisher unmittelbare Inhaber also nur zum mittelbaren wurde (vgl zum "Besitzmittler" Koziol/Welser, Grundriß II10 18 f). Die Innehabung ist wie der Besitz nicht bloß räumlich-körperlich zu verstehen, sondern als äußere Erscheinung der Herrschaft über den Gegenstand nach der Verkehrsauffassung (Spielbüchler in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 309). Da die neu gegründete Gesellschaft ihre Innehabung nur von der Beklagten ableiten konnte, ohne daß durch die Weitergabe sich an der "Oberherrschaft" der Beklagten etwas änderte, ist deren Passivlegitimation ebenso zu bejahen wie die von der Revisionswerberin bezweifelte Exekutionsfähigkeit des Räumungstitels. Letztere fehlte nur dann, wenn die Beklagte über das Objekt die tatsächliche und rechtliche Verfügungsgewalt nicht mehr hätte, wovon nach den getroffenen Feststellungen aber nicht ausgegangen werden kann.

Die Revision bekämpft die Behandlung ihrer Beweisrüge durch das Berufungsgericht zu Unrecht als grob mangelhaft oder sogar nichtig. Das Erstgericht hat eine sehr eingehende und schlüssige Würdigung der aufgenommenen Beweise vorgenommen (S 21 bis 27 in ON 15), sodaß das Berufungsgericht durchaus berechtigt war, von der Bestimmung des § 500a ZPO Gebrauch zu machen. Im übrigen hat auch das Berufungsgericht eigene und beachtliche Argumente gegen die Version der Beklagten in der Tatfrage gefunden. Von einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens kann keine Rede sein.

In der Rechtsrüge versucht die Revisionswerberin darzutun, daß der Bestandvertrag als Konsensualvertrag schon mit der mündlichen Einigung über den Zins und das Objekt zustandegekommen sei. Daß für den Abschluß von Bestandverträgen kein Formzwang bestand, ist zweifellos richtig. Mit ihrer Meinung, daß ein mündlicher Bestandvertrag abgeschlossen worden wäre, ignoriert die Revisionswerberin aber die getroffenen Feststellungen über die vorbehaltene Schriftform und die fehlende vollständige Einigung der Parteien über Vertragspunkte, über die sie vor der Übergabe des Objekts verhandelt hatten. In einem solchen Fall kommt aber nach ständiger Rechtsprechung erst mit dem schriftlichen Vertrag oder aber mit der vollen Einigung über alle in den Vertragsverhandlungen berührten Punkte ein Vertrag zustande (3 Ob 315/97p mwN uva). Von dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen. Erhebliche Rechtsfragen, welche die Zulässigkeit der Revision begründen könnten, liegen somit nicht vor.

Schließlich verweist die Revisionswerberin noch auf die in einem Parallelverfahren (21 Cg 286/96z des Landesgerichtes für ZRS Wien) zwischen denselben Parteien ergangene erstinstanzliche Entscheidung, womit die Klage auf Zahlung eines Benützungsentgelts für das von der Beklagten übernommene Objekt wegen Bejahung eines schlüssig zustandegekommenen Bestandverhältnisses abgewiesen worden sei. Dieser Hinweis stellt, auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Einbringung der Revision bezogen, nur einen Angriff auf die nach Ansicht der Beklagten falsche Beweiswürdigung der Vorinstanzen dar. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz. Die Beweisfrage kann im Revisionsverfahren nicht neu aufgerollt werden.

Am 11. 8. 1998 langte beim Obersten Gerichtshof eine nachgereichte Mitteilung der beklagten Revisionswerberin ein. Sie legte eine mit einer Rechtskraftsbestätigung versehene Urteilsausfertigung der schon zitierten erstinstanzlichen Entscheidung im Parallelverfahren vor. Für den Fall der tatsächlich eingetretenen Rechtskraft dieser Entscheidung stellt sich die Frage, ob der erkennende Senat bei der Behandlung der außerordentlichen Revision diesen erst nach dem Schluß der Verhandlung erster Instanz und auch nach dem Entscheidungszeitpunkt zweiter Instanz eingetretenen Umstand allenfalls von Amts wegen wahrzunehmen hat:

Wohl ist gemäß § 411 Abs 2 ZPO die Rechtskraft eines Urteils von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft hindert die neuerliche Verhandlung und Entscheidung einer bereits entschiedenen Hauptfrage und bindet den Richter des Folgeprozesses, der diese schon entschiedene Frage, die in seinem Prozeß eine Vorfrage darstellt, neuerlich und selbständig zu beurteilen hat (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 3 mwN; SZ 68/103; verstärkter Senat SZ 70/60 uva). Im Parallelverfahren wurde nicht über den Bestand eines Miet- oder Pachtverhältnisses als Hauptfrage entschieden. Dort war diese Frage nur Vorfrage für die Berechtigung eines auf die Zahlung eines Benützungsentgelts gerichteten Bereicherungsanspruchs. Eine Bindungswirkung bloß an die Entscheidungsbegründung einer Vorentscheidung, womit nur Vorfragen des Vorprozesses behandelt werden, besteht jedenfalls nicht. Mangels präjudizieller rechtskräftig entschiedener Vorfragen wurde somit nicht rechtskräftig und für den vorliegenden Räumungsstreit bindend entschieden, daß ein Mietverhältnis vorliege. Der Behandlung der ao Revision ist somit nicht ein mit Nichtigkeitssanktion bedrohter Verstoß gegen die Rechtskraft einer Vorentscheidung zugrundezulegen. Da im übrigen aber - aus den schon dargelegten Gründen - über keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu entscheiden ist, erweist sich die Revision als unzulässig.

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