OGH 4Ob131/98p

OGH4Ob131/98p16.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Gottfried Korn und Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Schönherr, Barfuß, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 450.000,--), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 12. März 1998, GZ 4 R20/98k-9, mit dem der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 5. Dezember 1997, GZ 39 Cg 56/97x-5, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung - einschließlich des bestätigten Teiles - insgesamt wie folgt zu lauten hat:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des Anspruches der Klägerin wider die Beklagte auf Unterlassung wettbewerbswidriger Handlungen wird der Beklagten bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils geboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Behauptung zu unterlassen, die 'Neue Kronen Zeitung' hätte Leser verloren, insbesondere die Behauptung, die 'Neue Kronen Zeitung' habe im ersten Halbjahr 1997 gegenüber dem ersten Halbjahr 1996 laut Media-Analyse 39.000 Leser weniger, wenn die behaupteten Veränderungen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen und nicht gleichzeitig darauf hingewiesen wird, daß es sich bei den angegebenen Daten um Mittelwerte handelt und daß die behaupteten Veränderungen der Leserzahlen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen.

Das Mehrbegehren, der Beklagten derartige Behauptungen auch dann zu untersagen, wenn die behaupteten Veränderungen nicht innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen, wird abgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 6.611,40 bestimmten halben Äußerungskosten (darin S 1.101,90 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 18.189,-- bestimmten halben Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 3.031,50 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Klägerin hat die halben Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen; die halben Kosten hat sie endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Verlegerin der Tageszeitungen "Neue Kronen Zeitung" und "Kurier". Die Beklagte ist Medieninhaberin der periodischen Druckschrift "täglich Alles".

In der Ausgabe Nr. 1964 vom 14.9.1997 der Zeitung "täglich Alles" erschien auf Seite 3 ("Politik") ein Artikel, der mit "Leserzahlen fürs erste Halbjahr '97" überschrieben war:

"Der Verein Media-Analyse hat mittels Umfragen für die 'Kronen Zeitung' 2,753.000 Leser im ersten Halbjahr '97 festgestellt, das sind um 39.000 Leser weniger als im ersten Halbjahr 1996. Für den 'Kurier' wurden 764.000 Leser ermittelt, das sind um 72.000 Leser weniger als im Vorjahr. Und für 'täglich Alles' wurden 818.000 Leser errechnet, das sind um 26.000 Leser mehr als im ersten Halbjahr 1996."

Die im Artikel genannten Zahlen sind der Media-Analyse entnommen. Die Zahlen sind Mittelwerte; die statistisch bedingte Schwankungsbreite hängt von der Reichweite des Mediums und der Anzahl der befragten Personen ab. Sie kann bei den angegebenen Zahlen bis etwa 1 % nach oben oder unten betragen.

Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Behauptung zu unterlassen, die "Neue Kronen Zeitung" hätte Leser verloren, insbesondere, daß sie im ersten Halbjahr 1997 gegenüber dem ersten Halbjahr 1996 laut Media-Analyse 39.000 Leser weniger hätte. In eventu beantragt die Klägerin, der Beklagten die Behauptung zu untersagen, die "Neue Kronen Zeitung" hätte Leser verloren, insbesondere, daß sie im ersten Halbjahr 1997 gegenüber dem ersten Halbjahr 1996 laut Media-Analyse 39.000 Leser weniger hätte, wenn nicht gleichzeitig darauf hingewiesen wird, daß es sich bei den angegebenen Daten um Mittelwerte handelt und daß die behaupteten Veränderungen der Leserzahlen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen. Angaben über den Rückgang oder die Zunahme der Leser seien nur zulässig, wenn sich nicht innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen. Der beanstandete Artikel richte sich nicht an Fachleute, die angesprochenen Verkehrskreise gewännen den unrichtigen Eindruck, daß "täglich Alles" besser, die "Kronen Zeitung" aber schlechter geworden sei.

Die Beklage beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Der beanstandete Artikel sei keine Werbung, sondern eine bloße Information des Lesers über aktuelle Tagesfragen. Mangels Wettbewerbsabsicht unterlägen derartige Mitteilungen nicht dem Wettbewerbsrecht. Die angegebenen Zahlen seien richtig; jedem Leser sei klar, daß mit gewissen Schwankungsbreiten gerechnet werden muß. Das Publikum entnehme dem Artikel nichts anderes als die Wahrheit.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Zwischen den Streitteilen bestehe ein Wettbewerbsverhältnis; die Beklagte habe auch in Wettbewerbsabsicht gehandelt. Die im Wege der Media-Analyse ermittelten Zahlen hätten die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Der Beklagten müsse es offenstehen, diese Zahlen zu veröffentlichen. Das Hauptbegehren sei somit schon aus Gründen der Meinungs- und Pressefreiheit unberechtigt. Aus dem Artikel gehe mit ausreichender Deutlichkeit hervor, daß die Werte innerhalb einer gewissen statistischen Schwankungsbreite liegen; die mit dem Eventualantrag gewünschte Aufklärung sei daher nicht notwendig.

Das Rekursgericht gab dem Eventualantrag statt und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die von den Beklagten veröffentlichten Zahlen lägen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite; es sei durchaus möglich, daß die "Neue Kronen Zeitung" nicht Leser verloren, sondern gewonnen habe. Es sei aber richtig, daß die Zahlen der Media-Analyse statistisch die größte Wahrscheinlichkeit für sich haben; der Bericht der Beklagten sei daher nicht schlichtweg falsch, wohl aber irreführend. Die Beklagte müsse im Sinne des Eventualantrages klarstellen, daß es sich bei den angegebenen Zahlen um Mittelwerte handelt und daß die behaupteten Veränderungen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung der Rechtsprechung zur Fassung von Unterlassungsgeboten widerspricht; der Revisionsrekurs ist auch teilweise berechtigt.

Die Beklagte verweist darauf, daß der Zusatz "insbesondere" ein Unterlassungsgebot nicht einschränkt. Der Beklagten werde daher in jedem Fall, auch wenn die Aussage der Wahrheit entspräche, die Behauptung verboten, daß die "Neue Kronen Zeitung" Leser verloren hätte. Sachliche vergleichende Werbung sei aber jedenfalls zulässig. Der Beklagten werde auch aufgetragen, in jedem Fall darauf hinzuweisen, daß die angegebenen Werte innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen. Damit würde die Beklagte - sollte die Klägerin (zB) 10 % ihrer Leser verlieren - zu wahrheitswidrigen Aussagen gezwungen. Das Verbot sei aber auch dann unbegründet, wenn es auf innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegende Werte eingeschränkt werde. Die Beklagte habe mit den Zahlen der Media-Analyse nicht geworben, sondern ihre Leser sachlich informiert. Ein Verbot solcher Berichte lasse sich mit der EMRK nicht in Einklang bringen. Die Ankündigung sei völlig richtig; sie sei so formuliert, daß das Bestehen gewisser Schwankungsbreiten für jeden Leser offenkundig sei.

Soweit sich die Beklagte gegen die Fassung des Spruches wendet, ist ihr zuzustimmen:

Das Unterlassungsgebot hat sich nach ständiger Rechtsprechung am konkreten Wettbewerbsverstoß zu orientieren. Es ist zu weit gefaßt, wenn der Beklagte damit zu Unterlassungen verhalten werden soll, zu denen er bei richtiger Auslegung des materiellen Rechts nicht verhalten wäre (ÖBl 1991, 105 - Hundertwasser-Pickerln II; ÖBl 1991, 108 - Sport-Sonnenbrille; ÖBl 1992, 273 - MERCEDES-Teyrowsky uva). Der Zusatz "insbesondere" schränkt das Unterlassungsgebot nicht ein, sondern verdeutlicht es nur (WBl 1988, 123).

Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewandt, so hat das Rekursgericht den Spruch der einstweiligen Verfügung zu weit gefaßt: Der Beklagten werden Hinweise auf Leserverluste der "Neuen Kronen Zeitung" auch dann verboten, wenn sie der Wahrheit entsprechen, und ihr wird gleichzeitig aufgetragen, - in einem solchen Fall wahrheitswidrigerweise - hinzuzufügen, daß der Verlust innerhalb der Schwankungsbreite liegt.

Der Beklagten können Hinweise auf Leserverluste der "Neuen Kronen Zeitung" nur dann verboten werden, wenn die behaupteten Veränderungen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen und nicht gleichzeitig darauf hingewiesen wird, daß es sich bei den angegebenen Daten um Mittelwerte handelt und daß die behaupteten Veränderungen der Leserzahlen innerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegen.

Dieses Verbot entspricht der materiellen Rechtslage:

Eine Angabe ist zur Irreführung geeignet, wenn die Vorstellungen, welche die Umworbenen über ihre Bedeutung haben, mit den wirklichen Verhältnissen nicht übereinstimmen (stRsp ua ÖBl 1989, 110 - Kupferarmbänder; MR 1995, 66 - Graz Aktiv mwN). Auch das Verschweigen einer Tatsache kann irreführend sein, wenn und soweit es wesentliche Umstände betrifft und nach der Verkehrsauffassung einen falschen Gesamteindruck hervorrufen kann (ua ÖBl 1994, 75 - Schätzgutachten; ÖBl 1995, 64 - Fachbuchverlag; Koppensteiner, Wettbewerbsrecht3 § 24 Rz 20ff mwN).

Das muß für die beanstandeten Angaben bejaht werden:

Untersuchungen über Leserzahlen sind nicht exakte Aussagen; es handelt sich dabei vielmehr um Durchschnittswerte innerhalb einer Schwankungsbreite, in welcher Zufallsabweichungen nach oben und nach unten möglich sind. Das Wissen darum ist weder allgemein verbreitet, noch folgt es schon allein daraus, daß als Quelle die Media-Analyse angegeben und der Vorgang beschrieben wird, durch den die Daten gewonnen wurden ("mittels Umfragen ... festgestellt"; "ermittelt"; "errechnet"). Der flüchtige Leser wird nur die wesentliche Aussage - Leserverlust der Klägerin, Lesergewinn der Beklagten - auffassen, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob die dieser Entwicklung zugrunde liegenden Daten auch tatsächlich aussagekräftig sind. Auf die Schwankungsbreiten solcher Untersuchungen muß demnach mit hinreichender Deutlichkeit hingewiesen werden; andernfalls entsteht der unrichtige Eindruck, der behauptete Leserschwund oder -gewinn sei tatsächlich erwiesen (ÖBl 1996, 194 - Chronischer Leserschwund; s auch ÖBl 1993, 237 - Reichweitenvergleich; 4 Ob 228/97a). Das gilt nicht nur für Werbeeinschaltungen, sondern vor allem auch für redaktionelle Beiträge - die Beklagte hat die beanstandete Mitteilung im Politikteil ihrer Zeitung gebracht -, die die Vermutung der Glaubwürdigkeit in höherem Maß für sich haben als eine als Werbung deklarierte Einschaltung.

Ein klarstellender Hinweis macht den Vergleich aber auch zulässig. Die gegenteilige Auffassung der Klägerin trifft nicht zu; sie ist durch die rechtskräftige Abweisung des Hauptbegehrens auch gegenstandslos geworden. Das Rekursgericht hat nur den Eventualantrag als berechtigt erkannt und seine Entscheidung damit begründet, daß ein Vergleich der Mittelwerte nicht generell, sondern nur bei Fehlen eines aufklärenden Hinweises unzulässig ist. Die von der Klägerin angeregte "Präzisierung" des Spruches (Entfall der Wortfolge "wenn nicht gleichzeitig darauf hingewiesen wird, daß es..." sowie des zweiten "daß") steht demnach im Widerspruch zu den Entscheidungsgründen.

Die Beklagte kann sich weder auf Art 10 EMRK berufen noch kann sie geltend machen, nicht in Wettbewerbsabsicht gehandelt zu haben. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist kein Freibrief für unrichtige Tatsachenbehauptungen (ÖBl 1995, 167 - Exklusivinterview II; ÖBl 1996, 194 - Chronischer Leserschwund mwN); eine - zumindest mitwirkende und nicht völlig in den Hintergrund tretende - Wettbewerbsabsicht muß angesichts des von zahlreichen Auseinandersetzungen geprägten Wettbewerbsverhältnisses der Streitteile vermutet werden.

Dem Revisionsrekurs war teilweise Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 43, 50 ZPO. Obsiegen und Unterliegen beider Teile sind mangels anderer Anhaltspunkte mit je der Hälfte zu bewerten.

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