OGH 15Os92/98

OGH15Os92/9829.5.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Mai 1998 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Schimatschek als Schriftführer, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 27 a Vr 11352/97 anhängigen Strafsache gegen Goran G***** und andere wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Sedat K***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 16.April 1998, AZ 20 Bs 125/98, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Sedat K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen den am 20.Jänner 1977 geborenen jugoslawischen Staatsangehörigen Sedat K***** wird beim Landesgericht für Strafsachen Wien eine Voruntersuchung wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB geführt, weil er im dringenden Verdacht steht, am 16.September 1997 in Wien einen Tatbeitrag zu dem von Goran G***** und Esad M***** zum Nachteil des Peter H***** begangenen Raubes geleistet zu haben, indem er - in Kenntnis des Raubvorhabens - auf G***** und M***** gewartet und - nach Beobachtung körperlicher Attacken durch die Genannten am Raubopfer - ihnen in seinem PKW die Möglichkeit zur Flucht geboten hatte, wobei anläßlich der Tat ein Geldbetrag von zumindest 1.000 S und ein Walkman erbeutet wurde.

Sedat K***** wurde am 28.November 1997 festgenommen und am 30. November 1997 über ihn aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 1, Z 2 und Z 3 lit a, b und c StPO die Untersuchungshaft verhängt. Nachdem bereits zwei Haftverhandlungen stattgefunden hatten, in welchen jeweils die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem erwähnten Haftgründen angeordnet, einer Beschwerde des Beschuldigten vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 27.Jänner 1998 nicht Folge gegeben und die Untersuchungshaft aus den Haftgründen des § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a, b und c StPO fortgesetzt worden war, wurde der Angeklagte nach Durchführung einer Haftverhandlung am 27.März 1998 vom Untersuchungsrichter enthaftet. Dieser nahm dabei den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr weiterhin als gegeben an, erachtete jedoch trotz der Schwere des angelasteten Delikts und der einschlägigen Vorstrafen des Beschuldigten K***** im Hinblick auf dessen untergeordnete Stellung bei der Ausführung der Tat und die Dauer der bereits erlittenen Untersuchungshaft von ca vier Monaten den Haftgrund durch die Weisung der Aufnahme einer geregelten Beschäftigung bzw Anmeldung beim Arbeitsamt unter Vorlage eines diesbezüglichen Nachweises binnen vierzehn Tagen gemäß § 180 Abs 5 Z 3 StPO substituierbar (ON 151).

Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft, in der sie die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem obzitierten Haftgrund beantragte, gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 16.April 1998 Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a, b und c StPO an, wobei es aussprach, daß dieser Beschluß gemäß § 181 Abs 2 Z 3 StPO eine erst mit der neuerlichen Festnahme des Beschuldigten zu laufen beginnende Haftfrist von zwei Monaten auslöst (ON 168). Im übrigen hielt es fest, daß sich das Erstgericht bei der nach erneuter Einlieferung des Beschuldigten vorzunehmende Effektuierung der Beschwerdeentscheidung auf die Prüfung zu beschränken haben werde, ob die dem Beschwerdegericht vorliegenden maßgeblichen Umstände für die Fortsetzung der Untersuchungshaft seit der Beschlußfassung eine berück- sichtigungswürdige Änderung erfahren haben.

Auf Grund der Beschwerdeentscheidung wurde neuerlich ein Haftbefehl erlassen, der Beschuldigte am 2.Mai 1998 wiederum verhaftet und aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 3 lit a, b und c StPO seit 3.Mai 1998 in Untersuchungshaft angehalten.

In der gegen die erwähnte Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz rechtzeitig erhobenen Grundrechtsbeschwerde erblickt der Beschuldigte - ohne die Dringlichkeit des Tatverdachtes substanziell in Zweifel zu ziehen - eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit vorrangig in der Einschränkung der Prüfungsbefugnis des Erstgerichtes über das Vorliegen der Haftgründe durch das Beschwerdegericht und dessen vermeintlich unrichtige Ausmessung der Haftfrist durch Unterlassung der Anführung eines Ablauftages, sodann vermeint er, das Oberlandesgericht habe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 180 Abs 5 StPO zu Unrecht verneint, letztlich moniert er Unverhältnismäßigkeit der Haft.

Die Beschwerde erweist sich als nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Behauptung, der angefochtene Beschluß trage die Erlassung eines Haftbefehls gegen den Beschwerdeführer ohne Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 175 StPO auf, weiters beschränke das Oberlandesgericht mit dem Ausspruch, nur neue Verfahrensergebnisse schlössen die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus, zu Unrecht die Prüfungsbefugnis des Erstgerichtes über das Vorliegen der Haftgründe, verkennt, daß das Oberlandesgericht inhaltlich seiner Entscheidung ohnedies davon ausgegangen ist, daß ein Fortsetzungsbeschluß des Gerichtshofes zweiter Instanz nach Enthaftung des Beschuldigten nur bei unveränderter Sachlage seine Wirkung entfalten kann. Daß haftrelevante neue Umstände, die im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden konnten, vom Untersuchungsrichter jederzeit ohne Rücksicht auf die Beschwerdeentscheidung zu beachten sind, (was gegebenenfalls dazu führen kann, daß schon die neuerliche Ausstellung eines Haftbefehls zu unterbleiben hat - vgl 14 Os 149/94), ergibt sich aus dem Gesetz und (damit in Einklang) aus der Entscheidungsbegründung, in der das Oberlandesgericht dem Erstgericht lediglich seine Rechtsansicht bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen überbunden hat.

Entgegen der Beschwerdeauffassung wurde auch die Haftfrist nicht unrichtig ausgemessen. Abgesehen davon, daß die im Gesetz normierte Haftfrist nicht Gegenstand des Beschlusses auf Fortsetzung der Untersuchungshaft ist, son- dern letzterer diese nur auslöst - aus dem in § 179 Abs 4 Z 5 StPO verwendeten Ausdruck "Mitteilung" folgt, daß der Anführung des Ablauftages im Haftbeschluß nur deklarative Bedeutung zukommt, sodaß selbst eine unrichtige Bezeichnung des Endes der Haftfrist keine Veränderung der gesetzlichen Dauer der Wirksamkeit des Haftbeschlusses herbeiführen (JBl 1995, 260) und das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzen könnte (14 Os 42/98) - wäre es sinnwidrig, die Haftfrist - wie sonst (vgl § 181 Abs 2 Z 2 und 3 StPO) - ab Beschlußfassung zu berechnen, da der Beschuldigte im Zeitpunkt der Fassung des Fortsetzungsbeschlusses (noch) nicht (wieder) in Haft ist. Vielmehr wird die Haftfrist erst mit der neuerlichen Festnahme in Gang gesetzt, also jenem Zeitpunkt, in dem der der Auffassung des Gerichtshofes zweiter Instanz entsprechende Rechtszustand wiederhergestellt ist, woraus sich ergibt, daß die Mitteilung der Haftfrist sinnvollerweise erst in dem (auf die neuerliche Festnahme folgenden) Beschluß des Untersuchungsrichter erfolgen kann, mit der die auf Fortsetzung der Untersuchungshaft lautende Beschwerdeentscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz effektuiert wird (vgl abermals 14 Os 149/94 ua).

Zu Recht ist das Oberlandesgericht in seiner Beschwerdeentscheidung auch davon ausgegangen, daß in richtiger Würdigung der einschlägigen Vorstrafen, des neuerlichen Rückfalls in der Probezeit und unter Berücksichtigung der derzeitigen Lebensumstände des Beschwerdeführers, insbesondere seiner minimalen Einkünfte und der Nahebeziehung zum Suchtgiftmilieu, der Auftrag an den Beschuldigten, sich Arbeit zu suchen bzw als arbeitssuchend zu melden, den Haftgrund im Hinblick auf den fünf Jahre übersteigenden Sanktionsrahmen des hier aktuellen Verbrechens nicht zu entkräften vermag (§ 180 Abs 3 StPO).

Insoferne eine Grundrechtsverletzung in der - durch Nichterhebung der Anklage - durch die Staatsanwaltschaft gelegenen Verfahrensverzögerung und damit Unverhältnismäßigkeit der Haft erblickt wird, übersieht die Beschwerde, daß vom Schutzzweck des Grundrechtsbeschwerdegesetzes lediglich solche richterliche Akte umfaßt sind, die sich funktionell mit Eingriffen in das Grundrecht auf die persönliche Freiheit einer Person, also mit Haftfragen befassen (Mayrhofer/Steininger GRBG 1992 § 1 Rz 25, 12 Os 14/98 uva). Verfahrensverzögerungen im Zusammenhang mit der Anklageerhebung sind nur dann mit Grundrechtsbeschwerde aufgreifbar, wenn eine funktionell grundrechtsrelevante Erledigung bekämpft und darauf der einwand der Unverhältnismäßigkeit der Haft gestützt wird (Mayrhofer/Steininger aaO § 2 Rz 25 und die dort zitierte Judikatur).

Abgesehen davon kann bei dem im Fall verdachtskonformer Verurteilung zur Anwendung gelangenden Strafrahmen des § 142 Abs 1 StGB von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe von der Unverhältnismäßigkeit der rund 5 Monate dauernden Haft keine Rede sein.

Die Beschwerde war sohin ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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