European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1998:0030OB00096.98H.0527.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 16 Abs 3 AußStrG iVm § 508a Abs 2 und § 510 ZPO).
Begründung:
Am 4.12.1995 erschien der Betroffene in Begleitung einer Werkstattleiterin der "Lebenshilfe" beim Erstgericht und gab laut dem von diesem aufgenommenen Amtsvermerk an, daß er wegen der Erbschaft nach dem verstorbenen Vater da sei. Er sei grundsätzlich mit der Errichtung einer Sachwalterschaft einverstanden und wünsche, daß sein Bruder Leo zum einstweiligen Sachwalter für das Bestellungsverfahren bestellt werde. Telefonisch erhob der Richter beim Vorsteher des Verlassenschaftsgerichts, daß dem Betroffenen über seine Mutter am 22.11.1995 die Einantwortungsurkunde zugestellt worden sei. Dieser habe sich seines Erbrechtes ebenso wie seine Mutter entschlagen.
Mit Beschluß vom selben Tag (ON 2) bestellte das Erstgericht einerseits (a) den genannten Bruder des Betroffenen, der Richter des dem Erstgericht übergeordneten Gerichtshofes erster Instanz, ist für das Bestellungsverfahren und andererseits (b) einen Rechtsanwalt am Sitz dieses Gerichtes für die dringende Angelegenheit der Vertretung im Verlassenschaftsverfahren nach dem verstorbenen Vater zu einstweiligen Sachwaltern.
Diesen Beschluß bekämpfte der Betroffene, vertreten durch den mit dem angefochtenen Beschluß bestellten Verfahrenssachwalter, unter anderem mit Rekurs, mit dem er beantragte, den Beschluß des Erstgerichtes dahin abzuändern, daß das Verfahren eingestellt, in eventu die Bestellung des einstweiligen Sachwalters zu b) ersatzlos behoben oder er selbst zum einstweiligen Sachwalter des Betroffenen zur Vertretung im Verlassenschaftsverfahren bestellt werde. In diesem Rechtsmittel machte der Betroffene unter anderem Nichtigkeit wegen örtlicher Unzuständigkeit des Erstgerichtes und Unterlassung einer ordnungsgemäßen Anhörung nach § 237 AußStrG geltend.
Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 18.1.1996 (ON 12) wurde zur Entscheidung über diesen Rekurs infolge der Befangenheitsanzeigen des Präsidenten, des Vizepräsidenten und sämtlicher Richter des Landesgerichtes Feldkirch (außer dem Verfahrenssachwalter) gemäß § 30 JN das Landesgericht Innsbruck bestimmt.
Mit seinem Beschluß vom 15. März 1996 (ON 19) erklärte sich das Erstgericht zur weiteren Führung des Verfahrens nicht für zuständig und überwies das Verfahren an das Bezirksgericht Bezau.
Dem Rekurs des Betroffenen gegen das im Spruch enthaltene Wort "weiteren" gab das Rekursgericht mit Beschluß vom 6.9.1996 (ON 40) nicht Folge. In der Begründung dieser Entscheidung führte das Rekursgericht aus, daß ungeachtet der Verwendung des Jutext‑Formulars SW B 2 mit der Formulierung "zur weiteren Führung des Verfahrens nicht zuständig" kein Zweifel daran bestehen könne, daß das Erstgericht seine Zuständigkeit bei Verfahrenseinleitung verneint habe, widrigenfalls nur eine Übertragung der Zuständigkeit im Sinne des § 111 Abs 1 JN möglich gewesen wäre.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß gab das Rekursgericht dem Rekurs des "Verfahrenssachwalters" gegen den erstgerichtlichen Beschluß ON 2 nicht Folge. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs gemäß § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.
Für die Überweisung nach § 44 JN habe der OGH bereits mehrfach ausgesprochen, daß die vom unzuständigen Gericht angeordneten und vollzogenen Sicherungshandlungen aufrecht blieben und über einen Rekurs gegen solche Maßnahmen das übergeordnete Gericht sachlich zu entscheiden habe. Nur die Verfahrensfortsetzung gehe auf das zuständige Gericht über, an das gemäß § 44 JN zu überweisen sei (SZ 25/309; RZ 1966, 102; EvBl 1981/188; JBl 1982, 593 u.a.). Die vom Rekurswerber mehrfach vertretene Auffassung, daß nur rechtskräftige Beschlüsse eines unzuständigen Gerichtes trotz nachträglich ergangenen Ausspruchs der Unzuständigkeit in Wirksamkeit blieben, beziehe sich nicht auf Sicherungsmaßnahmen, weil sonst § 44 Abs 3 JN seine Funktion verlöre. Die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für das Verfahren und eines einstweiligen Sachwalters für dringende Angelegenheiten erfolge im Verfahrensstadium der Provisorialmaßnahmen, was allein die Bezeichnung deutlich mache. Die Tätigkeit der einstweiligen Sachwalter sei durch die rechtskräftige Bestellung eines Sachwalters im Sinne des § 249 AußStrG bzw durch die rechtskräftige Einstellung des Verfahrens nach § 243 AußStrG zeitlich begrenzt (Gitschthaler, Verfahrenssachwalter und einstweilige Sachwalter, ÖJZ 1990, 762 ff u.a.). Es handle sich daher um Sicherungsmaßnahmen im Sinn des § 44 Abs 3 JN, die aufgrund eines Rechtsmittels nicht ersatzlos aufzuheben, sondern einer inhaltlichen Prüfung durch das Rekursgericht zu unterziehen seien. Die Frage der Zuständigkeit des Erstgerichtes könne aufgrund der Bindungswirkung des nachfolgenden Unzuständigkeits- und Überweisungsbeschlusses nicht mehr geprüft werden (EvBl 1980/123; EFSlg 29.884; EFSlg 66.858).
Auch die Voraussetzungen für die vom Rekurswerber "primär" angestrebte Einstellung des Sachwalterbestellungsverfahrens seien bereits mehrfach behandelt worden (unter anderem mit dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 26.3.1997, 3 Ob 9/97p). Nach dem Ergebnis des durchgeführten Verfahrens bestünden begründete Anhaltspunkte dafür, daß sich der Betroffene der Tragweite und des Ausmaßes der von ihm schriftlich abgegebenen Erbsentschlagung nicht bewußt sei. Eine psychische Krankheit bzw geistige Behinderung sei vom Rekurswerber im laufenden Verfahren nie in Zweifel gezogen worden. Dies sei auch durch die vorliegenden Gutachten bestätigt worden. Diese Umstände indizierten auch die Unfähigkeit, eine auf eine Erbsentschlagung bezügliche Vollmacht zu erteilen. Allein die mehrfach behaupteten Ansprüche der Geschwister des Betroffenen zeigten, daß das Erstgericht zu Recht einen unbeteiligten Dritten zum einstweiligen Sachwalter für dringende Angelegenheiten bestellt habe. In diesem Sinne habe auch das nunmehr zuständige Bezirksgericht im Beschluß ON 38 a ausgeführt, daß zwischen den Interessen des Betroffenen und des einstweiligen Verfahrenssachwalters im Verlassenschaftsverfahren nach ihrem gemeinsamen Vater eine Interessenkollision bestehe. Das Erstgericht habe zu Recht auch das Vorliegen einer dringlichen Angelegenheit bejaht. Eine solche stelle auch die Einbringung eines Rechtsmittels für den Betroffenen in offener Frist dar (Gitschthaler, ÖJZ 1990, 766). Der Einwand, der Betroffene erleide keinen Nachteil, weil der Beschluß bei einer allfälligen rechtsunwirksamen Zustellung nicht in Rechtskraft erwüchse, vermöge nicht zu überzeugen, zumal die Rückabwicklung infolge Scheinrechtskraft durchgeführter Verfügungen, wenn überhaupt, jedenfalls nur mit einem erheblichen Aufwand möglich sei. Die dargestellte Interessenkollision schließe die beantragte Bestellung des Rekurswerbers zum einstweiligen Sachwalter für dringende Angelegenheiten aus.
Im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung, daß die vom Rekursgericht bejahte Zuständigkeit des Erstgerichtes im Außerstreitverfahren nicht mit Revisionsrekurs angefochten werden könne (SZ 65/84; EFSlg 79.676; RZ 1997/45; 6 Ob 5/97x), sowie im Hinblick auf die in diesem Verfahren vom Höchstgericht vertretene Auffassung, daß der Beurteilung, ob im konkreten Fall begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung vorlägen, keine erhebliche Bedeutung zukomme (3 Ob 9/97b) sei auszusprechen gewesen, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Bruder des Betroffenen sowohl als Sachwalter für das Verfahren als auch als bevollmächtigter Vertreter des Betroffenen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist tatsächlich nicht zulässig.
Daran vermag auch nichts zu ändern, das im Revisionsrekurs mit Recht darauf hingewiesen wird, daß auf den vorliegenden Fall § 44 Abs 3 JN schon deshalb nicht direkt anwendbar ist, weil das Erstgericht erst nach dem angefochtenen Beschluß seine Unzuständigkeit (bindend, wie schon vom Rekursgericht zutreffend dargelegt) ausgesprochen hat. Auf das Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu dieser Gesetzesstelle kommt es aber deshalb nicht an, weil es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, zu überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung wegen Unzuständigkeit des Erstgerichtes an einer Nichtigkeit oder einem Verfahrensmangel leidet. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu JBl 1992, 780 = SZ 65/84 ausgesprochen hat, muß jedenfalls auch bei solchen im Verfahren außer Streitsachen ergangenen Beschlüssen, deren Gegenstand ein Sachantrag oder ein sonstiges Rechtsschutzbegehren einer Partei ist, jene durch Analogie aus § 519 Abs 1 Z 1 ZPO gewonnene Anfechtungsbeschränkung gelten, wonach der Oberste Gerichtshof eine Nichtigkeit, deren Vorliegen das Gericht zweiter Instanz verneinte, auch aufgrund eines Rekurses nicht mehr wahrnehmen darf. Die Neuordnung des Revisionsrekursverfahrens nach dem Außerstreitgesetz durch Art I WGN 1989 orientierte sich nämlich im wesentlichen an den Grundsätzen der ZPO [woran sich auch durch die hier bereits anwendbare Erweiterte WGN 1997 nichts geändert hat]. Diese Judikatur ist inzwischen praktisch einhellig (MietSlg. 46.685; MietSlg. 46.691; EFSlg 79.676; und zahlreiche weitere E zum Außerstreitverfahren in RIS‑Justiz RS0007323). Nichts anderes gilt aber für vom Rekursgericht verneinte Mängel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz (RIS‑Justiz RS0050037; EF 79.677; ebenso RZ 1997/45).
Selbst wenn man die angefochtenen Entscheidungen, mit der einstweilige Sachwalter nach § 238 AußStrG bestellt wurden, nicht als Sachentscheidung qualifizieren wollte, kann jedoch aufgrund eines einfachen Größenschlusses für andere Entscheidungen im Außerstreitverfahren keine weitergehende Anfechtungsmöglichkeit eingeräumt sein als bei Entscheidungen über Sachanträge oder materiellrechtliche Entscheidungen, die von Amts wegen getroffen werden, wie im vorliegenden Fall.
Es ist auch nicht ersichtlich, daß im Sinne der Entscheidungen RZ 1997/57 = EvBl 1997/103 und 1 Ob 268/97m Erfordernisse des Wohls des Betroffenen hier zu einer anderen Beurteilung führen könnten. Anders als in den dort entschiedenen Fällen geht es hier um reine Formalfragen.
Dasselbe gilt demnach auch für die Frage, ob eine ordnungsgemäße Erstanhörung nach § 237 AußStrG stattgefunden hat. Anders als in dem zu RZ 1995/96 = NZ 1996, 109 = Jus Z 1893 entschiedenen Fall kann nämlich hier von einer Aktenwidrikeit von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 15 Z 3 AußStrG keine Rede sein. Aus dem Aktenvermerk des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 4.12.1995 ergibt sich nämlich unzweifelhaft, daß mit dem Betroffenen die Frage einer Sachwalterbestellung für ihn erörtert wurde, sodaß dem Erfordernis einer bloß formlosen Mitteilung, daß es sich um eine Erstanhörung im Sinn des § 37 AußStrG handelte, genüge getan erscheint. Anders als in dem jener Entscheidung zugrundeliegenden Fall drehte sich das Gespräch des Richters mit dem Betroffenen ausschließlich um diese Frage und im Zusammenhang damit um jenes Verlassenschaftsverfahren nach der Mutter des Betroffenen, das Anlaß für die Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens war.
Was die Frage angeht, ob im Hinblick auf die Voraussetzung für eine Sachwalterbestimmung nach § 273 ABGB - auch im Zusammenhang mit möglicher Hilfe nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle - Rechtsfragen im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG vorliegen, sind die Revisionsrekurswerber auf die dies bereits verneinende Entscheidung des erkennenden Senates vom 26.3.1997 3 Ob 9/97p zu verweisen.
Auch die Frage, ob im Einzelfall ein bestimmter Rechtsanwalt oder besser ein anderer bzw ein an einem anderen Ort ansässiger bestellt werden sollte, ist nicht erheblich im Sinne der genannten Gesetzesstelle, kommt doch dem Gericht dabei ein (konkret nicht überschrittener) Ermessensspielraum zu (SZ 68/95 = JBl 1995, 801 = Jus Z 1901).
Soweit allerdings der Verfahrenssachwalter in seinem Revisionsrekurs wiederum damit droht, auch er werde, falls es nicht bei der Erbsentschlagung bleiben sollte, gegen den Betroffenen alle seine Ansprüche (ebenso wie seine Geschwister) gerichtlich geltend machen, wodurch der Betroffene vermögenslos und finanziell ruiniert sein werde, wird das Erstgericht mit gebotener Sorgfalt zu prüfen haben, ob nicht gemäß §§ 283 Abs 2, 254 und 194 zweiter Satz ABGB der Verfahrenssachwalter zu entheben und durch eine andere Person zu ersetzen ist.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)