Spruch:
Die Übertragung der Zuständigkeit vom Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz auf das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird nicht genehmigt.
Text
Begründung
Der am 18.6.1985 geborene und bislang in Graz wohnhaft gewesene mj. Ferdinand St***** ist Sohn seiner am 3.6.1990 in Frankreich verstorbenen Mutter Ruth St*****. Während das inländische Verlassenschaftsverfahren bereits beendet ist (ON 109, Bd II, und ON 132, Bd III), ist jenes in Frankreich vor allem im Zusammenhang mit erblasserischen Liegenschaften der Verstorbenen dort noch anhängig; darüber hinaus laufen auch Erhebungen in Richtung eines allenfalls vorhandenen Stiftungsvermögens in Liechtenstein, aus dem dem Minderjährigen gleichfalls vermögensrechtliche Ansprüche zustehen könnten (ON 233, Bd IV). Zur Vertretung des Minderjährigen hinsichtlich seiner erblasserischen Ansprüche auf diese ausländischen Vermögenswerte wurden für Ferdinand St***** mehrfach Widerstreitsachwalter bestellt, zuletzt mit Beschluß des Erstgerichtes vom 7.2.1997 Dr. Gerhard Richter, Rechtsanwalt in Graz (ON 182, Bd III).
Mit Eingabe vom 22.1.1998 gab der Vater des Minderjährigen dem bisherigen Pflegschaftsgericht BGZ Graz bekannt, daß sich sein Sohn nunmehr in *****, aufhalte (ON 235, Bd IV), worauf das bisherige Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit der Begründung übertrug, daß einerseits der Minderjährige seinen ständigen Aufenthalt in dessen Sprengel habe und sich auch "der Kindesvater nur selten in Graz aufhält" (ON 237, Bd IV).
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien lehnte die Übernahme mit der - zusammengefaßten - Begründung ab, daß der Schwerpunkt des Verfahrens weiterhin in Graz liege, und auch der Widerstreitsachwalter des Minderjährigen dort ansässig sei; dieser sei in die aufgetragenen Vermögensverwaltungsangelegenheiten gut eingearbeitet und habe der Minderjährige selbst bisher auch nicht persönlich beim Pflegschaftsgericht vorsprechen müssen, sodaß sich - auch unter Bedachtnahme auf ein Adoptionsverfahren einer Schwester des Minderjährigen ebenfalls in Graz - weder eine wesentliche Verkürzung noch Verbilligung noch Erleichterung des Verfahrens insgesamt erwarten lasse (ON 239, Bd IV).
Das Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz legte hierauf die Akten gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Dieser hat hierüber gemäß § 7 Abs 1 lit d OGHG in einem Dreiersenat zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 111 Abs 1 kann das zur Besorgung der vormundschafts- oder kuratelsbehördlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit zur Gänze oder die Aufsicht und Fürsorge über die Person des Pflegebefohlenen oder die Ausübung der dem Gerichte in Ansehung der Vermögensangelegenheiten des Pflegebefohlenen zukommenden Obliegenheiten ganz oder zum Teile einem anderen Gerichte übertragen, wenn dies im Interesse eines Mündels oder Pflegebefohlenen gelegen erscheint und namentlich wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten vormundschafts- oder kuratelsbehördlichen Schutzes voraussichtlich befördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium der Übertragung der Zuständigkeit zur Führung einer Pflegschaftssache ist sohin stets das Kindeswohl (1 Nd 501/95). Wenn auch offene Anträge im allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung sprechen, so doch jedenfalls dann, wenn dem übertragenden Gericht zur Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (5 Nd 512/92, 1 Nd 501/95, 4 Nd 514/96, 1 Nd 501/97). Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine äußerst umfangreiche, komplexe und zufolge diverser Auslandsbezüge auch komplizierte, damit sachaufwendige und zufolge Anhängigkeit immerhin schon seit rund acht Jahren auch weit fortgeschrittene Sache, bei der aufgrund des alleinigen Umstandes, daß der Minderjährige (und auch dessen Vater, dem hierin jedoch ohnedies keine gesetzliche Vertretung zukommt: 10 Ob 201/97k) nach Wien verzogen sind, aus der Sachbearbeitung durch ein völlig neues Gericht, dessen Richter sich erst in den mehrbändigen Akt samt Beilagenkonvoluten einlesen müßte, Vorteile im Sinne des § 111 Abs 1 JN nicht zu erwarten sind (vgl auch 7 Nd 512/97; Mayr in Rechberger, JN-ZPO, Rz 4 zu § 111 JN). Dazu kommt, daß auch der Widerstreitsachwalter am Sitz des bisherigen Pflegschaftsgerichtes seinen Kanzleisitz hat, in die Materie eingelesen und eingearbeitet ist, gerade auch wegen seiner Fremdsprachenkenntnisse (zur Kontaktherstellung mit den ausländischen Korrespondenzanwälten speziell in Frankreich) bestellt wurde und sich daher Kontakte sowohl des Minderjährigen als auch dessen Vaters mit dem bisherigen Gerichtsort Graz, wo ja auch nach der Aktenlage maßgebliche Firmensitze mit Beteiligungen des Minderjährigen bestehe, zwangsläufig nicht vermeiden lassen.
Der Übertragungsbeschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien ist daher gemäß § 111 Abs 2 JN aufgrund aller dieser Umstände nicht zu genehmigen.
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