OGH 10ObS114/98g

OGH10ObS114/98g31.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ernst Boran (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Robert B*****, Kellner, ***** im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.November 1997, GZ 9 Rs 330/97h-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 28.Juli 1997, GZ 13 Cgs 42/96b-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 24.11.1995 den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab 1.10.1995 ab. Dagegen richtet sich die Klage mit dem Vorbringen, daß der Kläger aufgrund einer HIV-Infektion den erlernten Beruf eines Kellners nicht mehr ausüben könne.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte fest, daß der am 14.1.1966 geborene Kläger den Lehrberuf Kellner erlernt und die Lehrabschlußprüfung am 29.8.1985 bestanden habe. Danach habe er abgesehen von kurzzeitigen Tätigkeiten in einem Restaurantbetrieb und im Hotel E***** im wesentlichen 15 Monate als Kellner in einer Club-Diskothek gearbeitet. Dabei habe er eine der beiden Etagen dieses Lokales zu betreuen gehabt, in dem er verschiedenste Getränke und kleinere Imbisse servierte.

Der Kläger kann mittelschwere Arbeiten in temperierten Räumen verrichten, wenn dabei kein dauernder besonderer Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeiten) anfällt und die Arbeiten auch nicht mit einer außergewöhnlichen Infektionsgefahr verbunden sind. Im Kellnerberuf tritt eine solche außergewöhnliche Infektionsgefahr insoweit auf, als es sich um eine personen-zentrierte Tätigkeit handelt und die Vermeidung des Kundenkontaktes im Beruf nicht möglich ist. Aus medizinischer Sicht ist dem Kläger die Ausübung des Kellnerberufes nicht zumutbar.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht ausgehend von der überwiegenden Ausübung des Kellnerberufes Invalidität des Klägers im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei mit der Maßgabe, daß es eine vorläufige Zahlung festsetzte, nicht Folge.

Es führte aus, daß die Zeit der Erlernung des Lehrberufes nicht zur Beurteilung der Frage des Überwiegens der qualifizierten Ausübung des Lehrberufes herangezogen werden könne. Da die Tätigkeit des Klägers durch Servieren von Speisen und Getränken zu den Haupttätigkeiten dieses Berufes gehöre, er als Kellner in der Club-Diskothek beschäftigt gewesen sei, sei der Berufsschutz des Klägers durch seine Tätigkeit nicht verlorengegangen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der Rechtsprechung sind Zeiten der Lehrausbildung bei Prüfung des Berufsschutzes wegen des Ausbildungszweckes wie Zeiten der schulmäßigen Berufsausbildung zu behandeln (SSV-NF 4/27, 5/123). Die Lehrzeit gilt nicht als Zeit der Ausübung eines erlernten oder eines nicht qualifizierten Berufes; sie ist bei Prüfung, ob in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG eine erlernte Berufstätigkeit ausgeübt wurde, außer Betracht zu lassen (SSV-NF 4/27, 5/123, 7/7, 7/91, 8/103; 10 ObS 227/93, 10 ObS 2358/96d, 10 ObS 115/97b, 10 ObS 279/97w). Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung schulmäßiger Berufsausbildungen im vorangeführten Sinn folgt, daß Beitragszeiten, in denen eine Ausbildung erfolgte, grundsätzlich als "berufsschutzunschädlich" zu qualifizieren sind.

Die Gleichbehandlung der hier in Frage stehenden Ausbildungen, ob diese nun im Rahmen des Lehrberufes Restaurant-Fachmann (BGBl 1994/1095) oder der Hotelfachschulausbildung mit Ausbildungsschwerpunkt Gastronomie [BGBl 1993/702 Art I § 1 Z 40 (Anl 1 D)] erfolgt, bietet sich gerade deshalb an, weil im wesentlichen idente Berufsausbildungen vermittelt werden.

Auch vollversicherte Lehrlinge erwerben während der Ausbildungszeit Zeiten der Pflichtversicherung und daher Beitragszeiten, während die in § 227 Abs 1 Z 1 ASVG angeführten Schulzeiten Ersatzzeiten sind. Nach § 255 Abs 2 ASVG gilt als überwiegend eine Berufstätigkeit, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurde. Das Gesetz differenziert nicht, ob diese Beitragsmonate auf Lehrzeiten oder andere Zeiten, die Beitragsmonate begründen, entfallen. Bei Erwerb der identen Berufsbefähigung des Restaurantfachmannes durch die Lehrausbildung und die Ausbildung in der Hotelfachschule wäre der Absolvent der Lehrausbildung gegenüber dem Schulabsolventen benachteiligt, weil die Lehrzeiten berufsschutzschädlich sind, andererseits aber in der Lehrzeit und der anschließenden Zeit der Berufsausübung, die im vorliegenden Fall nicht die Lehrzeit erreicht, Beitragsmonate erworben wurden und daher im vorliegenden Fall die auf die Lehrzeit entfallenden Beitragsmonate überwiegend wären. Eine überwiegend qualifizierte Berufstätigkeit wäre dann nicht gegeben. Bei Schulabsolventen begründen die Schulzeiten Ersatzzeiten, die ungeachtet ihrer Dauer gegenüber den vor dem Stichtag im schulmäßig erlernten Beruf zurückgelegten Beitragsmonaten bei Beurteilung der überwiegenden Ausübung nicht ins Gewicht fallen (SSV-NF 4/27), dem Schulabsolventen würde Berufsschutz zukommen, dem Absolventen der Lehrausbildung hingegen nicht. Dieses unterschiedliche, gleichheitswidrige Ergebnis kann dem Gesetzgeber, der die verschiedenen Ausbildungsvorgänge im Ergebnis gleichstellen wollte, nicht unterstellt werden.

Ob Schulzeiten nach § 227 Abs 2 und 3 ASVG anspruchs(wartezeit)- bzw leistungswirksam nachgekauft werden können (Choholka/Juch/Rudda/Souhrada/Sulzbacher, Strukturanpassungsgesetz 1996, Änderungen im Sozialversicherungsrecht SoSi 1996, 471 [480]), hat mit ihrer Berücksichtigung bei Beurteilung der überwiegenden Berufsausübung im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG nichts zu tun. Hier geht es darum, daß Zeiten des Erwerbes einer identen Berufsberechtigung im Rahmen verschiedener Ausbildungsvorgänge für die Frage des Berufsschutzes nicht unterschiedlich gewertet werden sollen. Das davon völlig verschiedene Problem der Berücksichtigung von Zeiten der freiwilligen Versicherung bei Feststellung, ob ein Beruf überwiegend ausgeübt wurde, stellt sich hier nicht.

Beitragszeiten, in denen eine Ausbildung erfolgt, sind daher bei Lehrzeiten am Beginn des Berufslebens zu neutralisieren (10 ObS 115/97b). Das bedeutet, daß die Invalidität eines Versicherten, der nach bestandener Lehrabschlußprüfung im erlernten Beruf tätig war, wie der Kläger, auch dann nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen ist, wenn die während des Lehrverhältnisses erworbenen Beitragsmonate überwiegen (SSV-NF 4/27 = DRdA 1991, 252 [zustimmend Heider]; 10 ObS 115/97b).

Es ist daher davon auszugehen, daß der Kläger den Lehrberuf überwiegend ausgeübt hat.

Er hat den erworbenen Berufsschutz durch die ausgeübte Teiltätigkeit des Restaurantfachmannes (früher Kellner) [Berufslexikon des AMS Österreich Band I (1997), 389], nämlich durch Servieren verschiedenster Getränke und kleinerer Imbisse nicht verloren. Grundsätzlich bleibt der Berufsschutz auch bei Ausübung nur einer Teiltätigkeit des erlernten Berufes erhalten (SSV-NF 4/80; 9/35; 9/40).

Für die Erhaltung des Berufsschutzes ist nur der Inhalt, die Qualifikation der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der Teiltätigkeit maßgeblich (SSV-NF 4/2; 7/88). Daher ist entscheidend, ob ein Kernbereich der Ausbildung bei Ausübung der Teiltätigkeit vewertet werden muß (SSV-NF 4/2), so daß diese Tätigkeit noch als Ausübung eines erlernten Berufes im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG anzusehen ist (SSV-NF 3/29).

Die Tätigkeit eines Kellners etwa in Kaffeehäusern, Konditoreien und Bars, von dem erwartet wird, daß er die angebotenen Speisen und ihre Zubereitung sowie alle Getränke kennen und die Gäste beraten muß, erhält beispielsweise den Berufsschutz (SSV-NF 7/88).

Daher kommt es zum Erhalt des Berufsschutzes auch darauf an, daß die bereits erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten des Lehrberufes vorhanden und daher jederzeit verwertet werden können. Eine Haupttätigkeit des gelernten Kellners ist das Servieren von Speisen und Getränken. Von einer unqualifizierten Tätigkeit (SSV-NF 7/88) kann dann nicht gesprochen werden, wenn die weiteren üblicherweise dazugehörigen Kenntnisse und Fähigkeiten, wie beispielsweise die Vorbereitungsarbeiten, die Gästebetreuung und Gästeberatung, das Aufnehmen der Bestellung, das Ausstellen von Rechnungen und das Kassieren usw aufgrund der Erlernung des Berufes vorhanden und nur infolge der Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeitsort im Einzelfall nicht in vollem Umfang gefragt sind. Im vorliegenden Fall ist daher die Qualifikation des Klägers durch seine Tätigkeit nicht verloren gegangen.

Der Revision war daher keine Folge zu geben.

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