OGH 10ObS115/97b

OGH10ObS115/97b4.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut K*****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14.Jänner 1997, GZ 12 Rs 232/96s-65, womit das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20.Mai 1996, GZ 26 Cgs 37/93y-62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1.2.1993 die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen, abgewiesen wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10.11.1946 geborene Kläger war nach seiner Lehre als Elektroinstallateur bis 1971 (ausgenommen die Zeit seines Bundesheerdienstes) immer als Elektriker bei verschiedenen Firmen beschäftigt. Im maßgeblichen Zeitraum der letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, also ab dem 1.2.1978, fielen folgende Beschäftigungszeiten an: Im erlernten Beruf war der Kläger tätig vom 22.2. bis 20.9.1978 bei der Firma P*****, Elektroinstallationen, sodann vom 5.5. bis 22.6.1980 bei der Firma Ing.T*****, Elektro-Radio-Fernsehen, und vom 20.7. bis 21.7.1981 bei der Firma M*****, Elektroanlagenbau. In den übrigen Zeiten war er entweder arbeitslos, bezog kein Krankengeld oder war als Hilfsarbeiter beschäftigt, und zwar 1979 vom 21.5. bis 27.6. bei der Firma O*****, vom 13.8. bis 16.8. bei der Firma J*****-Montage und vom 26.11. bis 30.11. bei der Firma G*****; 1980 vom 30.1. bis 4.2. bei der Firma R***** sowie vom 28.10. bis 30.10. bei der Firma I*****-Fenster.

Ab 11.1.1988 unterzog sich der Kläger einer Schulung (Ganztageskurs) durch das Landesarbeitsamt und besuchte den vom BFI durchgeführten Kurs der Arbeitsmarktverwaltung "Lehrabschlußprüfung Anlagenmonteur" mit dem Ziel der Ablegung der Lehrabschlußprüfung als Anlagenmonteur. Diese Ausbildung brach er jedoch am 24.4.1988 krankheitsbedingt ab.

Vom 14.11. bis 16.12.1988 wurde dem Kläger eine Berufsfindung im Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) in Linz ermöglicht, wo auch vom 9.1. bis 29.9.1989 eine Ausbildung zum Qualitätssicherer stattfand. Der Kläger hat das Lehrziel erreicht und diesen Kurs erfolgreich abgeschlossen. Die Lehrinhalte umfaßten einerseits Teilbereiche aus dem Berufsbild des Lehrberufes Werkstoffprüfer, andererseits die Erlernung qualifizierter Kontrollarbeiten, wie sie in der Industrie von angelernten Hilfsarbeitern oder auch von Facharbeitern durchgeführt werden und als solche eine Teiltätigkeit aus dem Bereich der Lehrberufe der Metallverarbeitung darstellen. Nach dem Abschluß des Kurses war er zunächst wiederum arbeitslos, war jedoch sodann in der Zeit vom 1.8. bis 19.10.1990 sowie vom 7.11. bis 9.11.1990 als Qualitätssicherer in einer Metallverarbeitungsfirma tätig; anschließend folgten 8 Tage Krankenstandszeiten (25. bis 22.11.1990).

Aufgrund der vom Erstgericht im einzelnen festgestellten Leidenszustände (speziell im Wirbelsäulenbereich sowie einem Alkoholismus chronicus) ist der Kläger noch in der Lage, leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen im Freien sowie in geschlossenen Räumen mit normalen Arbeitspausen zu verrichten. Nicht mehr zumutbar sind Arbeiten in gebückter und vorne übergeneigter Körperhaltung, häufige und rasche Kopfwendungen, kniende und hockende Tätigkeiten, weiters Arbeiten, die den vollen Bewegungsumfang beider Ellbogengelenke und das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg erfordern sowie Arbeiten unter besonderer physischer und psychischer Belastung (wie Akkord-, Nacht- und Schichtarbeit), sowie Arbeiten, bei denen besondere Eigenverantwortung und Eigeninitiative erforderlich sind. Weiters sind Arbeiten ausgeschlossen, die mit häufiger Nässe- und Kälteeinwirkung verbunden sind, sowie Arbeiten, die überwiegend mit beiden Armen über Schulterniveau auszuführen sind, schließlich Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Weiters sind Überstundenleistungen und Arbeiten unzumutbar, die mit intensivem Kunden- und Parteienverkehr verbunden sind.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände sind dem Kläger Verweisungstätigkeiten innerhalb der Berufsgruppe der Elektroberufe nicht mehr zumutbar bzw Verweisungsmöglichkeiten innerhalb seiner Berufsgruppe unbekannt bzw in ausreichender Zahl am allgemeinen Arbeitsmarkt auch nicht vorhanden. Er ist jedoch in der Lage, am allgemeinen Arbeitsmarkt eine Reihe von Arbeiten zu verrichten, beispielsweise Portier, Kontrollarbeiter in verschiedenen Branchen, Zähler, Verpacker, Parkgaragenkassier, Museumsaufseher, Adjustierer (Beilegen von Gebrauchsanweisungen uä in Verpackungsmaterial) sowie Finish-Arbeiter in der Schuh- und Bekleidungsindustrie. Alle diese Arbeiten übersteigen das Leistungskalkül des Klägers nicht.

Mit Bescheid vom 3.3.1993 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension mangels Invalidität ab.

Mit seiner Klage stellte der Kläger das Begehren auf Zuerkennung einer solchen.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.2.1993 sowie zu einer vorläufigen Zahlung von monatlich S 4.500 bis zur Erlassung des die Höhe festsetzenden Bescheides.

Es beurteilte den einleitend zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß der Kläger den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt habe und ihm insoweit Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG zukomme. Bei der Beurteilung der Frage des Überwiegens der Berufstätigkeiten in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag hätten die während der Schulungsmaßnahmen der Arbeitsmarktverwaltung erworbenen Beitragsmonate (in Berücksichtigung der vom Obersten Gerichtshof zur Lehrzeit entwickelten Grundsätze) außer Betracht zu bleiben und seien die festgestellten Kurse wegen des ihnen anhaftenden Ausbildungszweckes wie eine schulmäßige Berufsausbildung bzw Zeiten einer Lehrlingsausbildung zu beurteilen. Die darauf entfallenden 15 Beitragsmonate seien daher auszuscheiden. Von den verbliebenen 18 Beitragsmonaten sei der Kläger jedoch tatsächlich in zumindest 10 im erlernten Beruf eines Elektroinstallateurs tätig gewesen, sodaß ihm insoweit Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG zukomme.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei ausschließlich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung keine Folge. Es übernahm die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, wonach die durch die Schulung nach dem AMFG erworbenen Beitragsmonate zufolge ihres im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakters für die Beurteilung der Voraussetzungen nach § 255 Abs 1, 2 oder Abs 3 ASVG nicht zu berücksichtigen seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte und vom Kläger nicht beantwortete Revision der beklagten Partei. Diese ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig. Nach Auffassung der Revisionswerberin hätten beide Vorinstanzen davon ausgehen müssen, daß der Kläger im Wege der durch die Arbeitsmarktverwaltung organisierten Ausbildungskurse Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben habe, die in ihrer Gesamtzahl ein Überwiegen einer nicht qualifizierten Tätigkeit zur Folge hätten. Da der Kläger im Rahmen des medizinischen Kalküls auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, liege Invalidität bei ihm nicht vor und sei das Klagebegehren daher abzuweisen.

Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu. Dies aus folgenden Erwägungen:

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist vorauszuschicken, daß die vom Erstgericht im Rahmen seiner Tatsachenfeststellungen im Anschluß an die im einzelnen wiedergegebenen Beschäftigungs- und Ausbildungszeiten des Klägers angefügten Zahlen hiedurch erworbener Beitragsmonate in Wirklichkeit einen Vorgriff zur daraus abgeleiteten rechtlichen Beurteilung darstellen; die Zahl dieser Monate ist nämlich aufgrund der im einzelnen erhobenen Beschäftigungszeiten im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zahlenmäßig zu ermitteln und damit insoweit auch einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof zugänglich. Zur abschließenden Beurteilung sind dafür auch die in den Beobachtungszeitraum fallenden (unqualifizierten) Zeiten als Hilfsarbeiter maßgeblich, wobei im Hinblick auf die oben wiedergegebenen Beschäftigungszeiten bzw der im einzelnen wiedergegebenen Resttagsmonate auf die Berechnungsregel des § 231 Z 1 lit b ASVG Bedacht zu nehmen ist. Ausgehend von der Aufschlüsselung dieser Beschäftigungszeiten ergeben sich unter Beachtung dieser Gesetzesstelle für den Zeitraum von 1979 und 1980 insgesamt 3 Monate aus Hilfsarbeitertätigkeit (und zwar zwei Resttagmonate 1979: 11 Tage Mai + 4 Tage August = 1 Resttagmonat - § 231 Z 1 lit b erster Satz ASVG: 5 Tage November = 1 Resttagmonat - § 231 Z 1 lit b Schlußsatz ASVG; 1980: 5 Resttage Jänner und Oktober; da im November 7 Tage an Krankengeldbezug liegen [3. bis 9.11.: Pensionsakt Blatt 92], handelt es sich bei dem Resttagsmonat um eine Ersatzzeit nach § 232 Abs 1

ASVG).

Ungenau ist in diesem Zusammenhang weiters die "Feststellung" des Erstgerichts, wonach der Kläger im erlernten Beruf "zumindest 10 Beitragsmonate" erworben habe. Aus den Anstaltsunterlagen (wiederum im unstrittigen Pensionsakt) ergibt sich nämlich, daß tatsächlich 11 Monate an Pflichtversicherungszeiten als Elektriker vorliegen. In Blatt 100 des Pensionsaktes ist für Dezember 1978 ein Pflichtversicherungsmonat (Resttagsmonat) ausgewiesen. Da im Blatt 91 außer der Beschäftigunng bei der Firma P***** keine Beschäftigung ausgewiesen ist, handelt es sich um die Resttage aus Februar 1978; damit handelt es sich aber um ein Beitragsmonat der Pflichtversicherung als Zeit einer qualifizierten Tätigkeit.

Auch die Qualifikation der Tätigkeit als Qualitätssicherer (1.8. bis 19.10, 7.11. bis 9.11.1990) als "keinem Lehrberuf gleichzuhalten" (Seite 4 der Feststellungen des Erstgerichtes) ist letztlich als Rechtsfrage eine solche der rechtlichen Beurteilung, die aufgrund entsprechender Tatsachenfeststellungen über die Berufsanforderungen etc zu lösen ist. Diese Frage kann jedoch im vorliegenden Fall - da für das Ergebnis ohne entscheidungswesentlichen Einfluß - offen- und damit dahingestellt bleiben. Da der Kläger im Anschluß an die drei Beschäftigungstage im November nämlich einen Krankenstand von acht Tagen hatte, handelt es sich gemäß § 232 Abs 1 ASVG wiederum um einen Ersatzmonat, sodaß insgesamt von drei Beitragsmonaten als Qualitiätssicherer auszugehen ist. Selbst wenn man diese Zeit als Qualitätssicherer als Zeit der Ausübung eines qualifizierten Berufes wertete (§ 255 Abs 1 und 2 ASVG), ergäbe sich damit eine maximale Zeit von 14 Monaten einer qualifizierten Tätigkeit.

Einzugehen ist damit auf die Frage der Wertigkeit der AMFG-Ausbildungszeiten des Klägers. Auszugehen ist von der vom Obersten Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung SSV-NF 7/29 gemachten Aussage, wonach bei einem Anlernberuf die Zeit der Anlernung als unqualifizierte Zeit zu werten ist, weil der angelernte Beruf erst ab dem Zeitpunkt ausgeübt wird, ab dem die Anlernung beendet ist und der Versicherte über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die den im Lehrberuf erworbenen gleichzuhalten sind. Bezüglich Lehrlingen hatte dies der Oberste Gerichtshof bereits zuvor in einer Reihe von Entscheidungen ausgesprochen (SSV-NF 4/27 = SZ 63/33, SSV-NF 5/123, 7/7, 7/91). Auch in der Entscheidung SSV-NF 8/57 war die Ausbildungszeit nach dem AMFG als nicht qualifizierte Zeit behandelt worden. Beitragszeiten, in denen eine Ausbildung erfolgte, sind daher grundsätzlich als "berufsschutzschädlich" zu qualifizieren; eine "Neutralisierung" erfolgte nur für Lehrzeiten am Beginn (vor Antritt) des Berufslebens (aus dem Argument der Gleichbehandlung zur schulmäßigen Berufsausbildung: SSV-NF 4/27). An dieser Beurteilung ist festzuhalten.

Berücksichtigt man nun, daß der Kläger einschließlich der bereits weiter oben behandelten drei Monate als Hilfsarbeiter zuzüglich der 15 Monate durch die AMFG-Ausbildung insgesamt Beitragszeiten von 18 Monaten als sohin unqualifizierte Beitragszeit erwarb, folgt daraus, daß sich selbst bei Wertung der drei Monate als Qualitätssicherer als qualifizierte Arbeit im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG zuzüglich der (gegenüber dem Erstgericht korrigierten) 11 Monate im Elektrikerberuf nur 14 Monate ergeben, womit aber die Zeiten der unqualifizierten Beschäftigung überwiegen.

Damit ist aber das Verweisungsfeld des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Nach den dafür maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes (Seite 6 der Entscheidungsgründe) ist der Kläger nicht invalid im Sinne dieser Gesetzesstelle. Das Verweisungsfeld im Falle der nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilenden Invalidität ist mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident (SSV-NF 1/4, 2/109, 6/56).

In diesem Sinne waren daher in Stattgebung der Revision der beklagten Partei die Urteile der Vorinstanzen im klagsabweislichen Sinne abzuändern.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil solche vom Kläger in keiner der drei Instanzen verzeichnet wurde.

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