OGH 8ObA287/97g

OGH8ObA287/97g29.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rohrer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Scherz und Dr.Walter Zeiler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Monika B*****, vertreten durch Neumayer & Walter, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei M***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Michael Brunner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 260.000,-- sA, Ausstellung eines Dienstzeugnisses (Streitwert S 100,--) und Feststellung (Streitwert S 1.000,--), infolge Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Mai 1997, GZ 9 Ra 22/97i-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13.Mai 1996, GZ 19 Cga 19/93i-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 29.077,68 (darin S 3.736,20 USt und S 6.660,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und ihr Ehegatte wollten für die Beklagte als Immobilienvermittler tätig sein. Bei den mit dem Geschäftsführer der Beklagten geführten Gesprächen äußerte die Klägerin den Wunsch, sozialversichert zu sein und deshalb mit einem geringen Betrag bei der Gebietskrankenkasse angemeldet zu werden. Die Parteien einigten sich in der Folge darauf, daß die Klägerin bei der Gebietskrankenkasse mit einem monatlichen Bruttobetrag von S 10.000 gemeldet werde. Der Geschäftsführer erklärte, daß für Geschäftsabschlüsse, die die Klägerin und ihr Ehegatte vermittelten, eine Subprovision von 35 % zuzüglich 20 % USt gewährt werde, jedoch von diesem Betrag das Gehalt der Klägerin zuzüglich der "sozialen Nebenkosten" abgezogen werde. Größenordnungsmäßig erwähnte er dabei, daß der Abzug sich etwa im Bereich von S 20.000 bewege. Für die Ermittlung des genauen abzuziehenden Betrages wurde ein Beobachtungszeitraum von vier Monaten festgesetzt. Obwohl bei dem Gespräch auch vereinbart wurde, daß die Anmeldung der Klägerin bei der Gebietskrankenkasse nur in der "Anlaufphase" stattfinden solle, wurde eine zeitlich bestimmte Befristung nicht vereinbart. Die Klägerin wurde daraufhin bei der Gebietskrankenkasse zum 16.10.1991 als kaufmännische Angestellte mit einem Gehalt von S 10.000 angemeldet. Die Klägerin erhielt ab dem Anmeldungstag bis einschließlich Jänner 1992 jeweils das einem Bruttobetrag von S 10.000 entsprechende Nettogehalt monatlich zuzüglich aliquoter Sonderzahlungen ausbezahlt. Tatsächlich hat die Klägerin ihre Arbeit für die Beklagte bereits Anfang Oktober 1991 begonnen.

Der Geschäftsführer der Beklagten war in der Folge mit dem Arbeitserfolg der Ehegatten nicht zufrieden. Er machte im Jänner 1992 den Vorschlag, die Klägerin könne als freie Mitarbeiterin tätig sein, er werde sie aber bei der Gebietskrankenkasse abmelden und es würden in der Folge sowohl die Klägerin als auch ihr Ehegatte aufgrund ihrer jeweiligen Tätigkeit Provisionsansprüche haben. Die Klägerin und ihr Ehegatte äußerten darauf sinngemäß "okay", es bleibe ihnen nichts anderes übrig. Bei diesem Gespräch war auch die Rede davon, daß für den Zeitraum ab 1.2.1992 ein "Handelsvertretervertrag" abgeschlossen werden sollte, ohne daß über die einzelnen Details, wie etwa dem Provisionssatz Einigung erzielt wurde. Über Aufforderung des Geschäftsführers der Beklagten meldete deren Steuerberater die Klägerin zum 31.1.1992 bei der Krankenkasse ab.

Ab Februar 1992 erhielt die Klägerin keinerlei Gehaltszahlungen mehr von der Beklagten. Es wurde ihr keine Endabrechnung über die Zeit bis Ende 1992 ausgefolgt.

Die Klägerin arbeitete im Betrieb der Beklagten ab 1.10.1991 jeweils mindestens 40 Stunden pro Woche. Sie war überwiegend im Innendienst tätig, wobei ihr Tätigkeitsbereich vom Beginn bis August 1992 im wesentlichen gleich blieb. Er bestand im Aufbau einer Abteilung für Industrie und Gewerbeobjekte bei der Beklagten mit allen erforderlichen administrativen Vorbereitungsarbeiten, wie etwa Anlegen von Ordnern, Erhebung von Daten über potentielle Kunden und Abnehmer, das Planen von Bedarfserhebungen und deren Durchführung, Gestaltung der Korrespondenz für Kunden im Bereich Industrie und Gewerbeobjekte, Erstellung von Plankonvoluten und kundenbezogenes Überarbeiten der Plankonvolute, Erheben von Grundbuchsauszügen, Führen der gesamten Korrespondenz, sowie die Vereinbarung und das Wahrnehmen von Besichtigungsterminen. Im Rahmen der Industrieabteilung führte die Klägerin auch Korrespondenz für ihren Ehemann, tat dies aber auch für andere Kollegen, machte Telefondienst, wobei sie auch über Objekte, die von Kollegen bearbeitet wurden, Auskünfte erteilte. Die Klägerin hatte von Anfang an einen eigenen Schreibtisch im Betrieb, es gab auch eine eigene Telefonleitung für Industrieobjekte. Sie hatte vom Geschäftsführer keine Anweisung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten, ausgenommen die Montage. Hier legte der Geschäftsführer Wert darauf, daß die Mitarbeiter schon um 8 Uhr oder 8,30 Uhr im Büro waren und ermahnte die Klägerin, wenn sie zu spät kam, daß ihre frühere Anwesenheit erforderlich sei, um - auch außerhalb des eigentlichen Bereichs der Industrieobjekte - Telefondienst zu machen. Ab Ende April 1992 wurden im Betrieb Listen geführt, wann die einzelnen Mitarbeiter zur Arbeit erscheinen und darauf auch hinsichtlich der Klägerin Eintragungen vorgenommen. Zweck der Listen war, dem Geschäftsführer eine Kontrollmöglichkeit über den Arbeitseinsatz der Mitarbeiter zu geben. Ca. ab Mitte oder Ende Mai 1992 benützten die Klägerin und ihr Ehemann nicht mehr die ihnen zugewiesenen Schreibtische, sondern einen Konferenztisch, und zwar mit der Begründung, sie hielten das "Geschnattere" nicht mehr aus. Weil das Ausweichen ins Konferenzzimmer in der Folge aus räumlichen Gründen nicht mehr möglich war, arbeiteten die Klägerin und ihr Ehemann auch zu Hause. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten einen Firmenschlüssel und einen Pager.

Beide Ehegatten hatten in der Zeit, in welcher sie für die Beklagte tätig waren, eine Gesamtsumme an Kanzleiprovisionen in der Höhe von S

842.650 erwirtschaftet, und zwar aus insgesamt drei Geschäftsfällen. Die Beklagte zahlte an den Ehegatten der Klägerin Subprovisionen von S 11.865 und S 7.875. Hinsichtlich des dritten Geschäftsfalles erfolgte vorerst keine Auszahlung und behing ein Rechtsstreit beim Handelsgericht Wien, in welchem sich die Beklagte mit Vergleich vom 5.5.1993 verpflichtete, dem Ehegatten der Klägerin S 293.844,83 bis 15.6.1993 sowie einen weiteren Betrag von S 34.650 unter der Bedingung der vollständigen Provisionszahlung durch den Kunden der Beklagten zu bezahlen.

Die Klägerin hat nach dem Jänner 1992, ab welchem Zeitpunkt sie kein Gehalt mehr erhielt, dieses beim Geschäftsführer der Beklagten mehrfach urgiert. Sie arbeitete dennoch weiter, weil ein von den Ehegatten vermittelter Geschäftsfall noch nicht abgeschlossen war. Als auch danach weder ihr Ehegatte den Provisionsanteil noch die Klägerin ihr Gehalt bekam, kam es zwischen ihr und dem Geschäftsführer wieder, wie mehrfach zuvor, zu Auseinandersetzungen wegen rückständigen Entgeltes, wobei die Klägerin am 28.8.1992 bei einer solchen Gelegenheit nach Hause ging, weil ihr übel wurde. Mit Schreiben vom 30.8.1992 erklärte der Rechtsvertreter der Klägerin ihren vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis wegen Entgeltrückständen.

Mit ihrer am 22.1.1993 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin zuletzt Gehalt für die Monate Februar bis August 1992 von je S 20.000, Gehaltsnachzahlung für die Monate Oktober 1991 bis Jänner 1992 von je S 10.000 sowie Urlaubsentschädigung und Kündigungsentschädigung, insgesamt S 260.000 sA. Weiters sei die Beklagte schuldig zu erkennen, der Klägerin ein Dienstzeugnis über ihre Beschäftigung vom 1.10.1991 bis 30.8.1992 auszustellen und möge festgestellt werden, daß die Klägerin bei der Beklagten in dieser Zeit als Angestellte beschäftigt gewesen sei. Die Klägerin sei bei der Beklagten als Angestellte zu einem vereinbarten Gehalt von S 20.000 brutto monatlich beschäftigt gewesen, habe jedoch bis einschließlich Jänner 1992 jeweils nur die Hälfte des ihr zustehenden Entgelts erhalten. Nachdem die Beklagte sie stillschweigend und heimlich per 31.1.1992 bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet habe, habe sie überhaupt kein Gehalt mehr bekommen, obwohl sie dieses mehrmals, zuletzt unter Androhung des Austritts, urgiert habe. Die Klägerin habe daraufhin mit Schreiben vom 30.8.1992 den vorzeitigen Austritt erklärt. An der Feststellung, daß sie für die Beklagte bis zu ihrem Austritt als Angestellte gearbeitet habe, habe die Klägerin ein rechtliches Interesse, weil sie diesen Nachweiss einerseits aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen und andererseits für die abzulegende Berufsprüfung benötige.

Die Beklagte wendete dagegen ein, daß zwischen den Parteien vereinbart worden sei, daß das Dienstverhältnis der Klägerin nur einige Wochen bestehen und daß die Klägerin nach dessen Auflösung als freie Mitarbeiterin tätig werden sollte. Das Gehalt von S 10.000 monatlich brutto sei vereinbarungsgemäß mit Provisionsansprüchen der Klägerin aus Vermittlungen gegenzuverrechnen gewesen. Mit Wirkung vom 31.1.1992 sei das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen einvernehmlich aufgelöst worden, wobei gleichzeitig alle Ansprüche aus der Angestelltentätigkeit verglichen worden seien. Ab 1.2.1992 habe die Klägerin selbständig und eigenverantwortlich als freie Mitarbeiterin, ohne an Dienstzeiten, Dienstort oder Weisungen gebunden zu sein, für das Unternehmen der Beklagten auf Provisionsbasis gearbeitet. Weil sich die Tätigkeit der Klägerin und ihres Ehegatten nicht zur Zufriedenheit der Beklagten gestaltet habe, habe die Beklagte Ende Sommer 1992 auf die Mitarbeit der Ehegatten verzichtet, was diese zustimmend zur Kenntnis genommen haben.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin einen Betrag von S 130.000 brutto zu bezahlen und ihr ein Dienstzeugnis über die Tätigkeit vom 1.10.1991 bis 30.8.1992 als Angestellte auszustellen. Es stellte weiters fest, daß die Klägerin in dieser Zeit für die Beklagte als Angestellte tätig gewesen sei und wies das Mehrbegehren von weiteren S 130.000 brutto sA ab. Das Erstgericht traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß die Parteien ein monatliches Bruttogehalt der Klägerin von S 10.000 vereinbart haben. Aus dem festgestellten Umfang der Tätigkeit der Klägerin ergebe sich, daß ein Arbeitsverhältnis vorgelegen habe. Die Klägerin sei im Betrieb integriert und in gewissem Ausmaß zeitgebunden gewesen. Sie habe nicht bloß Vermittlungstätigkeit durchgeführt, sondern auch Kanzleitätigkeit, die nicht allein auf zu vermittelnde Industrieobjekte bezogen gewesen sei. Dazu komme noch das Element der wirtschaftlichen Unselbständigkeit, weil die Klägerin meistens über 40 Stunden pro Woche für die Beklagte gearbeitet habe. Der Verrechnungsmodus zwischen dem Gehalt der Klägerin und der an ihren Ehegatten auszuzahlenden Provision sei beim Einstellungsgespräch zwar erörtert, aber nicht klar genug determiniert worden. Darüber hinaus müßten allfällige Abzüge nicht bei der Klägerin, sondern bei den Provisionen ihres Ehegatten vorgenommen werden. Der Beklagten sei nicht der Beweis gelungen, daß die mit der Klägerin getroffene und nicht befristete Gehaltsvereinbarung im Jänner 1992 einvernehmlich aufgehoben worden sei. Es habe sich an der tatsächlichen Art der Tätigkeit der Klägerin auch nach dem Jänner 1992 nichts geändert. Ihr wäre daher das vereinbarte Gehalt ab Februar 1992 weiter zugestanden. Der vorzeitige Austritt der Klägerin wegen ungebührlicher Entgeltvorenthaltung sei daher gerechtfertigt. Es stünden ihr Ansprüche zu wie bei fristgerechter Dienstgeberkündigung. Diese wäre erst zum 31.12.1992 möglich gewesen, zu welchem Zeitpunkt bereits Anspruch auf den Urlaub aus dem neuen Urlaubsjahr bestanden hätte. Die Urlaubsentschädigung sei nicht gemäß § 1162d ABGB verfallen, weil der Anspruch daraus nach ständiger Rechtsprechung der dreijährigen Verjährungsfrist unterliege. Weil nach den Feststellungen der Klägerin lediglich ein Bruttogehalt von S 10.000 monatlich 14mal jährlich zugestanden sei, seien alle Ansprüche abzuweisen gewesen, soweit sie von einer höheren Bemessungsgrundlage berechnet worden seien. Der Klägerin stünden daher die Gehälter für die Monate Februar 1992 bis August 1992 sowie die Kündigungsentschädigung vom 31.8.1992 bis 31.12.1992 zu, das sind insgesamt 11 Monatsentgelte zu je S 10.000 brutto, somit S 110.000 brutto. Sonderzahlungen seien nicht begehrt worden. An Urlaubsentschädigung stehe von derselben Bemessungsgrundlage ausgehend ein Betrag von S 20.000 zu. Die Klägerin habe auch Anspruch auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses und ergebe sich ihr rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung schon daraus, daß die Beklagte das Bestehen eines Dienstverhältnisses ab Februar 1992 bestritten habe, weshalb die Klärung strittiger Sozialversicherungszeiten erforderlich sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil in seinem die Entgeltzahlung betreffenden Leistungsausspruch dahin ab, daß es die Beklagte unter Abweisung des Mehrbegehrens schuldig erkannte, der Klägerin lediglich S 70.000 brutto sA zu bezahlen. Das Berufungsgericht verwarf die Tatsachenrüge der Beklagten und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Zur rechtlichen Beurteilung führte es aus, daß die Klägerin unstrittig als Dienstnehmerin in das Unternehmen der Beklagten eingetreten und somit ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet worden sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei es im Jänner 1992 nicht zu einer einvernehmlichen Neuregelung des Dienstverhältnisses gekommen, weil es an übereinstimmenden Willenserklärungen beider Vertragsteile mangle. Die von der Klägerin auf die Mitteilung des Geschäftsführers der Beklagten, er werde die Klägerin mit Ende Jänner von der Krankenkasse abmelden, danach könne sie als freie Mitarbeiterin tätig sei, gemachte Äußerung "okay", es bleibe ihr und ihrem Mann nichts anderes übrig, könne nicht als Zustimmung zur Beendigung des Dienstverhältnisses gewertet werden. Vielmehr habe die Klägerin lediglich zum Ausdruck gebracht, die beabsichtigte Abmeldung bei der Krankenkasse zur Kenntnis zu nehmen, weil sie darauf ohnehin keinen Einfluß gehabt habe. Es sei daher davon auszugehen, daß das Angestelltendienstverhältnis der Klägerin bis August 1992 fortbestanden habe. Allerdings könne dem Erstgericht darin nicht gefolgt werden, daß die Klägerin einen berechtigten Austritt erklärt habe. Nach ständiger Rechtsprechung sei zwar durch ein Vorenthalten der Gehaltszahlung ein rechtswidriger Dauerzustand geschaffen und damit der Austrittstgrund nach § 26 Z 2 AngG verwirklicht. Dieser Umstand könne aber nicht zum Anlaß eines plötzlichen Austritts genommen werden, vielmehr müsse der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den Arbeitgeber vorher unter Setzung einer, wenn auch kurzen, Nachfrist zur Zahlung des Rückstandes auffordern. Daß der Arbeitnehmer schon wiederholt in längeren Zeitabständen seinen Unmut über die unterlassene Entgeltauszahlung zum Ausdruck gebracht habe, könne die Nachfrist nicht ersetzen. Die Klägerin habe zwar wiederholt ihr rückständiges Entgelt gefordert, weil aber Verhandlungen über den Abschluß eines Handelsvertretervertrages gescheitert seien und somit eine unklare rechtliche Situation über die Form der weiteren Zusammenarbeit bestanden habe, wäre die Setzung einer Nachfrist jedenfalls erforderlich gewesen. Die Beklagte habe das monatelange Dulden der gesetzwidrigen Vorgänge bezüglich der Bezahlung des Entgelts auch dahin verstehen können, daß die Klägerin dies nicht zum Anlaß einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nehmen werde. Infolge dieses unberechtigten Austrittes habe die Klägerin lediglich Anspruch auf das bis zum Austritt nicht gezahlte fällige Entgelt. Sonderzahlungen seien nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Gemäß § 9 Abs 1 UrlG entfalle Anspruch auf Urlaubsentschädigung bei unberechtigtem Austritt. Es seien daher die über das Entgelt bis einschließlich August 1992 hinausgehenden Ansprüche abzuweisen gewesen.

Der dagegen erhobenen Revision der Beklagten kommt keine Berechtigung zu, jene der Klägerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der von der Beklagten auch noch in ihrer Revision vertretenen Ansicht ist das Arbeitsverhältnis der Klägerin als Dienstvertrag im Sinne des § 1151 ABGB zu qualifizieren. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (SZ 54/75; ArbSlg 10.096; JBl 1987, 332; WBl 1988, 400; WBl 1990, 77; RdW 1991, 301; 8 ObA 2347/96x), ist der Arbeitsvertrag im Sinne des § 1151 ABGB vor allem durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, also durch dessen Unterworfenheit unter die funktionelle Autorität des Arbeitgebers gekennzeichnet, die sich in organisatorischer Gebundenheit, insbesondere an Arbeitszeit, Arbeitsort und Kontrolle - nicht notwendig auch in Weisungen über die Art der Ausführung der Tätigkeit - äußert. Für den Arbeitsvertrag wesentlich ist daher eine weitgehende Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Arbeitnehmers, welcher in bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterworfen ist oder, wenn dieses Verhalten schon im Arbeitsvertrag vorausbestimmt ist oder unter Heranziehung anderer Regeln bestimmbar ist, zumindest dessen laufender Kontrolle unterliegt. Die Feststellungen des Erstgerichtes über die Art der von der Klägerin seit ihrem Eintritt in das Unternehmen der Beklagten und auch nach Jänner 1992 im wesentlichen unverändert ausgeführten Tätigkeit zwingen geradezu zu dem Schluß, daß die Klägerin in persönlicher, wirtschaftlicher und organisatorischer Abhängigkeit vom Dienstgeber ihre Arbeitsleistungen erbrachte. Sie übte im Innendienst Bürotätigkeit aus, die keinesfalls nur auf das von ihr und ihrem Ehegatten betreute Gebiet der Vermittlung von Industrieobjekten beschränkt war. Von der Klägerin entworfene Inserate wurden ebenso kontrolliert wie ihre in Listen eingetragene Arbeitszeit. Der Wertung der Vorinstanzen, die Klägerin sei innerhalb eines Dienstverhältnisses als Angestellte (§ 1 Abs 1 AngG) tätig gewesen, ist daher beizutreten.

Es ist gesicherte Rechtsprechung, daß die widerspruchslose Hinnahme einer einseitigen Auflösungserklärung des Arbeitgebers keineswegs zweifelsfrei (§ 863 ABGB) auf den Willen des Arbeitnehmers schließen läßt, das Arbeitsverhältnis auch seinerseits mit dem genannten Zeitpunkt zu beenden. Sowohl für die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses als auch für eine Neuregelung des Arbeitsvertrages bedarf es der Willensübereinstimmung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (JBl 1986, 63; ArbSlg 10.474; DRdA 1988/14; 9 ObA 1010/92). Schweigen auf einen Vertragsantrag hat grundsätzlich nicht die Bedeutung der Annahme; will daher der Arbeitgeber eine vom Arbeitsvertrag abweichende Regelung treffen, so muß er klar und deutlich auf die abweichende Neuregelung hinweisen und die Zustimmung des Arbeitnehmers zu dieser Maßnahme einholen. Nur unter besonderen Umständen kann Stillschweigen, das auf die Willenserklärung eines anderen folgt, als Zustimmung und Annahme gewertet werden, nämlich dann, wenn der nicht Zustimmende nach dem Gesetz, nach der Verkehrssitte oder nach Treu und Glauben hätte reden müssen, der andere Teil also nach den Umständen diesem Stillschweigen keine andere Bedeutung als die der Zustimmung beilegen konnte (ArbSlg 9776; 9 ObA 34/90). Eine derartige Pflicht, sich zu erklären, bestand aber gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten schon deshalb nicht, weil die Abmeldung von der Krankenkasse nur eine Wissenserklärung und nicht eine auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Willenserklärung ist (DRdA 1988/14). In seiner Entscheidung RdW 1984, 379 hat der Oberste Gerichtshof das Zustandekommen einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verneint, weil die auf eine entsprechende Äußerung des Dienstgebers gegebene Antwort des Arbeitnehmers, daß man "da nichts machen könne", nicht mit der im § 863 ABGB erforderlichen Sicherheit auf den Willen des Arbeitnehmers schließen lasse, seinerseits an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mitzuwirken. Nicht anders ist die Äußerung der Klägerin auf die Mitteilung des Geschäftsführers der Beklagten, er werde sie bei der Gebietskrankenkasse abmelden, "okay", es bleibe ihnen nichts anderes übrig, zu verstehen. Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend dargestellt haben, kann daraus lediglich abgeleitet werden, daß die Klägerin das Vorhaben des Geschäftsführers zur Kenntnis nehme, eine Zustimmung zu dieser Maßnahme kann in der Äußerung nicht gesehen werden.

Allerdings kann dem Berufungsgericht nicht darin gefolgt werden, daß die Klägerin mangels Nachfristsetzung unberechtigt ausgetreten sei. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß zwar durch längeres Dulden der Entgeltschmälerung das Austrittsrecht des Dienstnehmers nicht verwirkt wird, daß jedoch der Arbeitnehmer diesen Umstand nicht zum Anlaß eines plötzlichen Austritts nehmen darf, d.h. ohne vorherige Ankündigung und damit für den Arbeitgeber nicht erkennbar eine weitere Zusammenarbeit abzulehnen (ArbSlg 10.218; ArbSlg 10.471; WBl 1993, 325). Es wurde auch ausgesprochen, daß es selbst dann der Nachfristsetzung unter konkreter - wenn auch nicht ziffernmäßiger - Angabe der erhobenen Forderung bedürfe, wenn der Arbeitnehmer zuvor in längeren Zeitabständen seinen Unmut über die Verrechnungsart zum Ausdruck gebracht hat (ecolex 1991, 720). Den genannten Entscheidungen lagen jeweils Entgeltschmälerungen in offenkundig nicht allzu großem Umfang zugrunde. In ArbSlg 10.218 ging es um gesetzwidrige Vorgänge bei der Auszahlung des Urlaubsentgelts, ArbSlg 10.471 hatte die Nichtverrechnung kollektivvertraglicher Steigerungsbeträge zum Gegenstand, in WBl 1993, 325 ging es um eine Lohnkürzung zur Hereinbringung einer Gefahrenzulage von S 500 und ecolex 1991, 720 hatte eine unrichtige Verrechnung von Überstunden zum Gegenstand. Allen Fällen war somit gemeinsam, daß der Arbeitgeber in Anbetracht der langdauernden Duldung der Schmälerung nicht zwingend mit einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechnen mußte, sondern etwa auch davon ausgehen konnte, der Arbeitnehmer werde sich mit der Einleitung eines Gerichtsverfahrens zufriedengeben (8 ObA 90/97m).

Völlig anders liegt aber der hier zu beurteilende Fall, in welchem die Beklagte der Klägerin das gesamte ihr zustehende Entgelt ab Februar 1992 vorenthielt, obwohl die Klägerin unverändert zumindest 40 Wochenstunden im Büro der Beklagten arbeitete. Bedenkt man weiters, daß auch der von der Klägerin und ihrem Ehemann erwirtschaftete Provisionsanteil nach den Feststellungen in weitaus überwiegendem Ausmaß zumindest während der Dauer des Arbeitsverhältnisses der Klägerin nicht ausbezahlt wurde, konnten die Organe der Beklagten nicht davon ausgehen, die Klägerin werde unbegrenzte Zeit ohne jede Entlohnung weiter arbeiten. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in SZ 68/4 für den Fall gravierender Verletzung des Arbeitszeitgesetzes ausgesprochen hat, bedarf der vorzeitige Austritt jedenfalls dann keiner Nachfristsetzung, wenn auf seiten des Dienstgebers ein eklatanter Gesetzesverstoß vorliegt. In diesem Fall hat es bei der Rechtsprechung zu bleiben, daß der Dienstgeber jederzeit mit der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechnen muß, ohne daß es dazu einer besonderen Ankündigung oder einer formellen Nachfristsetzung bedürfte (ArbSlg 9917; ArbSlg 10.147; WBl 1993, 325). Hiezu kommt, daß nach den getroffenen Feststellungen die Klägerin ohnedies mehrfach ihre Gehaltszahlungen urgierte, wobei die letzte diesbezügliche Auseinandersetzung am 28.8.1992 stattfand. Auch vor diesem Hintergrund muß die am 30.8.1992 abgegebene Austrittserklärung der Klägerin als nicht überraschend angesehen werden. Schließlich mußte der Klägerin eine Nachfristsetzung angesichts des bisherigen Verhaltens der beklagten Partei, die trotz mehrfacher Urgenzen Monate hindurch das gesamte Entgelt vorenthielt, als zwecklos erscheinen (vgl SZ 32/118; RdW 1987, 24).

Da der Austritt der Klägerin somit berechtigt erfolgte, stehen ihr auch die aus diesem Titel vom Erstgericht zugesprochenen in der Höhe nicht mehr strittigen Ansprüche zu. Die Beklagte hat diesbezüglich in der Rechtsrüge ihrer Berufung lediglich ausgeführt, daß sowohl die Kündigungsentschädigung von S 40.000 als auch die Urlaubsentschädigung wegen Überschreitung der Frist des § 1162d ABGB bzw § 34 AngG verfallen seien. Diesbezüglich genügt der Hinweis, daß die nunmehr zugesprochenen Teilbeträge bereits in der innerhalb der gesetzlichen Sechsmonatsfrist eingebrachten Klage begehrt wurden.

Es ist daher der Revision der Beklagten ein Erfolg zu versagen, jedoch in Stattgebung der Revision der Klägerin das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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