OGH 1Ob126/97d

OGH1Ob126/97d27.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anneliese L*****, vertreten durch Dr.Wilfried Haslauer, Dr.Reinfried Eberl und Dr.Robert Hubner, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Sibylle S*****, vertreten durch Dr.Reinhard Junghuber, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 62.180 S sA infolge Revisionsrekurses (richtig Rekurses) der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 3.Februar 1997, GZ 54 R 465/96p-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 8.August 1996, GZ 15 C 1333/95t-18, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die im Ausspruch der Zurückweisung der „Nichtigkeitsberufung“ (Punkt 1.) unberührt bleibt, wird in ihrem aufhebenden Teil (Punkt 2.) aufgehoben und dem Berufungsgericht insoweit die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Zweifamilienhauses, dessen Hochparterrewohnung sie mit ihrer Familie selbst bewohnt und dessen Wohnung im ersten Stock sie der Beklagten vermietete. Die Streitteile verlängerten ihren am 31.Juli 1992 geschlossenen, mit 31.Oktober 1994 befristeten schriftlichen Mietvertrag bis 31.Oktober 1996. Im Mai 1995 zog die Beklagte aus der gemieteten Wohnung aus.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten zuletzt den Betrag von 62.180 S sA an offenen Mietzinsen und Betriebskosten für den Zeitraum vom Auszug der Beklagten bis zum vereinbarten Vertragsende.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte noch fest, es habe schon bald nach Beginn des Mietverhältnisses immer wieder Umstimmigkeiten zwischen den Streitteilen gegeben, dennoch sei das Bestandverhältnis „erneuert“ worden. Auch im Herbst 1994 habe die Klägerin der Beklagten wegen solcher Unstimmigkeiten schriftlich (Beilage N) angeboten, das Mietverhältnis unter bestimmten Bedingungen aufzulösen, wozu die Beklagte deshalb nicht bereit gewesen sei, weil sie über keine (andere) adäquate Wohnung verfügt habe. In der Folge sei es zwischen den Streitteilen immer wieder zu kleineren Reibereien gekommen, bis die Klägerin schließlich eines Abends in die Wohnung der Beklagten gekommen sei, als diese gerade mit ihren beiden Kindern und mit Gästen zu Abend gegessen habe. Im Zuge der nun folgenden, immer heftiger werdenden Auseinandersetzung habe die Klägerin schließlich „in ihrer resoluten Art“ verlangt, daß die Beklagte ausziehe. Die Beklagte habe sich damit einverstanden erklärt, sobald sie eine Wohnung habe. Die Klägerin habe erwidert, je eher der Auszug (der Beklagten) erfolge, desto „besser sei die Sache“. In diesem Sinn habe sich die Klägerin auch noch später einmal gegenüber der Beklagten geäußert. Beide Vertragsteile hätten in weiterer Folge mehr oder weniger in Unfrieden unter einem Dach gelebt. Als die Beklagte dann eine andere Wohnung gefunden habe, habe sie dies der Klägerin mitgeteilt und sei schließlich ausgezogen.

Rechtlich folgerte der Erstrichter, die Streitteile hätten ihr Vertragsverhältnis einvernehmlich aufgelöst.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Auf die umfangreiche Beweis- und Tatsachenrüge ging es nicht ein, sondern vertrat in Erledigung der Rechtsrüge die Auffassung, von einer einvernehmlichen Vertragsauflösung könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die im Mietvertrag für alle Vertragsänderungen und -ergänzungen vorgesehene Schriftform nicht eingehalten worden, weder vorgebracht noch festgestellt sei, daß die Klägerin auf die vereinbarte Schriftform ausdrücklich verzichtete und den Äußerungen beider Parteien nicht entnommen werden könne, zu welchem bestimmten Zeitpunkt der Vertrag beendet sein solle, sodaß es an der objektiven Bestimmbarkeit eines Endtermins fehle. Auf die vom Erstgericht vertretene Rechtsansicht, die sofortige Vertragsauflösung durch die Beklagte sei auch in analoger Anwendung des § 1118 ABGB berechtigt, müsse schon deshalb nicht eingegangen werden, weil sich die Beklagte darauf nicht berufen habe und ein Grund für eine sofortige Vertragsauflösung infolge des Verhaltens der Klägerin nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der - von der zweiten Instanz zugelassene „Revisionsrekurs“ (gemeint: Rekurs) - der Beklagten ist zulässig und auch berechtigt.

Die vom Erstgericht festgestellten Erklärungen der Streitteile wären - sollten sie Bestand haben - entgegen der Auffassung der zweiten Instanz als einverständliche Auflösung des befristet abgeschlossenen Mietvertrags zu beurteilen. Die Frage nach der rechtlichen Existenz einer Willenserklärung ist nach § 863 ABGB, die nach dem Inhalt eines unstreitig gültig zustandegekommenen Rechtsgeschäfts nach § 914 ABGB zu beurteilen. Bei der Beurteilung der Bedeutung von Erklärungen kommt es in jedem Fall auf den objektiven Erklärungswert an, also darauf, wie ein redlicher Empfänger der Erklärung diese unter Berücksichtigung aller Umstände verstehen mußte (ÖBA 1992, 745; ÖBA 1990, 843; MietSlg 42.110 uva). Der vom Erstgericht festgestellte Inhalt des Gesprächs der Streitteile im Zuge eines Streits ließe bei dessen - von der zweiten Instanz nicht überprüften - Richtigkeit mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, übrig, daß die Klägerin das befristete Mietverhältnis bereits vor dem vereinbarten Endtermin auflösen wollte und die Beklagte damit unter der Bedingung einverstanden war, daß sie eine geeignete andere Wohnung findet. Daß damit auch die Töchter der Beklagten, die, soweit es um die Benutzung der Wohnung geht, ihre Rechtsstellung ausschließlich von ihrer Mutter ableiten konnten, als deren Mitbewohnerinnen ausziehen mußten, bedarf keiner näheren Erläuterung.

Daß dabei für den Auszug der Beklagten aus der befristet gemieteten Wohnung und damit für die Beendigung des Vertragsverhältnisses ein bestimmbarer Termin nicht vereinbart wurde, wäre bei Richtigkeit der erstrichterlichen Feststellungen unerheblich. Insoweit wurde der Beklagten als einem der Vertragsteile eine Option eingeräumt. Lehre und Rechtsprechung verstehen unter der im ABGB nicht geregelten Option das Gestaltungsrecht, ein inhaltlich bereits festgelegtes Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung in Geltung zu setzen (1 Ob 585/94 = SZ 67/137 ua). Es kann nicht zweifelhaft sein, daß eine Option auch zum Inhalt haben kann, ein bestehendes Schuldverhältnis (hier: ein Mietverhältnis) durch einseitige Erklärung zu beenden (Binder in Schwimann 2, § 936 ABGB Rz 12 unter Hinweis auf OLG Wien Arb 10.794). Die Bestimmung des § 936 ABGB über die Ausübungsbefristung findet auf Optionen keine analoge Anwendung (SZ 53/19, SZ 67/137 ua; RIS-Justiz RS0018775; Reischauer in Rummel 2 § 936 ABGB Rz 6; Binder aaO Rz 13, 15). Es bleibt dem Ermessen des Optionsberechtigten anheimgestellt, ob und wann er von der ihm an die Hand gegebenen Befugnis Gebrauch machen will (SZ 67/137; RIS-Justiz RS0104149). Die Erklärung, ein Optionsrecht auszuüben, kann grundsätzlich nicht nur ausdrücklich, sondern - wenn sie nicht nach der Art des Geschäfts formbedürftig ist - auch schlüssig abgegeben werden. Ob eine schlüssige Ausübung des Optionsrechts vorliegt, ist nach § 863 ABGB zu beurteilen (5 Ob 564/82 = MietSlg 34.141; RIS-Justiz RS0014327; Binder aaO Rz 16). Von einer solchen schlüssigen Ausübung der der Beklagten eingeräumten Option durch den Auszug aus der gemieteten Wohnung müßte hier ausgegangen werden, hielten die erstinstanzlichen Feststellungen der Beweisrüge in der Berufung stand:

Die Vereinbarung, den Vertrag aufzulösen, ist keine Änderung oder Ergänzung des Vertrags (hier: Mietvertrags), sondern beseitigt ihn und liegt völlig außerhalb dieses Vertrags. Nur dann, wenn - anders als hier - auch für die einvernehmliche Beendigung eine bestimmte Form vereinbart worden wäre, könnte die einvernehmliche Auflösung des Vertragsverhältnisses von der Einhaltung der vereinbarten Form abhängig sein (2 Ob 620/87 = MietSlg 40.421 mwN; RIS-Justiz RS0017197). Es ist daher bedeutungslos, daß für Änderungen und Ergänzungen des Mietvertrags die Schriftform vereinbart war (Punkt 11.), geht es doch hier ausschließlich um eine Dissolutionserklärung, ganz abgesehen davon, daß die Parteien von einem vereinbarten Formgebot einvernehmlich auch wiederum abgehen können (vgl nun Rummel in Rummel, ABGB2 § 884 Rz 3 mwN). Insoweit kann der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht beigetreten werden. Die Bestimmungen des § 29 Abs 1 Z 3 und Abs 3 MRG - dessen Anwendung hier einmal unterstellt - als Nachfolgebestimmung des § 23 Abs 2 MG schließen nicht aus, daß der Mieter vor Ablauf des Mietvertrags die Verpflichtung übernimmt, das Mietobjekt zu einem bestimmten Termin zu räumen, und damit auf die ihm zustehenden Vorteile verzichtet. Das einvernehmliche Abgehen auch von einem dem MRG unterliegenden Mietvertrag ist zulässig (1 Ob 760/83 = MietSlg 35.343; 2 Ob 580/87 = MietSlg 40.098 ua, zuletzt 8 Ob 1660/92; RIS-Justiz RS0070093; Würth in Rummel 2 § 29 MRG Rz 3, vor § 1112 ABGB Rz 3), selbst wenn es formfrei oder gar schlüssig erfolgt (MietSlg 40.421 mwN) und nicht sofort realisiert wird (MietSlg 30.166, 40.098 mwN). Die Absicht des Gesetzes geht nur dahin, den Mieter gegen eine einseitige willkürliche Auflösung des Mietvertrags durch den Vermieter (sowie gegen alle Umgehungshandlungen, mit denen dasselbe Ergebnis erreicht wird), zu schützen. Der Mieter darf dabei nur nicht unter Druck gestanden sein (MietSlg 35.343; 40.098 ua, zuletzt 8 Ob 501/91; RIS-Justiz RS0070053). Solches wurde aber weder behauptet noch festgestellt.

Die Beklagte hat nicht nur vorgebracht, der Mietvertrag sei einvernehmlich vor Zeugen zum 31.Mai 1995 beendet worden, sondern auch vorgetragen, daß die Auflösung des Mietverhältnisses einer Option der beklagten Mieterin vorbehalten sein sollte (ON 6 AS 15, ON 7 AS 27).

Die zweite Instanz setzte sich mit der umfangreichen Beweis- und Tatsachenrüge der Klägerin in deren Berufung nicht auseinander, sondern erledigte deren Rechtsrüge „ausgehend vom festgestellten Sachverhalt“. Das hier allein maßgebliche Gespräch der Streitteile wurde jedoch in der Berufung zum Gegenstand der Anfechtung im Tatsachenbereich gemacht. Es bedarf daher einer Aufhebung des berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschlusses. Die zweite Instanz hat die Beweis- und Tatsachenrüge zu erledigen, weil nur von überprüften Feststellungen ausgehend verläßlich beurteilt werden kann, ob eine einverständliche Auflösung des Mietvertrags vorliegt oder nicht. Angesichts des Briefs der Klägerin vom 29.November 1994 (Beilage N), der eine schriftliche Reaktion der Beklagten verlangt, ist auch das nicht festgestellte Datum des Streitgesprächs für die Beurteilung dessen Erklärungswerts bedeutsam. Die Entscheidung der Frage, ob angesichts des Fehlens einer Feststellung des Erstrichters über den Zeitpunkt des Streitgesprächs eine Beweiswiederholung bzw -ergänzung durch die zweite Instanz (§ 496 Abs 3 ZPO) erforderlich ist, fällt in deren Ingerenz.

Auf eine Berechtigung zur Vertragsauflösung analog § 1118 ABGB hat sich die Beklagte in erster Instanz in der Tat nicht berufen.

Dem Rekurs ist demnach Folge zu geben und der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichts aufzuheben. Die Kostenentscheidung fußt auf § 52 Abs 1 ZPO.

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