OGH 15Os88/97

OGH15Os88/973.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal, Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Benner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Eduard G***** wegen des Verbrechens des versuchten Beischlafs mit Unmündigen nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 17.April 1997, GZ 40 Vr 2802/96-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche des Angeklagten von den Verbrechen des versuchten Beischlafs mit Unmündigen nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB und der versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 erster Fall StGB enthält, wurde Eduard G***** (teilweise abweichend von der auch wegen des Vergehens nach § 218 StGB erhobenen Anklage - ON 19 - nur) des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil er in Salzburg wiederholt Handlungen vorgenommen hat, die geeignet waren, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er 1. zwischen Mai und Herbst 1996 in Gegenwart der am 19.Oktober 1984 geborenen, mithin unmündigen Minela R***** seinen Geschlechtsteil entblößte und vor ihr onanierte; 2. von Frühjahr bis Herbst 1996 an Wochenenden am Balkon der von ihm bewohnten Wohnung in Salzburg, Aignerstraße Nr. 11 a, in Gegenwart von mehreren unmündigen Kindern seinen Geschlechtsteil entblößte, sich selbst befriedigte und einen Geschlechtsverkehr vornahm.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 4 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die Strafhöhe ficht er mit Berufung an.

In der Verfahrensrüge (Z 4) rügt der Beschwerdeführer zu Unrecht die Abweisung der von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge durch das schöffengerichtliche Zwischenerkenntnis (§ 238 Abs 1 StPO).

Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines Jugendpsychologen (dem gleichzeitig aufgetragen werden möge, die von ihm für wesentlich erachteten Konsiliarärzte beizuziehen) zum Beweis dafür, daß die Zeugin Minela R***** auf Grund äußerer Einflüsse bei ihrem Alter nur schwer zwischen Realität und Film, Video- und Fernsehfiktion unterscheiden könne und es ihren Aussagen an Glaubwürdigkeit fehle (Punkt 1. S 205), wurde vom Erstgericht zutreffend mit der Begründung abgewiesen, daß es Aufgabe des Gerichtes sei, die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu beurteilen, zumal im Zuge ihrer Einvernahme keine Auffälligkeiten im Sinne einer Krankheit evident geworden seien (Punkt 1. S 207).

Ein jugendpsychologisches Gutachten über die unmündige Zeugin Minela R***** wäre indes fallbezogen nur dann erforderlich gewesen, wenn der Beschwerdeführer bei Antragstellung im Verfahren erster Instanz in der Hauptverhandlung hervorgekommene objektive - nicht nur von ihm vermutete - Anhaltspunkte dafür aufgezeigt hätte, daß das Mädchen (im Alter von 12 1/2 Jahren) etwa bei abwegiger Veranlagung in psychischer Hinsicht, Entwicklungsverzögerungen oder durch sonstige seelische Defekte bedingt, zum Phantasieren oder zum Realitätsverlust über die von ihm gemachten Wahrnehmungen neige. Da aber keine Beweisergebnisse auf einen von der Beschwerde relevierten Umstand hindeuten (daß die Unmündige die kriminelle Neigung des Angeklagten sogleich erkannt und - zugegebenermaßen - wiederholt zur Aufbesserung ihres Taschengeldes ausgenützt hat, liegt auf einer anderen Ebene und hat mit dem in Rede stehenden Beweisthema nichts zu tun), wurde der Sache nach bloß unzulässig die Aufnahme eines Erkundungsbeweises angestrebt (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 88 ff).

Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines als Zeugen vernommenen Kindes hinwieder ist Sache des erkennenden Gerichtes, welches zufolge Fehlens jeglicher Beweisregel (§ 258 StPO) grundsätzlich auch nicht an ein - etwa ausnahmsweise - eingeholtes psychologisches Sachverständigengutachten über die Aussagefähigkeit und Aussageehrlichkeit der Zeugin (eine Sachverständigenexpertise über "die Glaubwürdigkeit" schlechthin ist der Strafprozeßordnung fremd) nicht gebunden wäre (Mayerhofer aaO § 150 E 41, 47, 50 f, 55; § 258 E 98, 101).

Da mithin vorliegend keine realen Anhaltspunkte erheblicher Qualität dafür vorliegen und im Beweisantrag solche auch nicht konkret dargelegt wurden - insoweit muß das erst in der Beschwerdeschrift, somit prozessual verspätete Vorbringen unberücksichtigt bleiben -, daß die Persönlichkeit der Minela R***** im Sinne der behaupteten Art problematisch ist, ihre belastenden Aussagen zudem in wesentlichen Punkten gleichlautend sind und weitestgehend auch von anderen Zeugenaussagen bestätigt werden, widerfuhr dem Angeklagten durch die Abweisung des in Rede stehenden Beweisantrages keine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte.

Angesichts einer immer häufiger wahrzunehmenden Tendenz, nicht genehmen Zeugenaussagen - vor allem unmündiger Sexualopfer - mit grundlosen Anträgen auf deren psychiatrische oder psychologische Untersuchung zu begegnen, sieht sich der Oberste Gerichtshof auf Grund des aktuellen Falles unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Persönlichkeitsrechte (gerade auch eines Zeugen im allgemeinen und unmündiger Personen im besonderen) veranlaßt, neuerlich und mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß sich die Verpflichtung eines Zeugen grundsätzlich darauf beschränkt, einer Vorladung Folge zu leisten, ein Zeugnis abzulegen (sofern nicht ein Entschlagungsrecht gegeben ist) und dieses Zeugnis (bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen allenfalls) zu beeiden. Nach einem die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatz ist niemand, also weder ein Angeklagter noch viel weniger ein Zeuge verpflichtet, sich selbst, mithin seinen Körper, seine Persönlichkeit - maW seine Psyche - als Beweismittel zur Verfügung zu stellen (Mayerhofer aaO § 202 E 11). Eine - an sich nicht ausgeschlossene - psychiatrische oder psychologische Exploration als ein möglicherweise im Zuge dieser Untersuchung dem freien Willen des Zeugen entzogene Inanspruchnahme von Persönlichkeitskomponenten als Beweismittel ist demnach grundsätzlich an die Zustimmung des Zeugen (oder seines gesetzlichen Vertreters) gebunden (Mayerhofer aaO § 150 E 39, 41, 50; SSt 58/36; 15 Os 82/95 = ÖJZ-LSK 1996/106 bis 108 = JusExtra OGH-St 1985; 15 Os 73/95; 15 Os 81/91 uam). Die Bestimmungen der §§ 132 f StPO stehen dem nicht entgegen, weil auch die darin umschriebene (körperliche) Untersuchung im Weigerungsfall nicht erzwingbar wäre (Lohsing/Serini Österr.Strafprozeßrecht4 313; EvBl 1954/36).

Daß eine solcherart erforderliche Zustimmung der unmündigen Zeugin vorliegend erteilt worden wäre, wurde weder im Beweisantrag noch in der Nichtigkeitsbeschwerde dargetan. Von der Verteidigung wurde die Zeugin oder deren gesetzlichen Vertreterin auch in der Hauptverhandlung nicht nach einer derartigen Zustimmung befragt, noch wurde ein Antrag dahin gestellt, das Gericht möge eine Zustimmung dieser Art einholen.

Was schließlich den (ersichtlich nur zur Widerlegung der Beobachtungsmöglichkeit eines auf dem Balkon stattgefundenen Geschlechtsverkehrs - somit auf eine einzelne, für das Gesamtgeschehen unwesentliche Tatkomponente - gerichteten) Antrag auf Vornahme eines Orts-Augenscheines anlangt, wäre der Beschwerdeführer gleichfalls verpflichtet gewesen, bereits im Verfahren erster Instanz konkret darzutun, aus welchen Gründen entgegen der die Einsichtmöglichkeit sowohl von der Straße als auch von der Rasenfläche vor dem Wohnblock aus bestätigenden Beweisergebnisse (Aussage der Zeugen Minela R***** - S 19 f, ON 9, S 184 ff -, Liljana P***** - S 39 f, ON 10, S 195 ff -, Carina F***** - S 199 ff -, Brigitte N***** - S 202 f; sicherheitsbehördlicher Erhebungsbericht - S 143; Lichtbilder - bei ON 28) die Durchführung dieses Antrages das von ihm angestrebte gegenteilige Ergebnis erbracht hätte. Die Sicht auf die "Balkon- bzw Loggiatür" spielt dabei insofern keine entscheidende Rolle, weil nach den Urteilsfeststellungen die im Punkt 2. des Urteilssatzes beschriebenen Unzuchtshandlungen jeweils "auf dem Balkon" - und nicht in der Tür - stattgefunden haben (US 2 oben, 5 oben, 6 unten). Daher wurde auch diesem Beweisantrag mit Recht nicht stattgegeben, ohne daß dadurch berechtigte Verteidigungsrechte des Angeklagten verkürzt worden wären.

Das Vorbringen in der Tatsachenrüge (Z 5 a, der Sache nach teilweise auch Z 5) vermag weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit durch "derart unvollständige Ausschöpfung der vorhandenen Beweismittel" in wesentlichen Punkten aufzuzeigen, daß dadurch die Überzeugungskraft der Grundlage für den Schuldspruch entscheidend berührt wird, noch auf aktenkundige Beweisergebnisse hinzuweisen, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen lassen, noch formale Begründungsfehler darzutun. Der Beschwerdeführer verkennt nämlich das Wesen dieser beiden formellen Nichtigkeitsgründe, die in ihrer prozessualen Reichweite keineswegs einer - gegen kollegialgerichtliche Urteile in den Verfahrensgesetzen nicht vorgesehenen - Schuldberufung gleichkommen. Denn der zur Überzeugung der Erkenntnisrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder von der Unglaubwürdigkeit eines Angeklagten auf Grund des von diesen in der Hauptverhandlung - getreu den Vorschriften des § 258 Abs 2 StPO - gewonnenen persönlichen Eindrucks unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Verfahrensergebnisse einschließlich des spezifisch einschlägig belasteten Vorlebens des Beschwerdeführers führende kritisch/psychologische Vorgang als solcher ist im Nichtigkeitsverfahren selbst dann grundsätzlich unanfechtbar, wenn - wie hier - aus den vorhandenen Prämissen für den Angeklagten auch günstigere Schlußfolgerungen hätten gezogen werden können (vgl Mayerhofer aaO § 258 E 89 e; § 281 Z 5 E 6 a; 145, 147, § 281 Z 5 a E 1 ff, 17).

Aus der Sicht dieser dargelegten Rechtsgrundsätze versagen demnach die Beschwerdeeinwände, mit denen insbesonders die erstgerichtlichen Urteilskonstatierungen (US 4 unten bis 5 oben und US 5 Mitte bis 6 oben) auf der Basis der vom Schöffengericht als unglaubwürdig verworfenen Verantwortung des Angeklagten als unrichtig, unvollständig und nicht nachvollziehbar abgetan werden, den vom Erstgericht trotz vorhandener (in den Entscheidungsgründen ohnehin erörterter - US 7 f -) Widersprüchlichkeiten in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) als glaubwürdig beurteilten Aussagen der Zeugen Minela R***** (der zudem erpresserische Motive unterstellt werden), Liljana P***** und Carina F***** als widersprüchliche, von Phantasien getragene Behauptungen und Vermutungen die taugliche Beweisgrundlage abgesprochen, die erstgerichtliche Beweiswürdigung insgesamt als fragwürdig, ausschließlich zu Ungunsten des Angeklagten getroffen hingestellt wird, ferner die Wahrnehmbarkeit eines auf dem Balkon durchgeführten Geschlechtsverkehrs durch die Kinder bezweifelt und gegen die schöffengerichtliche Würdigung der Aussagen der Zeugen Christine N***** und Marion M***** remonstriert wird.

Solcherart wird aber weder ein Plausibilitätsfehler in der Beweiswürdigung (Z 5 a) noch ein formeller Begründungsmangel (Z 5) prozeßordnungsgemäß dargetan, sondern - wie erwähnt - lediglich unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung kritisiert.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war sonach als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs 1 StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Linz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285 i StPO).

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