OGH 3Ob2045/96y

OGH3Ob2045/96y18.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der antragstellenden Partei Harald F*****, vertreten durch Dr.Gerhard Delpin und Dr.Hermann Kogler, Rechtsanwälte in Leoben, wider die Antragsgegner 1. Karl P*****, vertreten durch Dr.Bernhard Fritsch ua Rechtsanwälte in Graz, sowie 2. Johann M*****, und 3. Maria M*****, vertreten durch Kaan, Cronenberg & Partner Rechtsanwälte in Graz, wegen Einräumung eines Notweges, infolge Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 3.Jänner 1996, GZ 5 R 260/95-36, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 26.Juni 1995, GZ 15 Nc 1013/94b-27, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Antragsteller ist Eigentümer eines in der Steiermark gelegenen Grundstücks, das gemäß dem Flächenwidmungsplan der zuständigen Gemeinde als "Industriegebiet" gewidmet ist. Der Erstantragsgegner ist Eigentümer eines in derselben Gemeinde gelegenen, der Zweitantragsgegner und die Drittantragsgegnerin sind je zur Hälfte Eigentümer von zwei ebenfalls in dieser Gemeinde gelegenen Grundstücken. Das Grundstück des Antragstellers wird derzeit als Wiese genutzt. Die einzige Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz ist ein Weg, der über die Grundstücke der Antragsgegner führt. Hiezu steht außer Streit, daß daran die - nicht verbücherte - Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens, jedoch beschränkt auf landwirtschaftliche Zwecke, ersessen wurde.

Der Antragsteller begehrt die Einräumung eines Notweges über die Grundstücke der Antragsgegner. Um sein Grundstück widmungsgemäß als Industriegebiet verwenden zu können, sei es notwendig, ein unbeschränktes Geh- und Fahrrecht zu erwirken. Für die Eigentümer der dienenden Grundstücke stelle der Notweg gegenüber dem bereits bestehenden Dienstbarkeitsrecht eine unwesentliche (Mehr-)Belastung dar. Der einzuräumende Notweg bilde die kürzeste Verbindung zum nächsten öffentlichen Weg. Andere Zufahrtswege bestünden nicht. Damit er eine entsprechende Widmung (gemeint offenbar: als Bauplatz) erhalten könne, müsse vorher eine uneingeschränkte Zufahrt gegeben sein. Dies liege auch im öffentlichen Interesse.

Die Antragsgegner wendeten ein, daß der Antragsteller sein Grundstück im Jahr 1985 verkauft und im Jahr 1993 wieder zurückgekauft habe. Zu diesem Zeitpunkt sei ihm genau bekannt gewesen, daß das Grundstück nur über eine für landwirtschaftliche Zwecke bestimmte Zufahrt verfüge. Er habe daher auffallend sorglos im Sinn des § 2 NWG gehandelt. Bei der Änderung des Flächenwidmungsplanes sei ausdrücklich festgelegt worden, daß das Grundstück des Antragstellers nicht über ihre Grundstücke, sondern über das an sein Grundstück anschließende Industriegebiet aufzuschließen sei.

Der Erstantragsgegner wendete überdies ein, daß in der Natur noch kürzere und adäquatere Zufahrtsmöglichkeiten gegeben seien. Der Antragsteller behaupte im übrigen nur sehr allgemein die künftige Verwendung seines Grundstücks.

Der Antragsteller hielt dem entgegen, im ersten Kaufvertrag über sein Grundstück sei vereinbart worden, daß der Verkäufer dem Käufer gegenüber dafür hafte, daß der Weg von diesem ungehindert benützt und mit Baufuhren befahren werden könne. Der Käufer habe in der Folge um die Bewilligung der Errichtung einer Lagerhalle und einer Betriebsstätte angesucht. Diese Bewilligung sei ihm von der zuständigen Gemeinde letztlich deshalb verweigert worden, weil keine geeignete Zufahrtsmöglichkeit bestehe. Er (Antragsteller) habe sich schließlich mit dem Käufer dahin geeinigt, daß er das Grundstück wieder zurückkaufe. Die Notlage sei nicht durch den Kauf, sondern durch die Widmung des Grundstücks als Industriegebiet geschaffen worden.

Die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde gab die Erklärung ab, daß der Einräumung eines Notwegs aus wasserrechtlicher Sicht keine Interessen entgegenstünden. Die zuständige Gemeinde erklärte, daß aus raumplanerischer Sicht zur Ermöglichung der widmungsgemäßen Verwendung des Grundstücks des Antragstellers als Industriegebiet nicht ein unbeschränktes Geh- und Fahrrecht durch das bestehende Wohngebiet geschaffen werden könne. Es müßten andere Varianten, wie die Planung einer Zufahrt über das angrenzende Industriegebiet, angestrebt werden.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Einräumung eines Notwegs ab.

Es stellte im wesentlichen noch folgendes fest:

Im Jahre 1981 kaufte eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren geschäftsführender Gesellschafter der Antragsteller war, das den Gegenstand seines Antrags bildende Grundstück. Es handelt sich dabei um eine Ackerfläche, die im Raumordnungsplan als Freilandfläche mit landwirtschaftlicher Nutzung gewidmet war. In dem am 10.3.1984 in Kraft getretenen Flächenwidmungsplan wurde das Grundstück als "Industriegebiet I" gewidmet. Die Raumordnungsbehörde sah die Aufschließung des Grundstücks nicht über den vorhandenen Servitutsweg, sondern über das angrenzende Industriegebiet vor. Diese Zufahrtsmöglichkeit konnte aber wegen der ablehnenden Haltung der Eigentümer der betroffenen Grundstücke nicht geschaffen werden. Anfang 1984 wurde die Gesellschaft, die das Grundstück gekauft hatte, in ein Einzelunternehmen des Antragstellers umgewandelt, weshalb dieser seit 24.5.1984 im Grundbuch als Eigentümer eingetragen war. Er verkaufte das Grundstück mit Kaufvertrag vom 25.10.1985, wobei er dem Käufer gegenüber ausdrücklich die Haftung dafür übernahm, daß der die Zufahrt bildende Servitutsweg ungehindert benützt und auch mit Baufuhren befahren werden kann. Der Käufer beantragte in der Folge die Widmungsbewilligung für das Grundstück zur Errichtung und den Betrieb einer Lagerstelle. Dieser Antrag wurde im zweiten Rechtsgang mit Bescheid vom 6.5.1987 abgewiesen, weil die betroffenen Grundeigentümer der Erweiterung des Servitutsrechts nicht zustimmten.

Am 9.12.1993 kaufte der Antragsteller das Grundstück vom Käufer zurück. Er hatte jedenfalls seit Februar 1985 davon Kenntnis, daß die Wegedienstbarkeit auf landwirtschaftliche Fuhren eingeschränkt ist.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß ein Notweg zwar auch für eine erst beabsichtigte Bauführung, ja sogar vor einer erst in Aussicht stehenden entsprechenden Widmung des Grundstücks gerechtfertigt sein könne. Es müsse jedoch konkret mit der Umwidmung in naher Zukunft zu rechnen sein (EvBl 1994/26). Wäre die Einräumung eines Notwegs schon dann gerechtfertigt, wenn das Grundstück im Flächenwidmungsplan als Industriegebiet ausgewiesen ist, so könnte die Widmungsbehörde bei Erstellung dieses Planes privatrechtliche Ansprüche von Grundstückseigentümern auf die Gewährung von Notwegen gewissermaßen "schaffen". Der Wegebedarf müsse nicht für den einzelnen Eigentümer, sondern für die Liegenschaft selbst bestehen. Diese müsse also für besondere Zwecke eingerichtet sein. Dies treffe hier nicht zu, weshalb die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 NWG nicht erfüllt seien. Im übrigen sei der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Antragstellers im Sinn des § 2 Abs 1 NWG zurückzuführen. weil er beim Rückkauf diesen Mangel gekannt habe. Dieser Rückkauf habe zwar möglicherweise wirtschaftlich die günstigste Lösung wegen der im Kaufvertrag vereinbarten Haftung für die ungehinderte Benützung des Servitutsweges gebildet. Dennoch handle es sich bei dem betreffenden Kaufvertrag aber nicht um die Rückabwicklung des ersten Kaufes, sondern um ein im Lichte des § 2 NWG gesondert zu beurteilendes Erwerbsgeschäft. Die gegenteilige Beurteilung würde bedeuten, daß der Grundeigentümer mit dem Verkauf unter verbindlicher Zusage einer - nicht gegebenen - ungehinderten Zufahrt und nachfolgendem (erzwungenem) Zurückkauf ein Notwegerecht gewissermaßen erzwingen könne. Die auffallende Sorglosigkeit sei aber auch deshalb zu bejahen, weil der Antragsteller durch den Kauf eine mangels zureichender Wegeverbindung nicht eingetretene Werterhöhung des Grundstücks, die bloß auf eine Änderung der Widmung im Flächenwidmungsplan zurückzuführen sei, geltend machen habe wollen.

Das Rekursgericht bestätigte infolge Rekurses des Antragstellers diesen Beschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Eine Widmungsänderung könne zwar die Einräumung eines Notwegs rechtfertigen. Der Antragsteller habe aber nicht vorgebracht, daß er die Grundstücke als Industriegebiet nutzen werde oder daß er hiefür konkret einen Käufer habe. Er habe nur sein Interesse am Weiterverkauf nach Einräumung des Notwegs im Auge. Bedürfnisse des Eigentümers seien jedoch nicht zu berücksichtigen, sondern es komme auf die Bedürfnisse der Liegenschaft an. Da somit schon aus diesem Grund die Voraussetzungen für die beantragte Einräumung des Notwegs nicht gegeben seien, müsse nicht darauf eingegangen werden, ob dem Antragsteller auffallende Sorglosigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 NWG vorzuwerfen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Antragsteller gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.

Ob zur ordentlichen Bewirtschaftung oder Benützung einer Liegenschaft im Sinn des § 1 Abs 1 NWG ein Notweg erforderlich ist, ist nicht nach der derzeitigen Nutzung, sondern nach der öffentlichen Widmung zu beurteilen (EvBl 1994/26); insbesondere gilt dies für die Widmung für Bauzwecke (EvBl 1994/80; EvBl 1965/10). Es kann daher auch eine Widmungsänderung, sofern sie nicht öffentlichem Recht widerspricht, grundsätzlich die Einräumung eines Notwegs rechtfertigen (EvBl 1994/26; 7 Ob 616/93; 1 Ob 508/90).

Hier ist das Grundstück des Klägers als "Industriegebiet" gewidmet und es ist daher entscheidend, ob eine Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz besteht, welche die Benützung des Grundstücks des Klägers für jene Zwecke ermöglicht, zu denen es gemäß dieser Widmung benützt werden darf. Dafür reicht aber der ersessene Dienstbarkeitsweg, der nur die Benützung für landwirtschaftliche Zwecke ermöglicht, jedenfalls nicht aus.

Dem Rekursgericht ist zwar darin beizupflichten, daß ein Notweg zur Ermöglichung einer bestimmten Benützung des notleidenden Grundstücks nur eingeräumt werden darf, wenn diese Art der Benützung auch beabsichtigt ist, und daß dies vom Antragsteller behauptet und erforderlichenfalls nachgewiesen werden muß. Daran ist jedoch kein sehr strenger Maßstab zu stellen, weil die Interessen des Eigentümers der mit dem Notweg belasteten Grundstücks dadurch ausreichend geschützt sind, daß die Einräumung des Notwegs keine Bedeutung hat, wenn das Grundstück nicht zu dem vom Antragsteller angegebenen Zweck benützt wird, und daß er in einem solchen Fall überdies gemäß § 24 NWG die Aufhebung der Notwegedienstbarkeit beantragen kann. Geht man von diesen Überlegungen aus, so kann angenommen werden, daß derzeit konkret beabsichtigt ist, das Grundstück des Klägers in Zukunft entsprechend der Widmung "Industriegebiet" zu benützen. Dies indiziert im übrigen im allgemeinen schon der Antrag auf Einräumung eines Notweges. Es wäre im Sinn des § 24 NWG Sache der Antragsgegner gewesen, zu behaupten und zu beweisen, daß die Einräumung eines Notwegs entbehrlich ist, weil das Grundstück nicht in der vom Antragsteller angegebenen Art benützt werden soll. Dies ist hier aber nicht geschehen.

Gemäß § 2 Abs 1 NWG ist das Begehren auf Einräumung eines Notwegs unter anderem unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Hiezu wurde in mehreren Entscheidungen gesagt, daß der bloße Erwerb einer Liegenschaft ohne ausreichende Zugangs- oder Zufahrtsmöglichkeit für sich allein noch nicht auffallende Sorglosigkeit begründe (EvBl 1958/362; SZ 25/52 ua). In jüngeren Entscheidungen wurde dieser Rechtssatz zwar in dieser allgemeinen Form nicht aufrechterhalten und ausgesprochen, daß die Frage, ob der Mangel der Wegverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit zurückgeht, stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen sei (RZ 1989/45 mwN; ferner SZ 60/43 = RZ 1986/61). Selbst unter diesem Gesichtspunkt kann hier aber dem Antragsteller auffallende Sorglosigkeit nicht zur Last gelegt werden, weil der Rückkauf des den Gegenstand seines Antrags bildenden Grundstücks im Sinne seines hiezu erstatteten Vorbringens und der hiezu vorhandenen Feststellungen als Rückabwicklung eines früher geschlossenen Kaufvertrages angesehen werden kann; dies läßt aber das Vorgehen des Antragstellers gerechtfertigt erscheinen und schließt daher eine auffallende Sorglosigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 NWG aus, zumal sich die Verhältnisse gegenüber jener zur Zeit des Abschlusses des Vertrages vom 25.10.1985 über den Verkauf des Grundstücks nicht geändert haben.

Zu beachten ist allerdings, daß von mehreren Eigentümern jener zur Duldung des Notwegs heranzuziehen ist, für den die Bestellung des Notwegs am wenigsten empfindlich ist (JBl 1976, 317). Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich aber der vom Erstantragsgegner erhobene Einwand beachtlich, daß es andere und adäquatere Zufahrtsmöglichkeiten gäbe. In dieselbe Richtung geht die Erklärung der zuständigen Gemeinde, daß die Zufahrt durch das an das Grundstück des Klägers angrenzende Industriegebiet angestrebt werden müsse. Im fortzusetzenden Verfahren wird daher zu klären sein, ob solche für die betroffenen Eigentümer weniger empfindliche Möglichkeiten, vor allem im Bereich anderer als "Industriegebiet" gewidmeter Grundstücke, gegeben sind. Sollte dies der Fall sein, wäre der Antrag auf Einräumung eines Notwegs auf den den Antragsgegnern gehörenden Grundstücken abzuweisen; andernfalls wäre der Antrag nach den bisher vorliegenden Verfahrensergebnissen berechtigt.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf dem sinngemäß anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

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