OGH 10ObS30/97b

OGH10ObS30/97b29.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Ing.Mag.Gustav Liebhart (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dipl.Ing.Raimund Tschulik (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Walter Z*****, KFZ-Mechanikermeister, derzeit ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14.November 1996, GZ 7 Rs 254/96v-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 31.Juli 1996, GZ 33 Cgs 60/96m-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 676,48 USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 11.3.1939 geborene Kläger ist ausgebildeter Kraftfahrzeugmechanikermeister. Er war vom 1.10.1980 bis zum 30.1.1987 als solcher mit vier Mitarbeitern bei dem Straßenbauunternehmen K***** und vom 1.7.1987 bis zum 1.10.1995 mit 10 bis 15 Mitarbeitern bei dem Bauunternehmen S***** beschäftigt. Seine Aufgabe bei beiden Baufirmen war die Sorge für die Betriebsbereitschaft der unterschiedlichen Baumaschinen, auch von Turmkränen mit einer Höhe von 10 bis 20 m, wobei es auch "des öfteren" nötig war, auf diese zu klettern. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag war er demnach ausschließlich als KFZ-Mechaniker in einem mittelgroßen Betriebsbereich, spezialisiert für Baumaschinen, tätig. KFZ-Mechaniker werden in kleinen gewerblichen Betrieben universell mit der verantwortlichen Leitung und der persönlichen Mitarbeit in einer Werkstätte betraut. In größeren gewerblichen oder Industriebetrieben leiten sie spezialisiert eine Abteilung in der Werkstatt oder Produktion. Bei fachlich besonders schwierigen Tätigkeiten leiten sie die Reparaturarbeiten. Tätigkeiten in exponierten Lagen sind für die Mehrheit der KFZ-Mechanikermeister nicht berufstypisch, sie kommen aber in Bereichen wie LKW- oder Baumaschinenreparaturen vor.

Der Kläger kann aufgrund verschiedener leidensbedingter Einschränkungen nur noch leichte und bis zur Hälfte des Arbeitstages mittelschwere Arbeiten verrichten. Überkopfarbeiten sowie Bück- und Hebearbeiten sind um ein Drittel eines Arbeitstages zu verkürzen. Arbeiten an exponierten Arbeitsplätzen sind ausgeschlossen. Unzumutbar sind auch Arbeiten in ständiger Kälte, Nässe und Zugluft.

Mit Bescheid vom 19.2.1996 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 12.9.1995 auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab.

Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt. Es sprach aus, daß das Klagebegehren ab 1.10.1995 dem Grunde nach zu Recht besteht und trug der Beklagten auf, dem Kläger ab diesem Datum vorläufige monatliche Zahlungen von S 8.000,-- zu erbringen. Vergleiche man das Leistungskalkül des Klägers mit dem Anfordnungsprofil seiner Berufsaufgaben, nämlich der Leitung einer mittelgroßen Werkstatt, die auf Baumaschinen spezialisiert war, so könne er diese Erwerbstätigkeit ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht mehr ausüben. Dies insbesondere deshalb, weil er den dabei berufstypischerweise in exponierten Lagen auszuführenden Tätigkeiten nicht mehr gewachsen sei. Er erfülle daher die Voraussetzungen für den Zuspruch der begehrten Pensionsleistung nach § 253 d ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Bei Prüfung der Frage, ob ein Versicherter nach § 253 d ASVG arbeitsunfähig sei, sei hinsichtlich der gleichen oder gleichartigen Tätigkeiten nicht auf einen bestimmten Arbeitsplatz, sondern auf den am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt abzustellen. Das Berufsfeld von KFZ-Mechanikern umfasse die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen. Für die Mehrheit dieser Berufsträger seien Tätigkeiten in exponierten Lagen nicht berufstypisch, im Bereich LKW- und Baumaschinenreparatur kämen sie aber vor. Die Tätigkeit eines KFZ-Mechanikermeisters für Spezial- und Baumaschinen sei keine eigene Berufsgruppe. Arbeiten in exponierten Lagen seien für solche Mechaniker Nebentätigkeiten, die mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise so verbunden seien, daß beide nur gemeinsam auf dem Arbeitsmarkt gefragt würden. Der dort typisch geforderte Inhalt der Tätigkeit überschreite hingegen das Leistungskalkül des Klägers nicht. Seine Spezialisierung auf Baumaschinen führe nicht dazu, daß er bei bestehender Fähigkeit, dem Kernbereich der erlernten und ausgeübten Tätigkeit nachzugehen, als arbeitsunfähig anzusehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253 d Abs 1 ASVG hat der Versicherte unter anderem dann, wenn er in mindestens der Hälfte der Beitragsmonaten während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat (Z 3) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (Z 4). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sind gleichartige Tätigkeiten im Sinne des § 253 d Abs 1 Z 3 ASVG solche, die in ihrem Kernbereich im wesentlichen ähnliche pyhsische und psychische Anforderungen unter anderem an Intelligenz, Kenntnisse, Umsicht, Verantwortungsbewußtsein, Handfertigkeit, Körperkraft, Körperhaltung, Durchhaltevermögen und Konzentrationsfähigkeit stellen. Der Kernbereich einer Tätigkeit ergibt sich aus den Umständen, die ihr Wesen ausmachen und die sie von anderen Tätigkeiten unterscheiden. Unterschiedliche Anforderungen im Randbereich der Tätigkeit stehen der Annahme der Gleichartigkeit nicht entgegen; umgekehrt führen Übereinstimmungen im Randbereich nicht zur Bejahung der Gleichartigkeit (10 ObS 145/95 - unveröffentlicht; 10 ObS 2061/96b - teilweise veröffentlicht ARD 4793/29/96; zuletzt 10 ObS 104/97k; ähnlich bereits SSV-NF 2/53 = SZ 61/138 ua zu den vergleichbaren, inzwischen aufgehobenen Bestimmungen der §§ 255 Abs 4 lit c und 273 Abs 3 lit c ASVG). Es ist demnach zulässig, den Versicherten auf Arbeiten zu verweisen, die zwar im Kernbereich völlig mit der bisher geleisteten Tätigkeit übereinstimmen, bei denen jedoch Nebentätigkeiten wegfallen, die am Arbeitsmarkt mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise verbunden sind (SSV-NF 3/130 uva). So wurde etwa ausgesprochen, daß insbesondere das Tragen und Vorzeigen von Stoffballen und die Tätigkeit bei der Dekoration von Schaufenstern im Kernbereich der Tätigkeit einer Stoffverkäuferin liegen, weshalb es zur Berufsunfähigkeit führt, wenn ihr das Tragen und Vorzeigen von Stoffballen und die Tätigkeit bei der Dekoration von Schaufenstern nach dem medizinischen Leistungskalkül nicht mehr zumutbar sind (SSV-NF 6/35). Hingegen wurde in der Entscheidung 10 ObS 2061/96b (SSV-NF 10/42) ausgesprochen, daß ein Versicherter, der die Tätigkeit eines KFZ-Meisters und Werkstättenleiters ausübte, nicht deshalb von diesem Beruf ausgeschlossen ist, wenn er die dabei anfallenden gelegentlichen schweren körperlichen Tätigkeiten nicht mehr verrichten kann, weil das Verrichten schwerer Arbeiten (Heben von 30 kg und mehr) nicht dem üblichen Berufsbild eines KFZ-Meisters und Werkstättenleiters entsprechend befunden wurde.

Der vorliegende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausschließlich als Mechanikermeister im Baumaschinenbereich tätig war, mit welcher Tätigkeit das Arbeiten in exponierten Lagen geradezu berufstypisch verbunden ist. Exponierte Arbeitshaltungen sind für einen solchen Baumaschinenmechaniker bei der Verrichtung seiner Haupttätigkeit nicht wegzudenken. Das Arbeiten in exponierten Lagen, insbesondere das Arbeiten auf Baukränen, gehört damit zum Kernbereich einer solchen Tätigkeit, weil dies Umstände sind, die das Wesen dieser Tätigkeit ausmachen und sie von anderen Tätigkeiten eines KFZ-Mechanikers unterscheiden. Da für den Kläger nach seinem medizinischen Leistungskalkül das Arbeiten in exponierten Lagen ausscheidet, ist er infolge seines körperlichen Zustandes nicht mehr imstande, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Das Abstellen auf die Arbeitsfähigkeit eines Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht dem Begriff der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG, nicht aber dem der geminderten Arbeitsfähigkeit im Sinn des § 253 d Abs 1 Z 4 ASVG. Im Fall des Klägers ist nicht ein Berufsschutz, sondern ein Tätigkeitsschutz (§ 253 d Abs 1 Z 4 ASVG: "durch diese Tätigkeit") ausschlaggebend.

In Stattgebung der vom Kläger erhobenen Revision war daher das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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