OGH 10ObS145/95

OGH10ObS145/9512.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alfred Klair (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernst Z*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände

3, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.April 1995, GZ 10 Rs 3/95-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.Mai 1994, GZ 15 Cgs 223/93f-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 11.10.1993 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter den am 12.7.1993 gestellten Antrag des Klägers auf Invaliditätspension bzw vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab.

Innerhalb von drei Monaten ab Zustellung dieses Bescheides (§ 67 Abs 2 ASGG) erhob der Kläger eine Protokollarklage. Obwohl im Urteilsbegehren nur die Invaliditätspension erwähnt wird, ergibt sich insbesondere aus der Bezeichnung der Rechtssache und aus der Klagserzählung, daß das Klagebegehren auch auf eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gerichtet ist. So wurde das Klagebegehren auch von der Beklagten und von beiden Vorinstanzen verstanden. Der Bescheid des Versicherungsträgers trat damit zur Gänze außer Kraft (§ 71 Abs 1 ASGG).

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag als Autobuslenker tätig gewesene Kläger könne sowohl diese Tätigkeit als auch andere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es traf folgende wesentliche Tatsachenfeststellungen:

Der am 6.10.1937 geborene Kläger war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Autobuslenker beschäftigt. Am 6.1.1990 legte er die Lehrabschlußprüfung im Lehrberuf "Berufskraftfahrer" ab. Mit seinem seit der Antragstellung bestehenden körperlichen und geistigen Zustand kann er leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen in normaler Arbeitszeit bei Einhalten der üblichen Arbeitspausen leisten. Auszuschließen sind Arbeiten in dauernd stehender, vornübergebeugter Körperhaltung, Akkord- und Fließbandarbeiten und Arbeiten mit Einordnung in den Produktionsgang einer Fabrik. Die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes ist nicht eingeschränkt.

Ein Autobuslenker hat Kraftfahrzeuge zur Beförderung von Personen und Gepäck im Reise-, Linien- und Gelegenheitsverkehr zu lenke. Dabei fallen Arbeiten leichter und mittelschwerer Art an. Letztere ergeben sich vor allem bei Reinigungs- und Wartungsarbeiten, bei Be- und Entladungsarbeiten und bei der Hilfestellung beim Ein- und Aussteigen älterer oder behinderter Personen. Das Wechseln der Räder an einem Autobus ist dem Kläger - wie jedem anderen - nur unter Zuhilfenahme technischer Vorrichtungen möglich. Der Kläger kann die von ihm bisher ausgeübte Tätigkeit als Buslenker weiter ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann er als Fahrer im Zustelldienst pharmazeutischer Betriebe, als Botendienstfahrer oder in der Material- und Werkzeugausgabe arbeiten.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes gilt der Kläger nicht als invalid iS des § 255 Abs 1 ASVG, noch ist seine Arbeitsfähigkeit iS des § 253 d Abs 1 Z 4 leg cit gemindert.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Es verneinte die behauptete Mangelhaftigkeit (keine Vernehmung des Dienstgebers als Zeugen und des Klägers als Partei) und teilte die rechtliche Beurteilung des ausreichend festgestellten Sachverhaltes durch das Erstgericht. Daß im Fernverkehr die "normale Arbeitszeit" nicht eingehalten werden könne, habe der schon in erster Instanz fachkundig vertretene Kläger nicht behauptet, obwohl die Anforderungen an einen Autobuslenker mit dem berufskundlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erörtert worden seien.

In der unbeantwortet gebliebenen Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend; er beantragt, die Urteile beider Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253 d Abs 1 ASVG hätte der Kläger, der das 55. Lebensjahr bereits vollendet hat, bei Erfüllung der in den Z 1 bis 3 des zit Absatzes genannten Voraussetzungen, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande wäre, durch die in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübte Tätigkeit als Autobuslenker wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (Z 4 leg cit).

Wie schon vom Berufungsgericht iS der seit SSV-NF 2/53 stRsp des Obersten Gerichtshofes zu den § 253 d Abs 1 Z 3 und 4 ASVG vorangegangenen Bestimmungen des § 255 Abs 4 aF und § 273 Abs 3 aF leg cit zutreffend ausgeführt wurde, sind gleichartige Tätigkeiten solche, die im wesentlichen ähnliche psychische und physische Anforderungen ua an die Handfertigkeit, Intelligenz, Kenntnisse für die überwiegend ausgeübte Tätigkeit, Umsicht, Verantwortungsbewußtsein, Körperhaltung, Durchhaltevermögen, Schwere der Arbeit und schließlich auch an die Konzentration stellen. Die Gleichartigkeit ist nicht erst dann zu bejahen, wenn sie hinsichtlich aller genannten Parameter gegeben ist; es kommt vielmehr auf den Kernbereich der Tätigkeit, also auf jene Umstände an, die ihr Wesen ausmachen und sie von anderen Tätigkeiten unterscheiden. Übereinstimmungen im Randbereich führen ebensowenig zur Bejahung der Gleichartigkeit wie unterschiedliche Anforderungen im letztgenannten Bereich der Annahme der Gleichartigkeit entgegenstehen können. Je nach der Bedeutung für die Verrichtung einer bestimmten Tätigkeit wird die Beantwortung der Gleichartigkeit einmal mehr von dem einen, ein anderes Mal von einem anderen der oben genannten Parameter und schließlich von ihrem Zusammenwirken im Einzelfall abhängig sein, so daß die isolierte Betrachtung nur eines Tätigkeitskriteriums regelmäßig nicht ausreichen wird. Diese Überlegungen müssen allerdings auch für die Prüfung gelten, ob der Versicherte die im Beobachtungszeitraum überwiegend ausgeübte Tätigkeit infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes weiterhin ausüben kann, ohne daß dies eine Verweisung auf eine bisher nicht ausgeübte Tätigkeit, also eine (nunmehr dem § 253 d Abs 1 Z 4 ASVG) widersprechende Verweisung auf der überwiegend ausgeübten Tätigkeit ähnliche Ewerbstätigkeiten bedeuten würde. Entsprechend dem Wortlaut nunmehr des § 253 d Abs 1 Z 4 ASVG "durch diese Tätigkeit" wird nur auf die während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG ausgeübte gleiche oder gleichartige Tätigkeit abgestellt, allerdings nicht mit dem auf einem bestimmten Arbeitsplatz, sondern mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt. Der Versicherte darf nur nicht auf andere als die bisher überwiegend geleisteten Tätigkeiten verwiesen werden. Es ist aber zulässig, ihn auf Tätigkeiten zu verweisen, die zwar im Kernbereich völlig mit der bisherigen Tätigkeit übereinstimmen, bei denen jedoch Nebentätigkeiten wegfallen, die mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise verbunden sind (zB SSV-NF 3/130). Im Sinne der zit Rsp wurde zB bei einem (im wesentlichen) zu Kehrarbeiten eingesetzten Straßenkehrer der Gemeinde Wien, der auch mit einem Arbeitskollegen Handwagen führen und fallsweise in einer größeren Arbeitspartie Schnee schieben mußte, wobei alle Arbeiten höchstens mittelschwerer Art waren, der Kernbereich in einfachsten Bodenreinigungs(kehr)arbeiten leichter und mittelschwerer Art erblickt. Dabei wurde ausgesprochen, daß Kehr(Reinigungs)arbeiten von Außenflächen ohne Fahrzeugverkehr, zB in Park- und Fabriksanlagen, oder von Innenräumen, zB Hallen und Werkstätten, auch dann keine der überwiegend ausgeübten Tätigkeit ähnlicher Tätigkeiten wären, wenn der Kläger bei einem anderen Dienstgeber oder in einer anderen Branche arbeiten müßte (SSV-NF 4/120).

Im vorliegenden Fall ist festgestellt, daß der Kläger während der letzten 15 Jahre (nur) als Autobuslenker beschäftigt war. Daß er im genannten Zeitraum eine Tätigkeit ausgeübt hätte, die vom festgestellten und übrigens allgemein bekannten Berufsbild eines Autobuslenkers abwich, wurde von ihm trotz fachkundiger Vertretung nicht einmal behauptet; dafür ergibt sich auch aus dem Akteninhalt keinerlei Hinweis. Ob der Kläger im genannten Zeitraum Personen und Gepäck im Reise-, Linien- oder Gelegenheitsverkehr befördert hat, kann - entgegen der in der Revision vertretenen Meinung - dahingestellt bleiben. Es ist nämlich auch festgestellt, daß der Kläger die Tätigkeit als Buslenker (in allen diesen Varianten) weiterhin ausüben kann. Soweit die Rechtsrüge nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt.

Da der Kläger seiner bisherigen Tätigkeit (im wesentlichen) wie ein gesunder Buslenker nachgehen kann, ist er noch imstande, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein völlig gesunder Versicherter regelmäßig dadurch zu erzielen pflegt. Deshalb fehlt die im § 253 d Abs 1 Z 4 ASVG genannte Voraussetzung für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Der Kläger gilt aber auch nicht als invalid iS des § 255 Abs 1 oder 3 leg cit.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte