OGH 9ObA26/97g

OGH9ObA26/97g9.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Fritz Miklau und Richard Thöndel als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Theresia D*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei DI Hans S***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Christian Prem und Dr.Michael Mathes, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 300.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.September 1996, GZ 8 Ra 166/96g-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24.November 1995, GZ 18 Cga 48/94y-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.725,-- (darin S 2.287,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 17.2.1992 von der Beklagten eingestellt und in der Folge in das Angestelltenverhältnis übernommen. Die Klägerin hatte zur Zeit der Einstellung bereits die rechtliche Stellung einer begünstigten Behinderten im Sinne des § 2 Abs 1 BEinstG. Im Betrieb der Beklagten ist eine Gleitzeit mit einer Kernarbeitszeit zwischen 9:00 bis 14:30 Uhr eingeführt. Seit September 1993 besuchte die Klägerin in der Zeit von 17:00 bis 21:00 Uhr eine Abendschule (TGM). Mit Kündigungsschreiben vom 17.1.1994 kündigte die Beklagte die Klägerin zum 31.3.1994.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin festzustellen, daß das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen über den 4.2.1994 hinaus nach wie vor aufrecht sei.

Die von der beklagten Partei ausgesprochene Kündigung sei rechtsunwirksam, da die Zustimmung des Landesinvalidenamts bzw Behindertenausschusses im Sinne des § 8 Abs 2 BEinstG nicht vorliege. Die Beklagte habe am 3.2.1994 auch eine vorzeitige Entlassung der Klägerin ausgesprochen. Die Entlassung sei jedoch unbegründet und infolge des besonderen Kündigungsschutzes der Klägerin unwirksam. Bei ihrer Einstellung habe sie wohl einen Bescheid nicht vorgewiesen, jedoch mündlich mitgeteilt, daß sie aufgrund einer chronischen Achillessehnenentzündung begünstigt behindert sei. Es sei unrichtig, daß sie während der Arbeitszeit für die Abendschule gelernt habe, die Verwendung eines Englischwörterbuches sei für ihre betriebliche Tätigkeit erforderlich gewesen. Die von der beklagten Partei ausgesprochene Entlassung sei auch verspätet, weil die zur Begründung derselben angeführten Umstände der beklagten Partei bereits im Jänner 1994 bekannt gewesen seien.

Die Klägerin habe ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, daß ihr Dienstverhältnis weiterhin aufrecht sei.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin habe bei ihrer Einstellung verschwiegen, begünstigt behindert zu sein; erst anläßlich ihrer Kündigung vom 17.1.1994 habe sie ihre Behinderteneigenschaft mitgeteilt. Die zur Sicherheit eingeholte Zustimmung des Landesinvalidenamtes (Behindertenausschusses) sei daher für eine wirksame Kündigung nicht erforderlich. Am 2.2.1994 habe die beklagte Partei von groben Verstößen der Klägerin während des aufrechten Dienstverhältnisses gegen ihre Dienstverpflichtung Kenntnis erhalten. Insbesondere habe die Klägerin während der Dienstzeit für eine Abendschule gelernt und dadurch eine Verzögerung des Produktionsablaufes bewirkt und überdies Aufforderungen von Mitarbeitern, sich "in den Produktionsablauf einzugliedern", nicht entsprochen. Es sei daher am 3.2.1994 auch die Entlassung der Klägerin durch den Geschäftsführer der Beklagten erfolgt. Die Klage sei auch gemäß § 107 ArbVG verfristet.

Eine Feststellungsklage sei unzulässig, weil die Klägerin in der Lage sei, zumindest die seit 4.2.1994 fällig gewordenen Gehaltsansprüche mit einer Leistungsklage geltend zu machen.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte im wesentlichen fest:

Die Klägerin wies bei ihrer Einstellung nicht darauf hin, begünstigte Behinderte im Sinne des § 2 Abs 1 BEinstG zu sein. Der Grad ihrer Behinderung beträgt 50 %. Die Klägerin wurde in der Qualitätskontrolle eingesetzt. Im November 1993 wies sie einen Lagerarbeiter an, Kartons mit verpackter Ware von Paletten herunterzuheben, was dieser jedoch mit dem Hinweis verweigerte, daß er die Klägerin nicht als weisungsberechtigt ansehe. Er beschwerte sich auch beim Lagerleiter. Da sich auch die Klägerin über das Verhalten des Arbeiters beschwerte, ermahnte der Produktionsleiter beide zur Zusammenarbeit. Die Klägerin hatte ein Englischwörterbuch sowie ein Buch über Elektronik und Mechanik frei sichtbar auf ihrem Schreibtisch aufgestellt. In Anwesenheit einer Mitarbeiterin las sie während der Arbeit kurz darin. Zu erheblichen Verzögerungen im Betriebsablauf kam es dadurch nicht; auch beschwerten sich Mitarbeiter darüber nicht bei der Unternehmensleitung. Nicht näher konkretisierte Beschwerden führten Mitarbeiter beim Produktionsleiter über die arrogante, gleichsam herrische und unfreundliche Art der Klägerin. Die Unternehmensleitung der beklagten Partei wollte im November 1993 zumindest einen Mitarbeiter abbauen. Der Produktionsleiter schlug die Kündigung der Klägerin vor. Es wurde auch ein Kündigungsschreiben verfaßt, doch konnte dieses nicht innerhalb der Kündigungsfrist zugestellt werden. Die Kündigung wurde daher zurückgenommen. Im Jänner 1994 teilte der Produktionsleiter dem Geschäftsführer der Beklagten mit, daß die "alten Beschwerden" wieder aufgetaucht seien, worauf die Mitgeschäftsführerin der beklagten Partei am 13.1.1994 der Klägerin mitteilte, daß sie gekündigt werde und diese sich eine einvernehmliche Auflösung überlegen solle. Gleichzeitig wurde sie dienstfrei gestellt und mit Hausverbot belegt. Am 21.1.1991 teilte die Klägerin der Beklagten schriftlich mit, daß sie begünstigte Behinderte sei. Am 27.1.1994 unterfertigte der Geschäftsführer der Beklagten - neuerlich - ein Schreiben, mit welchem das mit der Klägerin eingegangene Dienstverhältnis zum 31.3.1994 gekündigt wurde. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, daß bedingt durch das von der Klägerin an den Tag gelegte (- jedoch nicht näher konkretisierte -) Verhalten eine weitere Mitarbeit im Betrieb nicht mehr möglich sei. Am 3.2.1994 entließ der Geschäftsführer der Beklagten die Klägerin überdies mit der schriftlichen Begründung, daß ihm am Vortage mitgeteilt worden sei, daß die Klägerin in den letzten Wochen ihrer Anwesenheit ihre Arbeitszeit unerlaubterweise auch dazu aufgewendet habe, um für ihren Abendkurs zu lernen, anstatt ihren Pflichten nachzukommen und, daß sie andere Mitarbeiter abwertend behandelt und die Zusammenarbeit verweigert habe.

Rechtlich folgerte das Erstgericht daraus, daß nach § 8 Abs 2 BEinstG die Kündigung der Klägerin zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung des Behindertenausschusses bedurft hätte, eine solche aber nicht erteilt worden sei. Die Klägerin sei zu einer früheren Verständigung ihres Dienstgebers über die Behinderteneigenschaft nicht verhalten gewesen, da sie bei Ausführung der ihr zugewiesenen Tätigkeit nicht eingeschränkt gewesen sei. Die Klägerin habe keinen Entlassungsgrund gesetzt, die Entlassung sei auch nicht unverzüglich ausgesprochen worden und daher verfristet.

Das Feststellungsbegehren der Klägerin sei gerechtfertigt, weil eine Leistungsklage auf Zahlung der inzwischen fällig gewordenen Ansprüche der Klägerin das rechtliche Interesse nicht zur Gänze ersetze. Die Verfristungsbestimmung des § 107 ArbVG sei auf die vorliegende Feststellungsklage nicht anzuwenden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß das Entlassungsrecht der beklagten Partei erloschen sei. Dem Dienstgeber sei bereits seit Oktober 1993 bekannt gewesen, daß das Arbeitsklima unter der Persönlichkeit der Klägerin gelitten habe. Überdies sei dem Dienstgeber eine Weiterbeschäftigung der Klägerin zumutbar gewesen. Selbst wenn die Klägerin ihre Arbeitszeit nicht genau eingehalten und während der Dienstzeit für die Abendschule gelernt habe, sei dies kein Entlassungsgrund, weil sie nicht ermahnt worden sei, dieses schon früher bekannte Verhalten zu unterlassen.

Die Feststellungsklage sei zulässig. Handle es sich nämlich um ein Dauerrechtsverhältnis und könnten mit der Leistungsklage nur einzelne daraus entstandenen Ansprüche geltend gemacht werden, sei in Beziehung auf den Bestand des Dauerrechtsverhältnisses die Feststellungsklage zulässig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das Klagebegehren "wegen Unzulässigkeit des enthaltenen Feststellungsbegehrens" zurückzuweisen; hilfsweise, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Zulässigkeit der Feststellung des weiterbestehenden Dienstverhältnisses als Dauerschuldverhältnis ist schon deshalb zu bejahen, weil mit der möglichen Leistungsklage nur einzelne daraus entspringende Ansprüche, nämlich die bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung fällig gewordenen Gehälter, geltend gemacht werden könnten, das rechtliche Interesse der Klägerin aber darüber hinausgeht (Arb 11.247 mwN). Es genügt daher, auf die diesbezüglich richtigen Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 48 ASGG).

Mit ihren Ausführungen, das Verhalten der Klägerin habe sich seit dem Kündigungsversuch von November 1993 kurzfristig gebessert und sei erst im Jänner 1994 wieder unleidlich geworden, entfernt sich die Revisionswerberin von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen. Abgesehen davon, daß sich aus den Feststellungen nicht ergibt, daß Mitarbeiterbeschwerden auch berechtigt waren, wurden diese bereits zum Anlaß für die am 13.1.1994 angedrohte Kündigung durch die Mitgeschäftsführerin genommen (S 161). Auch bei Dauertatbeständen ist die Entlassung grundsätzlich unverzüglich nach Kenntnisnahme durch den Arbeitgeber auszusprechen. Eine Ausnahme kann dann eintreten, wenn mit der Dauer des Zustandes auch das Ausmaß der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zunimmt (Kuderna Entlassungsrecht2 19, 9 ObA 2059/96a = RIS-Justiz Rs 0031799). Umstände, aus denen auf eine Intensivierung eines unleidlichen Verhaltens der Klägerin zwischen dem Ausspruch der (zweiten) Kündigung und dem Ausspruch der Entlassung und somit eine Unzumutbarkeit weiterer Beschäftigung geschlossen werden könnte, wurden aber nicht festgestellt.

Letztlich ist der Entlassungsgrund des pflichtwidrigen Unterlassens der Dienstleistung (§ 27 Z 4 AngG erster Tatbestand) selbst dann nicht gegeben, wenn dieser unverzüglich nach Kenntnisnahme durch den Geschäftsführer der beklagten Partei geltend gemacht worden wäre. Der gegenüber der Klägerin erhobene Vorwurf, sie habe während der Arbeitszeit unerlaubterweise für einen Abendkurs gelernt, wäre nur dann bedeutsam, wenn die Klägerin infolge einer dienstfremden Tätigkeit während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterlassen hätte. Eine nur kurze Zeit andauernde und nicht zu häufig wiederholte Pause ist noch kein tatbestandsmäßiger Entlassungsgrund (Kuderna aaO 103).

Da andernfalls der Kündigungsschutz (§ 8 Abs 2 BEinstG), der im Revisionsverfahren von der beklagten Partei nicht mehr bestritten wird, umgangen werden könnte, löste die ungerechtfertigte Entlassung der Klägerin das Arbeitsverhältnis nicht auf (Kuderna aaO 43, 9 ObA 144/91 = RIS-Justiz RS0052630).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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