OGH 7Ob2408/96k

OGH7Ob2408/96k2.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Thomas J*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft E*****, diese vertreten durch Dr.Harald Humer, Rechtsanwalt in Eferding, gegen die beklagte Partei Franz W*****, vertreten durch Dr.Peter Posch und Dr.Ingrid Posch, Rechtsanwälte in Wels, wegen Feststellung der Vaterschaft und Unterhalts, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 2.September 1996, GZ 21 R 397/96y-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Eferding vom 26.April 1996, GZ 3 C 94/96m-6, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen - mit Ausnahme des in Rechtskraft erwachsenen klagsabweisenden Teiles - werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der mj. Thomas wurde während der aufrechten Ehe der Rosa Maria J***** und des August J***** geboren. Mit rechtskräftigem Urteil des Erstgerichtes vom 26.2.1996, 3 C 255/95m-13, wurde festgestellt, daß Thomas kein eheliches Kind des August J***** ist. Das im Verfahren 3 C 255/95 eingeholte serologische Gutachten ergab, daß der hier Beklagte von der Vaterschaft zum mj. Thomas aufgrund der vererbten Blutmerkmale nicht auszuschließen ist. Seine biostatische ermittelte Vaterschaftswahrscheinlichkeit beträgt nach Essen-Möller 99,9 %, was dem Kalkül "Vaterschaft praktisch erwiesen" entspricht.

Der Beklagte hat mit Rosa-Maria J***** ohne Verwendung von Schutzmitteln während der gesetzlich vermuteten Empfängnisfrist vom 14.1. bis 16.5.1990 zweimal geschlechtlich verkehrt, und zwar Ende Jänner/Anfang Februar 1990 sowie ein weiteres Mal im Februar 1990. Daraufhin blieb bei Rosa-Maria J***** im März die Regelblutung aus.

Der minderjährige Kläger begehrte Feststellung der Vaterschaft des Beklagten sowie die Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von S 3.500,-- ab 1.3.1996.

Der Beklagte wendete ein, seine Vaterschaft sei im Vorprozeß nicht mit Sicherheit erwiesen worden. Er habe nicht in der kritischen Zeit, sondern erst im Dezember 1994 mit Rosa-Maria J***** Geschlechtsverkehr gehabt. Rosa-Maria J***** habe auch mit mehreren anderen Männern, und zwar auch während der gemäß § 163 Abs 1 ABGB in Betracht kommenden Zeit, geschlechtlich verkehrt.

Das Erstgericht gab der Klage des mj. Thomas auf Feststellung der Vaterschaft des Beklagten statt, verpflichtete den Beklagten zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 2.920,-- ab 1.3.1996 und wies das Unterhaltsmehrbegehren von S 580,-- monatlich ab. Da die Vaterschaft aufgrund des blutserologischen Gutachtens mit derart hoher Wahrscheinlichkeit feststehe, könne die Durchführung der Einvernahme von Zeugen über den Mehrverkehr und die Einholung des weiters beantragten anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens unterbleiben. Für den Vater gelte die Vermutung des § 163 ABGB. Der Beklagte habe weder den Beweis eines Vaterschaftsausschlusses noch den Beweis, daß die Vaterschaft eines anderen Mannes wahrscheinlicher sei, erbringen können, weil nach dem blutserologischen Gutachten seine Vaterschaft praktisch erwiesen sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz liege nicht vor. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichte das Gericht nicht, alle nur erdenklichen, also auch von vorneherein als überflüssig erkannte Beweise aufzunehmen. Aufgrund des blutserologischen Gutachtens sei die Vaterschaft des Beklagten praktisch erwiesen und somit eine sichere Unterscheidung von Vätern und Nichtvätern möglich, sodaß in der Unterlassung der Vernehmung der vom Beklagten als mögliche Väter bezeichneten Männer kein Verfahrensmangel zu erblicken sei. Einem anthropologisch-erbbiologischen Gutachten komme nicht der gleiche Beweiswert wie einem serologischen Gutachten zu und könnte es im vorliegenden Fall nicht widerlegen. Es stelle auch keinen Verfahrensmangel dar, daß das Erstgericht nicht von Amts wegen ein (erstmals in der Berufung beantragtes) DNA-Gutachten eingeholt habe. Die hier ermittelte Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9 % sei wesentlich größer als in den den Entscheidungen EvBl 1994/85 und EvBl 1995/4 zugrundeliegenden Fällen, in denen die Notwendigkeit der Verfahrensergänzung durch Vernehmung eines gerichtsärztlichen Sachverständigen über den Beweiswert der DNA-Analyse angenommen worden sei. Bei dem sich im vorliegenden Fall ergebenden Kalkül der praktisch erwiesenen Vaterschaft sei kein Raum für ernsthafte Zweifel an der tatsächlichen Vaterschaft des Beklagten. In rechtlicher Hinsicht ergebe sich daraus, daß dem Beklagten der ihm obliegende Gegenbeweis des § 163 Abs 2 ABGB nicht gelungen sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob auch bei einer biostatisch ermittelten Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9 % über den Beweiswert einer DNA-Analyse Erhebungen zu pflegen seien, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten, die allein die Unterlassung der Einholung einer DNA-Analyse bzw eines gerichtsärztlichen Gutachtens über den Beweiswert einer solchen Analyse insbesondere im vorliegenden Fall rügt, ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Vorentscheidungen berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Vaterschaftstreit alle Beweise aufzunehmen, von denen eine weitere Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes erwartet werden kann. Solche Beweise sind selbst dann durchzuführen, wenn sie von keiner Partei beantragt wurden, sodaß die Unterlassung eines derartigen Beweisanbotes im Verfahren erster Instanz dem Beklagten nicht zum Nachteil gereichen kann (EvBl 1995/4 mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat sich in letzter Zeit in mehreren Entscheidungen mit der Frage der Einholung einer DNA-Analyse im Vaterschaftsstreit befaßt. Er kam nach Darstellung des Meinungsstandes über den Beweiswert des herkömmlichen Bluttests einerseits und der DNA-Analyse andererseits sowohl in seiner Entscheidung 1 Ob 589/93 = EvBl 1994/85 (bei der eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit aufgrund der serologischen Begutachtung von 95,5 % ermittelt wurde) als auch in der Entscheidung 7 Ob 507/94 = EvBl 1995/4 (Vaterschaftswahrscheinlichkeit 99,4 %) zu dem Ergebnis, daß angesichts des nach der biostatischen Wahrscheinlichkeitsrechnung noch immer verbleibenden Irrtumsrisikos aus der Sicht des Rechtsanwenders keineswegs von vorneherein eine weitere Aufklärung - also der Ausschluß des Beklagten von der Vaterschaft oder umgekehrt bei dessen Nichtausschluß eine wesentliche Steigerung der Vaterschaftswahrscheinlichkeit - ausgeschlossen werden könne. Der Oberste Gerichtshof trug daher in beiden Fällen eine Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens durch Vernehmung eines gerichtsärztlichen Sachverständigen über den Beweiswert der DNA-Analyse bzw darüber, ob deren Durchführung im konkreten Fall voraussichtlich zu einer weiteren Aufklärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes beitragen könne, auf; bei Bejahung dieser Fragen werde ein solches Gutachten im erforderlichen Umfang einzuholen und erneut über das Klagebegehren zu entscheiden sein.

Die in beiden Entscheidungen dargelegten Erwägungen, daß auch bei noch so hohen Wahrscheinlichkeitswerten aufgrund der serologischen Begutachtung nicht von vorneherein ausgeschlossen werden könne, daß die DNA-Analyse einen Ausschluß des Beklagten von der Vaterschaft erbringen könne, haben auch hier zu gelten. Der Wahrscheinlichkeitswert nach der herkömmlichen serologischen Begutachtungsmethode ist zwar im vorliegenden Fall noch höher als in den beiden Verfahren, die zu den zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes führten. Dessen ungeachtet bleibt auch bei einem denkbar hohen Wahrscheinlichkeitswert immer noch ein, wenn auch geringer, Unsicherheitsfaktor (vgl hiezu 1 Ob 643/90 = RZ 1991/11). Die Grenzziehung, bis zu welcher statistischen Wahrscheinlichkeit eine weitere, allenfalls zur Prüfung der Vaterschaft grundsätzlich zumindest gleichwertig geeigneten Methode ins Kalkül zu ziehen und ab welchem Wahrscheinlichkeitswert davon von vorneherein Abstand zu nehmen sein soll, erscheint daher problematisch und inkonsequent.

In 1 Ob 2114/96f hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls ausgeführt, daß die DNA-Analyse selbst unter Bedachtname auf die in der Wissenschaft angemeldeten Zweifel jedenfalls ein die herkömmlichen wissenschaftlichen Methoden ergänzendes Verfahren ist, weil sie nicht nur höchste Ausschlußchancen für Nichtväter, sondern, wenn der Belangte danach nicht auszuschließen ist, auch hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeitswerte vermittelt. Selbst wenn auch mit dieser Methode ein 100 %iger positiver Vaterschaftsbeweis nicht möglich ist, gelingt es doch mit ihrer Hilfe, einen voll vertrauenswürdigen Vaterschaftsausschluß zuwege zu bringen. Die Entscheidung über den Beweiswert wissenschaftlicher Methoden der Vaterschaftsfeststellung ist von den Tatsacheninstanzen mit Hilfe sachverständiger Begutachtung zu lösen. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren war vom Erstgericht allerdings bereits ein Gutachten über den Beweiswert der DNA-Analyse angeholt und aufgrund dessen von den Vorinstanzen für Obersten Gerichtshof bindend festgestellt worden, daß diese Analyse (im konkreten Fall) kein taugliches Mittel darstelle, um die bereits vorliegenden gutachtlichen Ergebnisse (ein unter Anwendung der sogenannten RFLP-Methode erstattetes Gutachten ergab bei Koordination mit einem serologischen Gutachten eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,99996 %) zu widerlegen, weil auch mit Hilfe der DNA-Methode ein 100 %ig positiver Vaterschaftsbeweis kaum möglich sei. Deshalb wurde in dem genannten Verfahren vom Obersten Gerichtshof ein Verstoß gegen den nach Artikel V Z 5 UEKindG gebotene Stoffsammlungspflicht dadurch, daß eine DNA-Analyse nicht geholt wurde, verneint.

Im vorliegenden Fall wird daher im fortgesetzten Verfahren im Sinn der zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes eine Vernehmung eines gerichtsärztlichen Sachverständigen über den Beweiswert der DNA-Analyse insbesondere mit Rücksicht auf den vorliegenden Fall durchzuführen und erforderlichenfalls - je nach dem Ergebnis dieser Befragung - ein solches Gutachten einzuholen sein.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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