OGH 1Ob643/90

OGH1Ob643/903.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas U***, Gendarmeriebeamter, Mürzzuschlag, Grazerstraße 73 d, vertreten durch Dr. Christa Unzeitig, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei mj. Nadine S***, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag als Sachwalter, diese vertreten durch Dr. Friedrich Jöllinger, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Unwirksamerklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 29.Mai 1990, GZ R 300/90-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mürzzuschlag vom 14.Februar 1990, GZ C 307/89 h-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung

Der Kläger lernte Karin S***, die Mutter der am 5.9.1988 geborenen Beklagten, am 17.11.1987 kennen. Ca. eine Woche später kam es zum ersten Geschlechtsverkehr. Bis 14.12.1987 verkehrte der Kläger mehrmals mit Karin S***. Ihre letzte vorgeburtliche Regel setzte am 16.11.1987 ein. Der Kläger hat am 17.10.1988 vor der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag, GZ 9.7.2. Sch 1-88, die Vaterschaft zur Beklagten anerkannt.

Mit der am 11.4.1989 eingebrachten Klage begehrt der in erster Instanz unvertreten gewesene Kläger den Ausspruch, daß sein Anerkenntnis rechtsunwirksam sei. Erst jetzt sei ihm bekannt geworden, daß die Mutter des Kindes auch mit anderen Männern geschlechtlichen Umgang gehabt habe. Als er die geschlechtlichen Beziehungen zur Mutter des Kindes aufgenommen habe, sei diese bereits schwanger gewesen. Er sei auf Grund eines einzuholenden serologischen Gutachtens als Vater des Kindes auszuschließen. Das Erstgericht wies das Begehren nach Einholung eines serologischen Gutachtens (ohne Einbeziehung des HLA-Systems) ab. Es stellte auf Grund dieses Gutachtens fest, die Gesamtausschlußchance der untersuchten Merkmalsysteme betrage 93,9 %, die spezielle Ausschlußchance 98 % ("relativ hoch"), die biostatische Vaterschaftswahrscheinlichkeit 99,89 % ("Vaterschaft praktisch erwiesen"). Anhaltspunkte für den vom Kläger vermuteten Mehrverkehr der Mutter innerhalb der kritischen Zeit hätten nicht gefunden werden können. Dem Kläger sei es nicht gelungen nachzuweisen, daß solche Umstände vorliegen,idie die Vermutung seiner Vaterschaft entkräften und die er zur Zeit des Anerkenntnisses nicht gekannt hätte. Bestehe eine spezielle Ausschlußchance von mehr als 95 % und eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von mehr als 99,5 %, sei medizinisch eine sichere Unterscheidung zwischen Vätern und Nichtvätern möglich. Der Kläger sei auf Grund des serologischen Gutachtens nicht auszuschließen, seine Vaterschaft sei biostatisch praktisch erwiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig. In der Unterlassung der Einholung eines Tragzeitgutachtens könne eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht erblickt werden. Die Bandbreite der durch ein solches Gutachten erzielbaren Aufschlüsse sei viel zu groß, der sich aus der Anwendung reiner Statistik ergebende Spielraum viel zu wenig eingeengt, daß es von Extremfällen abgesehen in der Regel unmöglich sei, vom Geburtstag auf den Tag der Empfängnis zu schließen. Selbst wenn man die Meinung vertreten wollte, das Erstgericht habe seine Manuduktionspflicht verletzt, wäre damit für den Kläger nichts gewonnen. Es dürfe nicht übersehen werden, daß die Wahrscheinlichkeit seiner Vaterschaft 99,89 % beträgt. Ein solcher Wert rechtfertige es trotz Offizialmaxime von weiteren Beweisaufnahmen abzusehen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist berechtigt.

Nach der gemäß Art. VI § 5 KindRÄG noch anzuwendenden Vorschrift des § 164 a Abs 1 Z 2 ABGB aF hat das Gericht die Rechtswirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses auf Klage des Anerkennenden festzustellen, wenn der Anerkennende beweist, daß solche Umstände vorliegen, die die Vermutung seiner Vaterschaft entkräften und die er zur Zeit der Anerkennung nicht gekannt hat. Solche Umstände (Verkehr mit anderen Männern, Zeitpunkt der Empfängnis, Ausschluß durch serologische Gutachten) behauptet der Kläger. Daß er die Vaterschaft im Wissen, nicht der Vater zu sein, anerkannt habe, wurde nicht festgestellt.

Nach Art. V Z 5 UeKindG hat das Gericht bei Streitigkeiten über die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind von Amts wegen dafür zu sorgen, daß alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände vollständig aufgeklärt werden. In einem von der Amtswegigkeit geprägten Verfahren unterliegen auch erstinstanzliche, vom Berufungsgericht verneinte Mängel der Kognition des Obersten Gerichtshofes (EFSlg. 57.820, 52.236 ua). Eine solche Mangelhaftigkeit ist dem Erstgericht unterlaufen. Wohl ist das Gericht auch in Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht werden, nicht verpflichtet, jeden nur erdenklichen Beweis aufzunehmen (EFSlg. 51.252, 48.394, 46.703 uva). In jedem Fall ist aber oberstes Ziel des Vaterschaftsprozesses, die Ermittlung und Feststellung des wirklichen biologischen Vaters (Mutschler in Münchener Komm.2, Rz 2 zu § 1600 o BGB). Zur Erreichung dieses Zieles sind weitere Beweise daher zuzulassen, wenn durch sie eine genauere Aufklärung erwartet werden kann. Die das Begehren abweisenden Urteile der Vorinstanzen stützen sich vor allem auf die Errechnung der biostatischen Vaterschaftswahrscheinlichkeit auf Grund des (ohne Einbeziehung des HLA-Systems erstatteten) serologischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. Wolfgang M***. Maresch-Spann, Angewandte Gerichtsmedizin2 180 führen aber aus, den Prozeßbeteiligten sollte jeweils deutlich gemacht werden, daß solche Berechnungen nur statistisch begründete Wahrscheinlichkeiten ergeben und somit schon rein theoretisch mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind; aus diesen Gründen sollte bei Nichtausschluß wohl in jedem Fall die zusätzliche HLA-Typisierung vorgeschlagen werden. Auch Szilvassy in ÖA 1990, 32 f warnt vor einer Fehlinterpretation serostatischer Gutachten. Es soll allerdings nicht übersehen werden, daß sich der Oberste Gerichtshof bei der Frage, ob neben und nach dem serologischen Gutachten ein erbbiologisch-anthropologisches Gutachten einzuholen sei, wiederholt (EFSlg. 51.256, 48.375; ÖA 1987, 113; EFSlg. 41.779 ua) auf die Ausführungen von Herbich in RZ 1978, 124 und RZ 1975, 131, berufen hatte, wonach eine sichere Unterscheidung zwischen Vätern und Nichtvätern dann gegeben sei, wenn der betreffende Mann bei einer speziellen Ausschlußchance von mindestens 95 % einen Vaterschaftswahrscheinlichkeitswert von über 99,5 % erreicht hatte. Gerade Herbich aaO mahnt aber zu großer Vorsicht in der Beurteilung der Vaterschaftswahrscheinlichkeitsberechnungen, führt er doch Fälle an, in denen ungeachtet eines serologischen Ausschlusses Vaterschaftswahrscheinlichkeit bis zu 99,97 % festgestellt wurde. In den zuletzt zur Entscheidung über uneheliche Vateschaft dem Obersten Gerichtshof vorgelegenen Fällen (8 Ob 649/89, 8 Ob 605/89, 2 Ob 595/86) war jeweils auch das HLA-System in die serologische Begutachtung einbezogen worden. Die beklagten Männer konnte auch auf Grund dieses alle anderen Blutgruppensysteme an generellen Differenzierungsvermögen übertreffenden Systems (Soergel-Gaul12 Rz 58 zu § 1591 BGB) nicht als Väter ausgeschlossen werden. Die Vaterschaftswahrscheinlichkeitsberechnung erreichte aber dadurch Werte von 99,9 % bis 99,9999 %. Mutschler aaO Rz 34 a zu § 1592 BGB und Rz 14 zu § 1600 o BGB sowie Soergel-Gaul aaO weisen darauf hin, daß die Untersuchung nach dem HLA-System selbst bei relativ hohen serostatischen Werten der Vaterschaftswahrscheinlichkeit noch zu einem Vaterschaftsausschluß führen könne und in unklaren Fällen der HLA-Begutachtung daher große Bedeutung zukomme.

Daraus folgt, daß das Erstgericht die Grenzen seines pflichtgemäßen Ermessens, ab wann weitere serologische Untersuchungen nicht durchzuführen sind, verkannt hat. Der Revision ist Folge zu geben, die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Ergänzung des serologischen Gutachtens nach dem HLA-System zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf § 52 ZPO.

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