OGH 12Os7/97

OGH12Os7/9727.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Februar 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut und Dr.Schindler als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Miljevic als Schriftführerin, in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 27 a Vr 9123/96 anhängigen Strafsache gegen Spiros K***** wegen des Verbrechens der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 17.Dezember 1996, GZ 23 Bs 493, 494/96, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Spiros K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Haft vom 13. bis 16. August 1996 richtet, abgewiesen, im übrigen zurückgewiesen.

Text

Gründe:

In der - eine in diesem Strafverfahren vorausgegangene Grundrechtsbeschwerde betreffenden - Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 31.Oktober 1996, GZ 12 Os 135/96-4, wurde bereits dargetan, daß gegen den mazedonischen Staatsangehörigen Spiros K***** am 20.Dezember 1994 die Voruntersuchung wegen des Verbrechens der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB eingeleitet, am 27.April 1995 gegen den Beschuldigten ein auf §§ 175 Abs 1 Z 2, 3 und 4, 176 Abs 1 StPO gestützter Haftbefehl erlassen und gleichzeitig - soweit die nach dem damaligen Untersuchungsstand verfügbaren Daten dazu ausreichten - ein als Grundlage eines allfälligen späteren Auslieferungsverfahrens gedachter Steckbrief ausgefertigt wurde. Der Voruntersuchung liegt eine von der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Kriminalpolizeilicher Dienst - EDOK, an die Staatsanwaltschaft Wien erstattete Strafanzeige vom 5.Dezember 1994 zugrunde, wonach Spiros K***** über ein Kontoguthaben von (umgerechnet in österreichische Währung) 39,190.824,96 S, das durch eine versehentlich überhöhte Überweisung eines Geschäftspartners zustande gekommen war, statt entsprechender Refundierung eigennützig verfügt haben soll. Inhaltlich der (durch Geschäftskorrespondenz, Bankunterlagen und hinsichtlich der in Rede stehenden Geldbewegungen auch durch die Zeugenaussage eines Bankangestellten gestützten) Anzeige hatte nämlich die in Italien ansässige Firma "S***** S.r.l."

im Zusammenhang mit einem Getränkedosen betreffenden Liefervertrag den Betrag von 18.775,29 DM auf ein von der Firma "Z***** Ltd" bei der C*****BANK AG, 1010 Wien, Kärntnerstraße 40, gehaltenes Konto zu überweisen. Infolge eines dabei unterlaufenen Schreibfehlers kam es jedoch im Oktober 1994 zur Überweisung und Gutschrift von 18,775.296 DM, wovon der Beschuldigte in der Folge lediglich einen Teilbetrag von insgesamt (umgerechnet) 92,424.000 S an das durch die Fehlüberweisung belastete Unternehmen rücküberwiesen, ein entsprechendes Vorgehen hinsichtlich des Restbetrages von 39,190.824,96 S zunächst jedoch im wesentlichen mit der Begründung verweigert haben soll, aus der - wenngleich als Irrtum erkannten - Fehlüberweisung Kursgewinne und einen Teil des Kapitalbetrages "als Provision" zu beanspruchen, das versehentlich seinem Unternehmen zugeflossene Geld bereits zu Geschäftszwecken verwendet zu haben und weitere Rückzahlungen erst aus erhofften Geschäftsgewinnen leisten zu können.

Nach Maßgabe der damaligen Aktenlage - Interpol Zypern hatte am 24. November 1994 zu der für Spiros K***** und die von ihm geführte Firma Z***** Ltd in Erfahrung gebrachten Wohn- bzw Sitzadresse Nikosia 5 B Samou Street, Ayie Omologihtes, Zypern, mitgeteilt, daß der Beschuldigte mit 31.Jänner 1992 als Geschäftsführer des bezeichneten Unternehmens zurückgetreten war und dieses die Geschäftstätigkeit eingestellt hatte; gleichzeitig wurde mitgeteilt, daß sich K***** nicht in Zypern aufhalte, wozu am 10.April 1995 der ergänzende Interpol-Hinweis auf einen möglichen (nicht näher konkretisierten) Aufenthalt des Beschuldigten in Bulgarien erging - begründete der Untersuchungsrichter den am 27.April 1995 erlassenen Haftbefehl im wesentlichen damit, daß der - nach der untersuchungsgegenständlichen Tathandlung von hoher Straferwartung betroffene - (an den aktenkundigen Anschriften damals nicht aufhältige) Beschuldigte unbekannten Aufenthaltes sei, zu dem (noch weiter aufklärungsbedürftigen) Sachverhalt noch nicht vernommen werden konnte und nach der anzeigegegenständlichen Straftat weitere Tatbegehung befürchten lasse.

Spiros K***** wurde schließlich zunächst am 13.August 1996 aufgrund des Haftbefehls vom 27.April 1995 in Paphos (Zypern) festgenommen, in der Folge jedoch am 16.August 1996 von dem zuständigen zypriotischen Gericht "unter solchen Bedingungen, welche seinen Aufenthalt in Zypern während des Auslieferungsverfahrens sicherstellen" (343/I), aus der Haft entlassen.

Der von den zypriotischen Justizbehörden als lediglich unzureichende Grundlage der vorläufigen Auslieferungshaft bemängelte Haftbefehl wurde vom Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 23.August 1996 neu ausgefertigt (ON 40).

Die zunächst gegen die Haftbefehle vom 27.April 1995 und vom 23. August 1996 gerichtete Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten wurde vom Obersten Gerichtshof (mangels Ausschöpfung des Instanzenzuges - § 1 Abs 1 GRBG) mit eingangs zitierter Vorentscheidung zurückgewiesen.

Den vom Beschuldigten darüber hinaus gestellten Antrag auf Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Haftbefehle wies der Untersuchungsrichter mit Beschluß vom 7.Oktober 1996 (ON 50) ab.

Mit Entscheidung vom (richtig:) 17.Dezember 1996, AZ 23 Bs 493, 494/96 (ON 62/II), entschied das Oberlandesgericht Wien über die Beschwerden des Beschuldigten sowohl gegen die vorerwähnten Haftbefehle als auch gegen den untersuchungsrichterlichen Beschluß vom 7.Oktober 1996. Dabei wies es die Beschwerde gegen die Haftbefehle im wesentlichen mit der Begründung als verspätet zurück, daß die Haftbefehle spätestens ab der Akteneinsicht durch den Verteidiger des Beschuldigten am 2.September 1996 als rechtswirksam zugestellt zu gelten hätten, weshalb sich die erstam 20.September 1996 (sohin mehr als 14 Tage später) überreichte Beschwerdeschrift als nicht rechtzeitig eingebracht erweise. Gleichzeitig wurde jedoch der Beschwerde gegen den Beschluß vom 7.Oktober 1996 Folge gegeben und der angefochtene Beschluß ebenso wie die Haftbefehle vom 27.April 1995 und 23.August 1996 mit der Begründung aufgehoben, der "vormals durchaus dringliche" Tatverdacht werde durch die Darstellung der hier maßgebenden Zusammenhänge in dem vom Verteidiger für den Beschuldigten am 30.Oktober 1996 überreichten Schriftsatz soweit "in Frage gestellt", daß seine allfällige Wiederannahme von einer Bekräftigung der - vom Beschwerdegericht als bloße "Prozeßbehauptungen" eingestuften (7/II) - bisherigen Anschuldigungen abhinge.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Beschwerdeentscheidung gerichteten Grundrechtsbeschwerde, mit der der Beschuldigte nunmehr die beiden in Rede stehenden Haftbefehle samt ihren Auswirkungen, insbesondere die vom 13. bis 16.August 1996 erlittene Haft und (sinngemäß auch) die ihm bis zur Aufhebung der Haftbefehle auferlegten Beschränkungen, ferner die untersuchungsrichterliche Abweisung des Aufhebungsantrages mit Beschluß vom 7.Oktober 1996, die beschwerdegerichtliche Zurückweisung seiner gegen die Haftbefehle erhobenen Rechtsmittel und schließlich den Umstand als Grundrechtsverletzung geltend macht, daß die Aufhebung der Haftbefehle vom Beschwerdegericht infolge Verzögerungen bei der Aktenvorlage erst verspätet ausgesprochen worden sei, kommt in keinem Punkt Berechtigung zu.

Vorweg festzuhalten ist zunächst, daß ein nach §§ 1 Abs 1, 2 Abs 1 GRBG faßbarer Beschwerdegegenstand einen (jedenfalls) richterlichen Akt voraussetzt, der für eine Freiheitsbeschränkung im Sinn einer Festnahme oder Anhaltung ursächlich ist, wie dies auf strafgerichtliche Entscheidungen oder Verfügungen, die die Verhängung oder Aufrechterhaltung der Haft zum Gegenstand haben, ebenso zutrifft wie auf jede andere Art gerichtlich veranlaßter Freiheitsbeschränkung (vorläufige Verwahrung, Beugehaft, Haft als Ordnungsstrafe bis hin zur zwangsweisen Vorführung). Einschränkungen der Freizügigkeit, denen der bereits Enthaftete nach Maßgabe gerichtlich angeordneter Auflagen (zB Verpflichtung zu termingebundener Meldung etc) ausgesetzt ist, werden daher als weder für die Verhängung noch für die Aufrechterhaltung der Haft relevant von dem spezifischen Schutzzweck des Grundrechtsbeschwerdegesetzes nicht erfaßt (14 Os 128/95, 15 Os 111, 114/95 ua). Davon ausgehend kommt aber allein die vom Beschuldigten in der Zeit vom 13. bis 16.August 1996 erlittene vorläufige (Auslieferungs-)Verwahrungshaft als im Grundrechtsbeschwerdeverfahren relevante Freiheitsbeschränkung in Betracht, die - was die innerstaatlichen Grundlagen betrifft - schon aus zeitlicher Sicht ausschließlich auf dem Haftbefehl vom 27.April 1995 beruhte und solcherart in ihrer Legalitätsbeurteilung von richterlichen Akten, die der Enthaftung des Beschuldigten nachfolgten, zwangsläufig unabhängig ist. Nur soweit der Beschwerdeführer eben diesen Haftbefehl als Grundlage der tatsächlich erlittenen (rund dreitägigen) Haft bekämpft, stützt er sich demnach auf einen durch das Grundrechtsbeschwerdegesetz eröffneten Anfechtungspunkt, ohne allerdings der Sache nach im Recht zu sein.

Mag es auch zutreffen, daß - der vom Oberlandesgericht Wien vertretenen Auffassung zuwider - die bloße Akteneinsicht durch den Verteidiger des Beschuldigten ohne entsprechende Aushändigung einer für den Beschuldigten vorgesehenen Ausfertigung des Haftbefehls für sich allein keinen rechtswirksamen Ersatz für den gesetzlich geforderten Zustellvorgang darstellt (eine allfällige Zustellung durch das vorliegend befaßt gewesene zypriotische Gericht ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen), die mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß ausgesprochene Zurückweisung der Beschwerde des Beschuldigten (gegen die Haftbefehle sowohl vom 27.April 1995 als auch vom 23.August 1996) demnach im Gesetz keine Deckung findet, so bleibt dies im Rahmen des hier aktuellen, auf grundrechtliche Belange beschränkten Entscheidungsbezuges - wie bereits dargelegt - schon deshalb unbeachtlich, weil sich der Beschuldigte seit 16.August 1996 ohnedies wieder auf freiem Fuß befand. Dem Haftbefehl vom 27.April 1995 fehlte es aber weder hinsichtlich des dringenden Tatverdachtes noch in Ansehung der angezogenen Haftgründe an den gebotenen gesetzlichen Grundlagen. Die dem untersuchungsgegenständlichen Tatverdacht zugrunde liegenden, durch entsprechende Geschäftskorrespondenz und Bankunterlagen objektivierten Geldbewegungen waren von Anfang an unbestritten, fanden auch in der von dem anzeigenden Unternehmen vorgebrachten Primärreaktion des Beschuldigten nach der Wahrnehmung der Fehlüberweisung Deckung und wurden erst in dem für den Beschuldigten am 30.Oktober 1996 eingebrachten Schriftsatz dahingehend relativiert, daß angeblich im Einvernehmen beider Teile das UN-Embargo gegen Serbien durch diverse Lieferungen (insbesondere von Zigaretten) unterlaufen und diese Geschäftsabwicklungen durch planmäßig gezielte Fehlüberweisungen seitens des (auf die Produktion von Getränkedosen spezialisierten) italienischen Konzernunternehmens bemäntelt werden sollten. Abgesehen davon, daß ein Vorbringen und damit verbundenes Beweisangebot, das der Enthaftung des Beschuldigten nachfolgte, für die Beurteilung der im Haftzeitraum maßgebenden Verdachtsgrundlagen unbeachtlich ist, bleibt vollständigkeitshalber hinzuzufügen, daß jenen Ausführungen, mit denen das Oberlandesgericht Wien die Aufhebung beider verfahrensgegenständlicher Haftbefehle begründet, nicht zu entnehmen ist, aus welchen plausiblen Erwägungen die - durch immerhin im EU-Bereich notariell beglaubigte eidesstättige Angaben mehrerer Führungskräfte und durch die urkundlich belegten äußeren Vorgänge gestützte - Darstellung des anzeigenden Unternehmens durch eine (erstmals nach dem Ablauf von zwei Jahren vorgebrachte) Alternativversion problematisiert würde, deren wirtschaftliche Schlüssigkeit einbekanntermaßen zur Voraussetzung hätte, daß ein bei einem italienischen Unternehmen beschäftigter Grieche aus angeblich traditioneller Freundschaft zwischen Griechenland und Serbien zu einseitiger finanzieller Unterstützung serbischer Warenempfänger in Millionenhöhe bereit gewesen wäre (441/I).

Nach den damals aktenkundigen Untersuchungsergebnissen stand aber auch die Annahme (schon) des Haftgrundes der Fluchtgefahr mit dem Gesetz im Einklang. Daß zu der Spiros K***** zugeordneten Geschäftsadresse ebenso eine nicht zielführende Interpol-Auskunft vorlag, wie zu seiner angeblichen Heimatanschrift, wurde bereits dargetan. Danach sollte sich der (auch zivilgerichtlich belangte, dort durch seinen anwaltlichen Vertreter agierende und über die an ihn gestellten Forderungen informierte) Beschuldigte - unbeschadet einer bekannten Wohnanschrift (auch) in Zypern - "nach wie vor im Ausland, evtl. in Bulgarien" an unbekannten Orten aufhalten (221/I). Vor dem Hintergrund der in ihrem wesentlichen Kern urkundlich belegten Anschuldigungen in der Strafanzeige gegen den Beschuldigten ging daher der Untersuchungsrichter zu Recht von einem für die Annahme von Fluchtgefahr hinreichenden Tatsachensubstrat aus, ohne dabei zu einer - für die Vorladung im Ausland aufhältiger Beschuldigter gesetzlich gar nicht vorgesehenen (§ 72 ARHG) - Kontaktaufnahme mit dem (schon funktionsbedingt jedweder durchsetzbaren Mitwirkung enthobenen) Verteidiger verpflichtet gewesen zu sein. Soweit der solcherart gesetzeskonforme Haftbefehl in der Folge am 13.August 1996 die Festnahme des Beschuldigten und seine weitere Anhaltung bis zum 16.August 1996 auslöste, wurde Spiros K***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Grundrechtsbeschwerde in diesem Punkt abzuweisen war.

Im darüber hinausgehenden Umfang war die Grundrechtsbeschwerde jedoch zurückzuweisen, weil die weiteren Beschwerdeanträge - wie oben bereits dargetan wurde - durchwegs solche (den im Grundrechtsbeschwerdegesetz gezogenen Anfechtungsrahmen nicht unterfallende) richterliche Akte betreffen, die für die (hier einzig faßbare Freiheitsbeschränkung vom 13. bis 16.August 1996) schon funktionell nicht grundrechtsrelevant waren. Aus den schon dargelegten Erwägungen gilt dies für den Haftbefehl vom 23.August 1996 nicht anders als für jenen Teil der bekämpften Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien, der über den Haftbefehl vom 27.April 1995 hinausging.

Eine Entscheidung über das Begehren auf Zuerkennung der Beschwerdekosten hatte bei dieser Sachlage zu entfallen (§ 8 GRBG).

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