OGH 14Os128/95

OGH14Os128/9514.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.September 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Unterrichter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Raimund St***** wegen des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 33 E Vr 1.712/95 des Landesgerichtes Salzburg, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 17. Juli 1995, AZ 9 Bs 218/95 (= ON 95), nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Raimund St***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Im Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom 20.Juli 1993 (ON 43) werden dem Beschuldigten Raimund St***** die Verbrechen der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (I) und der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II/1) sowie die Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II/2), der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II/3), des versuchten Hausfriedensbruches nach §§ 15, 109 Abs 1, "Abs 3 Z 1" StGB (III), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (IV/1 und 2) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (V/1 und 2) zur Last gelegt.

Darnach habe er in Salzburg

I. am 11.Dezember 1992 versucht, die Monika T***** absichtlich schwer zu verletzen, indem er mit einem Staubsaugerrohr gegen den Schädel und den gesamten Körper der am Boden Liegenden gezielt und heftig einschlug, sie mit Stiefeln traktierte und Anstalten traf, mit einem Messer auf sie einzustechen, wobei die Tat insgesamt leichtgradige Verletzungen, und zwar eine Schädelprellung mit einer etwa 3 cm langen, mäßig blutenden Rißquetschwunde im linken Scheitelhinterhauptbereich, zahlreiche oberflächliche Hautabschürfungen und Prellungen im Gesicht, unter anderem ein Monokelhämatom links, Hautabschürfungen am Hals, Prellungen beider Handrücken mit oberflächlichen Rißquetschwunden über den Fingerknöcheln rechts, eine oberflächliche kratzerförmige Schnittverletzung im Bereich des rechten Schulterblattes und eine Prellung der linken Kniescheibe, zur Folge hatte;

II. teils mit Gewalt, teils durch gefährliche Drohung nachgenannte Personen zu einer Handlung bzw Unterlassung genötigt bzw zu nötigen versucht, und zwar:

1. am 11.Dezember 1992 die Monika T***** und die Nicole O***** durch die Äußerung: "Du Hure, du fliegst nicht mehr umeinander, ich bring dich um und wenn ich lebenslänglich bekomme ! Wenn du mich anzeigst, bist du hin !", sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod, wobei die Tat beim Versuch geblieben sei;

2. am 29.März 1993 die Monika T***** mit Gewalt, nämlich dadurch, daß er sie würgte, ihr mehrmals mit der Faust ins Gesicht schlug und ihr mehrmals drohte, wenn sie sich nicht mit ihm versöhne, werde er sie so zusammenschlagen, daß sie niemand mehr kenne;

3. am 29.März 1993 die Monika T***** nach der unter II/2 beschriebenen Tat durch gefährliche Drohung, nämlich durch die Ankündigung von Schlägen, zu einer Unterlassung der Anzeigeerstattung, wobei die Tat beim Versuch geblieben sei;

III. am 29.März 1993 sich den Eintritt in die Wohnstätte der Monika T***** mit Gewalt zu erzwingen versucht, indem er gegen die Tür trat und ankündigte: "Wenn du mich nicht einläßt, dann bringe ich dich und dein Kind um !", wobei die Tat beim Versuch geblieben sei;

IV. nachgenannte Personen gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar:

1. am 11.Dezember 1992 die Monika T***** durch die wiederholte Äußerung, sie umzubringen, wobei er seinen Drohungen durch die unter Pkt I beschriebenen Gewalttätigkeiten Nachdruck verlieh;

2. am 11.Dezember 1992 den Sicherheitswachebeamten RevInsp Josef H*****, indem er ankündigte, im Falle seiner Entlassung im Wachzimmer Bahnhof eine Bombe zu legen, sohin durch gefährliche Drohung mit einem Sprengmittel;

V. die Monika T***** am Körper verletzt, wobei die Taten leichte Verletzungen zur Folge hatten, und zwar:

1. am 29.März 1993 dadurch, daß er sie würgte und ihr mehrmals mit der Faust ins Gesicht schlug, wobei die Tat eine Schwellung der Oberlippe und eine Lockerung der beiden oberen Schneidezähne zur Folge hatte,

2. am 6.April 1993 dadurch, daß er sie mit beiden Händen an ihren Oberarmen erfaßte, sie zu Boden warf und würgte, wobei die Tat zumindest Kratzspuren am Hals zur Folge hatte.

Der Beschuldigte befand sich in dieser Sache zunächst in der Zeit vom 11. Dezember 1992 bis 27.Jänner 1993 in Verwahrungs- bzw Untersuchungshaft (ON 5, 8, 24, 28, 29), sodann wurde mit gelinderen Mitteln (Weisungen gemäß § 180 Abs 5 Z 3 und 4 StPO) das Auslangen gefunden. Zur Hauptverhandlung am 11.Oktober 1993 ist er, obwohl ihm die Ladung noch persönlich zugestellt werden konnte, nicht erschienen. Nach Angaben von Zeugen hatte er angekündigt, sich "in den Süden" abzusetzen (ON 48).

Daraufhin erließ der Einzelrichter am 15.Oktober 1993 gegen Raimund St***** einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr (§ 175 Abs 1 Z 2 StPO), in dem er ihn der im Strafantrag beschriebenen strafbaren Handlungen als dringend verdächtig bezeichnete (ON 50). Im gleichen Umfang erließ der Einzelrichter am 6.Juni 1994 einen Steckbrief (§§ 416 f StPO) und - nachdem Raimund St***** bereits am 17.Juni 1994 in Monza/Italien festgenommen worden war (ON 58) - am 20.Juni 1994 einen Auslieferungshaftbefehl (ON 59).

Die von den italienischen Justizbehörden zunächst über den Beschuldigten verhängte Auslieferungshaft wurde am 12.August 1994 wieder aufgehoben und durch die Weisung ersetzt, sich dreimal in der Woche bei der Polizei zu melden (ON 65, 74). Nachdem der Appelationsgerichtshof in Mailand die Auslieferung für zulässig erklärt hatte, wurde über Raimund St***** am 30.November 1994 wieder die Auslieferungshaft verhängt, die nach der Aktenlage noch aufrecht ist (ON 71, 72, 74; siehe auch das noch unjournalisierte Nachhangstück vom 4.September 1995). Das Auslieferungsverfahren ist allerdings infolge Beschwerde des Beschuldigten an den Kassationshof in Rom noch nicht abgeschlossen (ON 77).

Am 23.Mai 1995 stellte Raimund St***** durch seinen Verteidiger beim Einzelrichter den Antrag, den Haftbefehl wegen unverhältnismäßiger Dauer der bisherigen Haft aufzuheben (ON 84). Diesen Antrag wies der Einzelrichter mit Beschluß vom 7.Juni 1995 ab (ON 89). Die dagegen an das Oberlandesgericht Linz gerichtete Beschwerde wurde mit Beschluß vom 17.Juli 1995 als unzulässig zurückgewiesen (ON 95). Zugleich sprach der Gerichtshof II.Instanz aber aus, daß auch im Aufsichtwege (§ 15 StPO) kein Grund gesehen werde, die Entscheidung des Einzelrichters abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Beschwerdeentscheidung erhobene Grundrechtsbeschwerde, mit welcher der Beschuldigte ausschließlich die Unverhältnismäßigkeit der bisherigen Haftdauer geltend macht (§ 3 Abs 1 GRBG), ist zulässig, aber unbegründet.

Ein Haftbefehl ist nach internationalem und innerstaatlichem Recht unabdingbare Grundlage für die Verhängung und Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft im Ausland (siehe insb Art 12 Abs 2 lit a des Europäischen Auslieferungsübereinkommens; §§ 68 Abs 1, 69 ARHG; § 42 Abs 1 ARHV). Als strafgerichtliche (innerstaatliche) Entscheidung, die für die (ausländische) Entscheidung über die Auslieferungshaft präjudiziell ist, unterliegt daher ein Haftbefehl - und damit auch ein Beschluß, mit dem ein Antrag auf dessen Aufhebung (wie hier) abgewiesen wird - einer Überprüfung im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, sobald es im Ausland zur Verhängung der Auslieferungshaft gekommen ist (§ 1 Abs 1 GRBG). Auf die wegen der für die Zulässigkeit einer Grundrechtsbeschwerde vorausgesetzte Erschöpfung des Instanzenzuges vorgelagerte - im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte und in der Judikatur nach dem Strafprozeßänderungsgesetz 1993 noch nicht behandelte - Frage der Anfechtbarkeit eines Haftbefehles oder eines abweisenden Beschlusses über einen dagegen gerichteten Aufhebungsantrag ist hier nicht einzugehen. Durch die Anrufung des Gerichtshofes II.Instanz, der seine Entscheidung auch materiell begründet hat, hat der Beschwerdeführer dem Formalerfordernis einer Ausschöpfung des Instanzenzuges jedenfalls Genüge getan.

Die Beschwerde ist allerdings unbegründet.

Im Hinblick auf das Gewicht der dem Beschuldigten zur Last gelegten strafbaren Handlungen und unter Berücksichtigung seines Vorlebens (siehe Strafregisterauskunft S 31 ff/I) - mag auch die letzte einschlägige Verurteilung bereits längere Zeit zurückliegen - steht die Dauer der bisherigen Verwahrungs-, Untersuchungs- und Auslieferungshaft (nunmehr etwa 13 Monate) zu der zu erwartenden Strafe - insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Möglichkeiten bedingter Strafnachsicht (§§ 43 Abs 1, 43 a StGB, 265 StPO) - derzeit noch nicht außer Verhältnis.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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