OGH 2Ob2416/96z

OGH2Ob2416/96z19.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jovanka B*****, vertreten durch Dr.Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Gemeinde Wien, Stadtgartenamt, 1030 Wien, Am Heumarkt 2 b, vertreten durch Dr.Gertrud Hofmann, Rechtsanwältin in Wien, wegen S 71.000 sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 4.September 1996, GZ 17 R 155/96f-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 21.März 1996, GZ 7 Cg 208/93x-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil im Umfang der Anfechtung aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes in diesem Umfang aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die Klägerin brachte vor, sie sei am 21.4.1992 um 10.00 Uhr von einem von einer Rasenmähmaschine der beklagten Partei weggeschleuderten Stein getroffen worden, wodurch ihr das Jochbein zertrümmert worden sei. Der Rasenmäher der beklagten Partei sei unvorschriftsmäßig ausgerüstet gewesen, der Lenker der Maschine habe es unterlassen, den Rasen vor Bearbeitung nach größeren Gegenständen abzusuchen und diese zu entfernen. Er habe es auch unterlassen, den Mäher so zu wenden, daß der Ausstoß der Maschine in Richtung Raseninneres und nicht in Richtung Gehsteig fliege. Darüber hinaus habe er eine zu hohe Geschwindigkeit gewählt. Schließlich sei das Verschulden der beklagten Partei auch darin zu sehen, daß bei Rasenflächen im innerstädtischen Bereich nicht mit Handrasenmähern gearbeitet werde, sondern mit Rasentraktoren, obwohl der beklagten Partei aufgrund von Beschädigungen von Fahrzeugen bekannt gewesen sei, daß es zu derartigen Beeinträchtigungen kommen könne und insbesondere auch eine Verletzung von Fußgängern möglich sei.

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 60.000, den Ersatz unfallskausaler Spesen von S 1.000 sowie eine Verunstaltungsentschädigung von S 10.000; schließlich auch die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Folgen aus dem Unfall vom 21.4.1992.

Die beklagte Partei wendete ein, der Fahrer des Rasenmähtraktors habe mit einem Stein im Rasen nicht rechnen können, der Unfall der Klägerin sei auf ein unabwendbares Ereignis zurückzuführen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab, wobei es im wesentlichen folgende Feststellungen traf:

Am 21.4.1992 war der Gärtner der Beklagten, Alexander H*****, gegen 10.00 Uhr damit beschäftigt, eine Rasenfläche im Hügelpark in 1130 Wien, mit einem Rasenmähertraktor der Marke "Wheel Horse" zu mähen. Die Rasenfläche war etwa 100 m lang und 50 m breit. An einer Längsseite grenzte sie an den Gehsteig der F*****gasse an, auf der gegenüberliegenden Längsseite befand sich ein Gehweg und dahinter ein Kinderspielplatz. An den Breitseiten befanden sich jeweils Sträucher. Die Wiese war vor dem Mähen etwa 15 cm hoch und sollte auf eine Höhe von 5 bis 6 cm abgeschnitten werden. Vor Inbetriebnahme des Mähtraktors schritt H***** die Rasenflächen ab, um sie nach größeren Gegenständen abzusuchen und diese zu entfernen. Den etwa 3 cm im Durchmesser großen spitzkantigen Stein, der später die Klägerin traf, nahm H***** nicht wahr. Ob dieser Stein überhaupt oberflächlich im Gras lag oder noch im Erdreich eingegraben war, konnte nicht festgestellt werden.

Nach der Begehung nahm H***** den Traktor in Betrieb. Bei dem Traktor handelt es sich um ein landwirtschaftliches Gerät, das eine maximale Höchstgeschwindigkeit von 7 bis 10 km/h erreicht. Die Geschwindigkeit durfte beim Mähvorgang nach den Bedienungsvorschriften ausgeschöpft werden. An der Unterseite des Traktors befanden sich Messerbalken mit einem Durchmesser von 50 cm, die bei einer Umdrehungsgeschwindigkeit von 1000 bis 2000 Touren an den Messerspitzen Umfanggeschwindigkeiten von 100 bis 200 km/h erreichten. Im Bereich des Auswurfes war auch am Unfallstag ein Abdeckblech montiert, um ein waagrechtes Wegschleudern des gemähten Grases zu verhindern. Durch dieses Abdeckblech wurden abgemähtes Gras (aber auch andere im Zuge des Mähvorganges aufgewirbelte Gegenstände) neben dem Mähgerät streifenförmig auf der Wiese abgelagert. Als H***** mit dem Gerät etwa in der Mitte der Rasenfläche mähte (in welche Richtung der Auswurf des Traktors zeigte, konnte nicht festgestellt werden), passierte die Klägerin als Fußgängerin die Parkanlage. Sie ging nicht unmittelbar auf dem neben der Rasenfläche befindlichen Gehsteig der F*****gasse, sondern jenseits der Fahrbahn auf dem gegenüberliegenden Gehsteig. An den Fahrbahnrändern waren jeweils Fahrzeuge geparkt. Trotzdem geschah es, daß der Rasenmäher in diesem Moment den oben beschriebenen Stein in Richtung Klägerin aufschleuderte und dieser die Klägerin im Bereich des Jochbeines unterhalb des rechten Auges traf. Ursache dafür war vermutlich, daß der Mähtraktor vor dem Aufschleudern mit den Rädern einer Längsachse in eine Bodenvertiefung geriet, wodurch sich der Messerbalken kurzzeitig nicht parallel, sondern schräg zum Bodenniveau bewegte, was zur Folge hatte, daß der Stein aufgewirbelt und aufgrund der leichten Schrägstellung unter dem Traktor hervor über die große Distanz geworfen wurde. Daß die Bodenunebenheit dem Lenker des Traktors auffallen hätte müssen, konnte nicht festgestellt werden. H***** war zum Zeitpunkte des Unfalles mit der vorgeschriebenen Fahrgeschwindigkeit unterwegs.

"Der Beklagten" ist und war zum Unfallszeitpunkt bekannt, daß es im Zusammenhang mit den Mäharbeiten des Stadtgartenamtes auf den öffentlichen Rasenflächen unter Verwendung von Rasenmähern mehrmals im Jahr zu Beschädigungen von abgestellten Fahrzeugen kommt. Personenschäden traten bislang noch nicht ein. Hätte "die Beklagte" zur Bearbeitung der Rasenfläche einen Handrasenmäher eingesetzt, würde das nicht zwingend einen gleichartigen Unfall ausschließen. Der geschilderte Unfallmechanismus wäre aber unwahrscheinlicher gewesen. Im Vergleich zum Unfallsfahrzeug modernere Rasenmähertraktoren der beklagten Partei werfen das gemähte Gras nach hinten ab. Auch bei diesen läßt sich ein Unfallmechanismus, wie zuvor geschildert, nicht ausschließen.

Die Verletzung der Klägerin hatte sechs Tage starke, acht Tage mittelstarke und 25 Tagen leichte Schmerzen zur Folge. Unfallskausale Dauerschäden sind nicht zu erwarten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß dem Mitarbeiter der beklagten Partei kein Verschulden anzulasten sei, auch die Ausstattung des Fahrzeuges sei vorschriftsgemäß gewesen. Es sei der beklagten Partei auch kein Organisationsverschulden anzulasten, weil selbst bei Einsetzen eines Handrasenmähers ein Unfall wie der vorliegende nicht zwingend unterblieben wäre. Überdies wäre die Verwendung von Handrasenmähern bei den zahlreichen öffentlichen Rasenflächen und dem damit verbundenen Arbeitsaufwand auch nicht zumutbar. Der Unfall stelle sich daher im Ergebnis als eine Aneinanderreihung unglücklicher Umstände dar. Das EKHG sei auf den vorliegenden Fallnicht anwendbar, weil das Gerät nicht zurVerwendung auf Straßen bestimmt sei oder auf solchen verwendet werde. Eine analoge Heranziehung der Bestimmungen über die Gefährdungshaftung greife nicht Platz, weil ein gefährlicher Betrieb nicht vorliege.

Das dagegen von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung im Ausspruch über das Leistungsbegehren dahingehend ab, daß die beklagte Partei für schuldig erkannt wurde, der Klägerin den Betrag von S 60.000 sA zu bezahlen; das Mehrbegehren über S 11.000 samt Zinsen wurde abgewiesen.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, § 1313 a ABGB sei mangels rechtlicher Sonderbeziehung zwischen den Streitteilen nicht anzuwenden, die Voraussetzungen für eine Anwendung der Bestimmung des § 1315 ABGB seien nicht behauptet worden. Dessen ungeachtet hafte aber die beklagte Partei, weil es sich bei dem von ihr betriebenen Rasenmäher um einen gefährlichen Betrieb handle; berücksichtige man, daß der Rasenmäher bei ordentlichem Gebrauch mit Umdrehungszahlen von 1000 bis 2000 Touren und mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 200 km/h an den Messerspitzen (was für die Wucht des Abschleuderns von Steinen maßgeblich sei) arbeite, seien alle Voraussetzungen gegeben, um eine Gefährdungshaftung der beklagten Partei zu bejahen.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil der Lösung der Frage der Gefährdungshaftung beim Betrieb eines Rasenmähtraktors eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukomme.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die beklagte Partei vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, der Unfall sei lediglich auf eine unglückliche Verkettung von Umständen zurückzuführen, es liege keinesfalls ein "gefährlicher Betrieb" vor.

Hiezu wurde erwogen:

Es ist heute für das Schadenersatzrecht anerkannt, daß neben dem im ABGB umfassend und allgemein geregelten Verschuldensprinzip auch das Gefährdungsprinzip ein das Schadenersatzrecht beherrschendes System ist. Die Gefährdungshaftung ist allerdings im österreichischen Recht kasuistisch und damit zwangsweise lückenhaft geregelt, sodaß sich die Frage aufwirft, ob und in welchem Umfang die verstreuten Regelungen über Gefährdungs- und Eingriffshaftungen einer Gesamtanalogie

zugänglich sind (3 Ob 508/93 = RdU 1996, 40 [Kerschner, Raschauer] =

[Bußjäger, RdU 1996, 121] = ecolex 1996, 162 [Wilhelm] = JBl 1996, 446 [Jabornegg] = EvBl 1996/83 = ZVR 1996/97). Ausgangspunkt für diese Überlegungen waren die Ausführungen von Ehrenzweig, System**2 II/1 638, wonach der Betriebsinhaber begünstigt sei, denn ihm würden Handlungen gestattet, die verboten wären, wenn die Rechtsordnung nur die gefährdeten Interessen Dritter ins Auge zu fassen hätte. Der Unternehmer dürfe die gewaltigsten Elementarkräfte entfesseln, er dürfe schwere Massen mit ungeheurer Geschwindigkeit dahingleiten lassen, Zündstoffe erzeugen oder verwenden, den festen Boden untergraben, den Luftraum unsicher machen usw. Daß infolgedessen Personen mitunter beschädigt würden, sei unausbleiblich. Die Schäden tretenals eine statistisch erfaßbare Massenerscheinung auf. Der Unternehmer solle eben sein Unternehmen nicht auf Kosten anderer betreiben. Diesen Ausführungen ist der Oberste Gerichtshof in SZ 21/46 und SZ 31/26 gefolgt. Es wurde in der Rechtsprechung allerdings darauf hingewiesen, daß der Begriff des gefährlichen Betriebes nicht zu weit ausgelegt werden dürfe. Es müsse sich um Betriebe handeln, bei denen nicht bloß infolge zufälliger konkreter Umstände, sondern infolge ihrer allgemeinen Beschaffenheit die Interessen Dritter schon dadurch in einer dasnormale Maß der im modernen Leben stets bestehenden Gefährdung wesentlich übersteigenden Art gefährdet werden, daß der Betrieb zur Erreichung seines Zweckes überhaupt in Gang sei. Die besondere Haftung des Betriebsinhabers trete nicht schon dann ein, wenn ein an sich ungefährlicher Betrieb im Einzelfall unter gewissen Umständen zu einem gefährlichen werde, sie sei vielmehr erst dann zu bejahen, wenn eine solche Gefahr nach der Art des Betriebes regelmäßig und allgemein vorhanden sei (SZ 46/36; JBl 1986, 525; EvBl 1992/132 uva). Dabei muß auch die Gefahr des Eintrittes eines außergewöhnlich hohen Schadens bestehen (Koziol, Haftpflichtrecht**2 II 577 mwN; 3 Ob 508/93). Auch wenn es gelegentlich vorkommt, daß durch einen Rasenmäher wie den im vorliegenden Fall verwendeten, Steine weggeschleudert werden, kann nicht gesagt werden, daß diese Gefahr nach der Art des Betriebes regelmäßig und ganz allgemein vorhanden ist; es besteht auch nicht die Gefahr eines ganz außergewöhnlichen Schadens. Es scheidet daher eine Gesamtanalogie zu den Bestimmungen über die gefährlichen Betriebe aus.

Auch das EKHG ist auf den von der beklagten Partei betriebenen Rasenmähtraktor nicht anzuwenden, weil nur Straßenfahrzeuge als KFZ angesehen werden (Appathy, KommzEKHG, Rz 11 zu § 2 mwN). Auch die Vorschrift des § 19 Abs 2 EKHG, durch die eine über die §§ 1313 a und 1315 ABGB hinausgehende Gehilfenhaftung angeordnet wird, gilt nur für unter den Anwendungsbereich des EKHG fallende KFZ; erfolgte ein Unfall beim Betrieb einer Maschine, die überhaupt nicht als KFZ im Sinne des § 2 Z 1 KFG zu qualifizieren ist, kommt auch eine Anwendung der Bestimmung des § 19 Abs 2 EKHG nicht in Betracht (JBl 1986, 525). Da der von der beklagten Partei betriebene Rasenmähtraktor die Geschwindigkeit von 10 km/h nicht überschreitet, scheidet auch eine analoge Anwendung des EKHG aus (Apathy, aaO, Rz 16 zu § 2 mwN).

Dessen ungeachtet erweist sich aber die Rechtssache aus folgenden Gründen noch nicht als spruchreif:

Die beklagte Partei ist als juristische Person zwar nicht deliktsfähig, muß aber infolge der in § 26 ABGB angeordneten Gleichstellung für das Verschulden ihrer satzungsmäßigen Organe und derjenigen Personen haften, die in ihrer Organisation eine leitende Stelle innehaben und mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind ("Repräsentantenhaftung"; SZ 63/217; SZ 60/49; 1 Ob 49/91 ua). Diesbezüglich hat das Erstgericht festgestellt, daß "der Beklagten" zum Vorfallszeitpunkt bekannt war, daß es im Zusammenhang mit den Mäharbeiten des Stadtgartenamtes auf den öffentlichen Rasenflächen unter Verwendung von Rasenmähern mehrmals im Jahr zu Beschädigungen von abgestellten Fahrzeugen gekommen ist. Wer dieses Wissen hatte, ist aber den Feststellungen nicht zu entnehmen. Sollte es sich dabei aber um Organe oder (was eher denkbar ist) Repräsentanten (im Sinne der obigen Ausführungen) der beklagten Partei handeln, so wäre deren Haftung zu bejahen. Wenn den Repräsentanten der beklagten Partei bekannt war, daß es im Zusammenhang mit den Mäharbeiten zu Sachschäden gekommen ist, dann wäre der beklagten Partei anzulasten, daß ihre Repräsentanten keine geeigneten Maßnahmen getroffen haben, um das Entstehen von Sach- und Personenschäden hintanzuhalten. Durch das Wegschleudern von Steinen kann es schließlich nicht nur zu Eingriffen in das absolut geschützte Rechtsgut des Eigentums kommen, sondern - wie der vorliegende Fall eben zeigt - auch zu massiven Eingriffen in die körperliche Integrität von Passanten.

Da es aber, wie schon oben ausgeführt, an Feststellungen darüber fehlt, wer Kenntnis von den bisher aufgetretenen Schäden hatte, kann die Frage, ob der beklagten Partei ein Fehlverhalten ihrer Repräsentanten anzulasten ist, noch nicht endgültig beurteilt werden. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht sohin diese Frage mit den Parteien zu erörtern und darüber Feststellungen zu treffen haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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