Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S
5.601.70 (darin enthalten S 933,62 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 27.Mai 1993 ereignete sich im Ortsgebiet von L***** ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger mit seinem PKW und der Erstbeklagte mit einem von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren.
Der Kläger begehrte zuletzt Zahlung von S 56.372 (Reparaturkosten an seinem PKW S 47.872, pauschale Unkosten S 5.00, Schmerzengeld S 8.000) mit der Begründung, er habe von der (benachrangten) Straße "Im W*****" nach links in Fahrtrichtung Dornbirn einbiegen wollen. Auf der B 190 habe sich eine Fahrzeugkolonne zurückgestaut. Ein auf der B 190 in Fahrtrichtung B***** fahrender LKW-Lenker habe sein Fahrzeug vor der Kreuzung gemäß § 18 Abs 3 StVO angehalten, um eine Behinderung des Querverkehrs zu vermeiden und dem Kläger das Einbiegen in die Bundesstraße zu ermöglichen. Der Kläger sei langsam vortastend in die Bundesstraße eingefahren. Der Erstbeklagte sei mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Bundesstraße rechtswidrig links an der sich zurückstauenden Fahrzeugkolonne vorbeigefahren, obwohl nicht zwei eigene Fahrstreifen in seiner Richtung vorhanden gewesen seien. Obwohl der Kläger langsam vortastend in die Bundesstraße eingefahren sei, habe er den PKW des Erstbeklagten erst unmittelbar vor der Kollision erkennen und eine Kollision nicht mehr verhindern können. Für den Kläger sei der Unfall unvermeidbar gewesen. Der Unfall hätte sich auch bei dem Anhalten des Klägers bei erster Sicht an der Kolonne vorbei in gleicher Weise mit gleichen Folgen zugetragen. Das Alleinverschulden treffe daher den Erstbeklagten.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung der Klage und führten aus, der Erstbeklagte habe beabsichtigt, bei der genannten Kreuzung nach links abzubiegen. Er habe rechtzeitig den linken Blinker gesetzt und sich ordnungsgemäß auf der Linksabbiegespur eingeordnet. Der Kläger sei zügig in die Bundesstraße eingefahren und habe infolge unaufmerksamer Fahrweise das Beklagtenfahrzeug übersehen. Die Bundesstraße habe in Fahrtrichtung des Erstbeklagten zwei Fahrspuren aufgewiesen.
Die beklagten Parteien machten aufrechnungsweise den der zweitbeklagten Partei durch diesen Unfall entstandenen Schaden geltend, und zwar Reparaturkosten von S 50.200, pauschale Unkosten von S 500 und eine Wertminderung von S 6.000, insgesamt also S 56.700, abzüglich einer Zahlung durch den Haftpflichtversicherer des PKWs des Klägers von S 27.370, restlich daher S 29.330.
Das Erstgericht stellte fest, daß die Klagsforderung mit S 56.372 und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe.
Es traf nachstehende wesentliche Feststellungen:
Die Straße "Im W*****" hat gegenüber der Bundesstraße B 190 Nachrang. Die Fahrbahn der B 190 ist 7,5 m breit. Beidseits dieser Fahrbahn verlaufen Radwege und Gehsteige. Die B 190 ist im weiteren Bereich der Kreuzung nach beiden Seiten weithin mit ihrem geraden Verlauf übersichtlich. Aus Richtung Dornbirn gesehen weist die B 190 auf einer Länge von ca. 22 m bis zum Beginn der Kreuzung hin eine durch gelbe unterbrochene Linien markierte Mittelspur auf. Diese weist keine Richtungspfeile, nahe der Kreuzung auch keinen ununterbrochenen "Stopbalken" und nur eine Breite von 1,8 m auf. Der Kläger war von seinem Haus "Im W***** 9" in Richtung B 190 weggefahren und blieb an der Halteliniestehen. Aus Richtung Dornbirn hatte sich ein LWK-Zug genähert. Der Lenker dieses etwa 18 m langen Fahrzeuges blieb unmittelbar vor der Straße "Im W*****" stehen und winkte dem Kläger, daß er auf seinen Vorrang verzichte. Der Kläger fuhr an, blieb aber nach kurzem Start nochmals stehen, um sich zu vergewissern, ob der Lenker des LKW-Zuges ihn auch ganz einfahren lasse. Der Lenker des LKW-Zuges winkte dem Kläger ein zweites Mal. Der Kläger fuhr wiederum an. Er war am LKW noch nicht ganz vorbei, als es zur Kollision kam. Der Kläger konnte die ganze Länge der Bundesstraße Richtung Dornbirn wegen des LKW-Zuges nicht übersehen, schon gar nicht aus der Position unmittelbar vor dem LKW-Zug, nachdem er nochmals angehalten und sich vergewissert hatte, ob ihn der Lenker des LKW-Zuges tatsächlich einfahren lasse. Der Erstbeklagte war dem stehenden LKW-Zug auf der vorbezeichneten, nur 25 m langen und 1,80 m breiten, Spur vorgefahren mit der Absicht, auf dem Vorplatz schräg vis a vis der Einfahrt der Straße "Im W*****" zu wenden. Er fuhr mit 20 bis 30 km/h. Er war mit seinem PKW auf Höhe des LKW-Führerhauses, als er den PKW des Klägers hinter dem LKW hervorkommen sah, den er vorher aus denselben Gründen nicht sehen konnte, wie der Kläger ihn selbst. Er war dann noch einige Meter - genauer läßt sich die Distanz nicht feststellen - vom PKW entfernt. Der Erstbeklagte konnte nicht mehr bremsen, worauf es zur Kollision kam, bei der beide Fahrzeuge noch in Bewegung waren. Die Kollisionsgeschwindigkeit des PKWs des Erstbeklagten betrug ca. 25 bis 30 km/h, die des PKWs des Klägers 5 bis 10 km/h. Der Kläger hatte erst einen Meter vor der Kollisionsstelle Sicht am LKW-Zug vorbei Richtung Dornbirn. Der Erstbeklagte hatte erst erst auf 2,5 m Entfernung den PKW wahrgenommen. Vom zeitlichen Ablauf her war der Zusammenstoß für beide Fahrer mangels vorzeitiger Sicht unvermeidbar. Hätte der Kläger einen Meter vor der späteren Kollisionsstelle angehalten, hätte dies nichts geändert. Der Zusammenstoß wäre trotzdem passiert, die Schäden wären dabei eher größer gewesen.
Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß der erwähnte Mittelfahrstreifen in der Breite von 1,8 m nicht als Fahrstreifen nach § 2 Abs 1 Z 5 StVO gelte. Dem Erstbeklagten sei es daher nicht gestattet gewesen, am stehenden LKW-Zug links vorbeizufahren. Darauf habe der Kläger vertrauen können. Der Kläger sei auch nicht in einem Zug in die Bundesstraße eingefahren, sondern sei nach dem Start wieder stehen geblieben, um sich nochmals zu überzeugen, ob der LKW-Lenker auch auf seinen Vorrang verzichte. Die Annäherung des PKWs des Erstbeklagten habe der Kläger erst im letzten Augenblick sehen können. Zu diesem Zeitpunkt sei es ihm nicht mehr möglich gewesen, den PKW vor der Kollision anzuhalten.
Das Erstgericht wies infolge Berufung der beklagten Parteien das Klagebegehren zur Gänze ab. Es verneinte einen Verstoß des Erstbeklagten gegen die Bestimmung des § 17 Abs 4 StVO iVm § 18 Abs 3 StVO. Es verwies auf die Rechtsprechung, wonach ein Fahrstreifen auch schmäler als 2,5 m sein könne, weil für die Beurteilung, ob zwei Fahrstreifen zur Verfügung stünden, entscheidend sei, ob genügend Platz vorhanden sei, um einem anderen Fahrzeug in zweiter Spur das anstandslose Vorbeifahren zu ermöglichen. Der vom Erstbeklagten gelenkte PKW VW Golf mit einer Breite von rund 1,6 m sei daher zulässigerweise auf dem 1,8 m breiten Mittelfahrstreifen gelenkt worden. Die gegebene Breite dieses Fahrstreifens habe für ein Linksvorbeifahren an dem stehenden LKW-Zug ausgereicht. Ein Verstoß des Erstbeklagten gegen die Bestimmung des § 17 Abs 4 StVO liege daher nicht vor. Hingegen habe der Kläger nicht darauf vertrauen dürfen, daß am stehenden LKW-Zug niemand links vorbeifährt und habe sich die ihm gegenüber bevorrangte Verkehrsteilnehmer auf dem mittleren Fahrstreifen des Bundesstraße einstellen müssen. Da der Kläger seine Wartepflicht nach § 19 Abs 7 StVO gegenüber dem bevorrangten Erstbeklagten nicht beachtet und jedenfalls gegen den Vorrang des Erstbeklagten verstoßen habe, treffe ihn das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalles. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes.
Die beklagten Parteien beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage, ob eine durch zwei Leitlinien gekennzeichnete, nur 1,8 m breite Verkehrsfläche als Fahrstreifen im Sinne des § 2 Abs 1 Z 5 StVO anzusehen ist, fehlt; sie ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.
Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs 1 Z 5 StVO ist ein Fahrstreifen ein Teil der Fahrbahn, dessen Breite für die Fortbewegung einer Reihe mehrspuriger Fahrzeuge ausreicht. Die Fahrstreifen müssen nicht durch Sperr- oder Leitlinien voneinander getrennt sein (Messiner StVO9 § 2 Anm 9). Eine gesetzliche Definition, welche Breite ein derartiger Fahrstreifen aufzuweisen hat, liegt nicht vor.
Dittrich/Stolzlechner (Österreichisches Straßenverkehrsrecht3 § 2 StVO Anm 20) führen aus, daß die Mindestbreite eines Fahrstreifens unter Berücksichtigung der Bestimmungen über die Fahrzeugbreiten (§ 71 Abs 2 StVO und § 4 Abs 6 Z 2 KFG) und auf die Einhaltung eines entsprechenden seitlichen Sicherheitsabstandes 2,5 m betragen muß (vgl auch ZVR 1962/143).
Messiner verweist auf § 9 Abs 1 der Bodenmarkierungsverordnung und schließt daraus, daß ein Fahrstreifen auch schmäler als 2,5 m sein kann (StVO9 § 2 Anm 9).
Grundtner, Hella, Schachter referieren die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach im Hinblick auf die kraftfahrrechtlich höchstzulässige Breite eines Fahrzeuges die Breite eines Fahrstreifens 2,5 m beträgt (Die österreichische Straßenverkehrsordnung nach der 19. Novelle, 27).
Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß ein Fahrstreifen nicht in jedem Fall 2,5 m breit sein muß (8 Ob 202/76, 2 Ob 169/81, 8 Ob 303/81, 2 Ob 62/87, 2 Ob 46/88). Diese Entscheidungen wurden mit dem Hinweis auf die Bodenmarkierungsverordnung, die über die Breite eines Fahrstreifens keine Aussagen trifft, getroffen.
Bei neuerlicher Prüfung der Rechtslage hat der erkennende Senat erwogen:
Nach § 9 Abs 1 erster Satz Bodenmarkierungsverordnung dürfen auf einer zwischen 5,8 m und4,00 m breiten Fahrbahn nur Leitlinien angebracht werden. Nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung dürfen bei einer unter 4 m breiten Fahrbahn weder Sperr- noch Leitlinien angebracht werden. Daraus ist zu erschließen, daß ein durch Leitlinien gekennzeichneter Fahrstreifen eine Mindestbreite von 2 m aufweisen muß, weil ansonsten die Anbringung von Leitlinien der Bodenmarkierungsverordnung widerspräche.
Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, daß der durch zwei Leitlinienen gebildete mittlere Fahrstreifen in der Breite von lediglich 1,8 m der Bodenmarkierungsverordnungordnung widerspricht.
Dennoch ist daraus für den Revisionswerber nichts gewonnen.
Auszugehen ist davon, daß der LKW-Lenker anhielt, um dem Kläger das Einfahren in die bevorrangte Bundesstraße zu ermöglichen. Nach der ständigen Rechtsprechung wirkt aber der Verzicht eines Fahrzeuglenkers auf seinen Vorrang nur für sein eigenes Fahrzeug und nicht auch für andere Verkehrsteilnehmer (ZVR 1983/71 uva). Für den Erstbeklagten bestand daher keine Veranlassung auf einen allfälligen Vorrangverzicht des Lenkers des LKWs Bedacht zu nehmen. Er war auch nach § 17 Abs 1 StVO berechtigt, an dem stehenden LKW-Zug vorbeizufahren, weil der Gegenverkehr nicht behindert wurde. Zwar ist das Vorbeifahren nur gestattet, wenn dadurch "andere Straßenbenützer" nicht gefährdet oder behindert werden, doch haben nach der ständigen Rechtsprechung Verkehrsteilnehmer, die aufgrund einer Vorrangbestimmung gegenüber dem Vorbeifahrenden wartepflichtig sind, diesem gegenüber keinen Anspruch auf Nichtbehinderung (ZVR 1983/71, ZVR 1984/204).
Der Kläger war daher verhalten, den sich über die gesamte Fahrbahnbreite erstreckenden Vorrang des Erstbeklagten zu wahren. Die Mißachtung des Vorrangs fällt daher dem Kläger alleine zur Last.
Ein Mitverschulden des Erstbeklagten ist aus dem Verfahren nicht hervorgekommen.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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