OGH 1Ob2295/96y

OGH1Ob2295/96y26.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef A***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr.Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ernst W*****, vertreten durch Dr.Ernst Zaufal, Rechtsanwalt in Wien, wegen 88.749,50 S sA infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8.Februar 1996, GZ 1 R 90/96y-11, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 28.Februar 1995, GZ 14 C 1329/94g-7, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrte vom Beklagten 122.230,19 S sA mit folgendem Vorbringen: 1) Sie habe auftragsgemäß Obst und Gemüse geliefert und zu vereinbarten Preisen in Rechnung gestellt. Der Beklagte schulde ihr für die Rechnungen vom 18.Juni bis 23.Juli 1993 insgesamt 73.202,14 S und habe diese Forderung - hievon 33.480,59 S schriftlich - anerkannt (ON 1, 3). 2) Der Beklagte habe für Rechnungsforderungen (aus Lieferungen der klagenden Partei) von insgesamt 49.028,05 S gegen fünf näher bezeichnete Käufer die Haftung als Bürge und Zahler übernommen; die Schuldner hätten trotz Mahnung nicht bezahlt, weshalb nun die Haftung des Beklagten in Anspruch genommen werde (ON 1). Der Beklagte habe im eigenen Namen die klagende Partei beauftragt, Waren an die fünf näher bezeichneten Unternehmen zu liefern und zu fakturieren. Ob diese Unternehmen tatsächlich bestehen, wisse die klagende Partei nicht. Der Beklagte habe sich gegenüber der klagenden Partei als Bürge und Zahler verpflichtet, diese Rechnungsforderungen sofort zu bezahlen (ON 3). Die Klags(teil)forderungen zu 1) und 2) stünden nicht im tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang und seien daher nicht zusammenzurechnen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme des 5 % p.a. übersteigenden Zinsenbegehrens statt und stellte fest, der Beklagte habe an verschiedenen Tagen im Zeitraum vom 18.Juni bis 23.Juli 1993 Obst und Gemüse zu den Beträgen laut angeschlossener Rechnungsübersicht - kein Rechnungsbetrag übersteigt 15.000 S - bestellt. Die darauf angeführten Daten entsprächen den Tagen, an denen der Beklagte bestellt habe. Der Beklagte habe die Ware üblicherweise sofort mitgenommen, jedoch nicht bezahlt, und auf die (Kaufpreis-)Forderungen der klagenden Partei einen Saldo von 33.480,59 S am 5.Mai 1994 schriftlich anerkannt, jedoch nicht mehr, und auch keine Haftung als Bürge und Zahler für Dritte übernommen.

Das Berufungsgericht wies die Berufung des Beklagten, der das Ersturteil in seinem Zuspruch von 88.749,60 S sA (Klagsforderung abzüglich des von ihm schriftlich anerkannten Betrags) wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung bekämpft hatte, zurück, weil das Rechtsmittel in der Hauptsache mangels eines 15.000 S übersteigenden Streitgegenstands unzulässig sei. Dem maßgeblichen Klagsvorbringen sei nicht zu entnehmen, daß einem gesonderter Teil, etwa mehreren Aufträgen, ein Gesamtvertrag zugrunde gelegen sei. Derartiges habe auch der Beklagte nie behauptet, vielmehr dem Klagsvorbringen, die Klagsforderungen stünden weder im tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang, nicht widersprochen. Wenn aufgrund verschiedener Aufträge im wesentlichen gleichartige Leistungen (hier: Lieferung von Obst und Gemüse) zu erbringen seien, begründe dies weder einen tatsächlichen noch rechtlichen Zusammenhang. Selbst der Umstand, daß die Streitteile in ständiger Geschäftsverbindung gestanden seien, reiche dazu nicht aus, weil sich die Forderungen auf verschiedene Rechtsgeschäfte der Streitteile gründeten. Die klagende Partei habe nicht vorgebracht, daß mit dem behaupteten Anerkenntnis ein neuer Verpflichtungsgrund geschaffen worden sei, und ihr Begehren auf Zahlung von 73.202,14 S auch nicht auf einen Anerkenntnisvertrag gestützt. Dazu komme, daß das Erstgericht ein Anerkenntnis dazu in tatsächlicher Hinsicht verneint habe. Auch die von der klagenden Partei für das weitere Klageteilbegehren von insgesamt 49.028,05 S behauptete Haftung für mehrere Forderungen als Bürge und Zahler rechtfertige nicht die Zusammenrechnung. Außerdem habe das Erstgericht die behauptete Interzession (Gutstehung) nicht als erwiesen angenommen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist zulässig, weil gegen einen Beschluß, mit dem das Berufungsgericht die Berufung zurückweist, der Rekurs ohne Rücksicht auf den Streitwert erhoben werden kann (zuletzt MietSlg 46.674 mwN). Er ist auch berechtigt.

§ 521a Abs 1 Z 3 ZPO ist auf die Zurückweisung einer Berufung aus formellen Gründen gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO nicht analog anwendbar (EFSlg 57.848 mwN).

Die klagende Partei belangte den Beklagten wegen Zahlung von 73.202,14 S - wovon schriftlich anerkannte 33.480,59 S nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens waren - als vom Beklagten anerkanntem Kaufpreis für mehrere Obst- und Gemüselieferungen (Punkt 1) der Klagserzählung) sowie von 49.028,05 S als Kaufpreis für Warenlieferungen an Dritte, für die der Beklagte die Haftung als Bürge und Zahler übernommen habe (Punkt 2) der Klagserzählung). Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (Petrasch, Das neue Revisions- (Rekurs-)Recht, ÖJZ 1983, 169 ff [201]; Kodek in Rechberger, § 502 Rz 1 ZPO). Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision oder des Rekurses - wie hier - sind demnach mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche nur dann zusammenzurechnen, wenn sie in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN stehen, weil diese Bestimmung gemäß § 55 Abs 5 JN auch für die Beurteilung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgebend ist (SZ 63/188 uva; zuletzt 4 Ob 521/95). Mehrere Ansprüche stehen in tatsächlichem Zusammenhang, wenn sie allesamt aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne daß noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (Mayr in Rechberger, § 55 JN Rz 2 mwN aus der Rechtsprechung). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt dagegen vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (Mayr aaO; RZ 1993/31; SZ 58/134; SZ 56/186 uva). Ein solcher Zusammenhang besteht jedenfalls dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, es findet also keine Zusammenrechnung statt (SZ 65/157, SZ 63/188, SZ 56/186 uva). Ob hier ein einheitlicher Liefervertrag vorliegt und ob Kaufpreisforderungen auf Grund verschiedener Aufträge im allgemeinen zusammenzurechnen sind, kann ungeprüft bleiben:

Die Klagebehauptung, die Klagsforderungen stünden nicht im tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang, bezog sich nämlich ausdrücklich nur auf die Klagsteilforderungen 1) und 2) (ON 1 AS 2) und nicht auf die ihnen zugrundeliegenden einzelnen Kaufpreisforderungen. Die klagende Partei hat zur Klagsteilforderung

1) vorgebracht, der Beklagte habe diese gesamte (aus Kaufpreisforderungen resultierende) Forderung anerkannt und zur Klagsteilforderung 2) behauptet, er habe sich gegenüber der klagenden Partei gegenüber als Bürge und Zahler verpflichtet, diese Rechnungsforderungen sofort zu bezahlen. Dieses Vorbringen reicht aus, um bei beiden, jeweils 15.000 S übersteigenden Klagsteilforderungen die Anwendung des § 501 ZPO auszuschließen, weil damit bei beiden ein rechtlicher Zusammenhang, nämlich ein einheitliches Rechtsgeschäft, behauptet wird. Das von der klagenden Partei behauptete Anerkenntnis impliziert entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch einen Anerkentnnisvertrag und stellt einen eigenen, von den Kaufverträgen unabhängigen Rechtsgrund für die Klagsforderung gegen den Beklagten dar (7 Ob 570/85; 7 Ob 668/84). Die Befestigung eines Rechts durch Verpflichtung eines Dritten gegenüber dem Gläubiger kann ua durch Bürgschaft erfolgen (§ 1344 ABGB). Die Schuld des Bürgen hängt zwar im Zeitpunkt ihres Entstehens und in ihrem Fortbestand von der Hauptschuld ab, hier ist jedoch maßgeblich, ob die behauptete Bürgschaft für mehrere Forderungen durch ein oder mehrere Rechtsgeschäfte begründet wurde. Das entsprechende Vorbringen der klagenden Partei listet zwar mehrere Haftungsfälle auf, behauptet indes noch hinreichend deutlich bloß ein Rechtsgeschäft und nicht mehrere Bürgschaftsübernahmen für jeden einzelnen Kaufvertrag mit einem Dritten. Die Bestimmbarkeit der Hauptschuld genügt aber für eine wirksame Bürgschaftserklärung (Gamerith in Rummel2, § 1346 ABGB Rz 2a mwN).

Auf das Argument des Berufungsgerichts, die Erstrichterin habe weder ein den Betrag von 33.480,59 S übersteigendes Anerkenntnis bei der Klagsteilforderung 1) noch eine Gutstehung des Beklagten zur Klagsteilforderung 2) als erwiesen angenommen, kommt es nicht an. Maßgeblich ist, wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung 1 Ob 513/94 = RZ 1995/31 (unter Berufung auf 7 Ob 570/85; 7 Ob 668/84), darlegte, (allein) das Vorbringen der klagenden Partei. Mag auch eine Prozeßpartei durch unrichtige Behauptungen in den Genuß kommen, ein ihr nach dem wahren Sachverhalt nicht zukommendes Rechtsmittel ergreifen zu können, so können doch die Feststellungen des Ersturteils schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil § 55 Abs 1 JN nur auf die "geltend gemachten Ansprüche" und nicht auf "festgestellte Ansprüche" abstellt. Im übrigen müßte das Berufungsgericht sonst eine bekämpfte, für die Zusammenrechnung relevante Feststellung erst überprüfen, ehe es bei deren Billigung die Berufung aus formellen Gründen zurückweisen könnte.

Bei der Beurteilung der Frage, ob bei Anwendung des § 501 ZPO im Zusammenhang mit § 55 Abs 5 JN zwischen mehreren Forderungen des Klägers ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht, ist ausschließlich (arg. "geltend gemachte Ansprüche" in § 55 Abs 1 JN) vom Vorbringen des Klägers auszugehen. Ob die entsprechenden Klagsbehauptungen zu einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang durch Feststellungen des Erstgerichts gedeckt sind oder nicht, ist daher für diese Frage unerheblich.

Die von der klagenden Partei unter den Punkten 1) und 2) geltend gemachten Ansprüche sind demnach zwar in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht als selbständige Ansprüche anzusehen, übersteigen aber jeweils den in § 501 Abs 1 ZPO genannten Betrag von 15.000 S. Eine Anfechtung des Ersturteils durch den Beklagten ist daher nicht nur wegen Nichtigkeit oder einer dem Urteil zugrundeliegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache zulässig. Zu Unrecht hat demnach die zweite Instanz die Berufung des Beklagten, der in der Hauptsache den Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung geltend machte, als unzulässig verworfen.

Dem Rekurs ist Folge zu geben. Die zweite Instanz muß sich mit dem Rechtsmittel des Beklagten sachlich auseinandersetzen.

Der Kostenvorbehalt fußt auf § 52 ZPO.

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