OGH 1Ob2227/96y

OGH1Ob2227/96y25.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Michael L*****, vertreten durch Dr.Klaus Fischer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei C*****, vertreten durch Dr.Michael Kaufmann, Rechtsanwalt in Dornbirn wegen 40.500 S sA und Feststellung (Streitwert 30.000 S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgerichts vom 8.Mai 1996, GZ 2 R 135/96-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 3.Februar 1996, GZ 6 C 612/95-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie wie folgt zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 40.000 S samt 4 % Zinsen seit 26.Juni 1995 und die mit 51.699,84 S (darin 8.016,64 S Umsatzsteuer und 3.600 S Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters zu bezahlen.

Festgestellt wird, daß die beklagte Partei der klagenden Partei für alle aus dem Vorfall vom 16.Jänner 1994 künftig entstehenden Schäden einzustehen hat.

Dagegen wird das Leistungsmehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von 500 S samt 4 % Zinsen seit 14.Juni 1995 und 4 % Zinsen aus 40.000 S vom 14.Juni 1995 bis 25.Juni 1995 zu bezahlen, abgewiesen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei veranstaltete am 16.Jänner 1994 im Veranstaltungssaal einer Vorarlberger Gemeinde ein Kinderfest. Dieses fand im Hauptsaal statt. Im Vorraum war einer Kinderspielecke eingerichtet. Die Veranstaltungskosten wurden teilweise aus freiwilligen Spenden bestritten. Die Teilnahme am Kinderfest war „grundsätzlich kostenlos“. Die beklagte Partei schenkte allerdings an die Besucher entgeltlich Getränke aus. Von diesem Angebot machten auch die Eltern des Klägers Gebrauch. Das Kinderfest wurde von der beklagten Partei durch in Schulen verteilte „Flugblätter bzw. Vordrucke“ beworben. Darin war von einer „beaufsichtigten Kinderspielecke“ die Rede. Nicht feststellbar ist, ob speziell auch eine „Beaufsichtigung für Kinder bis zu drei Jahren“ angekündigt war. Im Vorraum des Gemeindesaals hatte ein Unternehmen im Auftrag der beklagten Partei eine Luftburg errichtet. Diese stand 1,5 m von der östlichen Wand des Hauptsaals entfernt. Dazwischen stand der Motor des Gebläses. Das Gebläse selbst befand sich zwischen der Luftburg und der südöstlichen Wand. Etwa 80 cm vom äußersten Rand der Luftburg entfernt standen zwei Seehundfiguren aus Sperrholz. Sie hatten eine Länge von etwa 1,5 m und eine Höhe von ungefähr 1 m. Die Figuren konnten ohne größeren Kraftaufwand bewegt werden. An der Luftburg und an der Wand zum Hauptsaal gab es keine Beschilderung. Die Seehundfiguren hatten in erster Linie eine „optische Funktion“, sie sollten jedoch auch den Zutritt von Kindern zum Bereich hinter der Luftburg verhindern, allerdings nicht wegen der vom Motor ausgehenden Gefahr, sondern um das Herausziehen des Stromkabels aus der Anschlußstelle zu vermeiden. Ein freiwilliger Helfer der beklagten Partei war im Bereich der Luftburg mit der Betreuung der Kinder betraut. Er hatte die Anweisung erhalten, nur Kinder bis zu neun oder zehn Jahren in die Luftburg zu lassen. Der Kläger hatte sich mit seinen Eltern bei der Luftburg aufgehalten. Der freiwillige Helfer der beklagten Partei erklärte diesen schließlich, „sie sollten sich in einem anderen Raum unterhalten und er würde auf den Kläger schon aufpassen“. Dem entsprachen die Eltern des Klägers, dessen Bruder an der Veranstaltung im Hauptsaal beteiligt war. Die Mutter des Klägers kam jedoch alle 15 bis 30 Minuten aus dem Hauptsaal in den Vorraum und stellte dabei jeweils fest, es sei „alles in Ordnung“. An der Luftburg hatten sich stets sechs bis zehn Kinder aufgehalten. Der freiwillige Helfer der beklagten Partei hatte dort schließlich das Weinen von zwei aufeinanderliegenden Kindern wahrgenommen. Als er sich zu diesen begeben hatte, hörte er, daß auch hinter ihm „etwas los sein müsse“. Er bemerkte dabei den Kläger, der sich am Gebläsemotor verletzt hatte. Dieser diente nach seiner Bauart nicht speziell dem Betrieb einer Luftburg, solche Geräte werden vielmehr auch „im üblichen Arbeitsleben“ verwendet. Am Motor waren drei „mögliche Gefahrenquellen“ vorhanden. Eine davon befand sich an dessen Rückseite. Dort war der Rotor mit einem Schutzgitter gegen Eingriffe abgesichert, dessen weitesten Öffnungen im Mittelwert 8 mm betrugen. Der Rotor befand sich etwa 6 bis 8 mm vom Schutzgitter entfernt, durch dessen Lamellen man bis zu 25 mm weit „hineingreifen“ konnte. Der Kläger war mit dem Mittelfinger der rechten Hand in den Rotor geraten. Das Schutzgitter war nämlich für ein Kind im Alter des Klägers zu grobmaschig. Selbst für einen fachkundigen Besucher der Veranstaltung war nicht ohne weiteres erkennbar, daß vom Gebläsemotor „eine besondere Gefahr ausgehen könnte“. Wäre aber einem Fachmann die Aufgabe gestellt worden, den Motor auf Kindersicherheit zu untersuchen, hätte er die „Lüftungsschlitze bzw. den Rotor“ als Gefahrenquelle bezeichnet.

Die Verletzung des Klägers erforderte eine Rückkürzung des Mittelfingers der rechten Hand bis in das DIP-Gelenk und die Entfernung der Rolle des Mittelglieds. Nach anfänglichen Schwellungen und Verkrustungen kam es zu einem komplikationslosen Heilungsverlauf. Die Behandlung wurde am 3.Februar 1994 abgeschlossen. Der Kläger hatte als Verletzungsfolge einen Tag starke, zwei Tage mittelstarke und zehn Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Als Dauerfolge verblieb die Amputation des Mittelfingerendglieds rechts. Das ergibt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 4/10 eines Fingers („2 % bei einem Fingerwert von 5 %“). Beim Alter des Klägers ist eine gute Anpassung an die Dauerfolge und keine funktionelle Beeinträchtigung der Hand zu erwarten.

Der Kläger begehrte den Zuspruch von 40.500 S sA (25.000 S Schmerzengeld, 15.000 S Verunstaltungsentschädigung und 500 S pauschale Unkosten) und die Feststellung, daß ihm die beklagte Partei „für sämtliche aus dem Vorfall vom 16.1.1994 resultierenden zukünftigen Schäden“ hafte. Er brachte im wesentlichen vor, der Gebläsemotor sei nicht ausreichend gesichert gewesen. Die beklagte Partei habe Schutznormen verletzt und hafte als Veranstalter. Sie habe die Beaufsichtigung der Kinderspielecke übernommen und habe für das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313 a ABGB einzustehen. Sie hätte Schadenersatz aber auch aus dem Titel der Gefährdungshaftung zu leisten.

Die beklagte Partei wendete ein, es habe kein Vertragsverhältnis mit dem Kläger bestanden. Sie habe aber auch kein Verschulden zu verantworten, weil von ihr nicht verlangt werden könne, für jedes einzelne Kind eine Aufsichtsperson abzustellen. Es wäre vielmehr im Rahmen der bestehenden Obsorgeverpflichtung Aufgabe der Eltern gewesen, für die Beaufsichtigung des damals erst 15 Monate alten Klägers zu sorgen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß eine vertragliche Haftung der beklagten Partei zu verneinen sei. Eine solche käme nämlich nur dann in Betracht, wenn die Teilnahme am Kinderfest selbst entgeltlich gewesen wäre. Das Beweisverfahren habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sich die Beklagte zur Besorgung ihrer Angelegenheiten einer untüchtigen oder wissentlich gefährlichen Person bedient habe. Es sei zwar grundsätzlich davon auszugehen, daß derjenige, der eine Gefahrenquelle schaffe, auch verpflichtet sei, entsprechende Aufsichtspflichten wahrzunehmen; der Gebläsemotor sei jedoch selbst für einen fachkundigen Besucher des Kinderfestes nicht ohne weiteres als Gefahrenquelle erkennbar gewesen. Die Sorgfaltspflichten wären wohl überspannt, legte man der beklagten Partei zur Last, nicht „jede nur theoretisch mögliche Verletzungsgefahr ausgeschaltet“ zu haben. Bei der Luftburg habe eine Aufsichtsperson für sechs bis zehn Kindern ausgereicht. Deren Aufmerksamkeit habe sich primär auf das Geschehen bei der Luftburg konzentrieren müssen. Die Eltern des Klägers hätten sich nicht darauf verlassen dürfen, daß die Aufsichtsperson der beklagten Partei jede Bewegung des Klägers verfolgen und diesen sohin vor Verletzungen bewahren werde. Es sei auch aus § 2 Abs 3 des Vorarlberger Veranstaltungsgesetzes keine Erfolgshaftung abzuleiten.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß zwar der Wert des Entscheidungsgegenstands 50.000 S übersteige, die ordentliche Revision jedoch nicht zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, daß die von der beklagten Partei organisierte Veranstaltung als Einheit anzusehen sei und daher nicht zwischen der Bewirtung im Hauptsaal und dem speziellen Kinderangebot im Vorraum unterschieden werden könne. Das Spielangebot für die Kinder sei daher als „Nebenleistung der beklagten Partei im Rahmen der Gesamtveranstaltung“ anzusehen. Die Unentgeltlichkeit des Besuchs des Kinderfestes sei nicht wesentlich, ausschlaggebend sei vielmehr, ob zwischen den Besuchern und der beklagten Partei eine rechtliche Sonderbeziehung bestanden habe. Eine solche sei zu bejahen, weil gerade das Angebot für Kinder Eltern zum Veranstaltungsbesuch und zum Konsum von Getränken veranlassen sollte. Der Kläger sei geschützter Dritter dieser Sonderbeziehung. Die beklagte Partei hätte daher für ein allfälliges Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313 a ABGB einzustehen. Diesen sei jedoch kein Verschulden anzulasten. Die Aufsichtsperson bei der Luftburg sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger ununterbrochen im Auge zu behalten. Der eingesetzte Gebläsemotor sei durch das Arbeitsinspektorat nicht beanstandet worden. Er wäre auch nur dann als Gefahrenquelle erkennbar gewesen, hätte ein Fachmann den Auftrag erhalten, ihn auf Kindersicherheit zu prüfen. Eine Haftung der beklagten Partei ließe sich aber auch nicht aus dem „Titel der Verkehrssicherungspflicht bzw. des Ingerenzprinzips“ bejahen. Die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter sei nämlich bei objektiver und sachkundiger Betrachtung nicht erkennbar gewesen. Die beklagte Partei habe nicht gegen § 2 Abs 4 Vbg VeranstaltungsG verstoßen. Auch sonst beziehe sich dieses Gesetz nur auf Gefahren, die erkennbar seien. Den Eltern des Klägers sei ebenso keine Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen. Sie hätten sich immer wieder um den Kläger gekümmert, obwohl der freiwillige Helfer der beklagten Partei deren Aufsichtspflicht „übernommen“ habe. Es sei für sie auch nicht erkennbar gewesen, daß die Beaufsichtigung des Klägers vernachlässigt werden könnte. Für den Umfang der Aufsichtspflicht sei im übrigen wesentlich, mit welchen konkreten Gefahren zu rechnen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, zulässig und teilweise auch berechtigt.

Die beklagte Partei veranstaltete ein Kinderfest und bewarb dessen Besuch im verbreiteten Werbematerial mit einem ausdrücklichen Hinweis auf eine „beaufsichtigte Kinderspielecke“. Nach den im Revisionsverfahren unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Berufungsgerichts war es, ein wesentlicher Zweck dieser Ankündigung, Eltern zu veranlassen, mit ihren Kindern an der Veranstaltung teilzunehmen, um an die Besucher dann zur Erzielung von Einnahmen entgeltlich Getränke ausschenken zu können. Demnach ist das Kinderfest, wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend erkannte, als Einheit zu beurteilen, sodaß sich die Veranstaltung samt der entgeltlichen Bewirtung im großen Gemeindesaal nicht vom speziellen Spielangebot für Kinder im Vorraum trennen läßt. Die beklagte Partei hatte gegenüber den von ihr entgeltlich bewirteten Eltern die vertragliche Nebenpflicht zu erfüllen, deren Kinder im Bereich der Spielecke im Vorraum zu unterhalten und zu beaufsichtigen. Damit wurden die Kinder als Veranstaltungsbesucher sogar ausdrücklich in den Schutzkreis einer vertraglichen Nebenpflicht aufgenommen, sodaß der Kläger als geschützter Dritter vertragliche Schadenersatzansprüche geltend machen kann (JBl 1992, 323; JBl 1991, 453). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hängt allerdings die Bejahung einer Haftung der beklagten Partei nicht davon ab, ob diese für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313 a ABGB einzustehen hat. Die beklagte Partei veranstaltete nämlich ein Kinderfest nach einer zuvor verbreiteten Ankündigung, sie werde Kinder im Bereich einer Spielecke beaufsichtigen. Damit gab sie aber im Sinne des § 1299 ABGB zu erkennen, über die nötigen Fachkenntnisse für die Auswahl und den Betrieb von für die Sicherheit der Kinder tauglichen Spielgeräten zu verfügen. Da sich die beklagte Partei zur Unterhaltung der an der Veranstaltung teilnehmenden Kinder schließlich einer Luftburg bediente, deren Betrieb nur mit Hilfe eines Gebläsemotors möglich war, hätte es zu den durch Organe oder sonstige Repräsentanten der beklagten Partei wahrzunehmenden vertraglichen Organisationspflichten gehört, den Motor für das Luftgebläse entweder selbst auf Kindersicherheit zu überprüfen oder damit - bei mangelnder eigener Fachkenntnis - einen sachkundigen Dritten zu beauftragen. Hätte aber ein in der Frage der Kindersicherheit von Spielgeräten Sachkundiger den Motor für das Luftgebläse untersucht, hätte dieser, wie das Berufungsgericht feststellte, das Schutzgitter vor dem Motor beanstandet. Dann aber hätte die beklagte Partei in Erfüllung ihrer vertraglichen Organisationspflicht im Interesse der Beseitigung einer Gefahr für die körperliche Sicherheit der die Veranstaltung besuchenden Kinder mehrere Möglichkeiten gehabt: Sie hätte einen anderen kindersicheren Motor verwenden, die Gefahrenquelle am vorhandenen Motor absichern oder den Zutritt zum Motor durch die Schaffung einer für Kinder nicht mühelos überwindbaren Sperre verhindern können. Sie traf aber keine der möglichen Maßnahme. Eine derartige Maßnahme wäre auch zumutbar gewesen (vgl ZVR 1984/139 [zum Stmk VeranstaltungsG]). Die beklagte Partei, die als Veranstalter im Sinne des § 2 Abs 1 Vbg VeranstaltungsG LGBl 1989/1 anzusehen ist, hätte im übrigen durch die in der aufgezeigten Weise erforderliche Organisation nur ihrer am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB zu messenden und gemäß § 2 Abs 3 lit a Vbg VeranstaltungsG zu beachtenden gesetzlichen Verpflichtung entsprochen, dafür zu sorgen, daß Veranstaltungsbesucher in ihrer körperlichen Sicherheit nicht beeinträchtigt werden. Diese Schutznorm definiert aber jedenfalls den Mindeststandard der von der beklagten Partei als Veranstalter zu erfüllenden Rechtspflichten. Deren Haftung folgt also aus der rechtswidrigen und schuldhaften Unterlassung ihrer Organe oder sonstigen Repräsentanten, die zur Vermeidung einer Schädigung von Kindern gebotenen Vorkehrungen zu treffen. Es stellt sich dann aber nicht mehr die Frage, ob sich die Ersatzpflicht der beklagten Partei auch über § 1313 a ABGB begründen ließe, weil sie für das Verschulden bestimmter Erfüllungsgehilfen einzustehen hätte.

Die beklagte Partei brachte im Verfahren erster Instanz vor, das Verschulden an der Körperverletzung des Klägers falle dessen Eltern durch die Verletzung ihrer Obsorgeverpflichtung zur Last. Es wäre nämlich deren Aufgabe gewesen, für die Beaufsichtigung des im Unfallszeitpunkt erst 15 Monate alten Klägers zu sorgen. Diese Rechtsfrage bedarf jedoch hier keiner Lösung, weil selbst eine schuldhafte Verletzung der Obsorgepflicht dem Kläger nicht als Mitverschulden angelastet werden könnte, um dessen Ersatzanspruch zu schmälern (SZ 27/170; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 19 zu § 1310 mwN). Wäre den Eltern tatsächlich eine Verletzung der Obsorgepflicht vorwerfbar, könnte das gemäß § 1302 ABGB - mangels Bestimmbarkeit der durch mehrere Schädiger verursachten Schadensanteile - nur zur Solidarhaftung führen (Reischauer in Rummel aaO).

Die vom Kläger im Rechtsmittelverfahren behaupteten Feststellungsmängel, die den Entscheidungen der Vorinstanzen über das Schmerzengeld- und Feststellungsbegehren anhaften sollen, bestehen nicht.

Wie sich aus den Tatsachenfeststellungen ergibt, ist beim Alter des Klägers eine gute Anpassung an die unfallkausale Dauerfolge und keine funktionelle Beeinträchtigung der Hand zu erwarten. Das rechtfertigt aber - entgegen der Ansicht der Revision - auch die Schlußfolgerung, daß der Kläger wegen der Amputation des Endglieds des rechten Mittelfingers nach den derzeitigen Beurteilungsgrundlagen künftig keine besonders schwer ins Gewicht fallenden psychischen Schmerzen zu erdulden haben wird. Durch das Schmerzengeld soll der Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen, die Schwere der Verletzung und das Ausmaß der körperlichen und seelischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands abgegolten werden (Reischauer in Rummel aaO Rz 45 zu § 1325 mwN aus der Rsp). Danach erscheint jedoch das begehrte Schmerzengeld von 25.000 S angemessen.

Eine Verunstaltungsentschädigung gebührt auch Kindern. Das Vorliegen einer Verunstaltung ist nach der allgemeinen Lebensanschauung unter Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabs zu beurteilen. Dabei kommt es vor allem auf das äußere Erscheinungsbild des Ersatzberechtigten an. Die Amputation des Endglieds eines Mittelfingers könnte das bessere Fortkommen des Klägers - je nach der Entwicklung seiner Neigungen und Fähigkeiten - künftig ohne weiteres behindern und zum Entfall einer Möglichkeit zur Verbesserung der Lebenslage führen. Auch wenn noch ungewiß ist, ob eine Verhinderung des besseren Fortkommens überhaupt eintreten wird, kann bereits eine Entschädigung gemäß § 1326 ABGB begehrt werden. Es sind deshalb an die Behauptungs- und Beweislast des Klägers keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung ist daher schon aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds des Ersatzberechtigten und einer an der Lebenserfahrung zu orientierenden Schlußfolgerung, daß dieses Aussehen zur Beeinträchtigung des besseren Fortkommens führen könnte, gerechtfertigt. Dabei ist der Ersatzbetrag umso höher zu bemessen, je wahrscheinlicher der Schadenseintritt ist (Reischauer in Rummel aaO Rz 2, 4,6, 7 und 8 zu § 1326 mwN aus der Rsp). Berücksichtigt man, daß der Kläger im Unfallszeitpunkt erst im zweiten Lebensjahr stand und sich bei ihm künftig Fähigkeiten und Neigungen entwickeln können, für die zur Gewährleistung eines besseren Fortkommens auch das Endglied des Mittelfingers der rechten Hand von Bedeutung sein könnte, erscheint der gemäß § 1326 ABGB begehrte Betrag von 15.000 S nicht überhöht.

Was die geltend gemachten „pauschalen Unkosten“ von 500 S betrifft, fehlt es bereits an schlüssigen Behauptungen, die einen derartigen Zuspruch rechtfertigen könnten. Es sind den Entscheidungen der Vorinstanzen aber auch keine Feststellungen zu entnehmen, die einer Ermessensentscheidung gemäß § 273 ZPO als Grundlage dienen könnten. Diesem Teil des Klagebegehrens muß demnach ein Erfolg versagt bleiben.

Der Leistungsanspruch des Klägers errechnet sich somit wie folgt:

Schmerzengeld 25.000 S

Verunstaltungsentschädigung 15.000 S

Summe 40.000 S.

Dieser Betrag ist zuzusprechen, das Mehrbegehren von 500 S dagegen abzuweisen. Zinsen waren gemäß § 1334 ABGB ab dem Tag der Klagezustellung zuzuerkennen.

Ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung für künftige Nachteile aus dem Schadensereignis besteht regelmäßig bereits dann, wenn die Möglichkeit des Eintretens künftiger unfallkausaler Schäden offen bleibt. Die bloß abstrakte Möglichkeit eines Schadenseintritts wäre dagegen zur Begründung eines Feststellungsinteresses nicht ausreichend (JBl 1993, 191; ZfRV 1991, 394). Stehen aber - wie hier - unfallkausale Dauerfolgen fest, implizieren schon solche eine konkrete Wahrscheinlichkeit, daß das schädigende Ereignis auch für einen künftigen Schadenseintritt ursächlich werden könnte (2 Ob 91/89; ZVR 1973/72). Der Geschädigte ist nach dem Eintritt von Dauerfolgen auch nicht verpflichtet, bestimmte Angaben über die Art der künftig zu erwartenden Schäden zu machen. Lediglich wenn die Möglichkeit eines Folgeschadens mit Bestimmtheit auszuschließen wäre, müßte ein Feststellungsbegehren erfolglos bleiben. Nicht von Bedeutung ist auch, ob die Dauerfolgen mehr oder weniger schwerwiegend sind (ZVR 1976/113 ua). Nach diesen Voraussetzungen genügen aber bereits die von den Vorinstanzen getroffenen Tatsachenfeststellungen, um auch dem Feststellungsbegehren stattzugeben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 43 Abs 2 und § 50 ZPO. Da der Kläger nur mit einem geringfügigen Teil des Klagebegehrens unterlag, hat er - ausgehend vom Betrag des Obsiegens (Leistung 40.000 S, Feststellung 30.000 S) als Kostenbemessungsgrundlage - Anspruch auf vollen Kostenersatz. Dabei ergibt die Kostenberechnung unter Berücksichtigung der folgenden Ausführungen zu den verzeichneten Einzelleistungen den im Spruch dieser Entscheidung ausgeworfenen Betrag:

Aktenkundig ist nur ein Streiverkündungsschriftsatz. Soweit ein zweiter derartiger Schriftsatz vom 20.Juli 1995 verzeichnet wurde, kann daher kein Kostenzuspruch erfolgen. Die Kosten der Anträge auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung sind zuzuerkennen. Dasselbe gilt für das vorprozessual eingeholte und bezahlte Gutachten, das schließlich auch den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zugrunde gelegt wurde. Die als vorprozessuale Kosten verzeichneten sonstigen Schreiben sind jedoch durch den im Verfahren zuerkannten Einheitssatz gedeckt. Diese Korrespondenz stellt nämlich noch keinen erheblichen Aufwand dar, der gesondert zu honorieren wäre. Die verzeichneten Pauschalgebühren sind nicht zuzusprechen, da der Kläger, dem mit Beschluß vom 2.Oktober 1995 die Verfahrenshilfe bewilligt wurde (ON 9 S. 1), solche nicht zu bezahlen hatte. Diese Beträge werden vielmehr gemäß § 71 ZPO durch gesonderten Beschluß dem Prozeßgegner aufzuerlegen sein.

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