OGH 1Ob358/54

OGH1Ob358/5416.6.1954

SZ 27/170

Normen

ABGB §1304
ABGB §1309
ABGB §1310
ABGB §1320
ABGB §1304
ABGB §1309
ABGB §1310
ABGB §1320

 

Spruch:

Das Verschulden der aufsichtspflichtigen Mutter eines 2 1/2jährigen Kindes kann diesem - durch Hundebiß verletzten - Kind als Mitverschulden nicht angelastet werden.

Entscheidung vom 16. Juni 1954, 1 Ob 358/54.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Der am 28. Feber 1948 geborene Kläger verlangt vom Beklagten 6000 S Schadenersatz, weil ihn der Hund des Beklagten am 24. November 1950 schwer verletzt habe. Der Beklagte beantragt Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht stellt zwar fest, daß es sich um einen Hund von unberechenbarem Wesen gehandelt, daß der Hund schon vor dem Unfall viermal verschiedene Personen gebissen habe und daß der Beklagte den Hund im - allerdings eingesäumten - Hof frei und ohne Maulkorb habe herumlaufen lassen. Der Beklagte habe daher für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes nicht Sorge getragen. Der Schadenersatzanspruch des Klägers wurde aber dennoch dem Gründe nach als nur zur Hälfte zu Recht bestehend erkannt, weil die aufsichtspflichtige Mutter des Klägers Walpurga R. auf den Kläger nicht geachtet habe, so daß ihr dieser entlaufen sei und an den Unfallsort habe gelangen können.

Das Zwischenurteil des Erstgerichtes bekämpfte nur der Kläger mit Berufung. Das Berufungsgericht ändert es dahin ab, daß der Schadenersatzanspruch des Klägers dem Gründe nach als zur Gänze zu Recht bestehend erkannt wurde. Das Berufungsgericht ließ dahingestellt, ob ein Verschulden der Mutter vorliege. In Anlehnung an die Entscheidung SZ. XX/246 sprach es aus, daß selbst im Falle eines solchen Verschuldens der Beklagte zur Gänze für den durch den Unfall entstandenen Schaden hafte. Denn gemäß § 1301 ABGB. haften mehrere Teilnehmer für einen Schaden, wenn ihr Verschulden für den Schaden mitverursachend war, wobei ein gemeinsames Handeln oder Unterlassen nicht vorausgesetzt werde. Dieser Fall liege hier vor. Sowohl den Beklagten als auch allenfalls die Mutter des Klägers treffe ein Verschulden an dem Unfall. In welchem Verhältnis zueinander könne dahingestellt bleiben. Da hier das Verschulden in einem Versehen begrundet sei und die Anteile an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen, hafte der Beklagte gemäß § 1302 ABGB. für den gesamten Schaden, möge ihm auch ein Regreßanspruch gegen die Mutter zustehen, über welchen hier aber nicht zu entscheiden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine Schadensteilung gemäß § 1304 ABGB. könnte nur stattfinden, wenn ein Verschulden des Verletzten vorläge. Von einem eigenen Verschulden des zur Zeit der Verletzung 2 1/2 Jahre alt gewesenen Klägers kann keine Rede sein. Ein allfälliges Verschulden der aufsichtspflichtigen Mutter kann dem Kläger nicht angelastet werden, weil hiezu jede Rechtsgrundlage fehlt. Sofern die Mutter gesetzliche Vertreterin des Klägers ist, könnte nur ihr Verschulden bei Vertretungshandlungen dem Kläger zugerechnet werden. Um solche handelt es sich hier nicht. In Betracht kommt allenfalls eine Verletzung der Aufsichtspflicht, also einer eigenen Pflicht der Mutter. Eine solche Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Mutter könne aber den Schadenersatzanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten nicht schmälern. (Ehrenzweig II/1, S. 63; SZ. XX/246; SZ. XXV/318.) Auch eine bloß anteilsmäßige Schadenshaftung des Beklagten gemäß § 1302 ABGB. kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Es fehlt jede Möglichkeit einer Aufteilung des Schadens zwischen dem Beklagten und der allenfalls als schadenersatzpflichtig in Betracht kommenden Mutter des Klägers, weil sich nicht abgrenzen läßt, welcher Teil des Schadens durch die mangelhafte Verwahrung des Hundes durch den Beklagten und welcher Teil durch eine allenfalls unterlassene ausreichende Beaufsichtigung des Klägers durch die Mutter entstanden sein könnte. Da sich die Anteile auch bei Annahme eines Verschuldens der Mutter nicht bestimmen lassen, muß es daher, zumal eine vorsätzliche Beschädigung nicht vorliegt, bei der Haftung des Beklagten für den ganzen Schaden gemäß § 1302 ABGB. bleiben.

Im Hinblick auf die Ausführungen der Revision bleibt noch beizufügen, daß das Berufungsgericht keineswegs geirrt hat, wenn es das Verhalten des Beklagten als deliktisch bezeichnete. Die Schadenshaftung entspringt im vorliegenden Fall nicht aus der Verletzung einer Vertragspflicht, sondern daraus, daß der Beklagte eine ihm durch das Gesetz auferlegte Pflicht, nämlich, die ausreichende Verwahrung des Hundes außer acht gelassen und sich insoweit gesetzwidrig und damit nach dem juristischen Sprachgebrauch deliktisch verhalten hat. Darauf, daß der Beklagte im Strafverfahren freigesprochen wurde, kommt es bei der Beurteilung, ob ein zivilrechtliches zum Schadenersatz verpflichtendes Verschulden - also ein sogenanntes zivilrechtliches Delikt - vorliege, nicht an. Wenn nunmehr der Beklagte in der Revision sein Verschulden wieder in Zweifel zu ziehen sucht, so muß er darauf verwiesen werden, daß er nach den Ausführungen in seiner Berufungsmitteilung die diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichtes unbekämpft gelassen hat. Aus den Feststellungen, daß es sich um einen Hund von unberechenbarem Wesen gehandelt, daß der Hund schon vor dem Unfall viermal verschiedene Personen gebissen habe und daß der Beklagte den Hund im, allerdings eingesäumten Hof frei und ohne Maulkorb habe herumlaufen lassen, haben die Untergerichte ohne Rechtsirrtum auf eine zum Schadenersatz verpflichtende nachlässige Verwahrung des Hundes geschlossen. Es geht nicht an, ein bissiges Tier in einem wenn auch eingesäumten Bauernhof frei herumlaufen zu lassen, wenn nicht verläßliche Vorkehrungen dagegen getroffen sind, daß der Hof von Dritten nicht betreten werden kann. Daß solche Vorkehrungen hier fehlten, zeigt schon der Umstand, daß es dem Kläger ohne weiteres gelang, durch den Stall auf das Anwesen des Beklagten zu kommen. Daß das Berufungsgericht die Frage, ob auch die Mutter ein Verschulden treffe, mit Recht dahingestellt gelassen hat, ergeben bereits die obigen Ausführungen.

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