OGH 10ObS2141/96t

OGH10ObS2141/96t22.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Ernst Oder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann J*****, Arbeiter, *****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifterstraße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Jänner 1996, GZ 11 Rs 136/95-34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. August 1995, GZ 24 Cgs 9/94h-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 22.4.1954 geborene Kläger war im Museum A***** in S***** im Hausdienst beschäftigt. Seine Tätigkeit bestand aus dem Auf- und Abbau von Ausstellungen, der technischen Abwicklung sämtlicher Veranstaltungen sowie der Gebäudeinstandhaltung. Dabei hatte er auch das Buffet und die dort vorhandenen Kühlladen zu reinigen. In seinem Betrieb besteht für die Arbeitnehmer kein striktes Alkoholverbot. Wenn etwa nach Veranstaltungen geöffnete, aber nicht zur Gänze geleerte Weinflaschen übrig bleiben, können diese im Einvernehmen mit dem Dienstgeber von Dienstnehmern mit nach Hause genommen oder bei betriebsinternen Feiern verwendet werden. Am 4.10.1993 reinigte der Kläger das Buffet. Dabei mußte er auch die Ausschank und die dort befindlichen Kühlladen, die mit Getränken ziemlich voll waren, ausräumen. Bevor er die Laden öffnete, dachte er daran, etwas zu trinken. Er sah eine "angebrauchte" Weinflasche, die lose mit einem Korken verschlossen war und der sich ein Spülmittel (Lauge mit pH-Wert 14) befand. Auf der Etikette dieser Flasche war die Weinsorte "Rheinriesling" durchgestrichen und mit Rotstift der Hinweis "Putzmittel für Gläserspüle" geschrieben. Weiters stand mit orangefarbenem Signierstift geschrieben "Achtung". Der Kläger, der dem Etikett dieser Weinflasche keine besondere Beachtung gesckenkt hatte, nahm einen Schluck aus der Flasche. Durch das Schlucken des Putzmittels erlitt er Verätzungen der Speiseröhre. Die aufgrund dieses Unfalls beim Kläger ab der siebenundzwanzigsten Woche nach dem Unfall noch bestehenden Gesundheitsstörungen bedingen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 vH.

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 29.12.1993 den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß dieses Unfalls ab, weil er sich nicht im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet habe.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab der siebenundzwanzigsten Woche nach dem 4.10.1993 eine Versehrtenrente von 80 vH samt Zusatzrente und zwei Kinderzuschüssen im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen, während es das darüberhinausgehende Klagebegehren auf Zahlung einer Versehrtenrente von insgesamt 100 vH - rechtskräftig - abwies. Es beurteilte den eingangs dargestellten Sachverhalt rechtlich dahin, daß Essen und Trinken grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz stehende eigenwirtschaftliche Tätigkeiten darstellten. Wenn aber besondere, wesentlich durch die betriebliche Tätigkeit bedingte Umstände hinzukämen, werde der Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit nicht unterbrochen, weil sich die gesetzliche Unfallversicherung auf alle jene Gefahren erstrecke, denen der Versichererte infolge seiner betrieblichen Tätigkeit ausgesetzt sei. Die in der Kühllade neben den anderen Flaschen aufbewahrte Weinflasche mit dem Putzmittel habe eine betrieblich bedingte "Falle" für den Arbeitnehmer dargestellt; durch das Trinken aus dieser Flasche habe der Kläger seine betriebliche Tätigkeit nur für Sekunden unterbrochen. Der Vorfall sei daher als Arbeitsunfall zu qualifizieren. Der Anspruch auf Versehrtenrente beruhe auf § 203 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG seien Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich bei Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse ereignen, sofern sie in der Nähe der Arbeits- oder Ausbildungsstätte, jedoch außerhalb der Wohnung des Versicherten erfolgten. Damit werde der Versicherungsschutz auch auf die Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse als solche, also zum Beispiel die Einnahme der Mahlzeit selbst erweitert. Ausgenommen sollten davon nur Unfälle im eigenen häuslichen Bereich sein, weil dies den immanenten Grenzen einer berufs- bzw betriebsbezogenen Unfallversicherung widersprechen würde. Zu den lebensnotwendigen Bedürfnissen im Sinne dieser Gesetzesstelle gehöre neben der Einnahme einer Mahlzeit auch das Trinken. Auch der vom Kläger genommene Schluck aus der vermeintlichen Weinflasche im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit beim Ausräumen und Reinigen einer Getränkelade stehe daher gemäß § 175 Abs 2 Z 7 ASVG unter Versicherungsschutz.

Der Unfall stelle aber auch nach § 175 Abs 1 ASVG einen Arbeitsunfall dar. Obwohl die zur Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse zählende Nahrungs- und Getränkeaufnahme im allgemeinen eine zumindest überwiegenden privaten unversicherten Lebensbereichen zuzurechnende Tätigkeit darstelle, könne sie dennoch unter bestimmten Umständen Unfallversicherungsschutz genießen. Zunächst sei ein enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung erforderlich. Weiters sei entscheidend, ob für den Unfall ein betriebliches oder aus der eigenen Sphäre des Versicherten stammendes Risiko wesentlich ursächlich gewesen sei. Unter besonderen Voraussetzungen könne auch die Nahrungsaufnahme den inneren Zusammenhang mit der nachfolgenden versicherten Tätigkeit begründen, zum Beispiel wenn sie der Wiedererlangung oder der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit eines Kraftfahrers wesentlich diene, dessen Fahrtüchtigkeit sonst beeinträchtigt wäre, wenn die Nahrungsaufnahme aus betrieblichen Gründen besonders schnell erfolgen müßte und der Unfall darauf zurückzuführen sei, oder wenn der Versicherte infolge seiner Beschäftigung dursterregenden Einwirkungen ausgesetzt sei und das Trinken wesentlich bezwecke, seine Arbeitsfähigkeit wieder zu erlangen. Es komme also darauf an, ob betriebliche Umstände über das normale Maß hinaus so stark seien, daß sie eine wesentliche Bedingung für die Nahrungsaufnahme seien. Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, daß der Kläger während seiner Arbeit an seinem eigentlichen Arbeitsplatz trinken wollte und daß es wohl zu einem großen Teil auf die arbeitsbedingte Situation zurückzuführen sei, daß er das Etikett auf der Flasche nicht näher geprüft habe. Dazu komme, daß die besondere Gefährlichkeit der Situtation durch die betrieblichen Verhältnisse überwiegend hervorgerufen worden sei. Es sei nämlich durchaus nicht üblich, daß in einer Getränkelade - wenn auch deutlich gekennzeich- net - Spülmittel in einer Weinflasche aufbewahrt werde. Für den Unfall sei daher ein betriebliches Risiko wesentlich ursächlich gewesen und daher auch der innere Zusammenhang zwischen der betrieblichen Tätigkeit und dem Unfall zu bejahen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht darin, daß sich der Unfall bei der Befriedigung eines lebensnotwendigen Bedürfnisses (§ 175 Abs 2 Z 7 ASVG) ereignet habe: Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber in dieser Norm einerseits die Wortfolge "lebenswichtige persönliche Bedürfnisse zu befriedigen", verwendet, in der Folge dann aber von "dieser Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse" spricht. Obwohl der Gesetzgeber hier zwei verschiedene Wörter verwendet, war es nicht seine Absicht, den Begriffen "lebenswichtig" und "lebensnotwendig" einen unterschiedlichen Inhalt beizulegen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch aus dem Wortlaut der Bestimmung, die zunächst den Weg zur Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse schützt und dann die Wendung benutzt "bei dieser Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse". Der Gesetzgeber bezieht sich daher ausdrücklich auf die eingangs verwendete Umschreibung. Nach der Rechtsprechung des Senates können unter "lebenswichtigen persönlichen Bedürfnissen" - und demgemäß auch unter "lebensnotwendigen" Bedürfnissen - nur solche verstanden werden, deren Befriedigung keinen größeren Aufschub duldet (SSF-NF 6/60). Im Vordergrund steht dabei die Einnahme von Mahlzeiten, die Verrichtung der Notdurft udgl (10 ObS 264/95, teilweise veröffentlicht ARD 4727/10/96; Tomandl in SV-System, 7. Ergänzungslieferung 313; Ritzberger-Moser, Anmerkung zu 10 ObS 73/93 = SSV-NF 7/45, DRdA 1994, 262, 267 mwN). In diesem Sinne diente das Trinken aus einer Weinflasche am Vormittag während der Arbeitszeit nicht der Befriedigung eines lebensnotwendigen Bedürfnisses; es diente auch nicht der Aufrechterhaltung oder der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.

Dennoch hat sich der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet, weshalb er ein Arbeitsunfall im Sinn des § 175 Abs 1 ASVG ist. Wenngleich das Trinken aus der Weinflasche als eigenwirtschaftliche Tätigkeit, für sich allein betrachtet, nicht dem Versicherungsschutz unterlag, ist doch zu prüfen, ob der Kläger nicht anläßlich seiner eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des Weintrinkens Opfer einer in der betrieblichen Risikosphäre ihren Ausgangspunkt nehmenden Kausalkette war, weshalb doch Unfallversicherungsschutz besteht, ob also der Kläger als versicherter Arbeitnehmer in seiner Rolle als Erwerbstätiger einer Betriebsgefahr zum Opfer gefallen ist, mag ihn die Gefahr auch bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit ereilt haben (Rudolf Müller, Judikaturtendenzen im Unfallversicherungsrecht, ZAS 1989 145 ff, 150). Bereits in der Entscheidung SSV-NF 2/76, die einen Unfall betraf, auf den § 175 Abs 2 Z 7 ASVG noch nicht anzuwenden war, führte der Senat aus, Essen und Trinken stellten zwar grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz stehende eigenwirtschaftliche Tätigkeiten dar; kämen aber besondere, wesentlich durch die betriebliche Tätigkeit bedingte Umstände hinzu, werde der Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit noch nicht unterbrochen, denn die gesetzliche Unfallversicherung erstrecke sich auf alle Gefahren, denen der Versicherte infolge seiner Betriebstätigkeit ausgesetzt sei. Werde das schädigende Ereignis wesentlich durch die Zugehörigkeit zum Betrieb mitbedingt, hätten also betriebliche Einrichtungen bei der Entstehung des Unfalls wesentlich mitgewirkt und sei der Unfall daher wesentlich durch die Umstände an der Arbeitsstätte oder die Arbeitstätigkeit selbst verursacht worden, etwa weil diese unter erhöhtem Gefahrenrisiko durchgeführt worden sei und dieses erhöhte Risiko auch tatsächlich zum Unfall geführt habe, liege ein Arbeitsunfall vor. Wegen der Zurechnung von Unfällen zu den Arbeitsunfällen bei nichtversicherten Tätigkeiten unter der Voraussetzung der Verwirklichung einer Betriebsgefahr (zutreffend Rudolf Müller aaO 150) geht die von Robert Müller (ZAS 1990, 110 im Kommentar zur Entscheidung ZAS 1990/11 = SSV-NF 2/76) geübte Kritik, der ursächliche Zusammenhang sei nur gegeben, wenn das den Unfall herbeiführende Verhalten von der Absicht und dem Entschluß bestimmt sei, die Interessen des Betriebes zu fördern, ins Leere (vgl auch SSV-NF 7/45). Beide Vorinstanzen haben auf die besondere Gefährlichkeit der Situation durch die betrieblichen Verhältnisse hingewiesen und damit zutreffend angenommen, daß der Kläger anläßlich der an sich eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des Weintrinkens Opfer einer in der betrieblichen Risikosphäre ihren Ausgangspunkt nehmenden Kausalkette war. Es ist nämlich nicht nur, wie das Berufungsgericht meinte, "unüblich", daß in einer Getränkelade stehende Weinflaschen Spülmittel enthalten, sondern es liegt hierin auch ein Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften: Gemäß § 65 Abs 3 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordung (AAV) dürfen für die Aufbewahrung von gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen Trinkgefäße, Getränkeflaschen und Gefäße, die ihrer Art nach für die Aufbewahrung von Lebens- oder Genußmitteln bestimmt sind, nicht verwendet werden; dies gilt auch für Behälter, die mit solchen Gefäßen oder Flaschen verwechselt werden können. Der Schutzzweck dieser Norm erstreckte sich auch auf die Tätigkeit des Klägers, der nach dem feststehenden Sachverhalt von der Aufbewahrung des Spülmittels in einer Weinflasche keine Ahnung hatte. Die zitierte Arbeitnehmerschutzvorschrift ist Ausdruck der Mindestanforderungen an die Aufbewahrung von gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen (10 Ob 529/94), umsomehr, wenn sich die zur Aufbewahrung des Spülmittels verwendete Weinflasche in einer Getränkelade eines Buffets unter anderen Getränkeflaschen aufbewahrt befindet. Daß der Kläger die auf dem Etikett der Weinflasche handschriftlich angebrachten Hinweise "Achtung, Putzmittel für Gläserspüle", die nach den im Akt befindlichen Lichtbildern auch nicht besonders auffallend waren, übersehen hat, könnte möglicherweise ein hier nicht relevantes Mitverschulden begründen, schließt aber nicht aus, daß der Arbeitsunfall wesentlich auf die betrieblichen Gefahren zurückgeführt werden muß.

Daraus folgt, daß die Vorinstanzen zutreffend das Vorliegen eines Arbeitsunfalles nach § 175 Abs 1 ASVG bejaht haben. Gegen die Höhe der zugesprochenen Versehrtenrente wird in der Revision nichts ausgeführt, weshalb vom Obersten Gerichtshof hiezu nicht Stellung genommen werden muß.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

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