OGH 10ObS2306/96g

OGH10ObS2306/96g20.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Theodor Zeh (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mario Medjimorec (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Jozo B*****, Pensionist, ***** (Kroatien), vertreten durch Dr.Dipl.Dolm. Johann Zivic, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. April 1996, GZ 10 Rs 37/96a-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. Oktober 1995, GZ 11 Cgs 72/95y-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.029,44 bestimmten (halben) Kosten der Revision (darin enthalten S 338,24 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 13.März 1995 wurde der Antrag des Klägers auf Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253 d ASVG (im folgenden kurz vAPwgA) mit Stichtag 1.1.1995 mangels Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung des § 253 d Abs 1 Z 2 abgelehnt. Es ist unstrittig, daß der am 5.6.1927 geborene Kläger innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag keine Beitragsmonate der Pflichtversicherung und innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag nur 10 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nachgewiesen hat.

Mit einer rechtzeitigen Klage begehrt der Kläger die Zahlung der abgelehnten Leistung in gesetzlicher Höhe ab 1.1.1995. Er beziehe bereits seit Oktober 1989 eine jugoslawische Pensionsleistung, daher seien die 63 Monate von Oktober 1989 bis zum Stichtag gemäß dem Zweiten Zusatzabkommen zum Sozialabkommen zwischen Österreich und Jugoslawien als neutrale Monate insoweit zu berücksichtigen, als damit der Rahmenzeitraum der besonderen Wartezeit von 180 Monaten verlängert werde. In einem derart erstreckten Rahmenzeitraum von 1.10.1975 bis zum Stichtag habe der Kläger aber sehr wohl mehr als die geforderten 36 Beitragsmonate erworben.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Nach § 236 Abs 3 ASVG würden nur die in Abs 2 genannten Wartezeiten verlängert. Der Zeitraum des § 253 d Abs 1 Z 2 sei aber im Gegensatz zu Z 1 keine Wartezeit und werde daher auch durch neutrale Monate nicht verlängert.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es schloß sich dabei der Rechtsauffassung der Beklagten an. Die Zeiträume des § 253 d Abs 1 Z 2 stellten eine - vom Kläger nicht erfüllte - zusätzliche allgemeine Anspruchsvoraussetzung dar, für die das Gesetz eine der Verlängerung der Wartezeit durch neutrale Monate analoge Regelung nicht vorsehe.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Anspruch auf vAPwgA setze neben der Erfüllung der Wartezeit nach § 236 (Z 1) auch noch den Nachweis bestimmter Beitragsmonate voraus (Z 2). Für die vom Kläger gewünschte Verlängerung dieses Zeitraumes gebe es keine dem § 236 Abs 3 entsprechende Vorschrift. Die EB zur RV der 51.ASVGNov (932 BlgNR 18.GP 49) würden zwar auch die im § 253 d Abs 1 Z 2 genannten Zeiträume als "Wartezeit" bezeichnen, doch handle es sich dabei um einen "anderen Begriff der Wartezeit", was schon daraus hervorgehe, daß der Pensionswerber die Erfüllung der Deckungsvorschrift der Z 2 zusätzlich zur Erfüllung der Wartezeit nach § 236 nachweisen müsse (Z 1). Der vom Gesetzgeber im Zusammenhang mit der vAPwgA bezweckte Tätigkeitsschutz sei überdies nur sachlich gerechtfertigt, wenn der Pensionswerber eine gewisse Zeit vor dem Stichtag überhaupt in einem berücksichtigungswürdigen Ausmaß im Erwerbsleben gestanden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Mit der durch die 51. ASVGNov ab 1.7.1993 eingeführten vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit wurde eine neue Leistung der Pensionsversicherung geschaffen, die jedoch weitgehend die besonderen Anspruchvoraussetzungen der Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 und der Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 3 zu einer vorzeitigen Alterspension zusammenfaßt (vgl SSV-NF 9/28). § 253 d Abs 1 lautet:

"Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit hat der (die) Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn er (sie)

1. die Wartezeit erfüllt hat (§ 236),

2. innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung oder innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nachweist.

3. in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat und

4. infolge seines (ihres) körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt."

Obwohl der dargestellte Gesetzestext klar zwischen der Wartezeit (Z 1) und dem Nachweis bestimmter Deckungszeiten (Z 2) unterscheidet, meinten die Redaktoren der 51. ASVGNov, mit dieser Deckungsregelung werde die "Wartezeit .... gegenüber der Wartezeit bei einer Alterspension klarer definiert" (932 BlgNR 18.GP 49). Dem kommt aber, wie schon das Berufungsgericht erkannt hat, keine entscheidende Bedeutung zu. Gesetzesmaterialien sind zwar eine anerkannte Auslegungshilfe, doch soll im allgemeinen ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht angedeutet ist, sondern nur in den Materialien steht, nicht durch Auslegung Geltung erlangen (vgl die Judikaturnachweise bei Bydlinski in Rummel, ABGB Rz 25 zu § 6).

Das Leistungsrecht der Pensionsversicherung kennt neben den Versicherungsfällen Leistungsvoraussetzungen, deren Erfüllung bei der Inanspruchnahme sämtlicher Leistungen grundsätzlich erforderlich ist und die sekundäre Leistungsvoraussetzungen genannt werden. Sie sollen den Standort des Leistungswerbers innerhalb der Versichertengemeinschaft, von der er die Leistung begehrt, abstecken. Einerseits wollen sie durch die Wartezeit (§ 236; vgl das Zitat "§ 236" in § 253 b Abs 1 Z 1, § 253 d Abs 1 Z 1, § 254 Abs 1, § 271 Abs 1 ASVG) oder auch eine "besondere Wartezeit" (vgl § 253 b Abs 1 Z 2) sicherstellen, daß nur solche Leistungswerber in den Genuß von Leistungen kommen, die der Versicherungsgemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehören und durch Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben (Tomandl, Grundriß des öst. SozR4 Rz 166; Schrammel in Tomandl, SV-System 5. ErgLfg 143; Teschner ebendort 7. ErgLfg 380; Grillberger, Öst.SozR2 86; Brodil/Windisch-Graetz, SozVR in Grundzügen 97; Gitter, SozR3 172; SSV-NF 5/1 mwN). Andererseits wollen sie zusätzlich durch Bestimmungen über Bruchteilsdeckung (vgl die Zweidritteldeckung in § 253 b Abs 1 Z 3 und § 253 d Abs 1 Z 2) und durch Rahmenzeiträume für die Erfüllung der Wartezeit gewährleisten, daß nur solche Leistungswerber anspruchsberechtigt werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung in einem - zeitlichen - Naheverhältnis zu dieser Versichertengemeinschaft stehen (Tomandl aaO Rz 167; Teschner aaO 381; Grillberger aaO 90; Brodil/ Windisch-Graetz aaO 102, 110; Gitter aaO 171). Ihrem Wesen nach stellt die qualifizierte Bruchteilsdeckung allerdings eine Verschärfung der Wartezeit dar (SSV-NF 2/141 mwN).

Die "Zweidritteldeckung" als Leistungsvoraussetzung für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253 b war nach dem Wegfall der allgemeinen Deckungsvorschriften (Halbdeckung, Dritteldeckung) im Zuge der Pensionsreform der

40. ASVGNov - und vor der weiteren Deckungsvorschrift des § 253 d Abs 1 Z 2 - die einzige verbliebene Deckungsvorschrift (SSV-NF 2/141). Sie wurde als besondere Anspruchsvoraussetzung in dem Bestreben begründet, die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nur Versicherten zugänglich zu machen, die unmittelbar aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand treten wollten (Teschner/Widlar, ASVG MGA 61.ErgLfg 1298/1 Anm 4 zu § 253 b). Einen ähnlichen Zweck verfolgt die Deckungsvorschrift des § 253 d Abs 1 Z 2: sowohl die dort ebenfalls vorgesehene Zweidritteldeckung wie die weitere Bruchteilsdeckungsvariante, daß innerhalb der letzten 180 Kalendermonate (15 Jahre) vor dem Stichtag 36 Beitragsmonate nachgewiesen werden müssen ("Fünfteldeckung"), sollen verhindern, daß die vAPwgA Versicherten zugänglich gemacht wird, die längere Zeit nicht oder kaum mehr im Erwerbsleben standen. Dies trifft für den Kläger zu, dessen letzte Beitragszeiten, nämlich 10 Monate, im Jahr 1980 nachgewiesen sind. Nach § 255 Abs 4 aF war es nämlich (bei Erfüllung der allgemeinen Wartezeit), wie der Revisionswerber selbst einräumt, mangels einer Deckungsvorschrift möglich, den Tätigkeitsschutz zu erlangen, obwohl in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nur ein einziger Beitragsmonat nachgewiesen war (vgl den in SSV-NF 6/35 geschilderten "Extremfall"; ferner SSV-NF 4/107). Es ist offenkundig, daß der Gesetzgeber der 51. ASVGNov diesem unbefriedigenden Zustand durch Einführung einer Deckungsvorschrift abhelfen wollte. Eine Verlängerung des Deckungszeitraumes durch neutrale Zeiten würde, wie der gegenständliche Sachverhalt zeigt, den angestrebten Zweck wieder in den Hintergrund rücken. Wie das Berufungsgericht treffend (und keineswegs unschlüssig, wie ihm der Revisionswerber vorwirft) ausführte, ist ein Tätigkeitsschutz iSd § 255 Abs 4 aF, nunmehr § 253 d Abs 1 Z 3 und 4 aber nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn der Pensionswerber innerhalb eines gewissen Zeitraumes vor dem Stichtag überhaupt in einem berücksichtigungswürdigen Ausmaß im Erwerbsleben stand. Gerade dies ist aber beim Kläger nicht der Fall. Wegen der völlig anderen Zielrichtung der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit steht diesen Überlegungen nicht entgegen, daß nach § 253 a Abs 1 Z 1 das Vorliegen einer neutralen Zeit nach § 234 Abs 1 Z 2 dem Bezug von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung gleich steht. In diesem Zusammenhang ist aber doch von Interesse, daß auch nach dem erst durch die 40.ASVGNov mit 1.1.1985 aufgehobenen § 237 ASVG die freilich anderen Zwecken dienende (Teschner/Widlar aaO 1188) Dritteldeckung gegeben war, wenn die letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag, die nicht neutrale Monate waren, 12 Versicherungsmonate enthielten (unklar OLG Wien SSV 24/118).

Nach § 236 Abs 2 Z 3 muß die für die Erfüllung der Wartezeit auf die vAPwgA erforderliche Mindestzahl von 120 Versicherungsmonaten innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen. Nur dieser Zeitraum würde sich im Fall des Klägers gemäß § 236 Abs 3 durch neutrale Monate entsprechend verlängern. Da es sich aber bei der sekundären Leistungsvoraussetzung des § 253 d Abs 1 Z 2 - wie oben dargelegt - nicht um eine Wartezeit im eigentlichen Sinn, sondern um das Erfordernis der (qualifizierten) Bruchteilsdeckung handelt, kann § 236 Abs 3 weder unmittelbar noch (mangels Regelungslücke) analog angewendet werden. Das Berufungsgericht hat mit Recht gefordert, daß der Pensionswerber die Erfüllung der Bruchteilsdeckung ohne Berücksichtigung neutraler Zeiten zusätzlich zur Erfüllung der Wartezeit nachweisen muß.

Als übereinstimmendes Ergebnis einer wörtlichen, systematischen und zweckorientierten (teleologischen) Auslegung ist festzuhalten, daß die Rahmenzeiträume des § 253 d Abs 1 Z 2, in denen eine Bruchteilsdeckung vorliegen muß, durch neutrale Zeiten nicht verlängert werden.

Warum § 253 d Abs 1 Z 2 bzw der Klammerausdruck "(§ 234)" in § 236 Abs 3 ASVG verfassungswidrig sein sollen, ist nicht ersichtlich und wird vom Revisionswerber auch nicht überzeugend dargetan (vgl SSV-NF 6/11, 9/4).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Wegen der rechtlichen Schwierigkeiten des Falles mangels Vorhandensein einer einschlägigen Rechtsprechung und mit Rücksicht auf die schlechte finanzielle Lage des Klägers erscheint es billig, ihm die halben Kosten des Revisionsverfahrens zuzusprechen (SSV-NF 6/61 ua).

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