OGH 1Ob2057/96y

OGH1Ob2057/96y4.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sparkasse S*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Dellhorn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am am ***** verstorbenen Antonia K*****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr.Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin Ingrid K*****, vertreten durch Dr.Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigung, infolge Revision der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichts vom 6.September 1995, GZ 39 R 426/95-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 29.März 1995, GZ 4 C 673/92-28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, daß das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin die mit S 9.169,12 (darin S 1.191,52 Umsatzsteuer und S 2.020,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei kündigte der beklagten Partei die im Haus in W*****, M*****straße *****, gelegene Wohnung zum 31.12.1992 gerichtlich auf. Als Kündigungsgrund machte sie § 30 Abs 2 Z 5 MRG geltend und brachte vor, daß die Wohnung nach dem Tod der Mieterin nicht mehr dem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen diene.

Die beklagte Partei und die Nebenintervenientin wendeten ein, daß letztere gemeinsam mit der Mieterin bis zu deren Tod in der aufgekündigten Wohnung gelebt und gewirtschaftet habe, sodaß sie gemäß § 14 Abs 3 MRG ins Mietverhältnis eingetreten sei. Überdies sei ein Enkel der Verstorbenen Mitmieter der aufgekündigten Wohnung, weshalb die beklagte Partei allein nicht passiv klagslegitimiert sei.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Die Nebenintervenientin habe in den letzten Jahren vor dem Tod ihrer Großmutter, der Mieterin, bei dieser gelebt, sie gepflegt, für sie gekocht, ja den gesamten gemeinsamen Haushalt geführt. In ihrer Hausbesorgerdienstwohnung - an anderem Ort in W***** - habe sie sich nur aufgehalten, um ihre Hausbesorgertätigkeit zu verrichten, die Wohnung zu betreuen und die Post abzuholen. Mit Vergleich vom 8.2.1991 habe sie sich verpflichtet, diese Dienstwohnung bis 31.5.1991 zu räumen. Das Hausbesorgerdienstverhältnis habe erst am 31.5.1992 geendet. Dem Räumungsvergleich seien Gespräche zwischen der Hausverwaltung und der Nebenintervenientin vorausgegangen, weil Wohnungseigentum an sämtlichen Wohnungen begründet, die Hausreinigung einem Unternehmen übergeben und das Hausbesorgerdienstverhältnis aufgelöst werden sollten. Zu einem Kündigungsverfahren zur Auflösung des Dienstverhältnisses sei es nicht gekommen. Vor etwa 15 Jahren seien einem Enkel der Mieterin Mitmietrechte an der Wohnung eingeräumt worden. Er habe auf diese Mitmietrechte nie verzichtet. Da er nicht geklagt worden sei, Mitmieter aber stets eine einheitliche Streitpartei bildeten, liege mangelnde Passivlegitimation der beklagten Partei vor. Überdies sei die Nebenintervenientin nach dem Tod ihrer Großmutter gemäß § 14 Abs 3 MRG in deren Mietrechte eingetreten.

Das Berufungsgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei die Wohnung geräumt zu übergeben. Die Frage der Passivlegitimation sei bereits im ersten Rechtsgang abschließend erledigt worden. Die beklagte Partei habe im ersten Rechtsgang keine Behauptungen aufgestellt, aufgrund welcher Umstände und auf welche Weise Mitmietrechte des Enkels begründet worden sein sollten. Das Berufungsgericht habe in seinem Aufhebungsbeschluß zum Ausdruck gebracht, daß die Passivlegitimation der beklagten Partei zu bejahen sei. Auf die zur Frage der Mitmietereigenschaft des Enkels erhobene Beweisrüge müsse demnach nicht eingegangen werden. Es mangle aber auch an einem dringenden Wohnbedürfnis der Nebenintervenientin im Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter. Die Nebenintervenientin habe ohne Not durch Abschluß eines Räumungsvergleichs ihre Dienstwohnung aufgegeben. Im Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter habe sie über ein aufrechtes Hausbesorgerdienstrechtsverhältnis samt Dienstwohnung verfügt. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG sei demnach verwirklicht.

Die Revision der Beklagtenseite ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Auf die Frage, ob dem Enkel der Verstorbenen Mitmietrechte zustehen und ob demnach die passive Klagslegitimation der beklagten Partei zu verneinen sei, weil beide Mitmieter hätten geklagt werden müssen, muß nicht eingegangen werden, weil die Nebenintervenientin als Eintrittsberechtigte im Sinne des § 14 Abs 3 MRG anzusehen ist und schon aus diesem Grund die Aufkündigung bzw das Räumungsbegehren nicht berechtigt sind.

Nach den - soweit auch unbekämpften - Feststellungen der Vorinstanzen lebte die Nebenintervenientin zum Zeitpunkt des Todes ihrer Großmutter mit dieser im gemeinsamen Haushalt in der aufgekündigten Wohnung. Strittig ist lediglich, ob die Nebenintervenientin ein dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung hat. Nach Lehre und Rechtsprechung ist ein dringendes Wohnbedürfnis („schutzwürdiges Interesse“) des Mieters anzunehmen, wenn sein Wohnbedürfnis nicht anderweitig angemessen befriedigt wird oder wenn dies in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten ist (5 Ob 564/94; WoBl 1993, 227 ua; Würth in Rummel, ABGB2, Rz 33 zu § 30 MRG). Bei dieser Beurteilung ist grundsätzlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Todes des bisherigen Mieters abzustellen; nachträgliche Änderungen sind nur soweit zu berücksichtigen, als sie für die nächste Zeit offenbar zu erwarten sind. Zweck des gesetzlich normierten Eintrittsrechtes ist es nur, nahen Angehörigen, die im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter gelebt haben, die unbedingt notwendige Wohnversorgung zu sichern, nicht aber diesen für die fernere Zukunft zusätzliche Vorteile zu einer für längere Zeit ohnedies gesicherten Wohnmöglichkeit zu verschaffen. Es muß also die unabweisliche Notwendigkeit bestehen, den anderwärts nicht in rechtlich gleichwertiger Weise gedeckten Wohnbedarf des Eintrittsberechtigten zu befriedigen (WoBl 1993, 227; Miet 42.329; EvBl 1987/133; SZ 47/4; MietSlg 25.325, 24.334, 8991 uva).

Der erkennende Senat billigt an sich die Auffassung der zweiten Instanz, daß eine eigene Dienstwohnung, die dem Eintrittswerber im Zeitpunkt des Todes des Mieters einer aufgekündigten Wohnung tatsächlich zur Verfügung steht (hier: eine Hausbesorgerdienstwohnung) bei aufrechtem Dienstverhältnis als rechtlich gleichwertige Wohnmöglichkeit anzusehen ist und es demnach am Eintrittswerber liegt, zu behaupten und zu beweisen, daß mit dem Verlust der Dienstwohnung in absehbarer Zeit zu rechnen sei (Miet 42.332). Die Beklagtenseite hat in diesem Sinne auch behauptet, daß die Nebenintervenientin über keine andere Wohnmöglichkeit verfüge und ihr dringendes Wohnbedürfnis im aufgekündigten Objekt befriedige (AS 13). Den Feststellungen nach bestand zum Zeitpunkt des Todes der Mieterin (6.1.1991) das Hausbesorgerdienstrechtsverhältnis der Nebenintervenientin allerdings (noch) aufrecht (bis zum 31.5.1992) und diese verfügte auch über eine Dienstwohnung. Mit Vergleich vom 8.2.1991 verpflichtete sie sich jedoch, diese Dienstwohnung bis 31.5.1991 zu räumen; Anlaß für den Abschluß des Vergleichs war, daß die Hausverwaltung der Nebenintervenientin ankündigte, an sämtlichen Wohnungen - auch an der Hausbesorgerdienstwohnung - Wohnungseigentum begründen zu wollen. Wenngleich hiebei „kein genauer Zeitpunkt“ genannt wurde (S.5 des Berufungsurteils), zu dem dieses Vorhaben in die Realität umgesetzt werden sollte, mußte die Nebenintervenientin für die nahe Zukunft doch befürchten, daß ihr Hausbesorgerposten überhaupt aufgelassen werde, weil ihr dies seitens der Hausverwaltung dezidiert angekündigt worden war (S.4 f des Ersturteils, S.5 des Urteils der zweiten Instanz). Die wegen Auflassung des Hausbesorgerpostens erfolgende Kündigung eines Hausbesorgers, dem eine Dienstwohnung zusteht, setzt zwar voraus, daß der Hauseigentümer wichtige Gründe für die Auflassung nachweist und die ernstliche Absicht der Auflassung erwiesen ist (Arb 11.229; RdW 1992, 382; EvBl 1990/100; EvBl 1977/54 ua), doch ist der Nebenintervenientin zuzubilligen, daß sie mit der Aufkündigung des Dienstverhältnisses und damit auch dem Verlust der Dienstwohnung - auch schon zum Zeitpunkt des Todes der Großmutter - mit Sicherheit und in naher Zukunft zu rechnen hatte (vgl. MietSlg. 33.375 uva). Der Nebenintervenientin kann es nicht zum Nachteil gereichen, daß sie einen Räumungsvergleich abschloß, weil sie sonst mit einem berechtigten Kündigungsbegehren des Hauseigentümers, gestützt auf § 18 Abs 6 lit d HausbesorgerG (HBG), rechnen mußte. Unter Bedachtnahme auf die besonderen Umstände des Falls rechtfertigt der hier vorliegende Sachverhalt trotz grundsätzlicher rechtlicher Gleichwertigkeit der der Eintrittsberechtigten zum Zeitpunkt des Todes der Mieterin zur Verfügung stehenden Dienstwohnung die Annahme ihres dringenden Wohnbedürfnisses an der aufgekündigten Wohnung (vgl. 8 Ob 529/93), weil in naher Zukunft der Verlust der Dienstwohnung mit Sicherheit zu erwarten war. Das Risiko einer - geradezu aussichtslosen - Prozeßführung zur Erhaltung der Dienstwohnung war der Eintrittsberechtigten im vorliegenden Fall nicht zumutbar. Der allein geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG liegt also nicht vor.

In Stattgebung der Revision ist somit das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Stichworte