OGH 8Ob529/93

OGH8Ob529/9322.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. E. Huber, Dr. Schwarz, Dr. Rohrer und Dr. I. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Cornelia S*****, vertreten durch Dr. Felix Winiwarter und Dr. Wolfgang Winiwarter, Rechtsanwälte in Krems a.d. Donau, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach d***** Brunhilde H*****, vertreten durch die erbserklärte Erbin Heidelinde H*****, vertreten durch Dr. Walter Pfliegler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems a.d. Donau vom 7.12.1992, GZ 2 R 198/92-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Krems a.d. Donau vom 3.6.1992, GZ 2 C 926/91g-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 2.899,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 483,20 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kündigte der Verlassenschaft nach Brunhilde H***** die von der Erblasserin gemietete Eigentumswohnung gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG mit der Behauptung auf, es seien keine eintrittsberechtigten Personen vorhanden.

Die beklagte Verlassenschaft beantragte in ihren Einwendungen, die Kündigung aufzuheben, weil Heidelinde H***** als eintrittsberechtigte Tochter ein dringendes Wohnbedürfnis an den vermieteten Wohnräumlichkeiten habe.

Außer Streit steht, daß es sich bei Heidelinde H***** um die Tochter der verstorbenen Brunhilde H***** handelt und daß das Verlassenschaftsverfahren nach dieser durch Überlassung des Nachlasses an Zahlung statt an Heidelinde H***** beendet wurde.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf, ohne das erhobene Räumungsbegehren abzuweisen. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Im Jahre 1956 mietete Heidelinde H***** Vater die gegenständliche Wohnung und seine Familie (Ehefrau, zwei Töchter und eine Großmutter) lebte dort in gemeinsamem Haushalt. Nach seinem Tod im Jahre 1982 verblieb die Witwe mit den Kindern weiterhin dort. Der Lebensschwerpunkt Heidelinde H***** lag sodann stets in der gegenständlichen Wohnung. Sie hat ihren gesamten Freundeskreis in K*****, in ihrer Freizeit hilft sie bei ihrem Cousin, der das Gasthaus "G*****" führt, zwei- bis dreimal wöchentlich aus und zwar hauptsächlich am Abend, am Wochenende und im Urlaub, aber auch untertags. Selbst wenn sie während der Arbeitswoche nicht aushilft, kommt sie ins Lokal, um zu Abend zu essen. Ihr Hausarzt ordiniert in K*****, ebenso ihr Augenarzt und ihr Gynäkologe. Seit 20 Jahren ist sie Kundin des Friseursalons H***** in K***** und sucht diesen einmal wöchentlich, vornehmlich am Wochenende, auf. Alle vier Wochen und zwar meistens am Freitag besucht sie den Kosmetiksalon D***** in K*****. In K***** besitzt Heidelinde H***** auch einen Obstgarten, den sie selbst betreut. Unter ihrer K***** Adresse hat sie auch ihren Pkw angemeldet und scheint auch in der Wählerevidenz des Magistrates der Stadt K***** auf. Sie tätigt ihre Einkäufe in K*****, versorgt ihre Wäsche in der gegenständlichen Wohnung und ist Mitglied eines Sparvereines im Gasthaus "G*****". Dies alles war auch schon vor dem Tod ihrer Mutter nicht anders. Diese hatte am 30.11.1988 mit der kündigenden Partei einen neuen Mietvertrag abgeschlossen. Beruflich ist Heidelinde H***** seit dem Jahre 1963 bei der W***** AG beschäftigt. Sie arbeitete zuerst in K***** als Sekretärin und kam dann im Jahre 1975 in die Landesdirektion nach W*****. In der Regel fährt sie mogens per Bahn von K***** nach W***** und am Abend wieder zurück. Als Sekretärin des Landesdirektors hat sie häufig Abendtermine und bleibt, wenn sie deswegen den Abendzug nicht mehr erreichen kann, durchschnittlich sechs bis sieben Mal monatlich in W*****. Zunächst hatte sie dort bei einem Onkel genächtigt, später erlangte sie eine Mietwohnung, die allerdings lediglich aus einem Zimmer und einer Küche mit insgesamt weniger als 40 m**2 Wohnfläche besteht. In der Küche wurde eine Duschkabine eingerichtet, im Zimmer befinden sich ein Kasten und ein Klappbett sowie die notwendigste Kleidung. Diese Wohnung dient ihr lediglich zur Übernachtung, einen Haushalt führt sie dort nicht.

In seiner rechtlichen Beurteilung bejahte das Erstgericht das Eintrittsrecht der Heidelinde H***** gemäß § 14 Abs 3 MRG, weil sie im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter gelebt und ein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung habe. Bei der W***** Wohnung handle es sich nicht um eine ausreichende und gleichwertige Wohnmöglichkeit sondern lediglich um eine Übernachtungsmöglichkeit, eine Verweisung auf diese Wohnung sei unzumutbar.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und erklärte die Revision für zulässig. Es hielt weder die von der Klägerin erhobene Rüge der unrichtigen Beweiswürdigung und unrichtigen Tatsachenfeststellung noch deren Rechtsrüge für gerechtfertigt. Zu dieser führte es im wesentlichen aus:

Gemäß § 30 Abs 2 Z 5 MRG sei es als ein wichtiger Kündigungsgrund anzusehen, wenn die vermieteten Wohnräume nach dem Tod des bisherigen Mieters nicht mehr einem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen dienten. Gemäß § 14 Abs 3 MRG seien eintrittsberechtigt unter anderem Verwandte in gerader Linie, wenn sie ein dringendes Wohnbedürfnis hätten und schon bisher in gemeinsamem Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung wohnten. Gemeinsamer Haushalt bedeute gemeinsames Wohnen und Wirtschaften, das auf Dauer berechnet sein müsse. Der eintretende nahe Angehörige müsse seinen Lebensschwerpunkt in der betreffenden Wohnung haben. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, sodaß noch zu prüfen sei, ob Heidelinde H***** auch ein dringendes Wohnbedürfnis an der aufgekündigten Wohnung habe. Die Beweislast hiefür treffe die eintrittsberechtigte Person und sei streng zu prüfen und dann zu verneinen, wenn ihr eine andere, rechtlich gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehe. Verfüge der Eintrittsberechtigte über eine andere kündigungsgeschützte Mietwohnung, sei die rechtliche Gleichwertigkeit im Regelfall zu bejahen und die faktische Gleichwertigkeit der Wohnung nicht zu prüfen. Die mietergeschützte Wohnung der Heidelinde H***** in W***** sei der gegenständlichen Wohnung in K***** als gemieteter Eigentumswohnung rechtlich gleichwertig. Im weiteren stelle die Rechtsprechung darauf ab, ob eine unabweisliche Notwendigkeit bestehe, den beim Tod des Mieters gegebenen Zustand weiter zu belassen und ob das Wohnbedürfnis des Eintrittswerbers anderweitig angemessen befriedigt sei. Ob der eintrittsberechtigte nahe Angehörige seinen Lebensmittelpunkt in der aufgekündigten Wohnung habe, erscheine dagegen nicht wesentlich. Für den Fall, daß der Eintrittswerber eine gleichwertige Wohnmöglichkeit in einem anderen Ort gehabt habe, sei er darauf verwiesen und der Kündigungsgrund unter der Voraussetzung der "Zumutbarkeit" bejaht worden. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes sollte aber nicht allein entscheidend sein, ob jemand wo immer ein Dach über dem Kopf habe, vielmehr seien alle seine sonstigen Lebensumstände zu berücksichtigen. Im vorliegenden Falle habe Heidelinde H***** seit 3 1/2 Jahrzehnten in gemeinsamem Haushalt mit ihren Eltern bzw zuletzt mit der Mutter in der aufgekündigten Wohnung gelebt, sie habe demgemäß ihren gesamten Freundeskreis in K*****, helfe in ihrer Freizeit mehrmals in der Woche im Gasthaus ihres Cousins aus, habe in K***** ihren Hausarzt, ihren Augenarzt und ihren Gynäkologen, sei seit 20 Jahren Kundin eines Friseur- und eines Kosmetiksalons in K*****, tätige dort ihre Einkäufe und betreue ihren dort gelegenen Obstgarten. Unter diesen Umständen sei sie auch nach den dargelegten strengen Kriterien in der aufgekündigten Wohnung zu belassen, zumal ihr Wohnbedarf, bezogen auf ihren gesamten Lebensstandard und Lebenszuschnitt, in W***** keinesfalls angemessen befriedigt werde. Der geltend gemachte Kündigungsgrund sei daher vom Erstgericht zu Recht verneint worden.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, in Abänderung des angefochtenen Urteils die Kündigung für rechtswirksam zu erklären.

Die Revisionswerberin bringt vor, nach der Rechtsprechung sei das "dringende Wohnbedürfnis" iSd § 30 Abs 2 Z 5 MRG genau so streng zu prüfen wie der "dringende Eigenbedarf" des Vermieter nach § 30 Abs 2 Z 8 - 10 MRG. Gerade bei unverheirateten Personen sei an den Lebensschwerpunkt kein strenger Maßstab anzulegen. Nicht die faktische, sondern die rechtliche Gleichwertigkeit sei entscheidend und nur in Ermangelung einer eigenen Wohnung müsse die Wohnmöglichkeit ausreichend und rechtlich gleichwertig sein. Wegen des allgemein bekannten krassen Fehlbestandes an Wohnungen dürften die gesetzlichen Kündigungsregelungen nicht restriktiv angewendet werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, aber nicht gerechtfertigt.

Es trifft zu, daß die Rechtsprechung zu den oben im Wortlaut zitierten Bestimmungen des § 14 Abs 3, § 30 Abs 2 Z 5 MRG sowie zur vergleichbaren früheren Regelung des § 19 Abs 2 Z 11 MG bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedarfes des eintrittsberechtigten nahen Angehörigen - diese Eigenschaft Heidelinde H***** ist hier nicht mehr umstritten - einen strengen Maßstab anlegt. Grundsätzlich wurde für die Anerkennung eines dringenden Wohnbedarfes des eintrittsberechtigten nahen Angehörigen gefordert, daß die Belassung des beim Tode des bisherigen Mieters bestehenden Zustandes unabweislich notwendig sei. Allerdings wurde auch ausgesprochen, man dürfe bei der Prüfung des dringenden Wohnbedarfes und in der Frage des jeweils benötigten Wohnraumes nicht mehr den strengen Maßstab der Nachkriegszeit anlegen (MietSlg 22.390; 17.488, 20.449 ua). Überwiegend wurde aber jener Judikaturlinie gefolgt, nach der sich das Erfordernis der Gleichwertigkeit der dem Eintrittsberechtigten zur Verfügung stehenden anderen Wohnung auf deren rechtliche und nicht - oder jedenfalls weniger (so 2 Ob 706, 707/86) - auch auf ihre faktische Gleichwertigkeit beziehe. Demgemäß sprach die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung MietSlg 33.373 (7) aus, auch das Vorhandensein einer rechtlich gleichwertigen Wohnung an einem anderen Ort stehe der Annahme eines dringenden Wohnbedarfes entgegen, soferne nicht Umstände vorlägen, die zumindest die dringende Notwendigkeit begründeten, daß der eintrittsberechtigte nahe Angehörige seinen bisherigen Wohnort beibehält. In der Entscheidung MietSlg 38.317 verblieb der Oberste Gerichtshof bei der bis damals überwiegenden Rechtsprechung, stellte aber überdies auch auf die Voraussetzung der Zumutbarkeit der Benützung der an einem anderen Ort gelegenen, rechtlich gleichwertigen Wohnung ab: er bejahte das dringende Wohnbedürfnis einer eintrittsberechtigten Witwe an der am Ort ihrer Beschäftigung gelegenen aufgekündigten Wohnung, weil ihr eine tägliche Fahrzeit zum Arbeitgeber (und zurück) von fünf Stunden unzumutbar und sie bei Aufrechterhaltung der Kündigung daher genötigt sei, ein Untermietzimmer am Ort der Beschäftigung zu nehmen;

dieser Umstand beweise im Sinne der Rechtsprechung (MietSlg 18.445;

5.916) das dringende Wohnbedürfnis. Würth in Rummel ABGB**2 Rz 10 zu § 14 MRG und Würth-Zingher in Miet- und Wohnrecht Rz 19 zu § 14 MRG halten die grundsätzliche Verweisung des Eintrittsberechtigten auf eine andere auswärtige Wohnung für "nicht unbedenklich".

In der Tat darf allein der Umstand, daß der eintrittsberechtigte nahe Angehörige an einem anderen Ort eine rechtlich gleichwertige Wohnmöglichkeit hat, nicht schon schematisch und generell zur Verneinung seines dringenden Wohnbedürfnisses an der gekündigten Wohnung führen, und die beiden letztgenannten Entscheidungen, in denen auf das zu berücksichtigende Kriterium einer dringenden Notwendigkeit, am bisherigen Wohnort wohnhaft zu bleiben bzw der Unzumutbarkeit, zum Arbeitsort täglich anzureisen, verwiesen wird, zeigen, daß die in der Frage des dringenden Wohnungsbedürfnisses zwar strenge Rechtsprechung, auf die besonderen Umstände des Einzelfalles durchaus Bedacht nimmt. Unter diesen Gesichtspunkten rechtfertigt es auch der hier vorliegende Sachverhalt, trotz rechtlicher Gleichwertigkeit der der eintrittsberechtigten Heidelinde H***** in W***** zur Verfügung stehenden Kleinwohnung, das dringende Wohnbedürfnis der Genannten an der aufgekündigten Wohnung zu bejahen.

Anders als im Falle der Entscheidung MietSlg 33.373 (7), in dem die Eintrittsberechtigte nur "ihren Freundes- und Bekanntenkreis am Ort der aufgekündigten Wohnung erworben hatte", lebte Heidelinde H***** mit ihren Eltern und Geschwistern seit jeher und nun insgesamt seit 3 1/2 Jahrzehnten in der aufgekündigten Wohnung. Abgesehen davon, daß sie seit einiger Zeit aus beruflichen Gründen sechs bis sieben Mal monatlich in W***** nächtigt und ausschließlich zu diesen Übernachtungszwecken dort - statt eines Hotelzimmers - eine weniger als 40 m**2 aufweisende und bescheiden ausgestattete Kleinwohnung gemietet hat, hält sie sich außerhalb ihrer Arbeitszeit in der aufgekündigten Wohnung in K***** auf, in der sie ihren Haushalt führt und ihr ständiges Wohnbedürfnis befriedigt. Ihre private Lebensführung findet somit seit ihrer Kindheit stets in K***** statt, wo sie mehrmals wöchentlich auch im Betrieb eines Verwandten mitarbeitet, einen eigenen Obstgarten betreut und überhaupt alle ihre persönlichen täglichen Bedürfnisse befriedigt. Auf Grund dieser gesamten Art der Lebensgestaltung muß aber anerkannt werden, daß für Heidelinde H***** eine persönliche dringende Notwendigkeit besteht, auch weiterhin am bisherigen Wohnort wohnhaft zu verbleiben. Sie wäre anderenfalls gezwungen, ihre in 3 1/2 Jahrzehnten in K***** gestaltete Lebenswelt zu verlassen und insoweit ein ganz neues Privatleben zu beginnen. Die Alternative, eine andere Wohnung in K***** zu suchen, steht der Annahme eines dringenden Wohnbedürfnisses nicht entgegen sondern spricht für dieses. Darüber hinaus muß aber im gleicher Weise wie im Fall der Unzumutbarkeit einer täglich mehrstündigen Bahnfahrt (so in MietSlg 38.317) die vorbeschriebene gravierende Veränderung der persönlichen Lebensumstände für den Eintrittsberechtigten als unzumutbar gewertet werden.

Somit ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zu billigen, daß nach den besonderen Umständen dieses Falles das Vorhandensein einer rechtlich gleichwertigen Kleinwohnung an einem anderen Ort der Annahme eines dringenden Wohnungsbedürfnisses der Eintrittsberechtigten an der aufgekündigten Wohnung nicht entgegensteht.

Der Revision der klagenden Partei war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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