Spruch:
Der Antrag, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes einzuholen, wird zurückgewiesen.
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der klagenden Partei zur beklagten Partei über den 4.Dezember 1994 hinaus aufrecht fortbesteht.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei nachstehende Verfahrenskosten
1.) die mit S 37.614,60 bestimmten Kosten der ersten Instanz (darin S 6.269,10,-- USt) und
2.) die mit S 22.870,80 bestimmten Kosten der zweiten Instanz (darin S 3.811,80 USt) und
3.) die mit S 13.725,-- bestimmten Ver- fahrenskosten der dritten Instanz (darin S 2.287,50 USt)
binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war bis zum Jahre 1994 bei der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH als Hauszustellerin beschäftigt. Bei dieser wurde die Zustellung in vier Arten vorgenommen: durch Hauszusteller und durch die Post, Großkunden wurden durch die N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH selbst beliefert, weiters gab es Werkverträge für die Zustellung. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Hauszustellung sodann aus der VerlagsGmbH ausgegliedert, sie schloß mit der beklagten Partei einen Werkvertrag und diese Hauszustellung wird nun seit 1.5.1994 von der beklagten Partei durchgeführt. Bei der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH war die Hauszustellung in die Vertriebsabteilung eingegliedert, welche den gesamten Vertrieb durchführte. Ihr stand der Vertriebsleiter vor, für die Hauszustellung und für die Abonnenten war der Zeuge Rainer F*****, der nach wie vor bei der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH beschäftigt ist, Ansprechpartner. Seine Aufgabe war auch die Abrechnung des Inkassos mit den Hauszustellern.
Die beklagte Partei hat von der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH keine Arbeitskräfte übernommen und ihr Arbeitskräftepotential im Hinblick auf den vorgenannten Werkvertrag auch nicht aufgestockt, vielmehr wird die Belieferung der Abonnenten durch ihre Zusteller, die auch die Zustellung der Kronen Zeitung und des Kurier vornehmen, durchgeführt. Die Zustellung erfolgt aufgrund von Abonnentenlisten, welche die N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH der beklagten Partei zur Verfügung stellt. Die Leistungen der beklagten Partei werden monatlich abgerechnet. Die Hauszusteller der beklagten Partei inkassieren bei den Abonnenten der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH und die einkassierten Beträge werden durch den Außendienst der beklagten Partei an die N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH abgeliefert. Listen, aus denen sich die einzuhebenden Beträge ergeben, existieren bei der beklagten Partei nicht. Die Klägerin und ebenso die anderen Zusteller der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH hatten auch die Aufgabe, die "Kleine Zeitung" zuzustellen. Die Klägerin stellt diese nach wie vor zu. Durch den Verlust der Hauszustellung für die N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH erlitt die Klägerin eine Einbuße an Einkünften.
Die Hauszusteller und somit auch die Klägerin haben die N***** Z***** beworben. Für neue Abonnenten erhielten sie eine Prämie. Voraussetzung hierfür war, daß die Abonnenten das Abonnement ein Jahr behielten und auch bezahlten. Eine Verpflichtung zum Werben von neuen Beziehern bestand für die Hauszusteller nicht.
Die beklagte Partei hat von der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH bei Abschluß des Werkvertrages keine Dienstnehmer übernommen; es wurden auch keine Sachmittel, Betriebsmittel und kein Know-how erworben.
Die Klägerin bringt vor, ihr Arbeitsverhältnis sei von der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH mit Schreiben vom 5.November 1994 gekündigt worden. Wegen des auf die beklagte Partei gemäß § 3 AVRAG durch die Übertragung des Betriebsteiles "Hauszustellung" erfolgten Betriebsteilüberganges begehre sie die Feststellung, daß ihr Arbeitsverhältnis zur beklagten Partei über den 4.Dezember 1994 hinaus fortbestehe.
Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; auf die beklagte Partei sei kein Betriebsteil, sondern nur der Teil einer Funktion übergegangen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen führte es aus, es sei bei der beklagten Partei, auf die die Hauszustellung aufgrund eines Werkvertrages übergegangen sei, lediglich eine "Funktionsnachfolge" eingetreten. Die Zustellung sei neben der Hauszustellung durch Postzustellung, durch eigene Zustellung an Großkunden und durch Werkvertragspartner erfolgt. Als Betriebsteil im Sinne des § 3 Abs 1 AVRAG könne die Zustellung als Ganzes bezeichnet werden, nicht aber ein Teil hievon. Die Richtlinie 77/187 EWG ("Betriebsübergangsrichtlinie") beziehe sich auf den Übergang durch Verkauf, Miete und Pacht, nicht aber aufgrund eines Werkvertrages. Die geforderte wirtschaftliche Einheit liege nicht vor, die Hauszustellung sei lediglich ein Teil eines Betriebsteiles und von den übrigen Zustellarten keineswegs voll und deutlich abgegrenzt gewesen. Materielle oder immaterielle Betriebsmittel seien an die beklagte Partei nicht übertragen worden, sondern lediglich ein Teil einer Funktion.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und führte aus:
Wesentlich sei, daß es sich bei der Hauszustellung um einen Teil des Vertriebes handle, der als organisatorische Einheit anzusehen und bei der N***** Zeitungs- und ZeitschriftenverlagsGmbH als solcher verblieben sei. Der Hauszustellung allein komme eine Organisationsstruktur im Sinne eines Betriebsteiles nicht zu. Zur Hauszustellung gehöre auch das Inkasso und die Abrechnung der Zeitungsabonnements und zumindest die Abrechnung sei bei dem früheren Arbeitgeber verblieben. Wenn Probleme seit Übernahme der Zustellung durch die beklagte Partei aufgetreten seien, seien für deren Lösung sowohl der Vertrieb der Beklagten als auch der frühere Vertrieb zuständig. Auch daraus sei ersichtlich, daß eine komplette organisatorische Auslagerung der Hauszustellung nicht erfolgt sei. Auch Betriebsmittel oder der Kundenstock sei nicht an die beklagte Partei übertragen worden, weil die Zeitungszustellung weiterhin Kunden der N***** betreffe. Es sei daher mit dem Werkvertrag keine organisatorische Einheit des Vertriebes übertragen worden, die als Betriebsteil im Sinne des § 3 Abs 1 AVRAG angesehen werden könne. Eine Parallelität zum Fall "Christel Schmidt" bestehe nicht, weshalb keine Veranlassung für ein Vorabentscheidungs- verfahren beim EuGH bestehe.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, sie abzuändern und dem Klagebegehren stattzugeben. Die Übertragung einer maßgeblichen Betriebsaufgabe (Funktion) sei als Betriebsteilübergang im Sinne der Rechtsprechung des EuGH anzusehen. Die dennoch erfolgte Kündigung sei relativ nichtig. Es werde "angeregt", im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens durch den EuGH klären zu lassen, ob bei der Hauszustellung eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der Betriebsübergangs-Richtlinie vorliege.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Geht ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser gemäß § 3 Abs 1 AVRAG als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Diese Bestimmung trat gemäß § 11 Abs 1 AVRAG mit 1.Juli 1993 in Kraft. Zum Zeitpunkt der von der Klägerin bekämpften Kündigung war Österreich schon Mitglied des europäischen Wirtschaftsraumes (seit 1.1.1994), wenn auch noch nicht Mitglied der Europäischen Union; eine Vorabentscheidung gemäß Art 177 EGV kommt nicht in Betracht, zumal die vorliegende Entscheidung der Betriebsübergangs-Richtlinie, auf die sich das AVRAG bezieht, ohnedies entspricht.
Die Hauszustellung bei der N***** Zeitschriften und ZeitungenverlagGmbH wurde von mehreren Zustellern besorgt, die neben dem eigentlichen Zustellvorgang aber auch mit den Aufgaben des Inkasso und der Werbung für (neue) Abonnements betraut waren. Für diese Aufgabe war bei der früheren Arbeitgeberin der Klägerin neben den sonstigen Vertriebswegen (Post, eigene Zustellung an Großkunden und Zustellung durch Werkvertragspartner) eine gewisse Organisation erforderlich, um die Koordination der mehreren Hauszusteller, von denen die Klägerin eine war, zu bewirken, was insbesondere für den Fall der Abwesenheit einzelner infolge von Krankheit, Urlaub ua unmittelbar einsichtig ist. Es verschlägt nichts, daß diese Betriebsteilaufgabe mit den anderen Vertriebsformen in einer Vertriebsabteilung gemeinsam erfolgte, denn die Betriebsteilaufgaben können einander auch durchdringen bzw mit anderen Aufgaben des Betriebes vermengt gewesen sein. Wenn die beklagte Partei einwendet, es handle sich bei der Hauszustellung lediglich um einen Teil eines Betriebsteiles (Vertrieb bzw Zustellwesen), so ist dem entgegenzuhalten, daß es geradezu ein Merkmal einer fortschreitenden Arbeitsteilung durch Spezialisierung ist, Teile von Funktionen zu verselbständigen. Es ist gerichtsbekannt, daß sich zahlreiche Betriebe mit der selbständigen Hauszustellung (von Werbematerial, Bezirkszeitungen, Ankündigungen ua) befassen, woraus sich ergibt, daß die Funktion (der Hauszustellung) zumindest einem Betriebsteil funktionell gleichkommt. Wenn in der gesamten Vertriebsabteilung diese Aufgabe mit anderen Aufgaben vermengt war, dann entspricht es nicht dem funktionellen Verständnis eines Betriebsteiles, wenn durch organisatorische Maßnahmen die Eigenschaft und Eignung, selbständiger Betriebsteil zu sein, durch andere Funktionen (Postvertrieb, Vertrieb durch Kolportage usw) überlagert wird. Bei Dienstleistungen, wie dem Zustellvorgang, sind naturgemäß materielle und immaterielle Komponenten weniger ausgesprägt. Im Gegensatz zu dem Sachverhalt der "Christel-Schmidt-Entscheidung" liegt hier nicht nur ein Funktionsübergang vor, sondern der Übergang eines Betriebsteiles, wenn die Zusammenfassung der mehreren Zusteller durch eine organisatorische Klammer bedacht wird. Sowohl Lehre (Holzer, Kündigungen bei Betriebsübergängen DRdA 1995, 375; Schrammel, Rechtsfragen des Betriebs- überganges, ZAS 1996, 6; Binder, Die österreichische Betriebsübergangsregelung - eine geglückte Bedachtnahme auf europarechtliche Vorgaben ? DRdA 1996, 1) als auch Rechtsprechung (8 Ob A 211/96) gehen von einem Kündigungsverbot im Zusammenhang mit dem Übergang eines Betriebes oder Betriebsteiles wie in Art 4 Abs 4 erster Satz der Betriebsübergangs-Richtlinie auch für den Geltungsbereich des AVRAG aus. Der Regelungszweck der RL 77/187/EWG , die Arbeitsplätze den bisherigen Arbeitsplatzinhabern zu erhalten, wenn dies infolge Weiterbestehens des Betriebes - funktionell besteht der Teilbetrieb der Hauszustellung weiter - möglich ist, hindert nicht solche Rationalisierungen, die nur zur Kündigung einzelner Arbeitnehmer führen; bei Übertragung dieser Funktion auf die beklagte Partei ist damit aber auch der Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin verbunden (vgl Joost, Betriebsübergang und Funktionsausgliederung, FS Wlotzke [1996], 683 bis 689 f). Die der beklagten Partei zur Verfügung gestellten Abonnementenlisten verdeutlichen den Betriebs(teil)übergang; andernfalls hätte die beklagte Partei die Organisation der Hauszustellung (gegenüber anderen Vertriebsformen) neu aufbauen müssen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem "Betriebsteilübergang" mit 1.Mai 1994 und der Kündigung der Klägerin zum 4.Dezember 1994 ist gewahrt, weil die am 2.Mai 1994 überreichte Klage der früheren Arbeitgeberin auf Zustimmung zur Kündigung der Klägerin (dort der Beklagten), AZ 36 Cga 58/94s des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht zu berücksichtigen ist. In der Klagserzählung wurde auf die Neuorganisation des Zustellwesens hingewiesen. Die Klägerin war nämlich als Mitglied des Arbeiterbetriebsrates bis zum Ende ihrer Funktionsperiode unkündbar und konnte erst im November 1994 gekündigt werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Hinsichtlich der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz liegt ein Verfahren nach § 50 Abs 2 ASGG nicht vor, weshalb die Sonderregelung des § 58 Abs 1 erster Satz ASGG nicht anwendbar ist. Die gleichartigen bundesrechtlichen Bestimmungen im Sinne des § 50 Abs 2 ASGG, auf die in § 58 Abs 1 ASGG verwiesen wird, sind solche, die vor dem Inkrafttreten des ASGG die Zuständigkeit der Einigungsämter begründeten (vgl Kuderna ASGG, 268; Arb 10.821 = ZAS 1991/1, 14 = SZ 62/158 = RdW 1990, 89). Die Richtigkeit dieser Auslegung wird durch den Ausnahmscharakter der Bestimmung des § 58 Abs 1 ASGG, die nur aus der vorausgehenden Einigungsamtszuständigkeit erklärbar ist (vgl VfSlg 13.454 = ecolex 1993, 866 = DRdA 1993, 500), bestätigt. Teleologische Gründe für eine ausdehnende Regelung sind nicht erkennbar; weiters ist der Schutz des Arbeitnehmers nach § 3 AVRAG individualrechtlicher Natur, die Mitwirkung eines Belegschaftsorganes wird auch nicht andeutungsweise erwähnt. Nicht jede Kündigungsschutzbestimmung an sich stellt sich als eine gleichartige bundesrechtliche Bestimmung dar (vgl im Umkehrschluß etwa § 32 VBG; § 8 BehEinG ua).
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