OGH 9ObA23/96

OGH9ObA23/9610.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Martin Duhan und Hofrat Robert List als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Christian K*****, Vertriebsleiter, ***** vertreten durch Dr.Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei R***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Walter Brandl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung (Streitwert S 25.000) und Zahlung von S 93.266,44 und S 3.689 sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.Jänner 1996, GZ 8 Ra 145/95-25, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17.Oktober 1995, GZ 5 Cga 207/94k-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie ersatzlos behoben werden.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Widerrufsfrist des in der Tagsatzung vom 15.9.1995 abgeschlossenen bedingten Vergleiches betrug 14 Tage. Am letzten Tag der vereinbarten Frist (29.9.1995) langte der Vergleichswiderruf per Telefax beim Erstgericht ein. Am selben Tag (Freitag) gab die beklagte Partei den Schriftsatz mit dem Widerruf des Vergleiches zur Post. Dieser Schriftsatz trägt den Einlaufstempel 3.10.1995 (Dienstag). Das Erstgericht stellte mit der am 3.10.1995 in der Gerichtskanzlei eingelangten Verfügung das Originaltelefax zur Unterfertigung binnen dreier Tage dem Beklagtenvertreter (zugegangen am 5.10.1995) zurück. Das verbesserte Telefaxoriginal wurde erst am 12.10.1995 zur Post gegeben.

Das Erstgericht wies den Widerruf des Vergleichs vom 15.9.1995 als verspätet zurück. Es sei unzulässig, die Fristbestimmungen durch Vorausfaxen zu umgehen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Bestimmung des § 89 Abs 2 GOG über telegraphische Eingaben (und Eingaben mit Telefax) kämen nicht zur Anwendung, weil die Widerrufsfrist eines Vergleiches materiellrechtlicher Natur sei. Der Widerruf mittels Schriftsatzes müsse daher innerhalb der vereinbarten Frist bei Gericht einlangen. Dies sei durch den Widerruf per Telefax nicht geschehen. Eine Verbesserung sei nicht mehr zulässig gewesen. Das Erstgericht habe zutreffend die Fristversäumung des Widerrufes angenommen (§ 500 a ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei, der berechtigt ist.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß eine durch späteren Schriftsatz bestätigte telegraphische Eingabe bei vereinbarter Schriftform für den Widerruf des gerichtlichen Vergleiches ausreicht (2 Ob 238/68; 6 Ob 1697/93), also § 89 Abs 3 GOG insoweit Anwendung findet. Die Vereinbarung über die Form des Widerrufes eines gerichtlichen Vergleiches ist im Zweifel als prozeßrechtliche Vereinbarung anzusehen. Die analoge Anwendung des § 89 Abs 3 GOG auf einen im Wege der Telekopie übertragenen Vergleichswiderruf ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß die in Telekopie erfolgte Eingabe durch einen eigenhändig unterfertigten Folgeschriftsatz bestätigt wird (EvBl 1993/105 = JBl 1993, 732 [Gitschthaler]; 7 Ob 646/94) unbedenklich (6 Ob 1697/93).

Die Vereinbarung einer Frist für den Widerruf des bedingt abgeschlossenen gerichtlichen Vergleiches ist allerdings nicht verfahrensrechtlicher Natur. Es handelt sich vielmehr um eine zwischen den Parteien vereinbarte Ausschlußfrist mit materiellrechtlicher Wirkung. Die §§ 126 ZPO oder 89 Abs 1 GOG sind auf die Fristberechnung nicht anzuwenden (SZ 42/26; 6 Ob 1697/93). Die Postaufgabe am letzten Tag der Frist genügt nicht.

Hier vereinbarten die Parteien im Vergleich nur, daß dieser "rechtswirksam werden soll, wenn er nicht binnen vierzehn Tagen widerrufen wird". Eine bestimmte Schriftsatzform war nicht bedungen, so daß prozessual wegen der Mehrfachwirkung des Vergleiches ein Widerruf binnen 14 Tagen in jeder zulässigen Form wirksam war, also auch nach § 89 Abs 3 GOG.

Die Rechtsfolgen des Versäumnisses bei Nichteinhaltung der Widerrufsfrist treten nach § 903 Satz 2 ABGB erst mit Ablauf des letzten Tag der Frist ein, sodaß für den Widerruf der ganze letzte Tag zur Verfügung stand.

Der per Telefax am letzten Tag der Widerrufsfrist bei Gericht eingelangte und durch einen vor dem Verbesserungsauftrag am letzten Tages der Widerrufsfrist aufgegebenen Folgeschriftsatz bestätigte Widerruf des bedingten Vergleiches war rechtzeitig. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind zu beheben. Im fortzusetzenden Verfahren wird daher in der Sache zu entscheiden sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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