OGH 10Ob2073/96t

OGH10Ob2073/96t9.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer, Dr.Ehmayr, Dr.Steinbauer und Dr.Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Mag.Ulrika L*****, Architektin, 2.) Dr.Peter L*****, Rechtsanwalt, ***** vertreten durch Dr.Alexander Grohmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ing.Helmut S*****, Kaufmann,***** vertreten durch Dr.Werner Masser, Dr.Ernst Grossmann, Dr.Eduard Klingsbigl, Dr.Robert Lirsch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 29.März 1995, GZ 41 R 101,108/95-18, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 3.November 1994, GZ 5 C 1007/92b-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das hinsichtlich der Aufhebung der Aufkündigung als unangefochten unberührt bleibt, dahingehend abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.969,54 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 1.488,26 Umsatzsteuer und S 40 Barauslagen) sowie die mit S 7.338,14 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 893,02 Umsatzsteuer und S 1.980 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger kündigten dem Beklagten das in 1170 Wien, Savoyenstraße 3, gelegene Bestandobjekt top Nr. 1 und den gemieteten Gartenanteil auf und begehrten auch die Auflösung des Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB. Der Beklagte habe als Mieter zwei im Eigentum der Kläger stehende, durch das Wiener Baumschutzgesetz und das Wiener Naturschutzgesetz geschützte uralte Bäume durch das Abtrennen der Stämme bzw eines Astes schwer beschädigt. Er habe dadurch wirtschaftliche und ideelle Interessen der Kläger verletzt, so daß ein erheblicher nachteiliger Gebrauch der Bestandsache wie auch ein unleidliches Verhalten des Beklagten gegeben sei.

Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Kündigung und die Abweisung des Klagebegehrens, weil sein Baumschnitt Pflegemaßnahme gewesen sei, zu der er aufgrund des Mietvertrages verpflichtet gewesen wäre und die er seit Jahren durchgeführt habe.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:

Die Kläger sind Eigentümer der Liegenschaft Savoyenstraße 3, 1170 Wien, auf der sich das vom Beklagten seit 1970 gemietete Bestandobjekt top Nr 1, bestehend aus vier Zimmer, Küche, Vorzimmer, Mansardekammer, Dachbodenteil, Kellerabteil und einen Gartenteil befindet. Der Garten des Grundstückes weist alten Baumbestand auf. Mit der Voreigentümerin hatte der Beklagte vereinbart, daß er den von ihm gemieteten Gartenteil zu pflegen habe. Er führte des öfteren einen Baumschnitt durch, wobei er auch Bäume, die sich auf dem nicht von ihm gemieteten Gartenteil befanden, in Absprache mit der Voreigentümerin schnitt. Diese war auch einverstanden, daß er dünne Bäume zur Gänze entferne. Sie erhob auch keine Einwände, daß der Beklagte einmal eine Kastanie bis auf die Hauptäste beschnitt und ein anderes Mal eine kaputte Eiche zur Gänze entfernte. Das angefallene Holz konnte er verwerten oder wegführen lassen. Den Gartenschnitt ließ er von einem Gartenunternehmen oder auch von Hilfskräften durchführen. Nach dem Eigentümerwechsel wurde über die Art der Gartenpflege zwischen den Streitteilen nichts vereinbart. Im September 1992 waren zwei Dachdecker mit der Bedeckung des auf der Liegenschaft befindlichen Hauses beschäftigt. Keiner hatte Erfahrung mit dem Schnitt von Bäumen. Der Beklagte fragte sie, ob sie bei zwei Bäumen die Krone knapp oberhalb des Ansatzes abschneiden und einen Ast einer Kastanie entfernen könnten. Sie bejahten diese Frage und schnitten sowohl die Kastanie als auch die Linde und die Birke nach den Angaben des Beklagten. Sowohl die Birke als auch die Linde wurden durch diese Schnitte physiologisch schwer gestört. Die Birke ist mittlerweile abgestorben. Die Linde hat wieder ausgetrieben und eine sogenannte Besenkrone entwickelt. Ihre Lebensdauer ist jedoch durch den Schnitt verkürzt. Sowohl die Kastanie als auch die Linde befinden sich zur Gänze auf dem vermieteten Teil des Gartens. Die Birke hingegen an der Grenze, wobei der Stamm auf der Eigentümerseite steht. Mangels eines nachgewiesenen Vorsatzes wurde der Beklagte im Strafverfahren vom Vorwurf der Sachbeschädigung freigesprochen. Beim Magistratischen Bezirksamt wurde Anzeige erstattet und beantragt, den Beklagten gemäß § 13 des Baumschutzgesetzes mit einer Verwaltungsstrafe zu belegen. Sowohl der Beklagte als auch die Dachdecker waren der Meinung, die Bäume würden diesen radikalen Schnitt überleben und wieder austreiben. Er war überzeugt, daß diese Schnitte, wie man sie des öfteren bei auf öffentlichem Grund stehenden Bäumen sieht, nicht zum Absterben der Bäume führen werden, sondern sie danach wieder eine kleinere, für die Benützung des Gartens sinnvolle und die Pflege erleichternde Baumkrone ausbilden würden.

In rechtlicher Hinsicht war das Erstgericht der Ansicht, es liege weder der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG noch der Aufhebungsgrund des § 1118 ABGB, nämlich des erheblich nachteiligen Gebrauches vor, weil der Beklagte der Überzeugung gewesen sei, die Bäume würden einen derartigen Schnitt überstehen und sie in Ausübung seines Rechtes bzw seiner Pflicht der Gartenpflege - wie schon in früheren Jahren - geschnitten habe.

Das Gericht der zweiten Instanz bestätigte die Aufhebung der Aufkündigung, gab aber der Berufung, soweit sie sich gegen die Abweisung des Räumungsbegehrens wendete, Folge und verurteilte den Beklagten zur Räumung des Bestandobjektes samt Gartenteil. Es erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Rechtlich war es der Ansicht, daß die Eingriffe des Beklagten, die zum Absterben eines Baumes und zur Wachstumsstörung eines zweiten geführt hätten, wobei auch dessen Lebensdauer verkürzt worden sei, ein wichtiges wirtschaftliches und auch ideelles Interesse der Vermieter verletzt hätten. Der Verlust eines Baumes sowie die irreparable Schädigung eines zweiten hätten eine massive Beeinträchtigung des Zustandes der Bestandsache und unabhängig von einer Wertminderung des Grundstückes einen erheblich nachteiligen Gebrauch im Sinne des § 1118 ABGB bewirkt. Die Schädlichkeit mußte dem Beklagten, der bisher noch nicht derart radikale Schnitte vorgenommen hatte, bewußt sein. Eine erhebliche Verletzung der Substanz des Bestandgegenstandes sei im vorliegenden Fall anzunehmen, zumal eine Wiederherstellung des früheren Zustandes gar nicht oder erst in vielen Jahren erwartet werden könne.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger stellen den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Beurteilung nachteiligen Gebrauches eines mit einer Wohnung gemieteten Gartenteiles über den Einzelfall hinausgeht.

Die Revision ist auch berechtigt.

Die Bestimmung des § 1118 ABGB soll die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses ermöglichen, wenn der Bestandnehmer der Sache einen erheblichen Nachteil davon macht. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG sowie des § 1118 ABGB setzt eine wiederholte längerwährende vertragswidrige Benützung des Mietgegenstandes oder eine erhebliche Verletzung oder Drohung mit einer Verletzung der Substanz des Mietgegenstandes voraus. Erheblich nachteiliger Gebrauch kann gegeben sein, wenn der Mieter wichtige wirtschaftliche oder ideelle Interessen des Vermieters verletzt (MietSlg 42.129/7, 42.305, WoBl 1992/102). Dabei sind für die Beurteilung die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit maßgeblich (MietSlg 42.131, 1 Ob 562/94, 1 Ob 550/95). Ein Verschulden des Bestandnehmers wird nicht vorausgesetzt. Es genügt, daß der nachteilige Gebrauch bewußt war oder wenigstens bewußt sein mußte (MietSlg 42.129/7). Dabei ist vom Bewußseinkönnen eines durchschnittlichen Mieters auszugehen (WoBl 1992/102 ua). Letztlich ist maßgebend, ob durch das Verhalten des Bestandnehmers das für das Weiterbestehen des Bestandverhältnisses erforderliche Vertrauen zwischen den Vertragsteilen weggefallen ist oder nicht (WoBl 1992/61 ua).

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß der vom Beklagten mitgemietete Gartenteil nur Zubehör zum Bestandobjekt top Nr 1 ist, der von ihm aufgrund einer Vereinbarung mit der Voreigentümerin gepflegt wurde und wo er bisher auch Baumschnittarbeiten - manchmal sogar mit qualifizierten Fachkräften - verrichtete, ohne daß nach dem Eigentümerwechsel andere Absprachen getroffen wurden. Das Erstgericht hat sogar festgestellt, daß der Beklagte iS der genannten Vereinbarung dünne Bäume zur Gänze entfernen durfte, einmal eine Kastanie bis auf die Hauptäste beschnitt und ein anderes Mal eine kaputte Eiche zur Gänze entfernte.

Es zeigt sich somit deutlich, daß der Beklagte im Grunde genommen im Rahmen der bisherigen Gepflogenheiten handelte, und der Baumschnitt an sich nicht gegen die getroffenen Vereinbarungen verstieß, sondern nur im Einzelfall das Maß des bisher üblichen überschritt. Weiters ist zu beachten, daß der Beklagte nur die Ausbildung kleinerer für die Benützung des Gartens sinnvollere und die Pflege erleichternde Baumkronen fördern wollte und der durchaus gegebenen landläufigen Meinung war, die Bäume würden nach dem Schnitt wieder austreiben. Schließlich konnte auch in dem von den Klägern angestrengten Strafverfahren keine vorsätzliche Schadenszufügung festgestellt werden. Die dargestellten Umstände geben - im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichtes - somit keinen Grund zur Annahme, daß durch das festgestellte, im wesentlichen auf einer unrichtigen Abschätzung des Wachstumsverhaltens von Bäumen beruhende Verhalten des Beklagten die Vertrauensbasis zwischen den Vertragsteilen bei lebensnaher Betrachtungsweise weggefallen wäre. Das einmalige Versehen des Beklagten - das zudem nur den kleinen mitgemieteten Garten betrifft - rechtfertigt es nicht - wie das Erstgericht zutreffend ausführt - die Räumung des gesamten Bestandgegenstandes zu bewilligen.

Die Teilräumung des Gartenteiles kommt nicht in Betracht, weil sich kein Hinweis oder eine Behauptung dafür ergibt, daß der Gartenteil und die Wohnung getrennte wirtschaftliche oder technische Einheiten sind und in Wahrheit kein einheitliches Bestandobjekt gemietet worden sei (MietSlg 40.475, 2 Ob 534/95). Lediglich unter diesen Umständen, für die die Behauptungs- und Beweislast die klagenden Parteien getroffen hätte (MietSlg 45.438), wäre ein den Gartenteil betreffendes selbständiges Räumungsbegehren denkbar gewesen. Bei der anzunehmenden Einheitlichkeit des Bestandvertrages hätte der Auflösungsgrund des nachteiligen Gebrauches in Ansehung des gesamten Bestandgegenstandes vorliegen müssen (MietSlg 40.475, 45.438 ua), was aber keineswegs der Fall war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Stichworte