OGH 9Ob2057/96g

OGH9Ob2057/96g27.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier, Dr.Petrag, Dr.Bauer und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 25.9.1995 verstorbenen Ophelia S*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Liselotte S***** und der Renate S*****, vertreten durch Dr.Klaus Reisch, Dr.Anke Reisch, Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 15.Dezember 1995, GZ 54 R 233/95-54, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 30. Oktober 1995, GZ 1 A 302/95k-51, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie lauten:

Die Versiegelung des Hauses A***** wird aufgehoben.

Text

Begründung

Die Erblasserin Ophelia S***** ist am 25.9.1995 unter Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung vom 7.2.1995 verstorben, in welcher sie ihre Cousine Edith O***** zur Erbin eingesetzt hatte. Zum Nachlaß gehört unter anderem ein 1/3 Miteigentumsanteil an der Liegenschaft EZ 641, GB S***** mit dem darauf befindlichen Haus A*****. Im übrigen steht diese Liegenschaft zu je einem Drittel im Miteigentum der Rechtsmittelwerberinnen. Diese ersuchten das Erstgericht bereits zwei Tage nach dem Ableben der Erblasserin, "unverzüglich entsprechende Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich der vor allem im Haus befindlichen beweglichen Gegenstände der Verstorbenen zu treffen". Mit Schreiben vom 6.10.1995 wurden diese Maßnahmen urgiert.

Am 18.10.1995 wurde das Haus A***** auf Antrag der erbserklärten Testamentserbin Edith O***** vom Gerichtskommissär versiegelt; diese hatte unter anderem den Verdacht geäußert, daß Dritte Inventarteile aus dem Haus entfernt hätten, weshalb sie Strafanzeige beim Gendarmerieposten in S***** erstattet hatte.

Die aufgrund des Testamentes zum Nachlaß abgegebene bedingte Erbserklärung der Edith O***** wurde mit Beschluß vom 23.10.1995 rechtskräftig zu Gericht angenommen und der erbserklärten Erbin die Besorgung und Benützung der Verlassenschaft überlassen. Am 10.1.1996 wurde der Nachlaß nach Ophelia S***** der erbserklärten Erbin Edith O***** zur Gänze eingeantwortet und das Verlassenschaftsverfahren für beendet erklärt.

Die Rechtsmittelwerberinnen brachten am 27.10.1995 beim Erstgericht den Antrag ein, die Versiegelung am Haus A***** sofort zu entfernen. Sie seien zu je 1/3 Eigentümerinnen der besagten Liegenschaft. Die Versiegelung stelle einen Eingriff in den Besitz der Antragstellerinnen dar, da diese das Haus zwecks dringender Reparaturen und sonstiger Veranlassungen betreten müßten.

Das Erstgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, daß sich seit der Versiegelung des Hauses keine Änderung der Umstände ergeben habe, der eine Entsiegelung rechtfertigen würde.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Die Anlegung des Siegels sei nach § 43 AußStrG dann erforderlich, wenn Umstände vorlägen, die eine besondere Vorsicht erfordern würden. In gegenständlicher Angelegenheit sei dieses Erfordernis erfüllt, da der Verdacht bestehe, daß Dritte Inventarteile aus dem Haus entfernt hätten, weshalb Anzeige bei der Gendarmerie erstattet worden sei. Voraussetzung für die Anbringung des Siegels sei zudem, daß sich die zu versiegelnden Gegenstände zum Zeitpunkt des Todes im Alleinbesitz des Erblassers befunden hätten. Dies bedeute, daß eine Versiegelung einer ganzen Wohnung bzw eines Hauses dann nicht vorgenommen werden dürfe, wenn dadurch Rechte Dritter, die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bestanden hätten, beeinträchtigt würden. Da die Erblasserin selbst nach den Behauptungen der Rechtsmittelwerberinnen im Zeitpunkt ihres Todes Alleinbesitzerin des Hauses A***** gewesen sei, sei die Versiegelung zulässig. Im übrigen sei eine Beschwer der Rekurswerberinnen durch die Versiegelung bzw die Ablehnung der Entsiegelung des Hauses zu verneinen, da sie zweimal die Versiegelung angeregt und diese somit in ihrem Einverständnis erfolgt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Liselotte und Renate S***** ist entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes zulässig, da sich die Auslegung der Voraussetzungen der Versiegelung durch das Rekursgericht nicht mit der an sich richtig zitierten Judikatur vereinbaren läßt. Eine unrichtige Subsumtion des im Einzelfall vorliegenden Sachverhaltes unter die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfüllt die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG (SZ 64/35 = ecolex 1991, 338 = ÖBA 1992, 69; 8 Ob 641/93).

Gemäß § 43 AußStrG ist die Verlassenschaftsmasse dann, wenn ua andere als die in dieser Gesetzesstelle konkret genannte Umstände besondere Vorsicht erfordern, sogleich zu versiegeln. Wie alle im Verlassenschaftsverfahren gesetzten Maßnahmen setzt auch die Versiegelung eine darauf abzielende gerichtliche Entscheidung voraus; die faktisch zur Sicherung der Verlassenschaftsmasse getroffenen Maßnahmen stellen nur eine Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung dar, mit der die Sicherung angeordnet wurde (§ 28 Abs 1 AußStrG).

Hier wurde eine gerichtliche Anordnung, die die Grundlage der tatsächlich vorgenommenen Versiegelung (§ 38 AußStrG) bilden würde, vorerst nicht getroffen. Das Erstgericht wurde mit dieser Frage erstmalig anläßlich der Entscheidung über den Antrag der Revisionsrekurswerberinnen, das Siegel zu entfernen, befaßt. Die Ablehnung dieses Antrages bildet daher die erstmalige gerichtliche Anordnung der Versiegelung; zuvor lag ein solcher Beschluß nicht vor. Die für diese Entscheidung gegebene Begründung, es ergebe sich aus dem Antrag kein Hinweis auf einen gegenüber dem Zeitpunkt der Versiegelung geänderten Sachverhalt, der nunmehr eine Entsiegelung gebieten würde, ist schon deshalb verfehlt, weil eine die Versiegelung anordnende Entscheidung bis dato nicht vorlag. Im vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, ob eine wirksam getroffene Maßnahme aufzuheben ist, sondern es ist über die Berechtigung der Versiegelung an sich zu erkennen.

Nach ständiger Rechtsprechung darf durch die Versiegelung nicht in Rechte dritter Personen eingegriffen werden, die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits bestanden haben (SZ 42/134 = NZ 1970, 126 = MietSlg 21.864 = EvBl 1970/67; 4 Ob 450/76; 1 Ob 598/82; 1 Ob 507/86). Im Zeitpunkt der Entscheidung stand aber fest, daß den Rekurswerberinnen als Miteigentümer dingliche Rechte an der Liegenschaft zustehen. Für das Vorliegen von Gründen dafür, daß die aus dem Eigentumsrecht erfließende Verfügungsmacht der Rekurswerberinnen über die Liegenschaft eingeschränkt, daß sie etwa von der faktischen Benützung des Hauses ausgeschlossen wären, ergaben sich aus dem Akt keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Rechtsmittelwerberinnen hatten nur vorgebracht, daß ihnen von der Verstorbenen zu Unrecht der Zutritt zum Haus verwehrt worden sei, in ihrem Antrag auf Entsiegelung jedoch ausdrücklich die Behauptung aufgestellt, daß sie bereits am Todestag im Besitz des Hauses gewesen seien.

Es trifft auch nicht zu, daß die Versiegelung des gesamten Hauses mit Einverständnis der Rechtsmittelwerberinnen erfolgt wäre. Sie regten lediglich Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich des im Haus befindlichen beweglichen Inventars der Erblasserin an; ihre Zustimmung zur Versiegelung des ganzen Hauses kann daraus nicht abgeleitet werden.

Die Voraussetzungen des § 43 AußStrG für die Versiegelung des ganzen Hauses lagen daher nicht vor. Greift das Verlassenschaftsgericht unzulässig in Rechte Dritter ein, so steht diesen ein Rekursrecht zu (SZ 35/94; NZ 1970, 182). Die Rechtsmittelwerberinnen sind daher zur Erhebung des Revisionsrekurses legitimiert.

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 10.1.1996 wurde der Nachlaß nach Ophelia S***** der erbserklärten Erbin Edith O***** zur Gänze eingeantwortet. Fraglich könnte noch sein, ob dies von Einfluß auf das Rechtsschutzinteresse der Rekurswerberinnen ist.

Gemäß § 174 Abs 1 AußStrG ist, dem Erben sobald er sein Erbrecht gehörig ausgewiesen und alle ihm obliegenden Verbindlichkeiten erfüllt hat, die Verlassenschaft einzuantworten, die allenfalls erfolgte Versiegelung der Masse aufzuheben und die Verlassenschaftsabhandlung für beendigt zu erklären. Daraus ergibt sich, daß die Versiegelung des Nachlasses nicht mit der Rechtskraft der Einantwortung automatisch aufgehoben ist, sondern, daß es hiezu einer ausdrücklichen gerichtlichen Anordnung bedarf; es sind durchaus Fälle denkbar, in denen die Versiegelung über die Einantwortung hinaus aufrecht zu bleiben hat (MGA AußStrG2 Anm 3 zu § 174 AußStrG).

Das Erstgericht hat wohl in der Begründung des Beschlusses, mit dem der Antrag der Rechtsmittelwerberinnen, die Versiegelung aufzuheben, darauf hingewiesen, daß im Zusammenhang mit der Einantwortung über die Entsiegelung des Hauses zu entscheiden sein werde, in der Folge jedoch anläßlich der Einantwortung oder danach eine Entscheidung hierüber nicht getroffen. Die Beschwer der Rekurswerberinnen besteht daher, obwohl das Verlassenschaftsverfahren bereits für beendet erklärt wurde.

Aus diesen Gründen war in Stattgebung des Rekurses die Versiegelung des Hauses aufzuheben.

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